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Full text of "Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen"

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ARCHIV 


FÜR   DAS 


STUDIUM  DER  NEUEREN  SPRACHEN 
UND  LITTERATUREN. 


HERAUSGEGEBEN 


LUDWIG      HERRIC. 


XL.  JAHRGANG,   75.   BAND. 


BRAUNSCHWEIG. 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  GEORGE  WESTERMANN. 

1886. 


0 


^ 


^^V    4 


Inhalts-Verzeichnis  des  LXXV.  Bandes. 


Abhandlungen. 

°  Seite 
Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.     Von  Hermann  Isaac.   (Fort- 
setzung)               1 

Die   neueste   Schrift   über   die   Zeit  der   Abfassung  von   Luthers  Lied:   Ein 

feste  Burg  ist  unser  Gott.     Von  K.  Biltz 45 

Volkssage  und  Volksglaube.     Von  WilhelmSchwartz 63 

Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen.     Von  L.  Wirth    .       69 
Über    die    Verdoppelung    der    Konsonanten    im    Altnormannischen.      Von 

E.  Eickershoff     . 113 

Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi.     Von  Dr.  Karl  Engelcke      ....     147 
Deutsche  Kultur    und  Litteratur   des  18.  Jahrhunderts   im    Lichte    der  zeit- 
genössischen italienischen  Kritik.  (IL  Teil.)  Von  Dr.  Th.  Thiemann     241 
Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.    Von  Hermann  Isaac.  (Schlufs)     269 
Über  die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen.    Von  Dr.  E. 

Eickershoff.     (Schlufs) 285 

Deutsche  Kultur  und  Litteratur  des  18.  Jahrhunderts  im  Lichte  der  zeit- 
genössischen  italienischen   Kritik.     (Teil  IL     Schlufs.)     Von   Dr.  Th. 

Thiemann 353 

Die  Technik  der  Luzerner  Heiligenspiele.  Von  Dr.  Ren  ward  Brand- 
stet  ter     383 

Über  die  Ausfprache  der  Dentallaute  in  den  alten  Sprachen.  Von  G.  Michaelis     419 
Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft   für  das  Studium   der  neueren  Sprachen     447 

Beurteilungen   und   kurze   Anzeigen. 

J.  Fölsing,  Elementarbuch  der  englischen  Sprache,  in  zweiundzwanzigster  Auf- 
lage neu  bearbeitet  von  Dr.  John  Koch.     (Lenk) 177 

J.  Verne,  Le  Tour  du  Monde  en  Quatre-vingts  Jours.    Zum  Schulgebrauch 

bearbeitet  von  Dir.  Prof.  Dr.  K.  Bandow.     (R.  Scherffig).     ...     182 

Gramätica  sucinta  de  la  langua  inglesa,  per  G.  C.  Kardgien 183 


IV 

Seite 

Materials   for   translating  English   into  German.     First  Part.     By  Dr.  Emil 

Otto.     (G.  Boyle) 183 

Lazarus  Geiger,  Seine  Lehre  vom  Ursprünge  der  Sprache  und  Vernunft  und 

sein  Leben  dargestellt  von  L.  A.  Roseathal 184 

Readings    still    to    be    elucidated   in   the   Text   of   Shakespeare.     A  List  of 

„Cruces"  compiled  by  F.  A.  Leo 185 

Joost  van   den   Vondel,   sein   Leben   und   seine   Werke.     Ein  Bild   aus  der 

niederländischen  Litteraturgeschichte.   Von  Alexander  Baumgartner,  S.  J.     185 
Ältenglische  Bibliothek.    Hrsgb.  von  E.  Kölbing.    Dritter  Band  :  Octavian.  — 

Zwei  mittelenghsche  Bearbeitungen  der  Sage.    Hrsgb.  von  Gregor  Sarrazin     186 
Englische  Sprach-  und  Litteraturdenkmale  des  16.,  17.  und  18.  Jahrhunderts. 
Hrsgb.   von    K.  Vollmöller.     2)   Marlowes   Werke.      Historisch-kritische 
Ausgabe  von  Hermann  Breymann  und  Albrecht  Wagner.     L  Tambur- 

laine.     Hrsgb.  von  Albrecht  Wagner 187 

Germanisches  E.  Erster  Teil:  Die  lautgasetzliche  Entwickelung  des  indo- 
germ.  e  in  den  ältesten  germanischen  Sprachen.    Leipziger  Dissertation 

von  Otto  Bremer 189 

Die  Sprachforschung  der  Gegenwart  mit  Bezug  auf  die  französische  Litte- 
ratur   im   Mittelalter.     Von   Ferd.    Brunetiere.     Mit   Genehmigung   des 

Verfassers  übersetzt  von  E.  Laur 189 

L'instruction  primaire  et  ses  effets  sur  la  civilisation  d'une  nation.  Con- 
ferences d'hiver  de  la  Philosophical  Institution  d'Ecosse.  Discours  pro- 
nonce  a  Edinbourg  le  7  novembre  1884  par  M.  Aug.  Couvreur  .     .     .     190 

Zeitschriftenschau 190 

Die  deutsche  Bibelübersetzung  der  mittelalterlichen  Waldenser  in  dem  Codex 
Teplensis  und  der  ersten  gedruckten  deutschen  Bibel  nachgewiesen.  Mit 
Beiträgen  zur  Kenntnis  der  romanisclien  Bibelübersetzung  und  Dogmen- 
geschichte der  Waldenser  von  Herman  Haupt 337 

Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Sprachgebrauchs  Klopstocks  von  Christoph  Würfl     337 
Der  allgemeine   deutsche   Sprachverein,    als    Ergänzung   seiner   Schrift :    Ein 
Hauptstück  von  unserer  Muttersprache.     Mahnruf  an  alle  national  ge- 
sinnten Deutschen.     Von  Herm.  Riegel 338 

Phonetische,  etymologische  und  orthographische  Essays  über  deutsche  und 
und    fremde   Wörter   mit   harten    und   weichen   Verschlufslauten.     Von 

W.  Jütting 338 

Tres  Humble  Essai  de  Phonotique  Lyonnaise  par  Nizier  Du  Puitspelu    .     .     339 
Beiträge  zur  französischen  Syntax  des  XVI.  Jahrhunderts  von  Selly  Gräfenberg     340 
0.    Dolch,    Elementarbuch    der   französischen   Sprache.  —  0.  Dolch,   Schul- 
grammatik der  französischen  Sprache.     Erster  Teil:  Formenlehre      .     .     341 
Valentin    und  Namenlos.     Die   niederdeutsche    Dichtung.     Die   hochdeutsche 
Prosa.     Die  Bruchstücke  der  mnl.  Dichtung.     Nebst  Einleitung,  Biblio- 
graphie  und  Analyse  des   Romans  Valentin  et  Orson.     Von  W.  Seel- 
mann,    (H.  L.) 342 

In  Sachen  Sarrazin  gegen  Ramsler,     (Friedrich  Ramsler) 343 

Repetitionen  zur  französischen  Syntax,  für  den  Schulgebrauch  zusammen- 
gestellt von  Dr.  Karl  Thiem.    (Lenk) 459 


V 
Seite 
Prof.    Dr.    A.    Mahn,    Etymologische    Untersuchungen    über    geographische 

Namen 464 

Supplement  zur  Englischen  Schulgrammatik.  Einleitung  und  Paradigmen 
zur   Lehre    von    der   Aussprache    und   Wortbildung.      Von   M.    Arnold 

Schröer 465 

Englisches  Lesebuch  von  Dr.  Joseph  Holzamer,     (H.  Bieling)    .     .     .     .  466 

Zeitschriftenschau 467 

Programmenschau. 

Tristan-Studien      Von  Oberlehrer  Dr.  Fr.  Bahnsch.     Programm   des  königl. 

Gymnasiums  zu  Danzig 203 

Andreas  Gryphius  als  Lustspieldichter.  Von  Dr.  Heinr.  Hitzigrath.  Pro- 
gramm des  Gymnasiums  zu  Wittenberg 203 

Otto  von  Guericke.  Biograpische  Ergänzungen.  L  Otto  von  Guerickes 
Sammlung  lateinischer,-  französischer,  italienischer,  holländischer  und 
deutscher  Sinnsprüche.  Nach  einer  im  Stadtarchiv  zu  Magdeburg  auf- 
gefundenen Original-Aufzeichnung.  Geordnet  und  mit  einer  Übersetzung 
herausgegeben  von  Direktor  Karl  Paulsiek.  Programm  der  Guericke- 
Schule  (Ober  Realschule)  zu  Magdeburg 204 

Der  Lausitzer  Dichter  Aug.  Ad.  von  Haugwitz.  Ein  Beitrag  zur  Litteratur- 
gesch.  des  XVIL  Jahrh.  Von  Oberl.  Dr.  Hühner.  Progr.  des  Pro- 
gymn.  zu  Trarbach 205 

Cober,   ein  Moralprediger   aus    dem    vorigen  Jahrhundert.     Von  Dr.   Moritz 

Geyer.     Programm   des  Gymnasiums  zu  Altenburg 206 

Lessings  Ansichten  über  das  Verhältnis  der  Tragödie  zur  Geschichte.  Kri- 
tisch dargestellt  von  G.  A.  Lambeck.  Programm  der  Ober-Realschule 
zu  Koblenz 207 

„Was  wir  in  einem  Kunstwerke  schön  finden,  das  findet  nicht  unser  Auge, 
sondern  die  Einbildungskraft  durch  das  Auge  schön."  Lessing,  Laokoon 
Kap.  VI.  Materialien  für  die  Erklärung  der  Stelle  in  der  Prima,  zu- 
sammengestellt von  Baranek.     Programm   des  Gymnasiums  zu  Gleiwitz     209 

Sophie  von   La   Roche   in  Schönebeck.     Von    Dr.  Steiner.     Programm   der 

Realschule  in  Schönebeck 210 

Beiträge  zur  Metrik  Goethes.  Zweiter  Teil.  Von  Dr.  Ed.  Belling.  Pro- 
gramm  des  Gymnasiums  zu  Bromberg 210 

Das  Goethesche   Gleichnis.  II.     Von    Direktor   H.    Henkel.     Programm   des 

Gymnasiums  zu  Seehausen 211 

Schiller  in  seinen  Beziehungen  zur  Musik.  Von  Oberlehrer  Klötzer.  Pro- 
gramm   des  Gymnasiums  zu  Zittau 211 

Vorarbeiten  und  Beiträge  zu  einer  kritischen  Ausgabe  Hölderlins.     Von  Dr. 

Robert  Wirth.     Programm  des  Gymnasiums  zu  Plauen  i.  V.       ...     212 

Zur  Feier  deutscher  Dichter.  17.  Abend:  Kopisch  und  Hoffinann  von 
Fallersleben ;  18.  Abend:  K.  Simrock  und  R.  Reinick.  Von  Direktor 
K.  Strackerjan.     Programm  der  Ober- Realschule  zu  Oldenburg  .     .     .     213 

„Markgraf  Rüdeger   von  Bechelaren"  von  F.  Dahn  und  das  Nibelungenlied, 


VI 

Seite 
Von    Emil    Plaumann.      Programm     des    Gymnasiums    zu    Graudenz. 
(Hölscher) 214 

Dr.  J.  B.  Peters :  Einige  Kapitel  der  französischen  Grammatik  in  tabellarischer 

Übersiebt.  Progr.  der  höheren  Bürgerschule  zu  Bochum,  (H.  P.  Junker)     214 

Die  Sage  vom  ewigen  Juden.    Von  Professor  Dr.  V.  Sucbomel.    Programm 

der  II.  deutschen  Staats-Oberrcalschule  in  Prag.    (Antpn  Nagele)    .     215 

Französische   Einflüsse   bei    Schiller.     Von   Prof.   Otto   Schanzenbach.     Pro- 
gramm des  Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums  in  Stuttgart.   (Dr.  Koste r)     216 

M  i  s  c  e  1 1  e  n. 

Seite  218—237.     346—350.     470—478. 

Bibliographischer  Anzeiger. 
Seite  288—240.     351—352.     479—480. 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 


Von 

Hermann  Isaac. 


III.     Die    Abfassung   des    „Hamlet."  1. 

Wir  gehen  nun  zu  der  Vergleichung  des  Gedankengehalts 
der  1.  und  der  2.  Quarto  von  Hamlet  über,  um  aus  den  Paral- 
lelismen, welche  sie,  entweder  einzeln  oder  gemeinsam,  mit  an- 
deren Dramen  oder  den  Sonetten  Shaksperes  aufweisen,  klar  zu 
machen,  dafs  der  geistige  und  poetische  Gehalt  derjenigen  Teile 
der  Q.  2,  welche  in  der  Q.  1  nicht  enthalten  sind,  vorwiegend 
einer  anderen  und  zwar  wesentlich  späteren  Zeit  angehört  als 
der  Gehalt  der  Q.  1,  d.  h.  dafs  eine  zweifache  Redaktion  des 
Dramas  stattgefunden  hat.  Während  wir  unser  Material  im 
einzelnen  aufführen,  wollen  wir  nicht  versäumen,  gelegentliche 
Kritik  zu  üben  an  der  Theorie  Tangers,  der,  wie  den  Le- 
sern dieser  Zeitschrift  bekannt  ist,  die  entgegengesetzte  Ansicht, 
dafs  nämlich  die  Q.  1  weiter  nichts  als  eine  Verstümmelung 
der  Q.  2  ist,  in  einem  äufserst  sorgfältigen  und  eingehenden 
Verfahren  nachgewiesen  zu  haben  glaubt.* 

1, 1. 

164.    I,  1,  69  sagt  Horatio  von  der  Geistererscheinung 
this  bodes  some  stränge  eruption  to  our  State. 
Im  Cffis.  und   1  H.  IV.  werden    die   übernatürlichen  Vorkomm- 
nisse als  stränge  ermptions  bezeichnet: 


*  „The  First  and  Second  Quartos  and  the  First  Folio  of  Hamlet:  their 
Relation  to  each  other."  Reprinted  from  The  New  Shakspere  Society's 
„Transactions"  1880  —  2,  Part.  I  —  und  „Hamlet  nach  Shakespeares  Manu- 
skript.«    Anglia,  IV.  Bd.,  1.  Hft,  1881. 

Archiv  f.  n.  Spracken.  LXXV.  1 


2  Die  Hamlet- Periode  in  Shaksperes  Leben. 

fearful,  as  these  stränge  eruptions  are 

Cces.  I,  3,  78. 

Diseased  nature  oftentimes  breaks  forth 

In  Strange  eruptions.  1  H.  IV.  III,  1,  27. 

165.  Horatio  nennt  den  verstorbenen  König 

our  valiant  Hamlet  — 
For  so  this  side  of  cur  known  world  esteemed  him. 

Haml.  I,  1,  85. 

Fast  dasselbe  sagt  ein  volskischer  Edler  von  Coriolan: 

The  man  is  noble  and  bis  fame  folds  in 

This  orb  o'the  earth.  Cor.  V,  6,  126. 

166.  Wie  Haml.  I,  1,  112  von  a  moih  in  the  rnincrs  eye  die 
Rede  ist,  so  in  H.  V.  IV,  1,  189  von  77ioth  of  the  conscience.  — 
Diese  Stelle  kommt  nur  in  Q.  2  vor,  sowie 

167.  Die  ganze  Rede  Horatios,  an  deren  Beginn  sie  steht 
und  die  durch  die  in  Q.  1  fehlenden  Worte  ßernardos  hervor- 
gerufen ist. 

In  the  most  high  and  palmy  State  of  Rome, 
A  little  ere  the  mightiest  Caesar  feil, 
The  graves  stood  tenantless^  and  the  sheeted  dead 
Did  squeah  and  gibber  in  the  Roman  streeis: 
Äs  Stars  with  strains  of  fire  and  dews  of  blood, 
Disasters  in  the  sun;  and  the  moist  star 
Upon  whose  influence  Neptune's  empire  Stands 
Was  sick  almost  to  doomsday  with  eclipse: 
And  even  the  like  precurse  of  ßerce  events, 
As  harbingers  preceding  still  the  fates 
And  prologue  to  the  omen  Coming  on, 
Have  heaven  and  earth  together  demonstrated 
Unto  our  climatures  and  countrymen. 

Haml.  I,  1,   113. 

Im  Cses.  werden  die  „horrid  sights^\  am  Vorabend  der  Iden 
des  März  folgendermafsen  geschildert : 

A  lioness  hath  whelped  in  the  streets ; 

And  graves  have  yawned,  and  yielded  up  their  dead; 

Fiercc  fiery  warriors  fought  upon  the  clouds, 

In  ranks  and  squadrons  and  right  form  of  war, 

Which  drizzled  blood  upon  the  Capitol; 

The  noise  of  battle  huitled  in  the  air, 

Horses  did  neigh,  and  dying  men  did  groan, 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  3 

And  gJiosfs  dkl  shriek  and  squeal  about  the  streets. 
The  heavens  themselves  blaze  forth  the  death  of  princes. 

CcEs.  II,  2,  17. 

Diese  Stelle  ist  als  solche  für  die  Handlung  und  Charakteristik 
bedeutungslos,  sie  hat  nur  den  Zweck  auf  Ereignisse  von  ähn- 
licher Furchtbarkeit  wie  die  Ermordung  Casars  vorzubereiten, 
tragische  Stimmung  zu  erwecken.  Da  der  Parallelismus  einer 
der  auffallendsten  ist,  welche  bei  Shakspere  vorkommen,  und 
darum  schwerlich  ein  bedeutender  Zwischenraum  zwischen  der 
Niederschrift  der  beiden  Passus  angenommen  werden  kann,  so 
haben  wir  hier  ziemlich  sicher  einen  von  jenen  im  Titel  der 
Q.  2  angezeigten  Zusätzen  vor  uns,  der  durch  das  lebhafte  In- 
teresse des  Dichters  an  seinem  Cffis.  (1599,  s.  162)  zum  Teil 
veranlafst  worden  ist.  Diese  Annahme  wird  um  so  wahrschein- 
licher, da  diese  erste  Scene  in  Q.  1  sonst  keine  Auslassungen 
enthält  und  offenbar  von  dem  Nachscbreiber  absichtlich  mit 
möglichster  Korrektheit  wiedergegeben  ist,  um  dem  Leser  einen 
guten  Begriff  von  der  Authenticität  der  Ausgabe  zu  geben. 

168.  Marcellus,  nachdem  er  nach  dem  Geiste  geschlagen 
hat,  sagt: 

it  is,  as  the  air,  invulnerable, 
And  our  vain  blows  malicious  raockery. 

Haml.  I,  1,  145. 

Ähnlich  Macbeth  zu  Macduff: 

Thou  losest  labour: 
As  easy  mayst  thou  the  intrencha^it  air 
With  thy  keen  sword  impress  as  make  me  bleed  ; 
Let  fall  thy  blade  on  vulnerable  crests, 
I  bear  a  charmed  life.  Macb.  V,  8,  8. 

I,  2. 

Die  Figur  des  Königs  ist  in  Q.  2  so  unendlich  viel  fei- 
ner und  sorgfältiger  ausgeführt,  dafs  dieser  Umstand  allein  es 
fast  unmöglich  macht,  an  eine  einmalige  Redaktion  zu  glauben. 
Das  gleisnerische  Wortgepränge,  mit  dem  er  sich  in  Q.  2 
einführt  und  das  jeden  Menschenkenner  von  vornherein  gegen 
ihn  einnehmen  mufs,  fehlt  in  Q.  1  ganz.  Dementsprechend 
finden  sich  denn  auch  für  diesen  Teil  seiner  Rede  zwei  hüb- 
sche Parallelen  in  späteren  Dramen  {Cor.,  Macb.): 


4  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

169.  Therefore  our  sometime  sister,  now  our  queen . . . 
Have  we  as't  were  with  a  defeated  joy, 

With  an  mispicious,  and  a  droppmg  eye, 

With  mirth  in  funeral,  and  with  dirge  in  marriage 

In  equal  scale  weighing  delight  and  dole, 

Taken  to  wife.  Haml.  I,  2,  10. 

ril  report  it, 
Where  Senators  shall  mingle  tears  with  joys. 

Cor.  I,  9,  3. 

170.  thinking  by  our  late  dear  brother's  death 
Our  State  to  he  disjoint  and  out  of  frame . . . 

Haml.  I,  2,  20. 
But  let  the  frame  of  things  disjoint. 

Mach.  III,  2,  16. 
Nebenbei  möchte  ich  auf  die  erste  Rede  des  Laertes   auf- 
merksam  machen,    die    in  Q.  1   ganz    anders    lautet    als  in  Q.  2 
und    doch    sich    durch  Korrektheit  und    eine    angemessene    poe- 
tische Form  auszeichnet: 

My  gracious  Lord,  your  favourable  licence, 

Now  that  the  funeral  rites  are  all  performed, 

I  may  have  leave  to  go  again  to  France ; 

For  though  the  favour  of  your  grace  might  stay  me, 

Yet  something  is  Ihere  whispers  in  my  heart 

Which  makes  my  niind  and  spirits  bend  all  for  France. 

Wenn  man  mit  derartigen  Stellen,  auf  die  ich  wiederholt  auf- 
merksam machen  werde,  das  vergleicht,  was  der  Nachschreiber 
zweifellos  aus  eigenen  Kräften  hinzugefüo-t  hat,  z.  ß.  die  in 
derselben  Scene  vorkommenden  fürchterlichen  Verse  in  Ham- 
lets Rede: 

Hirn  (father)  have  I  lost  I  miist  of  force  forego 
(für:  But  I  have  that  within  which  passes  show) 
These  but  the  Ornaments  and  suits  of  woe, 

so  ist  es  undenkbar,  dafs  er  jene  auch  gemacht  habe.  Der 
Nachschreiber  war  eben  nur  Schnellschreiber,  im  übrigen  ein 
roher,  ungebildeter  Patron  ohne  jede  Spur  von  poetischer  Em- 
pfindung, der  nachweislich  nicht  Sinn  von  Unsinn  unterscheiden 
konnte.  Eine  Schwäche  der  Tanger  sehen  Beweisführung  ist 
es,  dafs  er  auch  obige  Stellen  dem  Stenographen  zuschreibt;  er 
kann  das  nicht  thun,  ohne  diesen  als  einen  Proteus  erscheinen  zu 
lassen,  der  sich  mit  Leichtigkeit  aus  einem  Rhinozeros  in  einen 
arabischen    Vollbluthengst    verwandeln    konnte.     Erklärt  werden 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  5 

solche  Abweichungen  nur  durch  eine  doppelte  Redaktion  und 
dadurch,  dafs  es  dem  Kopisten  gelang,  viele  Stellen  ganz  kor- 
rekt zu  Papier  zu  bringen. 

171.  Nighted  für  dunkel  kommt  nur  in  Q,.  2  und  aufserdem 
nur  noch  einmal  bei  Shakspere  vor : 

Good  Hamlet,  cast  thy  nighted  colour  off. 

Haml.  I,  2,  68. 
his  (des  geblendeten  Gloster)  7iighted  life. 

Lear  IV,  5,  13. 

172.  Die  folgende  Rede  Hamlets,  welche  er  in  Q.  1  an 
den  König  und  in  Q.  2  an  die  Mutter  richtet,  hat  eine  vor- 
treffliche Parallele  in  einem  früheren  Stück: 

'Tis  not  alone  my  inky  cloak,  good  mother  . . . 
Together  with  all  forms,  moods^  sliapes  of  grief, 
That  can  denote  me  tridy :  these  indeed  seem, 
For  they  are  actions  that  a  man  might  play : 
But  I  have  that  within  which  passes  show ; 
These  but  the  trappings  and  the  suit  of  ivoe. 

Haml.  I,  2,  77. 
The  shadoiu  of  my  sorrow!  ha!  let's  see; 
'Tis  very  true,  my  grief  lies  ad  within; 
And  these  external  manners  of  laments 
Are  merely  shadows  to  the  unseen  grief, 
That  swells  with  silence  in  the  tortured  soul; 
There  lies  the  substance.  R.  II.  IV,  1,  294. 

173.  Es  ist  merkwürdig,  dafs  gerade  die  in  Q.  1  fehlen- 
den beiden  Schlufsverse  der  folgenden  Rede  Anklänge  in  späte- 
ren Stücken  finden: 

This  gentle  and  unforced  accord  of  Hamlet 

Sits  smiling  to  my  heart;  in  grace  whereof, 

No  jocund  health  that  Denmark  drinks  lo-day, 

But  the  great  cannon  to  the  clouds  shall  teil 

And  the  hing's  rouse  the  heavens  shall  bruit  again, 

Re-speaking  earthly  thitnder.  Haml.  I,  2,  126. 

Farewell .... 

you  mortal  engines,  whose  rüde  throats 
The  immortal  Jove's  dread  Glamours  coiinterfeit. 

Oth.  III,  3,  355. 
Had  cur  great  palace  the  capacity 
To  camp  this  host,  we  all  would  sup  together 


6  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

And  drink  carouses  to  the  next  day's  fate, 

Which  proniises  royal  peril.  Trumpeters, 

With  brazen  din  blast  you  the  city's  ear; 

Make  mingle  with  our  rattling  tabourines; 

That  heaven  and  eartli  may  strike  their  sounds  together, 

Applaiiding  our  approach.  Ant.  IV,  8,  34. 

Der  folgende  Monolog  ist  leidlich  korrekt  in  Q.  1,  nur 
etwas  durcheinandergewürfelt  im  Vergleich  zu  Q.  2,  in  der  er 
übrigens  etwas  gröfseren  Umfang  hat  und  mehr  rhetorischen 
Schmuck  aufweist: 

174.  0,  that  this  too  too  solid  flesh  would  melt, 

Thaw,  and  resolve  itself  into  a  dew.  Haml.  I,  2,  130. 

yet  look  up,  behold 
ruft    die    Königin     beim    Anblick     ihres    gefangenen     Gemahls 
Richard  IL  aus  : 

That  you  in  pity  may  dissolve  to  dew.  R.  IL  V,  1,  9. 

Ähnlich  sagt  Albany  bei  der  Erzählung  Edgars    von  dem  Un- 
glück seiner  Familie: 

I  am  almost  ready  to  dissolve., 

Hearing  of  this.  Lear  V,  3,  203. 

175.  thad  the  Everlasting  had  not  fixed 

His  canon  ^gainst  self-slaiighter.  Haml.  I,  2,  131. 

—  Against  self-slaugliter 

There  is  a  proliibition  so  divine 

That  cravens  my  weak  band.  Cyinb.  IH,  4,  78. 

Diese  Stelle    findet    sich    nur  in  Q.  2 ;  desgleichen  die  folgende, 
die  einen  anklingenden   Gedanken  in  As  hat : 

176.  How  weary,  stale,  flat,  and  unprofitable 
Seem  to  me  all  the  uses  of  this  world! 
Fie  on't!  ah  fie!  'tls  an  unweeded  garden., 

That  grows  to  seed.  Haml.  I,  2,  133. 

O,  how  füll  of  briers  is  this  loorking-day  ivorld. 

As  I,  3,  12. 

177.  Der    folgende    Ausruf    findet    sich    nur   in    Q.    2    und 
überhaupt  nur  zweimal  bei  Shakspere: 

Heaven  and  carth ! 

Haml.  I,  2,  142.     Lear  I,  2,  105. 

178.  Über  die  kurze  Trauer  der  Witwen  lassen  sich  Hamlet 
und  Benedick  sehr  ähnlich  aus : 


Die  Hamlet-Periode  in   Shaksperes  Leben.  7 

A  little  month,  or  ere  those  shoes  were  old 

With  which  she  followed  my  poor  father's  body, 

Like  Niobe,  all  tears  .  .  . 

Ere  yet  the  salt  of  most  unrighteous  tears 

Had  left  the  flushing  in  her  galled  eyes, 

She  married.  Haml.  I,  2,  147. 

If  a  man  do  not  erect  in  this  age  his  own  tomb  ere  he  dies,  he 
shall  live  no  longer  in  monument  ihan  the  bell  rings  and  the  widow 
weeps.  Ädo  V,  2,  82. 

In  dem  übrigen  Teil  der  Scene  findet  sich  nur  noch  ein 
Parallelismus  mit   Coes. 

171).  He  was  a  man,  take  him  for  all  in  all. 

Haml.  I,  2,  187. 
His  life  was  gentle,  and  the  elements 
So  mixed  in  him  that  Nature  might  stand  up 
And  say  to  all  the  world  ,  This  was  a  man  V 

Cces.  V,  5,  75. 
I,  3. 
Drei  Reden  des  Laertes  zu  Ophelia  in  Q.  2  sind  in  Q.  1 
in  eine  von  11  Versen  zusammengezogen.  Es  ist  wohl  kein 
Zweifel,  dafs  in  der  ersten  Redaktion  mehr  gestanden  hat,  als 
Q.  1  uns  bietet;  andererseits  aber  ist  die  schöne  Moralpredigt 
des  Laertes  wohl  erst  in  der  zweiten  Redaktion  so  ausführlich 
und  fein  ausgearbeitet  worden,  wie  sie  die  Q.  2  enthält;  dar- 
auf scheint  der  Umstand  hinzuweisen,  dafs  die  Q.  1  kein 
Wort  von  dem  gesellschaftlichen  Mifsverhältnis  der  Liebenden 
enthält.  Die  Rede  des  Laertes  macht  hier  einen  fragmentari- 
schen Eindruck,  wenn  sie  auch  korrekt  und  sinnvoll  und  in 
ihren  Einzelheiten  ehaksperisch  ist. 

180.  Ein  in  beiden  Qs.  vorkommender  Gedanke  ist  un- 
zweifelhaft ein  jugendlicher: 

Virtue  itself  'scapes  not  calumnious  strokes: 
(Der   Nachschreiber    von    Q.    1    hat    sich    verhört    und    thoughts 
geschrieben,  desgleichen  die  beiden  folgenden  Verse  ausgelassen.) 

The  canker  galls  the  infants  of  the  spring, 

Too  oft  before  their  buttons  be  disclosed.  I,  3,  38. 


For  slanders  mark  was  ever  yet  the  fair  .  .  . 
For  canker  vice  the  sweetest  buds  doth  love. 


Sonn.  70. 


8  Die  Hamlet-Peiiüde  in  Shaksperes  Leben. 

in  the  sweetest  bud 
The  eating  canker  dwells.  Gentl.  I,  1,  42. 

Der  erste  Vers  findet  sich  dem  Sinne  nach  freilich  auch  in  Maas.: 

back-wounding  calumny 
The  whitest  virtne  strikes.  Meas.  III,  2,  197. 

181.  Der   letzte  Vers   der    Rede    in  Q.  1,   den  Tanger   als 
ein  „rohes"  Fabrikat  des  Nachschreibers  bezeichnet: 

therefore  keep  aloof, 
Lest  that  he  trip  thy  honour  and  thy  fame, 

ist  doch  gut  shaksperisch,  ebenso  wie  das 

trip  the  course  of  law  in  2  II.  IV.  V,  2,  87. 

182.  Dem  nur  in  Q.  2  vorkommenden 

as  the  wind  gives  benefit     (günstig  ist) 

Haml.  I,  3,  2 
entspricht  ein 

With  the  next  benefit  of  the  wind.         CTjmb.  IV,  2,  342. 

183.  Das  seltene  Adjektiv  crescent  icachsend 

For  nature,  crescent,  does  not  grow  alone 

(Q.  2)  I,  3,  11 

kommt   nur    noch    zweimal    in    späteren   Stücken    vor:    Cymh.  I, 

4,  2;  Ant.  II,  1,  10. 

184.  (If  you)  lose  your  heart,  er  your  chaste  treasure  open 

To  his  unmastered  importunity.  (Q.  2)  I,  3,  31. 

In  dieser  Bedeutung  findet  sich  treasure  nur  noch  zweimal : 

Zay  down  the  treasnres  of  your  hody.  Meas.  II,  4,  96. 

I  have  picked  the  lock  and  ta'en 
The  treasure  of  her  honour.  Cymh.  II,  2,  42. 

185.  Die  einleitenden  Verse    zu  den  Lebensregeln,  die  Po- 
lonius  seinem  Sohne  mit  auf  den  Weg  giebt: 

And  these  few  precepts  in  thy  memory 

Look  thou  character.  (Q.  1  giebt  sinnlos  nur  den  1.  Vers.) 

I,   3,  59 
finden  ihren  Widerhall  in  einem  späteren  Sonett  aus  den  letzten 
Neunzigern. 

Thy  gift,  thy  tables  are  ivithin  my  brai7i, 

Füll  charactered  with  lasting  memory.  Sonn.  122. 


Die  Hamlet-Periode  ia  Sbaksperes  Leben.  9 

186.  Season  in  der  Bedeutung  reif  machen  kommt  im  Haml. 

dreimal,  aber  7uir  in  Q.  2  vor: 

Farewell,  niy  blessing  season  this  in  thee. 

(Q.  1:  Farewell,  my  blessing  witli  thee.)  I,  3,  81. 

Who  in  want  a  hollow  friend  does  try, 

Directly  seasons  him  as  enemy.  III,  2,  219. 

When  he  (king)  is  fit  and  seasoned  for  his  passage. 

III,  3,  86. 
Aufserdem  nur  noch  einmal: 

Season  the  slaves  for  tubs  and  baths. 

Tim.  IV,  3,  85. 

187.  Ophelia  mit  Bezug  auf  Laertes'  Ratschläge: 

'Tis  in  my  memory  locked, 

And  you  yourself  shall  keep  the  key  of  it. 

Haml.  I,  3,  86. 
König  Heinrich  zu  Scroop  : 

Thou  that  didst  bear  the  key  of  all  my  counsels, 
That  knew'st  the  very  bottom  of  my  soul. 

H.  V.  II,  2,  96. 

188.  Menschen,  die  in  der  Liebe  sich  auf  den  Leim 
locken  lassen,  werden  als  woodcocks  bezeichnet:  Haml.  I,  3, 
115;  Ado  V,  I,  185;  LL.  IV,  3,  82. 

189.  When  the  blood  burns,  how  prodigal  the  soul 

Lends    the   tongue   vovvs    (so    weit    auch    in    Q.   1):    these 

blazes,  daughter, 
Giving  more  light  than  heat,  extinct  in  both, 
Even  in  their  promise,  as  it  is  a-making. 

Haml.  I,  3,  116. 

Der    Vergleich    der    Liebeseide    mit    Strohfeuer,    nur    in    Q.  2, 
findet  sich  noch  in: 

the  strengest  oaths  are  straw 
To  the  fire  in  the  blood.  Temp.  IV,  1,  52. 

190.  In    Q.    1    finden    sich    in    dieser    Rede    des    Polonius 
wiederum  merkwürdige  Abweichungen : 

Ofelia,  receive  none  of  his  letters, 

For  lovers'  lines  are  snares  to  entrap  the  heart : 

Refuse  his  tokens,  both  of  them  are  keys 

To  unlocke  chastity  unto  desire. 

Das  Bild  von  den   Schlingen  ist  so  gewöhnlich,    dafs    selbst  des 
Nachschreibers  Sterilität  so  fruchtbar  gewesen  sein  könnte,  diese 


10  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

poetische  Reminiscenz  an  der  passenden  Stelle  einzufügen.  Das 
zweite  Bild  hingegen  kann  nicht  von  ihm  herrühren,  sondern 
ist  Shaksperes  Eigentum;  vergl.  Lu.  16;  Merch.  I,   1,  139. 

191.  Die  Q  2  bezeichnet  die  Liebeseide  als  Kuppler  {hro- 
kers)  (I,  3,  127);  dasselbe  Bild  findet  sich  in  Compl.  173  und 
John  II,  1,  568. 

192.  Das  Wort  Investment  (fig.  =  dress)  dieser  Stelle  der  Q.  2 
(I,  3,  128)  kommt  nur  noch  einmal  vor:  2  IL  IV.  IV,  1,  45. 

I,  4. 

193.  Die  folgende  Stelle,  die  eine  vortreffliche  Parallele  in 
einem  Stücke  aus  der  Mitte  der  Neunziger  hat,  findet  sich  den- 
noch nur  in  Q.  2: 

So,  oft  it  chances  in  particular  men, 

That  for  some  vicious  mole  of  nature  in  them, 

As,  in  their  birth  —  wherein  they  are  not  guilty, 

Since  nature  cannot  choose  bis  origin  — 

By  the  o'ergrowth  of  some  complexion, 

Oft  breaking  down  the  pales  and  forts  of  reason, 

Or  by  some  habit  that  too  much  o'erleavens 

The  form  of  plansive  manners,  that  these  men, 

Carrying,  I  say,  the  stamp  of  one  defect, 

Being  nature's  Hvery  or  fortune's  star,  — 

Their  virtties  eise  —  be  they  as  pure  as  grace 

As  infinite  as  man  may  undcrgo.  — 

iShall  in  the  general  censure  take  corrtiption 

From  that  particiäar  fault:  the  dram  of  e'il* 

Doth  all  the  noble  siibstance  -|-  of  a  doubt 

To  his  own  scandal.  Haml.  I,  4,  23. 

The    least    of    which    (pride,     haughtiness    etc.)    haunting    a 

nobleman 
Loses  men's  hearts  and  leaves  behind  a  stain 
lipon  the  heauty  of  all  parts  besides, 
Beguiling  them  of  commendation. 

1  H.  IV.  III,  1,  186. 
Die  Stelle  mag  schon  in  der  ersten  Redaktion  gestanden  haben 
und  auf  der  Bühne  fortorelassen  sein,  da  sie  sich   auch  nicht  in 
der    Fol.    findet ;     andererseits    mag     der    gleiche    Gedanke    in 
1  H.  IV.  vielleicht  ein  späterer  Zusatz  sein,  welchen  der  Dich- 


*  Dafs   „eal"    der  Q.  2  =  „evil"    ist,   geht  mit  Sicherheit    daraus  her- 
vor, dafs  sie  „devil"  auch  in  „deal"  verkürzt. 


Die  Hiimlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  11 

ter  bei  der  Herausgabe  der  korrektesten  1.  Q.  1598,  oder 
später  (5.  Q.  1613,  Grundlage  der  Fol.)  einfügte,  eine  Frage, 
zu  deren  Entscheidung  mir  das  Material  fehlt.  Schliefslich 
kann  ja  für  die  Übertragung  eines  Parallelismus  keine  be- 
stimmte Zeitsrenze  bezogen  werden  ;  der  Gedanke  konnte  1596 
in  1  H.  IV.  zum  ersten,  1601  in  Haml.  IL  zum  zweitenmal 
ausgesprochen  werden.  Es  ist  nicht  meine  Absicht,  den  Gegen- 
stand dieser  Abhandlung  nach  einzelnen  Parallelen  zu  ent- 
scheiden, sondern  nach  dem  Gesamtbild  aller  Parallelismen. 

194.  Der  Gebrauch  von  {o'er)leaven  im  Sinne  von  ver- 
derben findet  sich  nur  noch  einmal  bei  Shakspere  in  einem 
späteren  Stücke; 

Imogen.  thou,  Posthumus, 

Wilt  lay  the  leaven  on  all  proper  men. 

Cjj7nb.  III,  4,  64, 

d.  h.  deine  Schurkerei,  die  Schurkerei  eines  Einzelnen  wird  den 
ganzen  Ritterstand  zu  Schurken  stempeln,  wie  ein  einzelner 
hervorragender  Fehler  alle  guten  P^igenschaften  als  nicht  vor- 
handen erscheinen  läfst. 

195.  What  if  it  tempt  you  toward  the  flood,  my  lord, 
Or  to  the  dreadful  summit  of  the  cliff. 

That  heetles  der  his  hase  into  the  sea, 

And  there  assuine  some  other  horrible  form, 

Which  might  deprive  yoiir  sovereignty  of  reason 

And  draio  you  into  madness?  Haml.  I,   4,  70. 

There  is  a  clijf,  luhose  high  and  hending  head 

Looks  fearßdly  in  the  conßned  deep.  Lear  IV,  1,  76. 

Als  Gloster  sich  auf  dem  „Shakspere's  Cliff"  zu  befinden  glaubt, 

sagt  Edgar: 

I'll  lock  no  raore; 

Lest  my  hrain  turn,  and  the  deficient  sight 

Topple  "down  headlong.  IV,  6,  23. 

196.  Als  Symbol  der  Stärke  wird  der  Nemean  Hon  ge- 
nannt: Haml.  1,'4,  83;  LL,  IV,  1,  90. 

I,  5. 

197.  I  could  a  tale  unfold  whose  lightest  word 

Would  harrow  up  thy  soul,  freeze  thy  young  blood, 
Make  thy  two  eyes,  like  stars,  start  from  their  spheres. 

Haml.  I,  5,  15. 


12  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

How  have  mine  ejjes  out  of  their  spheres  heenfitted! 

Sonn.  119. 
Das  Sonett  ist  etwa  Mitte  der  Neunziger  entstanden. 

198.  Hamlet  will  zur  Rache  eilen  „with  wings  as  sinft  as 
meditation  or  the  thought  of  love"  (I,  5,  29);  in  Troil.  IV,  2,  14 
(Liebesgeschichte)  finden  wir  dasselbe  Bild:  „Hies  with  wings 
more  momentary-Ä^ü^/?!  than  thought.'-'' 

199.  0,  my  prophetk  soul!  Haml.  T,  5,  40. 

Not  mine  own  fears,  nor  the  prophetic  soul 

Of  the  wide  world  dreaming  on  things  to  come.  . . 

Sonn.  107  (c.  1598). 

200.  lust^  thoiigh  to  a  radiant  angel  linked, 
Will  säte  itself  in  a  celestial  bed, 

And  prey  on  garbage.  Haml.  I,  5,  55. 

The  cloyed  will, 
That  satiate,  yet  unsatisßed  desire,  that  tub 
Both  filled  and  running,   ravening  first  the  lamb 
Longs  after  for  the  garbage.  Cymb.  I,  6,  47. 

(Will  hat  hier  die  Bedeutung  Liebesverlangen,  ist  also  mit 
lust  nahezu  gleichbedeutend.) 

201.  from  the  table  of  my  memory 
I'll  wipe  away  all  trivial  fond  records  — 
And  thy  commandment  all  alone  shall  live 
Within  in  the  book,  and  volume  of  my  brain. 

Haml.  I,  5,  98. 

Thy  gift,  thy  tables  are  within  my  brain 

Fidl  charactered,  loith  lasting  memory, 

Which  shall  above  that  idle  rank  remain 

Beyond  all  date  .  .  .  Sonn.  122  (16.  Jh.) 

202.  An  die  Worte  Hamlets 

O  villain,  villain,  smiling.  damned  villain ! 

My  tables,  —  meet  it  is  I  set  it  down, 

That  one  may  smile,  and  smile,  and,  be  a  villain. 

Haml  I,  5,   106 

erinnern     offenbar    die    mit    derselben     Tendenz     gesprochenen 
Worte  Hotspurs  in  Bezug  auf  Heinrich  IV.: 

this  king  of  smiles,  this  Bolingbroke. 

1  H.  IV.  I,  3,  246 
und  a  villain  with  a  smiling  cheek. 

Merch.  I,  3,  101. 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  13 

203.  The  time  is  out  of  Joint.  Haml.  I,  5,  188. 

He  (Ajax)  hath  the  joints  of  every  thing,  but  every  thing 
so  out  of  Joint.  Troil.  I,  2,  29   (Liebesgeschichte). 

204.  Die  Worte  Paulinas,  in  denen  sie  ausspricht,  dafs, 
falls  Leontes  eine  zweite  Frau  heiraten  würde,  der  Geist  Her- 
miones  erscheinen  und  ihm  zurufen  müfste 

„Remember  mine"  [Wint,  V,  1,  63  —  68) 

enthalten  eine  offenbare    Rerainiscenz  an    die   fünfte  Scene    des 
ersten  Aktes. 

II,  1. 

205.  (We)  By  indirections  find  directions  out. 

HamL  II,  1,  66. 
though  indirect, 
Yet  indirection  grows  thereby  direct. 

Johl  III,  1,  275. 

206.  Die  äufsere  Erscheinung  der  Liebeskranken  wird  in 
gleicher  Weise  geschildert  von  Ophelia  und  ßosalind. 

My  lord,  as  I  was  sewing  in  my  doset, 

Lord  Hamlet  with   bis  doublet  all  unbraced', 

No  hat  lipon  Ins  head;  his  stockings  fouled, 

Ungartered,  and  down-gyved  to  his  ancle ; 

Pale  as  his  shirt ;  his  knees  knocking  each  other; 

conies  before  me. 

Haml.  n,  1,  78. 

Then  your  hose  should  be  ungartered,  your  bannet  imbanded, 
your  sleeve  unbuftoned,  your  shoe  untied  and  every  thing 
about  you  demonstrating  a  careless  desolation. 

As  III,  2,  397. 

Die  Schlufsverse  des  Polonius  in  dieser  Scene  sind  ganz 
verschieden  in  Q.  1  und  Q.  2 : 

Let's  to  the  King,  this  madness  may  prove 

Though  wild  a  while,  yet  more  true  to  thy  love.    (Q.  1.) 

This  must  be  known,  which  being  kept  close,  might  move 

More  grief  to  hide,  than  hate  to  utter  love. 

Come.  CQ.  2.) 

Tanger  mufs  die  merkwürdige  und  zugleich  sinnvolle  Ab- 
weichung der  Q.  1  anerkennen;  dennoch  soll  der  Nachschrei- 
ber aus  den  Reimwörtern  prove  und  love  die  Verse  selbst  er- 
gänzt und  wieder  einmal  einen  Geschmack  und  Verstand  be- 
wiesen haben,    von    dem    er    im    übrigen    nachweislich    frei    i:;t. 


14  Die  Hamlet-Periode  in  Shakspeies  Leben. 

Hier  ist  wieder  ein  Beweis  der  Autorschaft  Shaksperes ;  der 
Untersciiied  der  beiden  Qs.  ist  hier  wie  überall,  dafs  die 
Q.  1  die  Dinge  direkt  beim  Namen  nennt,  die  Qu.  2  alles 
feiner,  diskreter  behandelt  und  die  Intentionen  der  Handelnden 
mehr  verschleiert.  Denn  dafs  Polonius  mit  einem  Auge  nach 
einer  Verbindung  zwischen  Hamlet  und  Ophelia  schielt,  dafs 
er  nur  deshalb  ihr  Zusammentreffen  im  Schlosse  veranlafst  — 
was  Tanger  nicht  glaubt  —  geht  auch  aus  der  Q.  2  unzwei- 
felhaft hervor;  „es  thut  ihm  eben  leid"',  dafs  er  Hamlet  so  vor 
den  Kopf  gestofsen  hat. 

II,  2. 
Die  Anrede  des  Königs  an  Rosenkranz  und  Güldenstern 
ist  in  den  beiden  Qs.  ganz  verschieden ;  die  von  Q.  1  ist 
offenbar  verstümmelt,  aber  Teile  daraus,  die  sehr  wohl  von 
Shakspere  herrühren  können  und  dennoch  verschieden  sind, 
deuten  auf  eine  frühere  Redaktion  des  Hamlet  hin.  So  die 
ersten  Worte,  die  der  Nachschreiber  doch  höchst  wahrschein- 
lich gefafst  haben  wird: 

Right  noble  friends,  that  cur  dear  cousin  Hamlet  etc. 
Und  ferner  gegen  den  Schlufs  die  Worte 

207.  to  wring  from  him 
The  cause  and  ground  of  his  distemperancy . 

Wie  hätte  ein  Nachschreiber  der  Q.  2  einen  so  seltenen  Aus- 
druck in  so  eigentümlicher  Bedeutung  wie  distemj)erancy  (= 
distemper,  rneiital  derangement)  in  den  Text  einsetzen  können, 
einen  Ausdruck,  der  dennoch  echt  shaksperisch  ist?  Er  erscheint 
in  dieser  Bedeutung  nur  noch  einmal  in  Per.  V,  1,  27  (Fol., 
freilich  mit  der  Endung  -ance).  Und  in  demselben  Sinne 
braucht  Shakspere  distemperahire  in  Rom.  II,  3,  40. 

208.  Andererseits  gebraucht  Shakspere  den  nur  in  Q.  2 
vorkommenden  Ausdruck  neigliboured  (=  intimate)  nur  noch 
Lear  I,  1,  121. 

Die  Rede  der  Königin 

Good  gentlemen,  he  hath  much  (alked  of  you 
(8  V.)  sowie  ein  Teil    der  späteren   fehlt  ganz   in  Q.  1,   wieder 
eines  der  zahlreichen  Zeichen,   dafs   diese  Figur  in  der  zweiten 
Redaktion  eine  tiefere  Charakteristik  empfing. 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  15 

Die  Rede  des  Voltimand  ist  in  Q.  1  auffallend  korrekt; 
es  ist  daher  sehr  möglich,  dafs  dem  Nachschreiber  das  Me. 
dieser  Nebenrolle  vorgelegen  hat. 

208  a.  Wortspiele  mit  effect  und  defect  finden  sich  Haml.  II, 
2,  101;  Mich.  III,  1,  40;  Merch.  II,  2,  152. 

209.  Der  ungewöhnliche  Ausdruck  ,,perpencl'-''  {=  consider) 
der  Q.  2  in  der  Rede  des  Polonius  wird  nur  von  komischen 
Personen  in  den  Stücken  der  letzten  neunziger  Jahre  gebraucht : 
Haml.  II,  2,  105;  As  111,  2,  69;  Ttv.  V,  307;  Wiv.  II,  1,  119; 
H.  V.  IV,  4,  8. 

210.  Hamlets  Brief  ist  adressiert  und  zwar  nur  in  Q.  2, 
In  her  excellent  white  bosom  these  etc. 

Thy  letters  .  .  .  shall  be  delivered 

Even  in  the  milk-whlte  bosom  of  thy  love. 

Gentl.  III,    1,  250. 
Diese  Stelle  ist  indessen  von  keiner  Beweiskraft,  da  Shakspere 
offenbar  Hamlet    den    gezierten  Stil    der  Sonettisten,    dem  er  in 
jüngeren    Jahren    in    beschränkter  Weise    selbst   gehuldigt    hat, 
nachahmen  läfst. 

Das  Gedicht  Hamlets  lautet  in  den  beiden  Ausgaben  ver- 
schieden: 

Doubt  that  in  earth  is  fire, 

Doubt  that  the  stars  de  move  ...  Q.  1 

211.  Doubt  thou  the  stars  are  fire 

Doubt  that  the  sun  doth  move.  Q.  2.     II,  2,  116. 

Die  gleiche  Versicherungsformel  findet  sich  in   Co7\: 

As  certain  as  I  know  the  sun  is  fire. 

Cor.  V,  4,  48. 

Was  auf  diese  Unterredung  in  Q.  1  und  Q.  2  folgt,  ist 
ein  sehr  mächtiger  Beweis,  dafs  zwei  verschiedene  Redaktionen 
von  Haml.  existiert  haben.  In  Q.  1  bringt  Corambis  (Polonius) 
Ophelia  sogleich  an  den  Hof  mit  und  läfst  sie  sofort  den  Be- 
weis der  Verliebtheit  Hamlets  antreten ;  es  folgt  also  sofort  der 
Monolog  „To  be  or  not  to  be",  die  Scene  zwischen  Hamlet  und 
Ophelia,  dann  erst  die  Gespräche  Hamlets  mit  Polonius  und 
Rosenkranz  und  Güldenstern.  In  Q.  2  kommen  diese  Ge- 
spräche zunächst   und  erst  nach  der   Scene  mit    den  Schauspie- 


16  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

lern  und  einer  neuen  Scene  zwischen  König,  Königin,  Polonius 
und  Ophelia,  die  jetzt  erst  am  Hofe  erscheint,  der  berühmte 
Monolog.  In  Q.  1  geht  Polonius  direkt  ans  Ziel,  d.  h.  zur 
Hauptprüfung  durch  Ophelia,  dann  versucht  er  sein  Heil  bei 
dem  Prinzen;  in  Q.  2  verfährt  er  feiner,  zuerst  macht  er  sich 
an  den  Prinzen;  dann  die  Schulfreunde,  und  da  diese  Schritte 
erfolglos  sind,  spielt  er  den  Haupttrumpf,  Ophelia,  aus.  Dafs 
das  letztere  Arrangement  das  scenisch  und  charakteristisch 
bessere  ist,  braucht  nicht  auseinandergesetzt  zu  werden.  Da 
nun  auch  der  Kontext,  d.  h.  das,  was  vorausgeht  und  nachfolgt, 
diesem  veränderten  Scenen- Arrangement  entsprechend  ist,  so 
hätte  der  sonst  über  alle  Mafsen  tölpelhafte  Nachschreiber  eine 
hervorragende  poetische  Intelligenz  entwickeln  müssen. 

Tano;ers  Erkläruno;  dieser  Erscheinunsj  ist  eigentümlich : 
er  schreibt,  der  Nachschreiber  der  Q.  2  hätte  infolge  seiner 
mangelhaften  Notizen  Polonius  die  selbstgemachten  Worte  in 
den  Mund  gelegt: 

The  Prince's  walk  is  here  in  the  gallery, 
There  let  Ophelia  walk  until  he  comes. 

Durch  diese  Unvorsichtigkeit  hätte  er  sich  selbst  in  die  Enge 
getrieben  und  nun  gleich  die  Scene  zwischen  Hamlet  und 
Ophelia  folgen  lassen  müssen.  —  Diese  Annahme  scheint  mir 
gänzlich  unhaltbar.  Denken  wir  uns  den  allernachlässigsten, 
allerungeschicktesten  Nachschreiber,  so  wird  er,  wenn  er  auch 
keine  Scene  mit  erträglicher  Genauigkeit  zu  Papier  bringen 
sollte,  jedenfalls  so  viel  leisten,  dafs  er  den  Gang  der  Handlung 
fixiert,  dafs  er  von  jeder  Scene,  resp.  jedem  Auftritt  die  Namen 
der  sprechenden  Personen  notiert.  Der  Nachschreiber  von  Q.  1, 
den  wir  annehmen,  mufste  also  folgende  Angaben  in  seinen 
Notizen  finden:  King,  Queen,  Corambis,  Ophelia.  —  Corambis, 
Ophelia  —  Ophelia,  Hamlet  —  Ophelia,  King,  Corambis  — 
Corambis,  Hamlet.  Also:  1.  die  Scenenfolge  mufste  er  richtig 
zu  Papier  bringen.  2.  Hätte  er  eine  Transposition  der  Scenen 
von  Q.  2  —  absichtlich  oder  aus  Versehen  —  vorgenommen 
(welche  Annahme  indessen  rein  willkürlich,  durch  nichts  be- 
rechtigt ißt),  so  würden  wir  das  an  der  Ungereimtheit  des  Kon- 
textes gemerkt  haben.  Denn  die  Fähigkeit  der  durch  die  ver- 
änderte  Scenenfolge   nötig   gewordenen    poetischen    Einrieb- 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  17 

tung    besafs    der    Nachschreiber    der   Q.  1    nicht,     wofür    die 
ganze  Q.  1  eben  ein  Beweis  ist. 

212.  Hamlet  antwortet  auf  die  Frage  des  Polonius  — 
„What  do  you  read,  ray  lord?"  — : 

Words,  ivords,  loords. 

Pol.   What  is  the  matter,  my  lord?     Haml.  11,  2,  194. 

In  Troil.  (Liebesgeschichte)  heifst  die  Frage:  What  sat/s 
she  there  (im  Briefe)?  und  die  Antwort: 

Words,  words,  mere  words,  no  matter  from  the  heart. 

Troil.  V,  3,  108. 

213.  Der  methodische  Walinsinn  findet  sich  in  Hamlet  (Q.  2), 
Meas.  und  Lear: 

Though  this  be  madness,  there  is  method  in't. 

Haml.  II,  2,  207. 
If  she  be  mad  .  .  . 

Her  madness  hath  the  oddest  frarae  of  sense, 
Such  a  dependency  of  thing  on  thing, 
As  e'er  I  heard  in  madness.  Meas.  V,    1,  Gl. 

O  matter  and  impertinency  mixed ! 

Reason  in  madness. 

sagt  Edgar  von  Lear  (IV,  6,  179). 

214.  Die  folgende  Stelle  findet  sich  ebenfalls  nur  in  Q.  2  : 

O,  most  true,  she  (^Fortune)  is  a  strumpet. 

Haml.  n,  2,  240. 
And  Fortune,  on  his  damned  quarrel  smiling, 
Showed  like  a  rebel's  ivhore.  Mach.  I,  2,  15. 

Fortune,  that  arrant  whore.  Lear  II,  4,  52. 

215.  There's  nothing  either  good  er  bad,  but  thinking  makes  it  so. 

Haml.  II,  2,  256  (Q.  2). 

Nothing  is  good,  I  see,  without  respect. 

Merch.  V,  2,  99. 

216.  Die  Rede  Hamlets  /  have  of  late  . .  .  lost  all  my 
mirth  ist  in  der  Q.  1  nur  in  ein  paar  trostlosen  Ruinen  ver- 
treten, aber  es  findet  sich  darunter  der  Ausdruck  spangled 
heaven,  der  in  Q.  2  nicht  vorhanden  ist.  Es  ist  nicht  anzu- 
nehmen, dafs  der  Nachschreiber  dieses  hübsche  Bild  selbst  er- 
funden hat,  zumal  es  in  früheren  Dramen  mehrfach  wieder- 
kehrt : 

Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXV.  2 


18  Die  Uamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

What  Stars  do  spangle  heaven  with  such  beaufy. 

Shrew  IV,  5,  31. 

Vergl.   auch  Mich.   II,  1,  29    (spangled  starlight)    und    in    etwas 
anderer  Fassung;: 

Look  how  the  floor  of  heaven 
Is  thick  inlaid  with  patines  of  bright  gold. 

Merch.  V,  1,  59. 
Das    Bild   hat  in    der  ersten  Redaktion    gestanden,    und    ist   in 
Q.  2  ersetzt  worden  durch 

217.  This  majestical  root  fretted  with  golden  fire. 

HamL  II,  3,  313. 
Dieser  Gebrauch    des  Wortes  fretted  =  adorned,    der   ja,    wenn 
wir  an  fretwork   denken,    entschieden    unpassend  ist,    findet  sich 
dagegen  wieder  in  einem  späteren  Drama: 

The  roof  of  the  Chamber 
With  golden  cherubins  is  fretted.  Cymb.  II,  4,  88. 

218.  Und  die  Verbildlichuno;  des  Firmaments  als  ea- 
nopy  Q.  2,  II,  2,  311  kommt  nur  noch  einmal  in  Cor.  IV, 
5,  41  vor. 

Es  ist  dies  einer  von  den  scheinbar  geringfügigen,  in  Wirk- 
lichkeit  aber  sehr  gewichtigen  Beweisen  für  eine  doppelte  Re- 
daktion. (Vergl.  207.  208.) 

219.  Hamlet  nennt  den  Menschen  quintessence  of  dust 
(II,  2,  321),  Holofernes  a  tuft  of  earth  {L.  L.  IV,  2,  90), 
Beatrice  den  Mann  a  j^iecß  of  valiant  dust  {Ada  II,   1,   64). 

220.  Man  delights  not   me;    no,  nor  woman  neither,   though   by 
your  smiling  you  seem  to  say  so.  Haml.  II,  2,  322. 

I  meddle  with  no  trades?rtan'5  matters,  nor  women^s  matters, 
but  with  awl.  Cws.  I,  1,  25. 

Serv.    How,  sir!  do  you  meddle  with  iny  master? 
Cor.     Ay;  'tis  an  honester  service  than  to  meddle  with  thy 
mistress.  Cor.  IV,  5,  50. 

221.  They  say,  an  old  man  is  twice  a  child. 

Haml.  II,  2,  403. 
An  old  man  twice  a  hoy.  Cymb.  V,  3,   57. 

222.  Die  Deklamation  des  Schauspielers  Haml.  II,  2,  490 
handelt  von  dem  Tode  des  Priamus  beim  Brande  Trojas; 
Northumberland  scheint  Morton    so   zu  zittern   wie   der  Diener, 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  19 

der  Priamus  mitten  in  der  Nacht  weckte,  als  alles  in  Flammen 
stand.  2  H.  IV.  I,  1,  70. 

223.  Eine  auffallende  Ähnlichkeit   findet   sich  in   der  Rede 
des  Schauspielers: 

with  the  lühiff  and  wmd  of  his  {Pyrrhus')  feil  sword 
The  unnerved  father  /alls.  Haml.  11,  2,  495 

und  in  den  Worten  des  Troilus: 

the  captive  Grecian  falls, 
Even  i)i  the  fan  and  wmd  of  jour  fair  sword. 

Troil.  V,  3,  41  (Liebesgeschichte). 

224.  Nur  in  Q.  2 : 

Then  senseless  Ilium 

—  —  —  —  —  with  flaming  top 

Stoops  to  his  base.  Haml.  II,  2,  497. 

palaces  and  pyrainids  do  slope 
Their  heads  to  their  foundations.  Mach.  IV,  1,  57. 

Yond  towers  ....  Must  kiss  their  own  feet. 

Troil.  IV,  5,  221. 
(Troil.  IV,  5  gehört  zu  den  in  der  ersten  Fassung  vorhandenen 
Scenen,    die    später  jedoch    mancherlei   Zusätze    erhalten    haben 
[s.  Archiv  LXXIII,  3751,    auch  diese  Worte  des  Ulysses  sind 
im  Tone  der  später  verfafsten  Teile   gehalten,   vgl.  Troil.  III,  3.) 

225.  Nur  in  Q.  2: 

his  (Pyrrhus')  sword 
Which  was  decHning  on  the  milky  head 
Of  reverend  Priam,  seemed  in  the  alr  to  stick. 

Haml.  II,  2,  499. 
thou  hast  hang  thy  advanced  sword  i'the  air, 
Not  letting  it  decline  on  the  declined. 
(Nestor  zu  Hektor.)  Troil.  IV,  5,  188. 

(Die  obige  Bemerkung   ist    auch  auf  diese  Stelle    zu  beziehen.) 

226.  Nur  in  Q.  2: 

his  (Pyrrhus')  sword 

—  —  —   —  seemed  in  the  air  to  stick: 

So,  as  a  painted  tyrant,  Pyrrhus  stood.     Haml.  II,  2,  502. 
Dieselbe  Beziehung,  wahrscheinlich  auf  ein  wirkliches  Bild,  liegt 
der  folgenden  Stelle  zu  Grunde: 

We'll  have  thee 

Painted  lipon  a  pole,  and  underwrit, 

„Here  may  you  see  the  tyrant." 
(Macduff  zu  Macbeth.)  Mach.  V,  8,  26. 


20  Die  Hamlet-Periode  in  öhaksperes  Leben. 

227.  Das  zu  Shaksperes  Zeit  schon  veraltete,  dem  Mittel- 
englischen angehörige  eterne  kommt  nur  in  Haml.  II,  2,  512, 
Q.  2  und  Mach.  III,  2,  38  vor. 

228.  Das  altertümliche  Wort  „bisson^''  gebraucht  Shakspere 
nur  zweimal:  in  Q.  2  von  Haml.  (II,  2,  529)  in  der  Bedeu- 
tung blind  machend  (Deklamation  des  Schauspielers)  und  Co): 
(II,  1,  70)    in    der  Bedeutung   blind  (Rede  des  alten   Menenius). 

Die  Reihe  von  Übereinstimmungen  mit  späteren  Stücken 
gerade  in  dem  der  Q.  1  fehlenden  Teil  der  Rede  des  Schau- 
spielers ist  höchst  beachtenswert. 

229.  Der  nur  in  Q.  2  vorkommende  Ausdruck  unpregnant 
im  Sinne  von  uniliätig  findet  sich  bei  Shakspere  zweimal: 
Haml.  II,  2,  595  und  Meas.  IV,  4,  23. 

III,  1. 

230.  Die  Art,  wie  Hamlet  seine  Jugendfreunde  aufgenom- 
men hat,  bezeichnet  Rosenkranz  (nur  in  Q.  2)  als  niggard  of 
question  [loortkarg)  (III,  1,  13).  Ebenso  sagt  Macduff  [Mach.  IV, 
3,  180)  zu  Rosse: 

Be  not  a  niggard  of  your  speech. 

231.  Pol.  loith  devotion's  visage 
And  pioiis  action  we  do  sugar  d'er 

The  devil  himself. 

The  harlots  cheek,  beautified  wifh  plastering  art, 
Is  not  more  ugly  to  the  thiiig  that  helps  it 
Than  is  my  deed  to  my  most  painted  word. 

Haml.  III,  1,  47. 
Divinity  of  hell ! 
When  devils  will  the  blackest  sin  put  on, 
They  do  suggest  at  first  with  heavenly  shows. 

Oth.  ir,  3,   357. 

Der  Gehalt  des  Monologs  To  be  or  not  to  he  ist  der- 
selbe  in  Q.  1  und  Q.  2 ;  wer  aber  die  beiden  Fassungen  ver- 
gleicht (s.  S.  22  u.  23),  wird,  bei  voller  Einräumung  der  argen 
Verstümmelungen,  deren  sich  der  Nachschreiber  der  Q.  1  schul- 
dig gemacht  hat,  die  Möglichkeit  einer  vervollkommnenden  Über- 
arbeitung des  Dichters,  deren  Resultat  der  Monolog  von  Q.  2 
ist,  nicht  für  ausgeschlossen  halten.  Diese  Annahme  wird  be- 
stätigt durch  eine  Reihe  von  auffallenden  Parallelismen,  die  sich 


Die  Hamlet-Periode  in  Sliaksperes  Leben.  21 

einerseits  in  Dichtungen  aus  der  zweiten  Hälfte  der  Neunziger, 
andererseits  in  Dramen  des  17.  Jahrhunderts  finden. 

232.  Den  Teil  des  Monologes,  der  Hamlets  Weltüberdrufs 
auseinandersetzt,  wird  in  einem  Sonett  der  letzten  neunziger 
Jahre,  das  wahrscheinlich  vor  diesem  Monologe  verfafst  ist, 
(s.  Sh.-Jahrb.  XIX,  S.  256.  258  f.)  mit  entsprechender  Ähnlich- 
keit ausgeführt: 

Tired  with  all  tliese,  for  rostful  death  I  cry, 

As,  to  behold  desert  a  beggar  born, 

And  needy  nothing  trimmed  in  jollity, 

And  pnrest  f'aith  unhappily  fbrsworn. 

And  gilded  honour  shamefully  niisplaced, 

And  maiden  vhtue  rudely  strumpeted, 

And  right  perfection  wrongfully  disgraced, 

And  strength  by  limping  sway  disabled, 

And  art  made  tongue-tied  by  authority, 

And  folly  doctor-like  Controlling  skill, 

And  simple  truth  miscalled  simplicity. 

And  captive  good  attending  captain  ill: 

Tired  with  all  these,  from  these  would  I  he  gone, 

Save  that,  to  die,  I  leave  my  love  alone.  Sonii.  66. 

Auch  die  Worte  Arragons  gehören  hierher: 
Let  none  presume 
To  wear  an  undeserved  dignity. 
O,  that  estates,  degrees,  and  offices 
Were  not  derived  corruptly,  and  that  clear  honour 
Were  purchased  by  the  nierit  of  the  wearer ! 
How  many  then  should  cover  that  stand  bare! 
How  many  be  commanded  that  command  etc. 

Merch.  II,  9,  39. 

Die  Übel,  die  Hamlet  hier  als  überall  vorhanden  schildert, 
wünscht  Timon  in  seinem  Monologe  IV,  1  in  verbreiterter  Aus- 
führung den  Athenern: 

Matrons,  turn  incontinent!   (Haml.  III,  4.) 
Obedicnce  fall  in  children  !  slaves  and  fools, 
Pluck  the  grave  wrinkled  Senate  from  the  bencb, 
And  minister  in  their  steads!  to  general  filths 
Convert  o'the  instant,  green  virginity, 
Do't  in  your  parents'  eyes!  bankrupts,  hold  fast; 
Ralher  than  render  back,  out  with  your  knives, 
And  cnt  your  trusters'  throats !  bound  servants,  steal  I 
Large-handed  robbers  your  grave  masters  are 


22  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

Q.  1. 

To  be,  or  not  to  be,  I  there's  the  point, 

To  Die,  to  fleepe,  is  that  all?  I  all: 

No,  tosleepe,  todreame,  I  mary  there  it  goes, 

For  in  that  dreame  of  death,  when  wee  awake, 

And  borne  before  an  euerlafting  Judge, 

From  whence  no  palTenger  euer  retur'nd, 

The  vndifconered  conntry,  at  whofe  fight 

The  happy  fmile,  and  the  accurfed  damn'd. 

But  for  this,  the  joyfull  hope  of  this, 

Whol'd  bear  the  fcornes  and  flattery  of  the  world, 

Scorned  by  the  right  rieh,  the  rieh  cur/Ted  of  the  poore? 

The  widow  being  opprelied,  the  orphan  wrong'd, 

The  tafte  of  hunger,  or  a  tirants  raigne, 

And  thoufand  more  oalamities  befides, 

To  grünt  and  fweate  vnder  this  weary  life, 

When  that  he  niay  his  füll  Quietus  raake, 

With  a  bare  bodkin,  who  would  this  indure, 

But  for  a  hope  of  fomething  after  death  ? 

Which  pufles  the  biaine,  and  doth  confound  the  sence, 

Which  makes  vs  rather  beare  those  euilles  we  haue, 

Than  flie  to  others  that  we  know  not  of. 

I  that,  0  this  confcience  makes  cowardes  of  vs  all, 

Lady  in  thy  orizons,  be  all  my  finnes  reraembred. 


And  pill  by  law.     Maid,  to  thy  master's  bed  ; 
Thy  mistress  is  o'the  brothell   Son  of  sixteen, 
Pluck  the  lined  crutch  from  thy  old  limping  sire, 
With  it  beat  out  his  brains !    Piety,  and  fear, 
Religion  to  the  gods,  peace,  justice,  truth, 
Domestic  awe,  night-rest,  and  neighbourhood, 
Instruction,  manners,  mysteries,  and  trades, 
Degrees,  observances,  customs,  and  laws, 
Decline  to  your  confounding  contraries, 
And  let  confusion  live ! 

Anklänge  hieran  finden  eich  im  Monologe  IV,  3;  unter  anderm : 

the  learned  pate 
Ducks  to  the  golden  fool ;  all  is  oblique. 

Some  rise  by  sin,  and  some  by  virtue  fall. 

Meas.  n,  1,  38. 

233.  Die  beiden  Hauptgedanken  des  Monologes  To  be  or 
not  to  he  werden  in  zwei  Reden  der  ersten  Scene  des  dritten 
Aktes  von  Meas.  ausgeführt:  die  Leiden  und  die  Wertlosigkeit 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  23 

Q.  2. 

To  be,  or  not  to  be,  that  is  the  queftion, 

Whether  tis  nobler  in  the  minde  to  fuffer 

The  flings  and  arrowes  of  outragious  fortune, 

Or  to  take  Armes  againft  a  fea  of  troubles, 

And  by  oppofing,  end  them,  to  die  to  fleepe 

No  more,  and  by  a  fleepe,  to  fay  we  end 

The  hart-ake,  and  the  thoufand  naturall  fhocks 

That  flefh  is  heire  to ;  tis  a  confumation 

Deuoutly  to  be  wifht  to  die  to  fleepe, 

To  fleepe,  perchance  to  dreame,  I  there's  the  rub, 

For  in  that  fleepe  of  death  what  dreames  may  come 

When  we  haue  fhuffled  off  this  mortall  coyle. 

Muft  giue  vs  paufe,  there's  the  refpect 

That  makes  calaniitie  of  fo  long  life: 

For  who  would  beare  the  whips  and  fcornes  of  time, 

Th'opprefTors  wrong,  the  proude  mans  contumely, 

The  pangs  of  despiz'd  loue,  the  lawes  delay, 

The  infolence  of  office,  and  the  fpurnes 

That  patient  inerrit  of  th'vnworthy  takes, 

When  he  himfelfe  might  bis  quietas  make 

With  a  bare  bodkin  ;  who  would  fardels  beare, 

To  grünt  and  fweat  vnder  a  wearie  life, 

Bnt  that  the  dread  of  something  after  death, 

The  vndisconer'd  country,  from  whose  borne 

No  trauiler  returnes,  puzzels  the  will, 

And  makes  vs  rather  beare  thofe  ills  we  haue, 

Then  flie  to  others  that  we  know  not  of. 

Thus  confcience  dooes  make  cowards, 

And  thus  the  natiue  hiew  of  refolution 

Is  fickled  ore  with  the  pale  caft  of  thought, 

And  enterprises  of  great  pitch  and  nioment, 

With  this  regard  theyr  currents  turne  awry, 

And  loofe  the  name  of  action.     Soft  you  now, 

The  faire  Ophelia,  Nimph  in  thy  orizons 

Be  all  my  finnes  remembred. 

des  Lebens  in  der  lang-en  Trostrede  des  als  Mönch  verkleideten 
Herzogs  (V.  7)  —  darunter  die  Verse: 

Thy  best  of  rest  is  sleep, 

And  that  thou  oft  provokest;  yet  grossly  fear'st 

Thy  death  which  is  no  more, 
und  die   Ungewifsheit   dessen,    was  nach    dem  Tode   folgt,    von 
Claudio  in  der  Rede,  welche  beginnt : 

Ay,  but  to  die  and  go  we  know  not  where  (V.  118). 


24  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

234.  In  Hamlets  Monolog  heifst  es: 

Who  would  fardels  bear, 
To  grünt  and  siveat  uiuler  a  lueary  life. 

Dasselbe    Bild  vom  Esel    wird    von  Antonius    auf  Lepidus   an- 
gewandt: 

He  shall  but  bear  them  (honours),  as  tlie  ass  bears  gokl, 

To  groan  and  siveat  under  the  husiness. 

Ca's.  IV,  1,  22. 
Auch    Shylock    vergleicht   die  Sklaven    der   Christen    mit  Eseln 
und  fragt: 

Why  sweat  tliey  under  hurthensf  Merch.  IV,   1,  95. 

235.  Die  gleiche  Methapher  findet  sich  in  den  Versen : 

The  sUngs  and  arrows  of  outrageous  fortiine. 

Haml.  III,  1,  58  (Q.  2). 

The  shot  of  accident  nor  dart  of  chance. 

Oth.  IV,  1 ,  278. 

236.  Schönheit  und  Ehrlichkeit  werden  als  unverträglich 
einander  entgegengesetzt: 

The  power  of  beauty  will  sooner  transform  honesty  from  what 
it  is  to  a  bawd  than  the  force  of  honesty  can  translate 
beauty  into  his  likeness.  Harah  III,  1,   111. 

Those  tbat  she  (Fortune)  makes  fair  she  scarce  makes  hon- 
est, and  those  tbat  she  makes  honest  she  makes  very  ill- 
favouredly.  Äs  I,  2,  38. 

237.  Be   thou   as  cliaste  as  ice,   as  pure   as  snow^   thou   sbalt   not 
escape  calumny.  Haml.  III,  1,  140. 

The  noble  sister  of  Publicola, 
The  moon  of  Rorae,   chaste  as  the  icicle 
That's  curdied  by  the  frost  from  purest  snow. 

Cor.  V,  3,  65. 

the  very  ice  of  chastity  is  in  them.  Äs  III,  4,  18. 

Die  Worte,  welche  Ophelia  nach  Hamlets  Abgange  spricht, 
sind  in  Q.  1  jammervoll  verstümmelt,  so  dafe  es  schwer  ist, 
spätere  Verbesserungen  von  des  Dichters  Hand  in  Q.  2  nach- 
zuweisen:  vielleicht  haben   wir  in  der  folgenden  Stelle  eine: 

238.  Now  see  that  noble  and  most  sovereign  reason, 

Like  sweet  bells  Jangled,  out  of  tune  (Q.  2  time)  and  harsh. 

Haml.  III,  1,  166. 
Cordelia  sagt  mit  Bezug  auf  ihren  Vater; 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  25 

0  you  kind  gods, 
Cure  this  great  breach  in  his  abused  nature! 
The  untuned  and  jarring  senses.  Lear  IV,  7,  17. 

239.  Vielleicht  mag  der  Ausdruck  rose  auch  in  Q.  1  ge- 
standen haben: 

The  expectancy  and  rose  of  the  fair  State ; 

Haml.  III,  1,  160. 
Köniof  Richard  wird 

that  sweet  lovely  rose  1  IL  IV.  I,  3,  175 

genannt.  —  Vergl.  Sonn.  109;    des.  I,  3,  78  u.  Tim.  IV,  5,  171. 

240.  Die  Schilderung  männlicher  Vortreflflichkeit,  wie  sie 
Ophelia  in  beiden  Qs.  giebt,  findet  sich  fast  wörtlich  wieder 
in  2  H.  IV.,  aufserdem  ähnlich  noch  zweimal. 

The  cotii'tier's,  saldier'' s,  scholar's,  eye,  tongiie,  sioord; 

The  expectancy  and  rose  of  the  fair  State, 

The  glass  of  fashioii  and  the  mould  of  form, 

The  ohserved  of  all  ohservers.  Haml.  III,  1,  159. 

Die  auf  ihren  Gemahl  bezüglichen  Worte  der  Lady  Percy  lau- 
ten sehr  ähnlich ; 

he  was  indeed  the  glass 
Wherein  the  noble  youth  did  dress  themselves  .  . . 

in  speech,  in  gait. 
In  diet,  in  affections  of  delight, 
In  military  ndes,  humours  of  blood, 
He  was  the  marh  and  glass,  copy  and  book, 
That  fashioned  others.  2  IL  IV.  11,  3,  21.  28. 

Auch  Posthumus  wird  in  ähnlicher  Weise  herausgestrichen: 

A  sample  to  the  youngest,  to  the  more  matiire 

A  glass  that  feated  them.  Cymb.  I,   1,  49. 

Und    der    Herzog   in   Meas.    schildert    Angelo   als   a   scholar,    a 
statesman,  and  a  saldier  (111,  2,  154). 

III,  2. 

241.  Man  vergleiche  mit  dem,  was  Hamlet  von  den  Schau- 
spielern, overdoing  Termagant,  sagt: 

O,  there  be  players  that  have  so  strutted  and  bellowed  that  I 
have  thought  sonie  of  nature's  jonrneymen  had  made  men  and 
not  made  them  well,  they  hnifated  humanity  so  abominably, 

und  von  dem  pitifid  amhilion  des  Narren 

Haml.  III,  2,  15.  32.  49. 


26  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

die   Schilderung   der  Art,    wie    Achilles    den    Agamemnon    dar- 
stellt: 

like  a  strutting  player,  whose  conceit 
Lies  in  bis  hamstring,  and  doth  think  it  rieh 
To  hear  the  wooden  dialogue  and  soiind 
'Twixt  Jas  streiclied  footing  and  the  pcaffoldage,  — 
Such  to-be-pitied  and  oerivrested  seeming 
He  acts  thy  greatness  in:  and  when  he  speaks, 

'Tis  like  a  chime  a-mending 

roaring  Typhon. 

TroiL  I,  3,  153. 

Die  Q.  1  enthält  in  der  Rede  Hamlets  über  die  Schau- 
spielkunst einen  längeren  Zusatz  über  die  Witzlosigkeit  der 
Clowns,  von  dem  Tanger  vergeblich  uns  glauben  machen  will, 
dafs  er  von  dem  Nachschreiber  verfafst  sei.  Der  scharfe  witzige 
Ausfall  ist  von  Shaksperes  Hand;  wenn  der  Nachschreiber 
etwas  Derartiges  hätte  erfinden  sollen,  dann  hätte  sich  eben  wie- 
der einmal  seine  uns  bekannte  Natur  in  ihr  gerades  Gegenteil 
verkehren  müssen. 

Das  Freundschaftsgeständnis  Hamlets  an  Horatio  ist  in  der 
Q.  1  nicht  blofs  sehr  viel  kürzer,  sondern  auch  anders;  es  ent- 
hält z.  B.  (241a)  den  echt  Shakspereschen  Ausdruck  „tirae- 
pleasing  tongue"  (s.  Tiv.  II,  3,  160;  Cor.  III,  1,  45),  der  in  Q.  2 
getilgt  ist.  Und  merkwürdigerweise  findet  das,  was  beiden  ge- 
meinsam ist,  seine  Parallele  in  einem  Stücke  des  IG.  Jahrb.;  wäh- 
rend das,  was  die  Q.  2  mehr  hat,  in  späteren  Stücken  wiederkehrt. 

242.  Nay,  do  not  thinh  I  flatter 

For  lohat  advancement  may  I  hope  froni  thee ? 

Why  sbould  the  poor  be  flattered  ? 
No,  let  the  candied  tongue  lick  absurd  pomp  .  .  . 
Since  my  dear  soul  was  mistress  of  her  choioe 
And  could  of  men  distinguish,  her  eleciion 
liath  sealed  thee  for  herseif:  Haml.  III,  2,  61. 

Ahnlich  spricht  Hotspur  zu  Douglas: 

By  God,  I  cannot  flatter ;  I  do  defy 

The  tongues  of  soothers;  hnt  a  braver  place 

In  my  heart's  love  hath  no  man  than  yourself. 

1  H.  IV,  IV,  1,  6. 

Nur  in  Q.  2  finden  sich  die  folgenden  Stellen; 


Die  Hamlet-Perlode  iü  Shaksperes  Leben.  27 

243.  let  the  candied  tongue  lick  absurd  pomp, 
And  crook  the  pregnant  hinges  of  the  hiee 
Where  thrift  may  folloio  fawning. 

Haml.  III,  2,  66. 

Ähnlich  sagt  Apemantus  zu  Timon : 

Be  thon  a  flatterer  now,  and  seek  to  thrive 

By  that  which  has  iindone  thee:  hinge  thy  hiee 

And  let  bis  very  breath,  whom  thou'lt  observe, 

BIow  otrthy  cap.  Tim.  IV,  3,  210. 

You  shall  mark 
Many  a  duteous  and  knee-crooking  knave, 
That,  doting  on  his  own  obsequious  bondage, 
Wears  out  his  time,  much  like  his  master's  ass, 
For  noiight  but  provender.  Oth.  I,  1,  45. 

244.  thou  hast  heen 

As  one,  in  suffering  all,  that  suflfers  nothing, 
A  man  that  fortunes  hiiffets  and  rewards 
Hast  ta'en  loith  eqiial  thanks  .  .  . 

Give  me  the  man 
That  is  not  passio7i's  slave,  and  I  will  wear  him 
In  my  heart's  core.  Haml.  III,  2,  72.  77. 

Die  Worte  Lodovicos  über  Othello  sind : 

Is  this  the  nature 
Whom  passion  could  not  shake  ?  whose  solid  virtue 
The  shot  of  accident,  nor  dart  of  cliance 
Coidd  neither  graze  7ior  pierce.  Oth.  IV,  1,  277. 

245.  Gleiche  Ausdrucksweise: 

I  will  wear  hira 
In   my  heart's  core,  ay,  in  my  heart  of  heart. 

Haml.  III,  2,   78. 

[bid]  welcome  from  heart  of  very  heart. 

Trau.  IV,  5,  171. 
(S.  die  Bencierkung  zu  224.)    Ähnlich: 

this  and  what  needful  eise 
That  calls  upon  us,  by  the  grace  of  Grace, 
We  will  perform.  Ilacb.  V,  8,  72. 

246.  Was  Hamlet  von  sich  sagt  in  beiden  Qs.: 

/  eat  the  air,  proinise-crammed 

Hamh  m,  2,  99 
wird  auch  von  Hotspur  ausgesprochen : 


28  Die  Haiiilet-Pcriode  iti  Shaksperes  Leben. 

who  lined  himself  with  hope, 

Eating  the  air  on  promise  of  supply. 

2  H.  IV.  I,  3,  27. 

247.  Eine  auffallende  Übereinstimmung  findet  eich  in  Harn- 
lets  "Worten  zu  Ophelia : 

How  cheerfully  my  mother  looks,  and  my  fatlier  died  within 
these  tivo  hours. 

Oph.      Nay,  'tis  twice  two  months,  my  lord. 

Haml.  So  long?  .  .  .  O  heavens!  die  two  months  ago  and 
not  forgotten  yet?  Then  there's  hope  a  great  man's  memory 
may  outlive  his  life  half  a  year.  Haml.  III,  2,  132. 

und  Benedicks  zu  ßeatrice : 

If  a  man  do  not  erect  in  this  age  his  own  tomb  ere  he  dies, 
he  shnll  live  nojotiger  in  monument  than  the  bell  rings  and 
the  widoio  weeps. 

Beat.     And  how  long  is  that,  think  you? 

Bene.  Question :  why  an  hovr  in  clamour  and  a  quarter  in 
rheum.  Ado  V,  2,  79. 

Vergleiche     hierzu     die    auf    seine    Mutter    bezüglichen    Worte 
Hamlets  im  ersten  Monologe  (I,  2). 

Schon  von  Tschischwitz  ist  als  ein  Hauptbeweis  für  eine 
doppelte  Redaktion  Hamlets  geltend  gemacht  worden  die  von 
der  Q.  2  sehr  abweichende,  und  dennoch  in  sich  zusammen- 
hängende, in  richtigen  Versen  und  guten  Reimen  aufgebaute 
Fassung  des  Schauspiels  in  Q.  1.  Man  müfste  geradezu  eine 
einmalige  Inspiration  annehmen,  wenn  man  nach  den  sonstigen 
Leistungen  des  Nachschreibers  es  für  möglich  halten  sollte,  dafs 
er  der  Verfasser  dieses  Schauspiels  wäre. 

247  a.  Eine  Stelle  daraus,  die  in  der  Q.  1  merkwürdiger- 
weise ein  zusammenhängendes  Ganzes  bildet,  während  sie  in 
Q.  2  durch  ein  umfangreiches  Einschiebsel  getrennt  erscheint, 
erinnert  lebhaft  an  ein  in  der  zweiten  Hälfte  der  Neunziger  ver- 
fafstes  Sonett: 

I  do  believe  you  think  what  now  you  speak ; 

But  what  we  do  determine  oft  wc  break. 

For  our  devices  still  are  overthrown, 

Our  thoughts  arc  ours,  their  ends  none  of  our  own. 

Haml.  III,  2,  196.  222. 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  29 

But  reekoning  time,  whose  millioned  accidents 
Creep  in  'twixt  vows,  and  change  decrees  of  kings, 
Tan  sacred  beauty,  blunt  the  sharp'st  intents, 
Divert  strong  minds  to  Ihe  course  of  altering  things. 

So7m.  115. 

248.  Der  Ausdruck  turn  Turk  im  Sinne  von  sich  untreu 
werden  oder  allgemeiner  ei?ie  auffallende  Wandelung  vom  Besse- 
ren zum  Schlimmeren  durchmachen,  kommt  zweimal  bei  Shak- 
spere  vor: 

if  the  rest  of  my  fortunes  turn  Turk  with  me .  .  . 

Haml.  III,  2,  287. 
an  yon  be  not  turned  Turk  . .  .  Ado  III,  4,  57. 

249.  Was  Hamlet  von  sich  sag-t: 

'Sblood,  do  you  think  I  am  easier  to  be  played  on  than  a 
pipe?  Call  nie  what  instrument  you  will,  though  you  can 
frei  me,  yet  you  cannot  plai/  upon  me. 

Haral.  III,  2,  387, 

sagt  Rosalind  zu  Silvius  mit  Bezug  auf  Phebe: 

What,  to  male  thee  an  instrument  and  play  false  strains  upon 
thee!  As  IV,  3,  67. 

250.  'Tis  now  the  very  witching  time  of  night, 

When  churchyards  yawn  and  hell  itself  breathes  out 
Contagion  to  this  world :   now  could  I  drink  hot  blood, 
And  do  such  bitter  business  as  the  day 
Would  quake  to  look  on. 

Haml.  III,  2,  406  (Q.  2). 
Now  o'er  the  one  half- world 
Nature  seems  dead,  and  wicked  dreams  abuse 
The  curtained  sleep ;  witchcraft  celehrates 
Pale  Hecate^s  offerings,  and  withered  murder, 
Alarumed  by  his  sentinel,  the  wolf, 
Whose  howl's  his  watch,  thus  with  his  stealthy  pace, 
With  Tarquin's  ravishing  strides,  towards  his  design 
Moves  like  a  ghost.  Mach.  II,  1,  51. 

251.  I  will  speak  daggers  to  her  Haml.  III,  2,  414. 

She  speaks  poniards.  Ado  II,  1,  255. 

I  wear  not 

My  dagger  in  my  mouth.  Cymb.  IV,  2,  78. 

252.  Auf  Nero  als  Muttermörder  wird   zweimal  angespielt: 

Soft !  now  to  my  mother. 
0  heart,  lose  not  thy  nature;  let  not  ever 


30  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

The  soul  of  Nero  enter  this  firm  bosom  .  .  . 
I  will  speak  daggers  to  her,  but  use  none. 

Haml.  III,  2,  412. 

you  ingrate  revolts, 
You  bloody  Neroes,  ripping  up  the  womb 
Of  your  dear  mother  England. 

John  V,  2,  152. 

m,  3. 

Der  Auftritt  zwischen  König,  Rosenkranz  und  Güldenstern, 
sowie  die  Worte  des  Polonius  fehlen  in  Q.  1,  die  mit  dem 
Sündenbekenntnis  des  Königs  beginnt.  Die  folgende  Stelle 
findet  sich  daher  nur  in  Q.  2. 

253.  The  cease  of  majesty 
Dies  not  alone ;  but,  like  a  gulf,  doth  draw 
What's  near  it  with  it :  it  is  a  massy  wheel, 
Fixed  on  the  summit  of  the  highest  mount, 

To  whose  huge  spokes  ten  thousand  lesser  things 

Are  mortised  and  adjoined ;  which,  when  it  falls, 

Each  small  annexment,  petty  consequence, 

Attends  the  boisterous  ruin.  Hainl.  III,  3,  15. 

Ganz  der  nämliche  Gedanke  wird  ausgeführt  in  der  folgen- 
den Stelle  von  der  greatness,  die  in  place^  riches,  favour  be- 
steht: 

Which,  when  they  fall,  as  being  slippery  Standers, 

The  love  tbat  leaned  on  them  as  slippery  too, 

Do  one  pluck  down  another  and  together 

Die  in  the  fall.  Troü.  III,  3,  84. 

An  den  obigen  Passus  erinnert  auch  der  folgende: 

Let  go  thy  hold,  when  a  great  wheel  runs  down  a  hill,  lest 

it  break  thy  neck  with  foUowing  it. 

(Der  Narr  zu  Kent  mit  Bezug  auf  Lear.)    Lear  II,  4,  73. 

Es  kann  nicht  behauptet  werden,  dafs  in  dem  folgenden 
Monolog  des  Königs  in  Q.  1  die  verstümmelnde  Hand  des 
Nachschreibers  nicht  zu  erkennen  wäre;  aber  nichtsdestoweni- 
ger steht  es  fest,  dafs  wir  hier  ebenso  wie  in  dem  Schauspiel 
der  vorigen  Se&ne  eine  von  der  Q.  2  wesentlich  abweichende 
Fassung  von  Shak^ere  selbst  vor  uns  haben. 

254.  O,  ray  oflFence  is  rank,  it  smells  to  heaven. 

Haml.  III,  3,  36  (Q.  2). 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes'Leben.  31 

Die  gleiche  Wendung  mit  ganz  ähnlicher  Beziehung  gebraucht 
Menenius  den  Tribunen  gegenüber: 

You  are  the  musty  chafF;  and  you  are  smelt 

Äbove  the  moon.  Cor.  V,  1,  32. 

255.  Den  Worten  des  Königs  Claudius  bei  seinem  ver- 
geblichen Versuch  zu  beten  gleicht  ein  Monolog  des  Angelo  auf- 
fallend: 

Pray  can  I  not, 
Though  inclination  be  as  sharp  as  will : 
My  stronger  guilt  defeats  my  sträng  intent .  . . 
My  words  fly  up,  my  thoughts  remain  below: 
Words  lüüliout  thoughts  neuer  to  heaven  go. 

Haml.  III,  3,  38.  97  (Q.  2). 

When  I  would  pray  and  think,  I  thifik  and  pray 

To  several  siibjects.     Heaven  hath  my  empty  words; 

Whilst  my  invention.,  hearing  not  my  tongue, 

Anchors  on  Isabel:  Heaven  in  7ny  jnouth, 

As  if  I  did  but  only  chew  bis   name; 

And  in  my  heart  the  strong  and  swelling  evil 

Of  my  conception.  Meas.  II,  4,   1. 

In  Q.  1  heiftjen  die  letzten  Verse : 

My  words  fly  up,  my  sins  remain  below : 
No  King  on  earth  is  safe,  if  God's  bis  foe. 

Auch  diese  Verse  hat  Shakspere  verfafst.  Betrachten  wir  den 
Unterschied  zwischen  ihnen  und  Q.  2  —  Gegensatz  von  words 
und  sins  anstatt  von  tcords  und  thoughts,  und  den  ganz  un- 
ähnlichen Schlufsvers,  so  ist  er  derartig,  dafs  er  gerade  jede 
Parallelität  mit  der  Stelle  in  Meas.  aufhebt. 

in,  4. 

256.  Dem  Ausdruck  icring  your  heart   in  Q.  2  (III,  4,  35) 

entspricht  ein  wringing  of  the  conscience  in  H.  VIII.  II,  2,  28. 

257.  Hamlet  charakterisiert  die  Sünde  seiner  Mutter  fol- 
gendermafsen : 

heaven's  face  doth  glow ; 
Yea,  this  solidity  and  Compound  mass, 
Wüh  tristfid  visage,  as  against  the  doom, 
Is  thought-sick  at  the  act.  Haml.  III,  4,  48  (Q.  2). 

Othellos  Worte  auf  die  teuflischen  Einflüsterungen  Jagos 
lauten  ähnlich: 


32  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

Do  deeds  to  make  heaven  lueep,  all  earth  amazed; 

For  nothing  canst  thou  to  damnation  add 

Greater  than  that.  Oth.  III,  3,  371. 

258.  Der  juristische  Ausdruck  2'>resent'nient  im  Sinne  von 
presentation,  representation  kommt  nur  zweimal  bei  Shakspere 
vor:   Haml.  111,  4,  54  (Q.  2)  und   Tim.  I,   1,  27. 

259.  Der  Vergleich  des  alten  Hamlet  mit  verschiedenen 
Göttern  ist  ein  schöner  Zusatz  der  Q.  2,  Q,  1  legt  nur  Ge- 
wicht auf  kriegerischen  Mut  (a  face  to  outface  Mars  himself) 
und  Tugend.  Und  fast  ebenso  wie  Hamlet  seinen  Vater  be- 
schreibt : 

Hyperion's  curls;  i\iQ  front  of  Jove  lihnself', 
An  eye  like  Mars,  to  threaten  and  comraand ; 
A  Station  like  the  herald  Mercury  .  .  . 

Haml.  III,  4,  56, 
80  Imogen  ihren  Posthumus: 

His  foot  Mercurial;  his  Martial  thigh ;  • 

The  brawns  of  Hercules ;  but  his  Jovial  face  .  . . 

Cymb.  IV,  2,  310. 

260.  Have  you  eyes? 

Could  you  on  this  fair  mountain  leave  to  feed. 
And  hatten  on  this  raoor  ?    Ha !  have  you  eyes  ?  . .. 

what  judgement 
Would  Step  from  this  to  this  ?    Sense,  siire,  you  have, 
Else  could  you  not  have  motion ;  but  sure,  that  sense 
Is  apoplexed ;  for  madness  ivould  not  err, 
Nor  sense  to  ecstasy  was  ne'er  so  thralled 
But  it  reserved  some  quantity  of  choice, 
To  serve  in  such  a  difference. 

Haml.  III,  4,  65.  70  (Q.  2). 

Dieselben  Erwägungen   stellt  Jachimo  über  Posthumus    an,  wie 
er  ihn  als  treulos  seiner  Gattin  schildert: 

What,  are  men  mad?    Hath  nature  given  them  eyes 
To  see  this  vaulted  arch,  and  the  rieh  crop 

Of  sea  and  land, 

and  oan  we  not 
Partition  make  with  spectacles  so  precious 
'  Twixt  fair  and  foul  ?  .  .  . 
It  cannot  he  i'the  eye,  for  apes  and  monkeys 
'Twixt  two  such  shes  would  chatter  this  way  and 
Contemn  with  mows  the  other ;  nor  ihhe  judgement^ 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  33 

For  idiots  in  this  case  of  favour  would 

Be  wisely  deßiüte;  nor  i'the  appetite; 

Sluttery  to  such  neat  excellence  opposed 

Should  inake  desire  vomit  emptiness, 

Not  so  allured  to  feed.  Cymb.  I,  6,  32. 

Die  Ähnlichkeit  liegt  hier  weniger    in  einzelnen  Worten    als  in 
dem  ganzen  Tenor  der  Erwägungen. 

Ahnlich  drückt  sich  Brabantio  über  die  Liebe  seiner  Toch- 
ter zu  Othello  aus : 

For  nature  so  preposieronly  to  err, 

Being  not  deficient^  blind,  or  lame  of  sense, 

Sans  witchcraft  could  not.  Oth.  I,  3,  62. 

2fil.  Die  Strafrede,  welche  Hamlet  seiner  Mutter  hält 
(111,  4,  Q.  2),  gleicht  an  Höhe  des  Pathos  und  an  Kraft  der 
Hyperbeln  derjenigen,  in  der  Heinrich  V.  Scroop  seinen  Verrat 
vorwirft  (H,  2,  102).  Die  Reden  sind  zu  lang,  um  citiert  zu 
werden ;  bei  der  Lektüre  wird  man  einige  unzweifelhafte  Re- 
miniscenzen  an  Haml.  darin  finden. 

An  dieser  Stelle  der  Q.  1   mache  ich  auf  die  Verse 

Why,  appetite  with  you  is  in  the  wane, 

Your  blood  runs  back  ward  now  from  whence  it  came. 

aufmerksam,    die  shaksperesches   Gepräge  haben  und  an  welche 
die  Q.  2  nicht  den  geringsten  Anklang  enthält. 

262.  Der  Geist  des  alten  Hamlet  giebt  den  Grund  seines 
Wiedererscheinens  seinem  Sohne  in  den   Worten : 

this  Visitation 
Is  but  to  whet  thy  almost  blunted  intent. 

Haml.  III,  4,  111. 

Ähnlich  sagt  Malcolm  zu  Macduff  im  Anschlufs  an  die 
Nachricht  von  der  Ermordung  seiner  Familie : 

Be  this  the  whetstone  of  your  sword;  let  grief 
Convert  to  anger;  blunt  not  the  heart,  enrage  it. 

Mach.  IV,  3,  228. 

IV,  1. 

263.  King.  Hovv  does  Hamlet? 

Queen.     Mad  as  the  sea  and  wind,  when  both  contend 
Which  is  the  mightier. 

Haml.  IV,  1,  7  (Q.  2). 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXY.  3 


34  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

he  (Lear)  was  met  even  now 
As  mad  as  the  vexed  sea.  Lear  IV,  4,  2. 

(Die  Q.   1   hat    für    den    ganzen    Passus    nur:    as  raging   as  the 
sea.) 

IV,  2. 

Diese  Scene  und  infolgedessen  auch  die  darauf  hinweisende 
Anfangsrede  des  Königs  in  der  folgenden  Scene  fehlen  in  Q.  1 
gänzlich. 

264-.  Hamlet  sagt  auf  die  Frage  des  Rosenkranz,  was  er 
mit  Polonius'  Leichnam  gethan  habe: 

Compounded  it  with  dust,  whereto  'tis  kin. 

Haml.  IV,  2,  6. 
Heinrich  IV.  ruft  vor  seinem  Tode: 

Only  Compound  me  with  forgotten  dust. 

2  IL  IV.  IV,  5,  116. 
Vergleiche  auch: 

The  brain  of  this  fooUsh-comj'iounded  claij,  man,   is   not   able 
to  invent  etc.  (Falstaff)  2  H.  IV.  I,  2,  8. 

und :  you  look  upon  this  versa 

When  I  perhaps  compounded  am  with  clay. 

Sonn.  71  (Ende  der  Neunziger). 

265.  Haml.  IV,  2,  12  wird  ein  Schwätzer,  Merch.  I,  2,  108 
ein  Säufer  mit  einem  sponge  verglichen.  (Die  schmückende 
Bezeichnung  „sponge"  erhält  Rosenkranz  in  Q.  1  in  seinem 
Gespräch  mit  Hamlet  nach  dem  Schauspiel.) 

IV,  3. 

266.  Das  Verbum  nose  riechen  kommt  nur  vor  Haml. 
IV,  3,  38  und   Cor.  V,  1,  28. 

267.  Was  König  Claudius  von  Hamlet  sagt: 

like  the  hectie  in  my  blood  he  rages 

Haml.  IV,  3,  68  (Qu.  2), 

fast  dasselbe  sagt  Dumain  von  Katharina. 

a  fever  she 
Reigns  in  my  blood.  LL.  IV,  3,  95. 

IV,  4. 

Die  Begegnung  Hamlets  mit  dem  Kapitän  des  auf  seinem 
Durchzuge  durch  Dänemark  begriffenen  Fortinbras  fehlt  auch 
in  Q.  1. 


Die  Hamlet-Periode  in  Sbaksperes  Leben.  35 

IV,  5. 

Der  fünften  Scene  geht  in  Q.  1  ein  kurzes  Gespräch  des 
Königs  und  der  Königin  voraus,  in  welchem  die  letztere  mitteilt, 
dafö  Ophelia  wahnsinnig  geworden,  der  erstere  von  den  Gefahren 
spricht,  welche  die  Rückkehr  des  volksbeliebten  Laertes  seinem 
Throne  bereiten  könne.  Die  Spuren  der  ungeschickten  Hand 
des  Nachschreibers  sind  in  diesem  Gespräche  unverkennbar; 
nichtsdestoweniger  scheint  es  mir  nach  der  bei  211  aufgestellten 
Erwäffuno;  unhaltbar,  es  als  eine  reine  Erfindunor  von  ihm  zu 
betrachten ;  die  Scene  ist  eben  in  der  ersten  Redaktion  anders 
d.  h.  wenisfer  »ut  als  in  der  zweiten  arrano-iert  o-ewesen.  Nach 
diesem  Gespräche  tritt  dann  in  Q.  1  sofort,  also  in  Anwesen- 
heit des  Königs,  Ophelia  auf  mit  dem  Gesänge  „How  should  I 
your  true  love  know."  —  In  den  Worten  des  Königs  nach  dem 
ersten  Abgange  der  Ophelia  mache  ich  auf  die  Endverse  der 
Q.  1  aufmerksam  : 

Content  on  earth  was  never  certain  bred, 
To-day  we  laugh  and  live,  to-raorrow  dead, 

die,  wenn  sie  nicht  in  dieser  Gestalt  von  Shakspere  selbst  ge- 
formt sein  sollten,  doch  sicher  zwei  ähnliche,  die  in  Q.  2  feh- 
len, ersetzen  sollen. 

268.  both  the  lüorlds  I  give  to  negligence 

Let  conie  what  comes ;  only  I  will  be  revenged. 

Haml.  IV,  5,  134  (Q.  2). 

let  —  —  —  hoth  the  worlds  suffer, 
Ere  we  will  eat  cur  meal  in  fear. 

Mach.  III,  2,  16. 

Dafs  die  nur  in  Q.  1  vorkommenden  Worte  des  Königs 

Although  I  know  your  grief  is  as  a  flood, 
Brimful  of  sorroiv,  biit  forbeare  a  while  .  .  . 

und  des  Laertes : 

I'll  strive 
To  bury  grief  ivithin  a  tomb  of  wrath, 
Which  once  unhearsed,  then  the  world  shall  haar 
Laertes  had  a  father  he  held  dear. 

auf  Shakspere  zurückzuführen  sind,  scheint  mir  um  so  unfrag- 
licher mit  Rücksicht  auf  die  folgenden  Stellen: 

3' 


36  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

269.  To  make  tbe  Coming  hour 

O'erflow  with  joy  and  pleasiire  droivn  ihe  brim. 

AWs  II,  4,  48. 

270.  words  seemed  buried  in  my  sorroiv's  grave. 

R.IL  I,  4,  15. 

(Dieser    metaphorische    Gebrauch    von    hury    ist    überhaupt    in 
Jugendstücken  beliebt,  s.  Sh.-Lex.) 

IV,  6. 

Nun  weichen  wieder  einmal  die  beiden  Q.s  in  einer 
Weise  voneinander  ab,  die  keine  andere  Erklärung  als  eine 
doppelte  Redaktion  des  Dichters  zuläfst:  es  sind  nämlich  zwei 
total  verschiedene  Scenen,  welche  die  Handlung  des  Dramas 
ganz  wesentlich  beeinflussen.  In  Q.  2  erfährt  H  oratio  durch 
einen  ihm  von  Seeleuten  überbrachten  Brief,  dafs  Hamlet 
wieder  in  Dänemark  ist.  In  Q.  1  teilt  H oratio  der  Köni- 
gin mit,  dafs  Hamlet  ihm  seine  Rückkunft  angezeigt  habe; 
Hamlet  sei  hinter  den  mörderischen  Anschlag  des  Königs  ge- 
kommen, habe  sich  ans  Land  setzen  lassen,  und  dafür  den  Ver- 
rätern Güldenstern  und  Rosenkranz  ihr  Todesurteil  ausgestellt. 
Die  Q.  1  anticipiert  also  den  Bericht,  welchen  in  der  Qu.  2 
Hamlet  dem  Horatio  in  der  zweiten  Scene*  des  fünften  Aktes 
giebt,  in  ein  paar  Worten,  die  gar  keinen  Anklang  an  diese 
voll  auegeführte  Scene  enthalten,  und  berichtet  von  einem  Kampfe 
mit  Seeräubern  als  der  Veranlassung  der  Landung  Hamlets 
kein  Sterbenswörtchen.  Die  Königin  aber  wird  in  Q.  1  zur 
Mitwisserin  des  Racheplanes,  den  Hamlet  gegen  den  König 
gefafst  hat ;  verspricht,  ihrem  Sohne  auf  jede  mögliche  Weise 
Vorschub  zu  leisten  und  läfst  ihn  bitten,  doch  ja  vorsichtig  zu 
Werke  zu  gehen. 

Nach  Tanger  ist  der  Nachschreiber  wieder  durch  seine  ge- 
wohnheitsmäfsige  Unvorsichtigkeit  zu  dieser  poetisch  weisheits- 
vollen V^eranstaltung  gezwungen  worden:  unvorsichtigerweise 
hatte  er  die  Königin  in  der  grofsen  Scene  mit  Hamlet  schwö- 
ren lassen,  dafs  sie  an  dem  Morde  ihres  ersten  Gatten  unschül- 


*  Dieser  Teil   der  Scene    ist  darum    in  Quarto  1    auch   gar  nicht  vor- 
handen. 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  37 

dig  und  deshalb  auch  bereit  sei,  Hamlets  Pläne  gegen  ihren 
zweiten  zu  unterstützen,  und  die  unerläfsliche  (??)  Folge  davon 
war,  dafs  er  nun  auch  im  weiteren  Verlaufe  der  Handlung  in 
einer  eigens  dazu  von  ihm  erfundenen  Scene  sie  als  Helfershelfe- 
rin Hamlets  darstellen  mufste.  —  Hätte  der  Nachschreiber  in 
HI,  4  Dinge  hineingeschrieben,  die  er  auf  der  Bühne  weder 
gesehen  noch  gehört  hatte,  so  entspricht  es  seiner  Natur  einzig 
und  allein,  dafs  er  die  an  jene  Neuerungen  sich  knüpfenden 
Konsequenzen  dennoch  nicht  erkannt  und  ausgeführt  haben 
würde;  er  hätte  den  Widerspruch,  resp.  den  Unsinn,  wie  so 
oft,  auch  dieses  Mal  in  seiner  Nachschrift  nicht  bemerkt  und 
darum  stehen  lassen.  Bemerkte  er  aber  ausnahmsweise  die 
Inkongruität  dieses  Verhaltens  der  Königin  mit  der  nachfol<j;en- 
den  Entwickelung  der  Handlung  der  Q.  2  (die  er  ja  nach 
Tanger  kopiert  haben  soll),  so  entsprach  es  wiederum  seiner 
gedankenfaulen  Ungeschicklichkeit,  dafs  er  jene  paar  Verse  in 
IH,  4  wieder  strich,  nicht  aber,  dafs  er  um  ihretwillen  die 
ganze  Handlung  umgestaltete  und  eine  vollständig  neue  Scene 
hinzudichtete.  —  Was  übrigens  in  dieser  Scene  (IV,  6)  der 
Q.  1  von  ihm  ist,  sind  wiederum,  wie  immer,  nur  die  Ver- 
derbnisse und  Ungeschlachtheiten;  dafs  dieser  poetische  Flick- 
schneider eine  solche  ganze  Scene  geschaffen  haben  könnte,  ist 
undenkbar.  Und  schliefslich  mufs  auch  bestritten  werden,  dafs 
diese  Scene  und  die  ganze  Veranstaltung  der  Handlung  eine 
notwendige  Folge  der  von  Tanger  behaupteten  Unvorsich- 
tigkeit (in  HI,  4)  war.  Wenn  der  Nachschreiber  die  Q.  2  ko- 
pierte, so  konnte  er  trotz  jener  unauthentischen  Versicherung 
der  Königin  (III,  4)  die  Scene  des  Horatio  mit  den  Seeleuten 
(IV,  6  in  Q.  2)  und  das  Gespräch  Hamlets  mit  Horatio  (V,  2) 
bestehen  lassen ;  er  brauchte  keine  neue  Scene  zu  erfinden  und 
überhaupt  nichts  an  der  Handlung  zu  ändern.  Die  durchgrei- 
fenden Abweichungen  der  Q.  1  von  der  Q.  2  im  vierten 
und  fünften  Akte  sind  daher  auf  Shakspere  allein  zurückzu- 
führen. 

Der  Ausdruck  siigar  o'er  Jus  villany,  Q.  1,  ist  shak- 
sperisch,  s.  231.  (Q.  2);  desgl.  commend  a  mother's  care  to 
liivi  :=  cleliver  (s.  Sh.-Lex.)  —  bid  Mm  he  loary  of  Ms  presence 
(s.  Haml.  I,    3,   121    be    scanty  of  your  presence)    —    tMngs  feil 


38  Die  Hamlet- Periode  in  Sbaksperes  Leben. 

not  to  Ms  mind  (s.  C«s.  III,  I,  146  my  misgiving  falls  to  the 
purpose).  Die  Verse  sind  in  dieser  Scene  der  Q.  1  richtig, 
und  nur  vom  Nachschreiber  falsch  abgeteilt;  er  hat  also,  wie 
oft,  Verse  gehört  und  nicht  als  solche  verstanden  (s.  die  drei 
Reden  des  Horatio:  Yes  Madame,  and  he  liatli  appoynted  me, 
der  Königin :  0  falle  not,  good  Horatio^  und  des  Horatio : 
3Iadam,  never  mähe  doubt  of  tliat).  Hätte  er  die  Verse  selbst 
gemacht,  so  würde  er  sie  auch  richtig  abgeteilt  haben.  In  der 
letztgenannten  Rede  ist  sogar  ein  Reim  mitten  im  Verse  ver- 
steckt, den  also  der  Nachschreiber  auch  nicht  einmal  bemerkt 
hat  {find :  mind). 

IV,  7. 

Es  ist  undenkbar,  dafs  Shakspere  eine  Scene  geschrieben 
haben  sollte  wie  die  zwischen  König  und  Laertes  in  Q.  1  ; 
andererseits  aber  ist  der  Unterschied  der  beiden  Q.s  (37  und 
163  Zeilen)  so  aufserordentlich  grofs,  dafs  es  unbegreiflich  wäre, 
wie  der  Nachschreiber  ein  derartiges  Machwerk  hätte  liefern 
können,   wenn  er  die  Q.  2  zum  Muster  gehabt  hätte. 

270a.   Mit  den  Anfangsworten  des  Königs: 

New  must  your  conscience  ray  acquittance  seal 

Haml.  IV,  7,  1  (Q.  2) 
vergleiche : 

[they]  had  the  virtue 
Which  their  own  conscience  sealed  them. 

Cymb.  TU,  6,  85. 

271.  Der  König  schildert  sein  Verhältnis  zu  Gertrud  in 
den  Worten  (der  Folio): 

She's  so  conjunctive  to  my  life  and  soul^ 

That,  as  the  star  moves  not  but  in  bis  sphere, 

I  could  not  but  by  her.  Haml.  IV,  7,  14. 

(Die  Q.  2  hat  „conclive",    eine  Verstümmelung,    die    entstanden 
ist   durch  Auslassung   der  Silbe    -jun-    und  Nichtbeaclitung   des 
^Striches  in  der  Endung  -ctivc.) 
Reffan  fürchtet,  dafs  Edmund 

conjunct  and  bosomed  with  her  (sister) 

Lear  V,  1,  12 
gewesen  sei. 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  39 

273.  Das    Wort    conjunctive  erscheint    nur    noch    einmal    in 
dieser  Bedeutung:   Oth.  I,  3,  374. 

274.  Ge77i  im  flg.  Sinne    mit  Bezug   auf  Menschen  braucht 

Shakspere  zweimal: 

he  is  the  brooch  indeed 
And  gern  of  all  the  nation. 

Haml.  IV,  7,  95  (Q.  2). 

a  gein  of  women.  Änt.  III,  13,  108. 

275.  There  lives  within  the  very  flame  of  love 
A  kind  of  wick  or  snuff  that  will  abate  it; 
And  nothing  is  at  a  like  godness  still ; 
For  goodness,  growing  to  a  plurisy, 

Dies  in  his  own  too  much.  Haml.  IV,  7,  115. 

Der  Gedanke:  die  Liebe  (reep.  das  Glück,  die  Ruhe,  die  Kraft) 
stirbt  an  ihrem  Zuviel  —  kehrt  in  den  Dichtungen  besonders 
der  zweiten  Hälfte  der  Neunziger  so  häufig  wieder,  dafs  sie 
hier  nicht  alle  angeführt  werden  können.  (Ich  verweise  auf  das 
19.  Sh.-Jahrb.  S.  252  f.  Sonett  118.)  Es  ist  daher  durchaus 
nicht  unwahrscheinlich,  dafs  dieser  Passus  schon  in  der  ersten 
Redaktion  vorhanden  war,  obgleich  er  in  der  Q.  1  fehlt. 

276.  Der  König  nennt  den  Seufzer 

a  spendthrift,  that  hurts  by  easing. 

Haml.  IV,  7,  123. 
Hero  sagt  von  Benedick,  er  möge 

Consume  away  in  sighs,  waste  inwardly. 

Ado  III,  1,  78. 

277.  Man    vergleiche     auch     die    Worte    des     weinenden 

Laertes: 

when  these  (tears)  are  gone, 
The  woman  will  be  out.  Haml.  IV,  7,  189  (Q.  2) 

mit  denen  Exeters : 

And  all  my  mother  came  into  my  eyes 

And  gave  me  up  to  tears.  H.   V.  IV,  6,  31. 

I  would  play  the  woman  with  mine  eyes. 

Mach.  IV,   3,  230. 

Auch  Wolsey  nennt  sein  Weinen: 

play  the  xuoman.  H.   VIII.  HI,  2,  431. 


40  Die  Hamlet-Periode  in  Sbaksperes  Leben. 

V,  1. 

278.  Das  Wortspiel  mit  anns  Arme  und  Wappen  findet 
eich  an  zwei  Stellen: 

/See.  Clown.     Was  he  (Adam)  a  gentleman? 
First  Clown.   He  was  the  first  that  ever  bore  arms. 
See.  Cloion.    Why,  he  had  none. 

First  Cloiun.    What,    art   a   heathen?    The   scripture   says 
„Adam  digged":  could  he  dig  ivithout  arms? 

Haml.  V,  1,  37. 

Pet.     I  swear  I'll  cuff  you,  if  you  strike  again. 

Kath.  So  you  ?nay  lose  your  arms: 
If  you  strike  me,  you  are  no  gentleman ; 
And  if  no  gentleman,  why  then  no  arms. 

Shrew  II,  1,  222. 

279.  Die  Ausbreitung  des  Euphuismus  bis  in  die  untersten 
Volksschichten  beklagt  Hamlet: 

How  absolute  the  knave  is!  we  must  speak  by  the  card,  or 
equivocation  will  undo  us  .  .  ,  The  age  is  grown  so  picked 
that  the  toe  of  the  peasant  comes  so  near  the  heel  of  the 
courtier,  he  galls  his  kibe. 

Haml.  V,  1,  148. 

Ähnlich  spricht  sich  Lorenzo  aus  in   Bezug  auf  Launcelot: 

How  every  fool  can  play  upo7i  the  word!  I  think  the  best 
grace  of  wit  will  shortly  turn  into  silence,  and  discourse 
grow  commendable  in  none  only  but  parrots. 

Mereh.  IH,  5,  48. 

280.  Imperious  Cresar,  dead  and  turned  to  clay, 
Might  stop  a  hole  to  keep  the  wind  away : 

O,  that  that  earth.,  which  kept  the  world  in  awe, 
Should  pateh  a  wall  to  expel  the  winter's  flaw. 

Haml.  V,   1,  237. 

I  will  tread  this  unbolted  villain  to  mortar,  and  daub  the 
wall  of  a  jalces  with  him. 

Lear  II,  2,   71. 

281.  Die  beiden  letzten  Verse  sind  ein  Zusatz  der  Q.  2 
und  haben  einen  wörtlichen  Anklang  an  Cws.  Dieselbe  Wen- 
dung wird  von  dem  Imperator  gebraucht : 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaiisperes  Leben.  41 

And  that  same  eye  whose  bend  doth  aive  the  tvorld 

Did  lose  his  lustre.  Cces.  I,  2,  123. 

282.  Mahn  im  fig.  Sinne  mit  den  Objekten  Wte,  judgment, 
Jurisdiction  findet    sich   dreimal:    Haml.  V,    1,  242    (Q.  2);    Oth. 

I,  3,  99;  H.   VIII.  IIl,  2,  312. 

283.  Das  griechische  Wort  emphasis  kommt  bei  Shakspere 
nur  zweimal  vor:  Haml.  V,  1,   278  und  Ant.  1,  5,  ^^. 

284.  Dem  eigentümlichen  Ausdruck  iconder-iooxinded  hearers 
(Haml.  V,  1,  280,  Q.  2)  entspricht  in    Wint. 

how  attentiveness  ivoiinded  his  daughter. 

Wint.  V,  2,  94. 

Die  ganze  erste  Scene  des  fünften  Aktes  ist  in  Q.  1  auf- 
fallend korrekt  und  nicht  wesentlich  abweichend  von  Q.  2 ; 
die  mehrfachen  Kürzungen,  welche  darin  vorkommen,  weisen 
nicht  die  Zusammenhanglosigkeit  und  Inkonsequenz  auf,  die 
uns  an  dem  Nachschreiber  gewohnt  ist.  Die  Erscheinung  er- 
klärt sich,  wie  eine  Reihe  vorausgehender  gleicher  Erschei- 
nungen, durch  eine  frühere  andere  Fassung  der  Scene. 
Als  besonders  merkwürdig  und  wiederum  für  die  letztere 
Annahme  sprechend,  hebe  ich  die  verschiedene  Angabe  in 
betreff  des  Alters  Hamlets  hervor.  (S.  darüber  16.  Sh.-Jahrb. 
S.  310.) 

V,  2. 

Das  Gespräch  zwischen  Hamlet  und  Horatio,  in  welchem 
ersterer  seinem  Freunde  eine  Schilderung  seiner  Reiseerlebnisse 
giebt,  fehlt  in  Q.  1,  wie  oben  bereits  bemerkt. 

285.  Pall  im  Sinne  von  fehlschlagen  gebraucht  Shakspere 
nur  zweimal:  Haml.  V,  2,  9  (Q.  2);  Ant.  H,  7,  88. 

286.  Das  Wort  statist  für  statesman  findet  sich  nur 
zweimal     bei    Shakspere:    Haml.   V,    2,    33    (Q.  2)    und    Cymb. 

II,  4,  16. 

287.  Der  Höfling  Osrick  wird  von  Hamlet  a  loater-fly 
genannt  (Haml.  V,  2,  84),  desgleichen  Patroclus  von  Thersites 
{Troil  Y,  2,  38). 


42  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

288.  Chough  (Dohle)  nennt  Hamlet  den  nichtssagenden 
Schwätzer  Osrick  In  Q.  2  (V,  2,  89);  in  Temp.  (II,  1,  266) 
wird    die  Geschwätzigkeit  Gonzalos  damit  charakterisiert. 

289.  Thus  has  he  —  and  many  raore  of  the  same  bevy  that  I 
know  the  drossy  age  dotes  on  —  only  got  the  tune  of 
Ihe  time  and  outward  habit  of  encoiinter;  a  kind  of  yesty 
coUection,  which  carries  them  through  and  through  the  most 
fond  and  winnowed  opinions. 

Haml.  V,  2,   196. 
Vergl.  dazu  die   Worte  Lorenzos: 

0  dear  discretion,  how  bis  words  are  suited! 

The  fool  hath  planted  in  bis  memory 

An  army  of  good  words;  and  I  do  know 

A  many  fools,  that  stand  a  better  place, 

Garnished  like  bim,  tbat  for  a  tricksy  word 

Defy  the  matter.  Merch.  III,  5,  70, 

und    hiermit   279,    wo    eine    ähnliche    Stelle    auch    in  Q.  1  vor- 
kommt. 

290.  Als  Horatio  Hamlets  bange  Herzeni?stimmung  vor 
dem  Wettkampf  für  eine  Art  von  Todesfurcht  hält,  erwidert 
dieser: 

We  defy  augury;  tbere's  a  special  providence  in  the  fall  of 
a  sparrow.  If  it  be  now,  it  is  not  to  come;  if  it  be  not 
to  come,  it  will  be  now;  if  it  be  not  now,  yet  it  loill  come; 
the  readiness  is  all.  Haml.  V,  2,  230. 

Dieselbe  tapfere  Gesinnung  hat  Cäsar  dem  Tode  gegenüber: 

Of  all  the  wonders  that  I  yet  have  heard, 

It  seems  to  me  most  stränge  that  men  shoidd  fear; 

Seeing  that  death,  a  necessary  end, 

Will  come,  when  it  will  come.  Cces.  II,  2,  35. 

Die  Q.  1  giebt  denselben  Gedanken  in  verkürzter  Form. 
We  defy  augury  —  Worte,  die  genau  auf  die  Situation  Cäsars 
passen,  der  soeben  die  Warnungen  der  Augurn  empfangen 
hat  —  fehlt,  desgl.  The  readiness  is  all.  Dafür  die  folgende 
Parallele.  , 

291.  Men  miist  endure 

Their  going  hence,  even  as  their  Coming  hither; 

Bipeness  is  all.  Lear  V,  2,  11. 


Die  Hamlet-Periode  in  Sbaksperes  Leben.  43 

Für  den  ganzen  mittleren  Passus  (//  it  be  now  etc.)  hat  die 
Q.  1: 

If  danger  be  now,  why,  then  it  is  not  to  come. 

292.  this  feil  Sergeant^  death, 

Is  strict  in  bis  arrest.  Haml.  V,  2,  347  (Q.  2). 

When  the  feil  arrest 
Without  all  bau  shall  carry  me  away. 

Sonn.  74  (Ende  des  IG.  Jh.). 

293.  AVenn  Horatio  den  Prinzen    nicht  überleben,    sondern 
eich  den  Tod  geben  will  und  sich  darum 

more  an  antique  Roman  than  a  Dane  (V,  2,  352) 

nennt,  so  bezieht  er  sich  offenbar  auf  den  Gleichmut,  mit 
dem  die  Römer  ein  wertloses  Leben  wegzuwerfen  pflegten. 
So  sagt  auch  Titinius,  als  er  sich  bei  der  Leiche  des  Cassius 
ersticht : 

By  your  leave,  gods:  —  this  is  a  Roman'' s  pari: 
Come,  Cassius'  sword,  and  find  Titinius'  heart. 

Cces.  V,  3,  89. 
Auch  in  Antonio  sieht  man  [appear] 

The  ancient  Roman  honour.  Merch.  III,   2,  297. 

294.  Laertes    will    „seinen  Namen"   ungored  halten   in  dem 
Ehrenhandel   mit  Hamlet  (V,  2,  261).     So    sagt   auch  Achilles: 

My  fame  is  shrewdly  gored.  Troil.  III,  3,  228. 

Ähnlich  gebraucht  findet  sich  auch  das   Wort  in  Lear-. 

Friends  of  ray  soul,  you  Iwain 
Rule  in  this  realm,  and  the  gored  State  sustain. 

Lear  V,  3,  320. 

295.  The  rest  is  silence.  Haml.  V,  2,  369. 
all  the  rest  is  mute.  AWs  II,  3,  83. 

296.  Die  Schlufsworte  des  Fortinbras  lauten: 

Take  up  the  bodies:  such  a  sight  as  this 
Becomes  the  field,  but  here  shovvs  rauch  amiss. 

Haml.  V,  2,  412. 

Dieselbe  Wendung  braucht  Rosalind  von  dem  auf  der  Erde 
liegenden  Orlando: 


44  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

Celia.  There  lay  he,  stretched]  along,  like  a  wounded 
knight. 

Rosalind.  Thought  it  be  pity  to  see  such  a  sight.^  it  well 
becomes  the  ground.  As  III,  2,  255. 

297.  Die    folgenden    Worte   sprechen    den    Gedanken    aus, 
den  Shakspere  in  der  Figur  Hamlets  darstellte: 

to  some  kind  of  men 
Their  graces  serve  them  but  as  enemies. 
No  more  do  yours:  your  virtues,   gentle  master, 
Are  sanctified  and  holy  traitors  to  you. 
O,  what  a  World  is  this,  when  what  is  comely 
Envenoms  him  that  bears  it.  As  II,  3,  10. 


Die  neueste  Schrift  über  die  Zeit  der  Abfassung 


Luthers  Lied:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott. 


Die  alte  Streitfrage,  wann  Luther  sein  Lied:  „Ein  feste 
Burg  ist  unser  Gott"  gedichtet  habe,  darf  jetzt  wohl  als  ent- 
schieden angesehen  M'erden :  wenn  ich  zu  dieser  Entscheidung 
durch  meine  zuerst  an  dieser  Stelle  gegebenen,  dann  in  den 
Sonntagsbeilagen  der  „Neuen  Preufsiechen  Zeitung"  vom  2.  April 
1882  und  vom  12.  bis  26.  Juli  1885  abgedruckten  Ausführungen 
beigetrasen  habe,  so  rechne  ich  mir  dies  keinesweccs  als  Ver- 
dienst  an.  Es  war  meinerseits  eben  nur  ein  glücklicher  Fund, 
welcher  sich  an  die  Besprechung  der  eine  andere  Hypothese  in 
jener  Frage  adoptierenden  Schererschen  „Geschichte  der  deut- 
schen Litteratur"  -anreihte,  und  zwar  lag  dieser  Fund  so  offen 
zu  Tage,  dafs  es  eigentlich  zu  verwundern  ist,  wie  ihn  noch 
kein  anderer  vor  mir  hat  machen  können.  Dafs  Luther,  worauf 
ich  hinwies,  sein  Lied  angesichts  eines  drohenden  Feldzuges 
und  zur  Ermutisuns;  der  Seinio^en  bei  dieser  Gefahr  gedichtet 
habe,  spricht  sich  in  jeder  Zeile  desselben  aus.  Gleich  die 
erste  beginnt  mit  dem  Hinweis  auf  die  feste  Burg,  die  gute 
Wehr  und  Waffe,  deren  sich  die  Evangelischen  bei  dem  Ansturm 
des  übrigens  alten  Feindes  gegen  ihre  Sache  zu  getrösten  hätten. 
So  grofs  die  Macht,  so  grausam  die  Rüstung  desselben,  so  gering 
im  Gegensatz  hierzu  die  Streitkräfte  der  Evangelischen  seien,  so 


*  Vortrag,  gehalten  in  Jer  „Berliner  Gesellschaft  für  das  Studium  der 
neueren  Sprachen"  am  10.  Novbr.  1885. 


iC,       Abfassungszeit  von  Luthers  Lied:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott. 

brauchten  die  letzteren  doch  deshalb  ihre  Sache  keinesweffs  verloren 
zu  geben,  da  für  sie  Jesus  Christus  als  Alliierter  streite,  welcher 
den  Evangelischen  auf  dem  Kampfplätze  mit  jseinem  Geiste  bei- 
stehen und  auf  alle  Fälle  das  Schlachtfeld  behaupten  würde. 
Wie  man  gfegenüber  diesem  hell  wie  der  lichte  Taor  vorliesfcn- 
den  Inhalte  und  Gedankengange  des  Liedes,  den  auch  ältere 
Geschichtschreiber,  die  des  Liedes  Erwähnung  thun,  ein  Chy- 
träus,  Sleidanus  u.  a.  vollkommen  anerkennen,  dem  Verfasser 
ganz  andere,  fern  liegende  Motive,  den  Schmerz  über  den  am 
16.  August  1527  stattgefundenen  Märtyrertod  seines  Freundes 
Leonhard  Kaiser,  die  Angst  vor  der  im  Oktober  desselben  Jahres 
in  Wittenberg  herrechenden  Pest,  oder  gar  die  Sorge  wegen 
der  übrigens  erst  im  nächsten  Frühjahr  bevorstehenden  Entbin- 
dung seiner  Gattin  unterschieben  und  daher  mit  Dr.  K.  F.  Th. 
Schneider  in  der  18.56  erschienenen  Schrift:  „ür.  M.  Luthers 
geistliche  Lieder"  jene  Herbsttage  des  Jahres  1527  als  die  Ent- 
etehungszeit  des  Liedes  annehmen  konnte,  mufs  geradezu  un- 
fafsbar  erscheinen.  Da  Luther  in  seinem  Liede  es  ganz  klar 
ausspricht,  dafa  nicht  nur  ein  mächtiger,  sondern  besonders  auch 
ein  listij^er  Feind  die  Evangelischen  bedrohe,  und  da  der  Aus- 
ruf:  „Das  Wort  sie  sollen  lassen  stahn"  ganz  unzweifelhaft 
beweist,  dafs  jener  Angriff  der  Ausrottung  des  evangelischen 
Bekenntnisses  als  solchen  gelte,  so  lag  es  sehr  nahe,  in 
diesem  Angriffe  jenes  geheime  Bündnis  zu  erkennen,  welches 
Herzog:  Georgr  von  Sachsen  mit  anderen  mächtifjen  katholischen 

CO  o 

Fürsten,  wie  Ferdinand  König  von  Ungarn,  mit  den  Herzögen 
von  Bayern,  dem  Kurfürsten  von  ßiandenburg  und  Mainz,  den 
Bischöfen  von  Salzburg,  Würzburg  und  Bamberg  zur  Be- 
kämpfung der  Evangelischen  geschlossen  haben  sollte.  Der 
ehemalige  Rat  Herzog  Georgs,  Otto  von  Pack,  hatte  dieses 
daher  Packsche  genannte  Bündnis  am  18.  Februar  1528  dem 
Landgrafen  Philipp  von  Hessen  verraten  und  dadurch  nicht  nur 
diesen,  sondern  auch  den  Kurfürsten  von  Sachsen  und  ganz 
Wittenberg,  Luthern  vor  allen,  in  die  gröfste  Aufregung  ver- 
setzt, eine  Aufrenunfj,  welche  das  ganze  Jahr  1528  bis  in  den 
Februar  1529  hinein  dauerte  und  in  dem  Wechsel  leidenschaft- 
licher Kontroversen,  in  welchen  Luther  mit  dem  jenes  Bündnis 
ableugnenden    Herzog    Georg    geriet,     seinen     Höbepunkt    er- 


Abfassungszelt  von  Luthers  Lied:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott.       47 

reichte.*  Da  der  Höhepunkt  jenes  Streites  mit  Herzog  Georg 
in  den  Schlufs  des  Jahres  1528  und  den  Anfang  des  Jahres 
1529  fällt  und  zu  Ostern  1529  das  Joseph  Klugsche  Gesang- 
buch erschien,  in  welchem  nach  allen  unzweifelhaften  Zeugnissen 
das  Lied:  „Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott"  seinen  ersten  Ab- 
druck gefunden  hat,  so  ergab  sich  leicht  für  mich  die  Ver- 
mutung, dafs  Luther  in  jenen  verhängnisvollen  beiden  Monaten 
seinen  Besorgnissen  vor  der  der  evangelischen  Sache  drohenden 
Gefahr  durch  dieses  Lied  Luft  gemacht  habe.  Der  Umstand, 
dafs  gerade  in  seinen  Briefen  aus  dem  Dezember  1528  und  Januar 
1529  sich  die  deutlichsten  wörtlichen  Anklänge  an  jenes  Lied  vor- 
finden, macht  jene  Vermutung  zur  Gewifeheit.  In  dem  Briefe  an 
den  Kurfürsten  Johann  vom  31.  Dez.  1528  nennt  Luther,  worauf 
ich  schon  in  meinem  ersten  Aufsatze  über  diese  Frage  auf- 
merksam gemacht  habe,  den  Herzog  Georg  einen  „Kriegsgörgel", 
einen  „unrugigen  Teufel",  der  „nichts  anderes  denn  Unfried, 
Krieg,  Mord,  Schaden  und  Unglück  suche."**  Aber  das  Toben 
des  Herzogs  und  seiner  Genossen  gegen  die  evangelische  Sache, 
fahrt  Luther  in  jenem  Briefe  fort,  werde  ihnen  nichts  nützen. 
„Es  sey  denn,"  heifst  es  wörtlich  weiter,  „dafs  Jesus  Christus 


*  Der  Umstand,,  dafs  sich  jenes  Bündnis  in  der  That  später  als  er- 
diclitet  herausgestellt  hat,  ändert  in  Bezug  auf  den  Einflufs,  welchen  es  auf 
die  Hervorbringung  unseres  Liedes  hatte,  an  sich  nichts,  da  Luthers  un'l 
der  Seinigen  Besorgnis  vor  der  ihnen  angeblich  bevorstehenden  Gefahr 
genau  ebenso  grofs  waren,  als  ob  jene  thatsächlich  bevorgestanden  hätte. 
Von  Einflufs  ist  die  spätere  Erkenntnis,  dafs  man  es  wirklich  nur  mit  einer 
fingierten  Gefahr  zu  thun  gehabt,  in  Bezug  auf  unser  Lied  nur  insofern  ge- 
wesen, als  diese  spätere  Erkenntnis  dazu  gedient  hat,  die  eigentliche  Ent- 
stehunjiszeit  und  Ursache  desselben  unbewufst  zu  vei'dunkeln.  Es  genierte 
die  Evangelischen  unwillkürlich,  dafs  jenes  im  Laufe  der  Zeit  mehr  und 
mehr  zum  Bannerliede  der  evangelischen  Sache  gestempelte  Lied  nur  eine 
Fiktion  zur  Unterlage  gehabt  haben  sollte.  Man  hat  daher,  wie  die  An- 
gaben von  Schriftstellern  aus  dem  Ende  des  16.  Jahrb.,  eines  Chyträus, 
Sleidan  und  später  eines  Weller  beweisen,  schon  zeitig  angefangen,  jene 
Entstehungsursache  zu  verschieben  und  dieselbe,  da  man  niemals  verkennen 
konnte,  dafs  sie  in  einem  bevorstehenden  Kriege  bestanden  hatte,  auf  die 
Zeit  des  Augsburger  Reichstages  zu  verlegen,  wo,  wie  Sleidan  sagt,  den 
Evangehschen  „horrenda  quEedam  videbatur  imminere  tempestas"  oder,  wie 
Wellers  Worte  sind,  „die  Feinde  des  Evangelii  Luthern  sammt  allen  christ- 
lichen Lehrern  wollten  auffressen." 

**  Beiläufig  bemerkt,  widerlegt  sich  auch  durch  solche  Worte  die  mir 
von  dem  Verfasser  der  neuesten  Schrift  über  die  Packschen  Händel,  Hilar 
Schwarz,  entgegengehaltene  Behauptung,  dafs  die  Evangelischen  Ende  1528 
nicht  mehr  an  einen  Krieg  gedacht  hätten.  (S.  18  der  genannten  Schrift 
vom  Jahre  1884.) 


48       Abfassungszeit  von  Luthers  Lied :  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott. 

nichts  sey,  welchen  sie  verfolgen,  so  solle  ihr  Trotz  mit  Schanden 
ein  Ende  nehmen."  Die  Evangelischen  möchten  den  Teufel 
ruhig  trotzen  und  toben  lassen.  „Müssen  wir  doch,"  heifst  es 
ebenfalls  wörtlich  weiter,  „ohn  das  alle  Stunde  unsern  Leib 
und  Gut,  Ehre  und  Alles  in  die  Fahr  setzen."*  In  dem 
Briefe  an  Joh.  Hefs  vom  31.  Januar  1529  bemerkt  Luther,  bis 
dahin  sei  alles,  was  der  Satan  gegen  ihn  geplant  habe,  nur 
Spiel  und  Scherz  gewesen:  nun  aber  wüte  und  tobe  er  ernst- 
haft („mit  Ernst  er's  jetzt  meint").  Da  Luther  gerade  in  die- 
sen letzten  Tagen  des  Januar  1529  von  dem  sich  damals  in 
Kassel  aufhaltenden  Otto  von  Pack  einen  Brief  und  expressen 
Boten  erhielt,  welche  jenes  inzwischen  von  den  betreffenden 
katholischen  Fürsten  abgeleugnete  Bündnis  nochmals  bestätigen 
und  die  ganze  Gröfse  der  Gefahr  desselben  Luthern  vor  Augen 
halten  sollten  (siehe  Walchs  Ausgabe  von  Luthers  Werken 
Bd.  XVI,  S.  520),  so  nehme  ich  an,  dafe  unter  dem  Eindruck 
dieser  persönlichen  Schilderungen  Luther  jenes  sein  Heldenlied 
zum  Tröste  der  Seinigen  und  zur  Abwehr  gegen  jene  Bedro- 
hungen in  eben  diesen  Tagen  gedichtet  habe.  Eine,  wie  ich 
denke,  unzweifelhafter  durch  die  Natur  der  Verhältnisse  und  den 
Wortlaut  des  Liedes  begründetere  Annahme  als  jene  Schneider- 
sche,  dafs  Luther,  bedrückt  von  dem  Kummer  wegen  des  Todes 
eines  Freundes  und  den  betreffenden  intimen  Familiensorgen, 
am  1.  November  1527  zu  seinem  Psalterbuche  gegriffen  und 
in  der  Paraphrase  des  46.  Psalms  Trost  dafür  gesucht  habe. 

Den  Widerspruch,  welchen  diese  gutgemeinte,  aber  sicher- 
lich äufserst  willkürliche  Schneidersche  Annahme  von  Anfang 
an  bei  allen  hymnologischen  Autoritäten,  wie  Ph.  Wackernagel, 
Geffcken,  A.  Fischer  u.  a.  gefunden  hatte  und  bei  jedem  Un- 
befangenen immerdar  finden  wird,  konnte  die  bibliographische 
Stütze,  welche  der  gegenwärtige  Herausgeber  von  Luthers  Wer- 
ken, Pastor  Knaake  in  Drakenstedt,  im  ersten  Hefte  der  Lut- 
hardtschen  Zeitschrift  für  kirchliche  Wissenschaft  und  kirch- 
liches Leben  vom  Jahre  1881  ihr  zu  geben  versuchte,  nicht  be- 


*  „Die  Not",  die  Luther  zunächst  persönlich  „betroffen",  ist  die  schwere 
Bedrängnis,  in  welche  ihn  die  heftige  Anklage  versetzt  hatte,  welche  Herzog 
Georg  bei  seinem  Landesherrn  wider  ihn  erhoben  hatte  und  fiir  welche  eben 
dieser  Brief  ein  beredtes  Zeugnis  ist. 


Abfassungszeit  von  Luthers  Lied :  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott.       49 

seitiffen.  Es  geschah  dies  mit  Bezugnahme  auf  ein  in  Knaakes 
Besitze  befindliches  defektes  „Enchiridion",  in  dem  sich  das 
Lied:  „Ein  feste  Burg"  ebenfalls  findet.  Um  aus  diesem  Um- 
stände das  Abfassungsjahr  dieses  Liedes  zu  ermitteln,  mufste 
Knaake  zu  den  allergewagtesten  und  unsichersten  Schlüssen 
seine  Zuflucht  nehmen.  Weil  in  dem  Knaakeschen,  infolge 
seines  defekten  Zustandes  jeder  Angabe  von  Jahr,  Ort  oder 
Officin  des  Drucks  entbehrenden  Enchiridion  ein  initiales  D  auf 
der  Rückseite  des  Titels  mit  dem  initialen  D  in  einem  Drucke 
Michael  Blums  zu  Leipzig  vom  Jahre  1533  übereinstimmte, 
daraus  (von  ein  paar  anderen  belanglosen  Ähnlichkeiten  ab- 
gesehen) schlofs  der  sonst  so  umsichtige  Eorscher,  dafs  sein 
Büchlein  von  demselben  Drucker  und  zwar,  mit  Rücksicht  auf 
einen  anderen  gleich  zu  erörternden  Umstand,  dafs  es  im  Jahre 
1528  oder  Anfang  1529  von  demselben  gedruckt  worden  sei! 
Ich  habe  schon  in  einem  der  oben  erwähnten  Aufsätze  nachge- 
wiesen, dafs  dies  ein  Ding  der  Unmöglichkeit  sei.  In  Leipzig 
ist  während  der  tyrannischen  Regierung  Herzog  Georgs,  von 
Anfang  der  zwanziger  Jahre  an  bis  zu  seinem  1539  erfolgten 
Tode  überhaupt  kein  evangelisches  Buch,  weder  ein  Luthersches 
Neues  Testament  noch  ein  Luthersches  Gesangbuch  gedruckt 
worden.  Herzog  Georg  hatte  dies  bei  den  schwersten  Leibes- 
und Vermögensstrafen  verboten  und  setzte  seinen  Willen  mit 
eiserner  Strenge  durch:  einem  Nürnberger  Buchhändler  Johann 
Herrgott  wurde,  wie  uns  Panzer  in  seiner  Geschichte  der  römisch- 
katholischen deutschen  Bibelübersetzung  S.  33  erzählt,  zu  Leip- 
zig der  Kopf  abgeschlagen,  nur  weil  er  lutherische  Bücher  nach 
Leipzig  gebracht  hatte.  Unter  einem  solchen  Regiment,  bei  so 
drohenden  Gefahren  konnte  kein  Leipziger  Buchhändler  unter 
den  Augen  des  Herzogs  selbst  es  wagen,  ein  Luthersches  Ge- 
sangbuch zu  drucken  und  herauszugeben,  am  wenigsten  in  der 
Zeit  von  1528  bis  1529,  wo  der  Ingrimm  des  Herzogs  gegen 
Luther  infolge  der  Beschuldigungen  des  letzteren  wegen  der 
Teilnahme  des  Herzogs  an  dem  Packschen  Bündnisse  die  höchste 
Höhe  erreicht  hatte!  Man  lese  die  wutschnaubende  Vorrede 
des  Herzogs  zu  dem  Emserschen  Testamente  vom  1.  August 
1528  nach,  um  die  ganze  Haltlosigkeit  einer  solchen  Annahme 
zu  erkennen.    In  dieser  Vorrede  beschuldigt  der  Herzog  Luthern, 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXY,  ■i 


50       Abfassungszeit  von  Luthers  Lied:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott. 

sich  „aufgelehnt  zu  haben  wider  die  Häupter  der  heiligen  christ- 
lichen Kirche  und  alle  geistliche  und  weltliche  Obrigkeit  nicht 
allein  mit  Murmeln  und  Rebellion,  sondern  auch  mit  unerhörten 
Injurien  und  Schmachworten,  also  dafs  sein  Mund  wohl  genannt 
werden  möge  der  Mund  der  Bestien,  von  welcher  Johannes 
schreibet  in  seiner  Offenbarung  am  dreizehnten" !  Der  Herzog 
erklärt  daher,  dafs  er  „geneigt  sei,  Luthers  und  der  anderen 
falsch  genannten  Evangelischen  Prediger  betrieglich  Lehr,  Pre- 
digt und  Schriften  in  seinen  Landen  zu  dämpfen."  Wie  gründ- 
lich dem  Herzoge  dies  „Dämpfen"  gelungen  ist,  beweist  die 
Thatsache,  dafs,  während  in  Städten  wie  Wittenberg,  Erfurt, 
Zwickau,  Strafsburg  die  Lutherschen  Neuen  Testamente  und 
Enchiridia  massenhaft  so  zu  sagen  aus  der  Erde  schössen,  von 
Leipzig  uns  aus  jener  Zeit  nicht  ein  einziges  bekannt  oder  in 
den  so  genauen  und  vollständigen  Verzeichnissen  bei  Panzer, 
Ph.  Wackernagel  und  Goedeke  zu  finden  ist.  Allerdings  wurde 
im  Jahre  1529  ein  Gesangbuch  in  Leipzig  gedruckt,  aber  ein 
katholisches;  der  Herausgeber  und  Drucker,  eJakob  Thanner, 
bekämpft  in  der  Vorrede  auch  seinerseits  die  evangelische  Sache 
(er  sagt,  „Luder"  spiele  mit  Bapst,  Kaiser  und  Königen)  auf 
das  heftigste.  Michael  Blum  selbst  druckte  in  jenen  Jahren  die 
Schriften  der  grimmigsten  Gegner  Luthers.  1534  erschien  bei 
ihm  eine  Abhandlung  „Von  der  heyligen  Mefs"  von  Jo.  Coch- 
leus  und  in  demselben  Jahre  ein  „Lobgesang  auff  des  Luthers 
Winckel  Messe"  vom  Abt  zur  Alten  Zell.  Mit  Gefahr  Lei- 
bes und  Lebens  in  jener  Zeit  ein  Luthersches  Gesangbuch 
nachzudrucken,  dazu  war  er  wie  seine  Kollegen  alle,  wie 
sich  Jakob  Thanner  in  den  Kolophons  seiner  Schriften  zu 
nennen  pflegt,  viel  zu  „vorsichtige  Männer"!  Herrn  Pastor 
Knaake  scheint  dieses  Bedenken  auch  nicht  ganz  entgangen  zu 
sein.  Während  aber  jeder  gewöhnliche  Mensch  daraus  den 
Schlufs  gezogen  hätte,  dafs  eben  jenes  sein  Enchiridion  trotz 
der  Ähnlichkeit  des  einzigen  Initialbuchstabens  mit  dem  Michael 
Blumschen  Drucke  unmöglich  aus  Leipzig  stammen  könne, 
findet  H.  Knaake  ganz  im  Gegenteil  darin  eine  neue  wertvolle 
Eigenschaft  seines  Büchleins,  auf  welches  er  einmal  geneigt  ist, 
die  seltensten  Qualitäten  zu  häufen.  Es  sei  eben  „der  einzige 
Fall  eines  Leipziger  Nachdruckes  evangelischer  Lieder  zu  dem 


Abfassungszeit  von  Luthers  Lied :  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott.        51 

Zeiten  Herzog  Georgs,  welcher  bekannt  geworden  und,  eines 
Beweises  dafür,  dafs  dessen  Wüten  gegen  den  Reformator  die 
reformatorische  Bewegung  in  seinen  Landen  nicht  zu  untei'- 
drücken  vermocht  habe."  Liebe  macht  bekanntlich  blind,  aber 
es  gehört  doch  die  ganze  Verliebtheit  eines  Sammlers  in  ein 
seltenes  Büchlein  dazu,  diese  aller  Wahrscheinlichkeit  schnur- 
stracks widersprechende,  geradezu  umgekehrte  Schlufsfolgerung 
zu  ziehen.  Wunderbar  ist  es,  dafs  umsichtige  Forscher  wie 
Köstlin  und  Scherer  sich  dieser  seltsamen  Folgerung  auch  nur 
einen  Augenblick  anschliefsen  konnten.  Der  letztere  beabsich- 
tigte, wie  es  heiff«t,  sogur  jenes  Enchiridion  in  die  unter  seiner 
Leitung  von  der  hiesigen  Groteschen  Verlagsbuchhandlung  her- 
auszugebenden Faksimiles  älterer  kostbarer  Druckwerke  aufzu- 
nehmen. Ich  möchte  davon  entschieden  abraten :  jenes  famose 
Knaakesche  Enchiridion,  ich  wiederhole  es,  ist  nicht  „der  ein- 
zige bekannte  Fall  eines  Leipziger  Druckes  evangelischer  Lieder 
aus  jener  Zeit",  es  ist  nicht  der  erste  noch  vorhandene  Druck 
des  Liedes :  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott"  —  es  ist  weiter 
nichts  als  eine  der  wunderlichsten  Spukgestalten,  welche  jemals 
irreführend  durch  die  Gefilde  der  deutschen  Wissenschaft  ge- 
wandelt sind. 

Der  Schlufs  seines  Besitzers,  dafs  es  diesen  ersten  Druck 
unseres  Liedes  enthalte  und  dafs  es  Ende  1528  oder  Anfang 
L529  gedruckt  sein  müsse,  ist  womöglich  noch  phantastischer 
als  jener  andere,  dafs  es  aus  Leipzig  aus  Michael  Blums  Officio 
stamme.  Dieser  zweite  Schlufs  basiert  darauf,  dafs  ein  Witten- 
berger Buchhändler  Georg  Rhaw  einmal  an  einen  Magister 
Stephan  Roth  zu  Zwickau  in  einem  eilend  aus  Wittenberg 
Montag  nach  Septuagesima  1528  datierten  Briefe  berichtet  hat, 
der  dortige  Buchdrucker  „Hans  Weysse  drucke  das  Sang- 
büchlein". Als  ob  dieses  vielleicht  nur  projektierte  Sang- 
büchlein,  von  dem  sonst  nirgends  in  der  Welt  weiter  die 
allergeringste  Spur  aufzuweisen  ist,  überhaupt  zu  stände  ge- 
kommen sein  müsse!  Als  ob  es,  wenn  dies  selbst  der  Fall  ge- 
wesen, notwendig  ein  geistliches  Gesangbuch  gewesen  sein 
müsse,  wie  schon  Ph.  Wackernagel  gefragt  hat.  War  der  Name 
Sangbüchlein  und  Gesangbuch  doch  damals  für  weltliche  Lieder- 
bücher  der  ganz  gewöhnliche!     Hans  Sachs    berichtet   z.  B.    in 


52       Abfassungszeit  von  Luthers  Lied:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott. 

der  „Summa  seiner  Gedicht"  vom  Jahre  1567,  dafs  eine  ge- 
wisse, von  ihm  aufgeführte  Zahl  seiner  Lieder  enthalten  ge- 
wesen sei  „in  der  sechzehn  Gesangbücher  summ",  wo  unter 
diesen  „Gesangbüchern"  doch  eben  ganz  klar  nur  weltliche  zu 
verstehen  sind.  Abgesehen  davon,  'dafs  es  sehr  unwahrschein- 
lich ist,  worauf  Ph.  Wackerna^el  ebenfalls  schon  aufmerksam 
gemacht  hat,  dafs  der  Druck  eines  geistlichen  Gesangbuches 
im  Jahre  1528  zu  Wittenberg,  falls  er  auch  wirklich  beabsich- 
tigt war,  zu  Stande  gekommen  sein  sollte,  da  Ostern  1529  das 
bekannte  Joseph  Klugsche  erschien,  welches  nach  so  kurzer  Zeit 
gewifs  nicht  schon  wieder  erforderlich  gewesen  wäre.  Und  von 
diesem  völlig  problematischen,  so  zu  sagen  in  der  Luft  schwe- 
benden Hans  Weysseschen  „Sangbüchlein"  soll  das  Michael 
Blurasche,  welches  zu  Leipzig  gedruckt  worden  sein  soll,  als 
schlechterdings  kein  evangelisches  Gesangbuch  dort  gedruckt 
werden  konnte,  eine  Kopie  sein! 

Herr  Pastor  Knaake  hat  sich  wohl  inzwischen  von  der 
gänzlichen  Hinfälligkeit  aller  dieser  Trugschlüsse  selbst  über- 
zeugt. Er  hat  seit  jenem  erwähnten  Aufsatze  in.  der  Luthardt- 
schen  Zeitschrift  vom  Jahre  1881  kein  Wort  wüeder  über  die 
Frage  verloren,  ebenso  wie  K.  F.  Th.  Schneider  sich  völlig 
einer  weiteren  Befürwortung  jener  seiner  Annahme  von  der  an- 
geblichen Abfassung  unseres  Liedes  am  1.  November  1527  ent- 
halten hat.  Es  ist,  wie  gesagt,  Ruhe  in  der  Frage  eingetreten, 
in  dem  Bewufstsein,  wie  ich  hoffen  darf,  dafs  mit  meinem  Nach- 
weise der  Abfassung  des  Liedes  Anfang  1529  aus  Anlafs  der 
Befürchtungen  wegen  des  Packschen  Bündnisses  die  Sache  end- 
gültig  entschieden  sei. 

Nur  ein  Streiter  hat  sich  bemüfsigt  gefunden,  in  die  leer 
und  still  gewordenen  Schranken  herabzusteigen  und  den  aus- 
gefochtenen  Kampf  wieder  aufzunehmen,  dafür  aber  auch  ein 
sehr  hitziger  und  kampfbegieriger  Streiter,  welcher,  da  es  eben 
nichts  mehr  auszufechten  giebt,  blind  in  die  Luft  hineinfuchtelt 
und  haltungs-  und  richtunsfslos  nach  allen  vier  Windrosen 
herumgaloppiert.  Es  ist  dies  der  Archidiakonus  Johannes  Linke 
in  Altenburg.  Zuerst  bewies  der  hitzige  Herr  seinen  Kampfes- 
raut  in  einer  gelegentlich  des  Lutherjubiläums  im  Jahre  1883 
herausgegebenen   lateinischen    Schrift:    „Megalandri    D.  Martini 


Abfassungszeit  von  Luthers  Lied:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott.       53 

Lutherl  canticum  canticorum  ex  psaimo  46.  depromptum  ger- 
rnanice,  ebraice,  grsece,  latiiie  etc.  edidit  Joannes  Linke.  Alten- 
burgi  anno  1883."  Und  zwar  hatte  er  gerade  mich  zur  Zielscheibe 
seiner  Angriffe  in  dieser  Schrift  ausersehen,  weil  ich  in  jenem 
meinem  ersten  Vortrage  die  Vermutung  aufgestellt  hatte,  das 
vielbesprochene  Knaakesche  Enchiridion  möchte  wohl  nichts 
weiter  sein  als  eine  spätere  Ausgabe  des  von  Ph.  Wackernagel 
S.  466  seiner  „Bibliographie  des  deutschen  Kirchenliedes"  be- 
schriebenen, als  Unikum  in  der  Dresdener  Hofbibliothek  auf- 
bewahrten Zwickauer  Enchiridions  vom  Jahre  1528.  Der  um- 
sichtige Forscher  Herr  Linke,  welcher  im  stände  ist,  den  Druck 
eines  evangelischen  Gesangbuches  zu  Leipzig  Avährend  jener 
Zeit  der  schlimmsten  Tyrannei  Herzog  Georgs  eine  über  allen 
Zweifel  erhabene  Thatsache  zu  nennen  (das  Knaakesche  Büch- 
lein ist  ihm  ein  exemplar  haud  dubie  Lipsiense),  ist  über 
jene  meine  Annahme  geradezu  sittlich  empört  und  ergeht  sich, 
während  der  ganze  Streit  sonst,  wie  es  seiner  Natur  entspricht, 
ruhig  und  leidenschaftslos  geführt  wurde,  in  den  beleidigendsten 
Ausdrücken  gegen  mich.  Offen  gestanden !  ich  hege  jene  ver- 
brecherische Vermutung,  dafs  Knaakes  Büchlein  eine  spätere 
Ausgabe  des  Zwickauer  Enchiridions  von  1528  sei,  noch  jetzt 
und  ich  habe  meine  guten  Gründe  dazu.  Erstens  stimmt  der 
Titel  beider  Büchlein  Wort  für  W^ort  überein:  eine  sonst  da- 
mals und  zu  jeder  Zeit  bei  Büchern,  welche  von  verschiedenen 
Verlegern  an  verschiedenen  Orten  herausgegeben  waren,  uner- 
hörte Thatsache!  Der  Titel  jenes  Zwickauer  Enchiridions  vom 
Jahre  1528  lautet:  „Enchiridion  geistlicher  gesenge  vnd  Psalmen 
für  die  leyen,  mit  viel  andern  denn  zuvor  gebessert.  Sampt 
der  Vesper  durch  die  gancze  wochen  auflf  einen  iczlichen  tag, 
Metten  Complet  vnd  Messe."  Wort  für  Wort  und  Silbe  für 
Silbe  ist  dies  nach  Knaakes  eigener  Beschreibuns;  auch  der 
Titel  seines  defekten  Büchleins,  nur  dafs  darin  die  Zeile:  „durch 
die  gancze  wochen  auf!  einen  iczlichen  tag"  weggeblieben  ist. 
In  der  alten,  in  beiden  Enchiridien  abgedruckten  Vorrede  Luthers 
zu  seinem  Wittenberger  Gesangbüchlein  hat  das  Zwickauer  zu 
den  Worten:  „Vnd  sind  dazu  auch  ynn  vier  stymrae  bracht" 
den  Zusatz:  „wie  denn  zu  Wittenberg  ym  MDXXV  ausgan- 
gen."    Genau  diesen  selben  Zusatz    hat  das  Knaakesche  Buch. 


54       Abfassungszeit  von  Luthers  Lied:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott. 

Die  dann  folgenden,    dem  Wittenberger    Gesangbuch    von  1524 
entnommenen    Gesänge    haben    allerdings    in    dem    Knaakeschen 
Büchlein  eine  andere  Reihenfolge  als  in  jenem  Zwickauer.    Der 
Schlufs    beider    Gesangbücher    stimmt    aber    wieder    wesentlich 
überein.   Beide  enthalten:  „Die  deudsche  Vesper",  „die  deudsche 
Complet",  ..die  deudsche  Metten",  darauf  eine  Prosaübersetzung 
des  Te  Deum  laudamus,  „die  Ordnung  der  deudschen  Mefs",  end- 
lich eine  „Christliche  weise  zu  beichten,  eim  Priester  odder  sonst 
eim  Christenmenschen."     Das  Ende    macht  in  beiden  das  „Re- 
gister des  Büchleins".     Meine  Annahme,    dafs    beide  Bücher  in 
dem  Verhältnis    wie    eine  frühere    und    spätere  Ausgabe    zuein- 
ander stehen  dürften,  ist  doch,  meine  ich,  damit  vollauf  gerecht- 
fertigt.    Der  Herr  Archidiakonus  Linke    beschuldigt    mich  aber 
deshalb  einer  nimia  audacia,    —    das    wäre    noch  das  wenigste! 
Meine  Ansichten  sind  weiter  nichts  als  somnia  und  vana  judicia, 
und    ich  bringe  dieselben    in   einer    rücksichtslosen    und    stolzen 
Ausdrucksweise  vor,    nuda    ac    superba    dictione!     Ganz    aufser 
sich  vor  Verwunderung  ist  der  geistliche  Herr,    dafs    noch  nie- 
mand   einem  solchen  Menschen,    wie    ich,    gebührend    entgegen- 
getreten sei.     „Nescio   quid    sit  cur  nemo  adhuc  viro  tali  vitrea 
suppellectile    arraato     (was    mag    das    für    gläsernes    Hausgerät 
sein?)  pro  merito  responderit !"    Wenn  dies,  wie  man  zugestehen 
wird,  Ausdrücke  eines  stark  entrüsteten  Gemütes  sind,  so  gerät 
der    Herr  Archidiakonus    über    meine   letzten,    im   Juli  1885    in 
den  Sonntagsbeilagen    der  „Kreuzzeitung"  veröffentlichten   Auf- 
sätze,   in    welchen    ich    meine  verschiedenen  Gegner,    also   auch 
ihn  Revue  passieren  liefs,  völlig  aus  dem  Häuschen.    Dafs  ich, 
ein    „Berliner    Zeitungsschreiber    und    Theaterreferent",    einem 
„Altenburger  Archidiakonus"  habe  widersprechen  und  seine  In- 
vektiven  zurückweisen  können,    geht  ihm  über  den  Spafs.     Be- 
sonders bringt  es  sein  Blut  in  Wallung,  dafs  ich  hervorgehoben 
hatte,    das    besagte  Knaakesche  Enchiridion    sei  gar  kein  neuer 
„glücklicher    Fund",    wie    es    z.  B.   W.  Scherer    in    seiner  „Ge- 
schichte   der    deutschen    Litteratur"    bezeichnet,    vielmehr    schon 
seit  fünfzehn  Jahren  in  Knaakes  Besitze,  und  dieser  sei  nur  in 
einer  unglücklichen  Stunde    auf  den  Einfall    gekommen,    daraus 
etwas    über   die   Entstehungszeit    unseres    Liedes    beweisen    zu 
wollen.      „Solche    Kindlichkeiten,"    bemerkt    er    (ich    hatte    mir 


Abfassangszfit  von  Luthers  Lied:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott.       55 

darüber  allerdings  einige  unschuldige  Scherze  erlaubt),  „machen 
die  Aufsätze  des  Berliner  Theaterreferenten  höchst  widerlich." 
Nun  —  Theaterreferent  und  Zeitungsschreiber  oder  nicht!  Es 
kann  doch  nicht  jeder  Archidiakonus  in  Altenburg  werden,  und 
schliefslich  kommt  es  bei  der  Entscheidung  solcher  Fragen 
weniger  darauf  an,  welche  Stufe  man  auf  der  Leiter  der  raengch- 
lichen  Rangverhältnisee  einnimmt,  als  vielmehr  was  für  Gründe 
man  für  seine  Sache  vorbringt.  Um  auch  witzig  zu  sein,  fragt 
Herr  Linke,  ob  ich,  weil  ich  bei  meinen  Untersuchungen  wie- 
derholt auf  ältere  Autoritäten  wie  Wackernagel,  GefFcken  u.  a. 
rekurriert,  meine  Waffen  etwa  aus  „Hünengräbern"  hervor- 
geholt habe.  Auf  Rügen  habe  ich  den  Sommer  dieses  Jah- 
res allerdings  verlebt,  allein  nach  Waffen  gegen  den  Herrn 
Archidiakonus  habe  ich  in  den  dortigen  Hünengräbern  nicht 
gesucht,  wenn  ich  auch  sehr  erfreut  war,  bei  meiner  Rückkehr 
von  dort  im  August  in  dem  vom  15.  Juli  datierten  Hefte  der 
jetzt  von  Herrn  Linke  in  aller  Stille  herausgegebenen  „Blätter 
für  Hymnologie"  die  Annonce  zu  lesen,  dafs  derselbe  eine  neue 
„historisch-kritische  Untersuchung"  über  die  Abfassung  des 
Liedes  „Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott"  unter  der  Presse  habe. 
Eine  noch  lebhaftere  Freude  gewährte  es  mir  freilich,  aus  dem 
Augustheft  derselben  Zeitschrift  zu  ersehen,  wie  der  Wackere 
sich  einbildet,  meine  Ende  April  aufgeschriebenen  und  Anfang 
Mai  der  Redaktion  der  „Neuen  Preufs.  Ztg."  zum  Abdruck 
übergebenen,  übrigens  schon  vor  anderthalb  Jahren  an  dieser 
Stelle  skizzierten  Ausführungen  seien  durch  jene  seine  im  Anzug 
befindliche,  zum  erstenmal  Ende  Juli  annoncierte  „historisch- 
kritische Untersuchung"  veranlafst  worden! 

Noch  begieriger  mufste  ich  auf  diese  neue  Schrift  Herrn 
Linkes  sein,  da  er  in  jenen  Bemerkungen  im  Augustheft  der 
„Blätter  für  Hymnologie"  die  mir  sehr  zur  Genugthuung  ge- 
reichende Erklärung  abgiebt :  „In  meinem  angekündigten  Werke 
erkläre  ich,  dafs  ich  die  ganze  Vorrede  meiner  Lutherschrift 
(jenes  oben  angeführte  Opus :  ,Megalandri  Lutheri  etc.'),  soweit 
sie  für  das  Jahr  1528  eintritt,  ad  acta  lege,  mich  derselben 
entäufsere  und  dafür  eine  eigene  neue  Hypothese  substituiere." 
Ein  Widerruf  in  besserer  Form  läfst  sich  gar  nicht  denken. 
In  der  That  hält  die  neue,  jetzt  endlich  erschienene  Schrift  jenes 


56        Abfassungszeit  von  Luthers  Lied:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott. 

Vereprechen.*     Ja  sie  thut  noch  mehr.     Die  früher  mit  solcher 
Leidenschaftlichkeit     von     Herrn    Linke     verteidigte    Annahme 
Knaakes,  dafs  sein  Enchiridion  ein  Leipziger  Druck  sei,    diese 
nach   Herrn  Linke  über  jeden  Zweifel  erhabene  Thatsache  wird 
infolge  meiner  Ausführungen  auf  einmal  von  ihm  fallen  gelassen 
und  für  gleichgültig  erklärt.    „Mag  das  Knaakesche  Enchiridion 
ein  Druck  Blums  sein  oder  nicht,    mag   es    meinetwegen  keiner 
sein  — "    heifst   es    S.   48.     „Als    ob    der    Kern    der    Frage    an 
dem  Leipziger  Buchdrucker    zu    suchen    wäre!''    ruft   er    auf 
der  folgenden  Seite  aus.     Die  mir  früher  von  Herrn  Linke  zum 
Verbrechen  angerechnete  Vermutung,  dafs  das  Knaakesche  Büch- 
lein eine  spätere  Auflage  des  Zwnckauer  Enchiridions  von  1528 
sein  dürfte,  wird  auf  einmal  von  Herrn  Linke  für  nicht  unwert 
der  Erörterung  gehalten.     „Zunächst,"  bemerkt  er  selbst  S.  33, 
„könnte  es  scheinen,  als  ob  es  eine  spätere  Auflage  des  Zwickauer 
Enchiridions    von  1528  wäre,    mit    dem    es   bis   auf  die   Worte: 
, durch    die   gancze    wochen    auff    einen   iczlichen    tag'    gleichen 
Titel  hat."     Abgelehnt    wird    diese  Annahme   nur    mit    der  Be- 
hauptung,   dafs    beide  Bücher    einen    im    übrigen    durchaus  ver- 
schiedenen Inhalt  hätten,    was  keineswegs  der  Fall  ist,    wie  ich 
oben  gezeigt  habe.    Alle  diese  Dinge,  meint  Herr  Linke,  gingen 
ihn  jetzt  nicht  mehr   so    viel    an,    „da    er    nicht    mehr    zur 
Fahne    dieser  Herren    (nämlich    Schneiders    und    Knaakes) 
schwöre,  sondern  seine  eigenen  Wege  wandere."    S.  49.     Das 
Mifsbehagen,    welches   durch    diesen  Abfall  des  ehemals  für  sie 
80  begeisterten  Altenburger  Archidiakonus  auf  Seiten  der  beiden 
genannten  Herren  hervorgerufen  werden  sollte,  wird  weit  über- 
wogen werden  durch  die  Heiterkeit,    welche    bei  ihnen  und  auf 
der    ganzen    Linie    der    ernsthafteren    Hymnologen    ausbrechen 
wird,    wenn    sie    hören,    was    das    nun    für    selbständige 
W^ene  sind,  welche  Herr  Linke  wandelt.     Was  für  eine  An- 
sieht  man  schon  jetzt  in  wissenschaftlichen  Kreisen  über  Herrn 
Linke  als  Hymnologen  hegt,    davon  giebt  eine    in    der  neuesten 
Nummer  der  „Theologischen  I^itteraturzeitung"  (Nr.  21  d.  J.)  ent- 

*  Sie  führt  den  Titel:  „Wann  wurde  das  Lutherlied:  ,Ein'  feste  Burg 
ist  unser  fiott',  verfafst?  Historisch-liritische  Untersuchung  von  D.  Johannes 
Linke.  Leipzig,  Buchhandlung  des  \  ereinshauses,  1886.  192  S.  8.  Preis 
3  Mark." 


Abfassungszeit  von  Luthers  LieJ:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott.       57 

haltene  sehr  gründliche  und  eingehende  Besprechung  seines  vor 
anderthalb  Jahren  bei  Velhagen  &  Klasing  in  Leipzig  erschie- 
nenen Versuches  einer  Übersetzung  der  Hymnen  des  Hilarius 
und  Ambrosius  einen  hellen  Beweis.  Der  Verfasser  dieser  Re- 
cension,  Wilhelm  Brandes  aus  Braunschweig,  erklärt  die  Linke- 
sche Hymnenübersetzung  für  das  „a  nmafslichs  te  und  dabei 
wertloseste  Machwerk,  das  seit  Jahren  auf  diesem  viel- 
mifshandelten  Grenzgebiete  der  Theologie  und  Philologie  ans 
Licht  getreten  sei."  Man  müsse,  sagt  der  Referent,  Herrn  Linke 
um  so  offener  diese  Wahrheit  sagen,  als  sich  bei  ihm  eine  Un- 
fähigkeit mit  einer  Überhebung  paare,  welche  Schlimmes  leiste, 
Schlimmeres,  ja  Schlimmstes  in  Aussicht  stelle.  Doppelt  werde 
man  dazu  aufgefordert  durch  die  Art,  wie  Linke  seine  Vor- 
gänger, die  er  freilich  gleichwohl  „in  voller  Bruderliebe  be- 
grüfst",  hoch  von  der  Kanzel  herab  schulmeistere,  vornehmlich 
durch  den  Ton,  mit  dem  er  den  ehrwürdigen  Schatzgräber 
mittelalterlicher  Vergangenheit,  Karl  Simrock,  wie  einen  Schul- 
buben  zurechtweise."  Der  Referent  weist  sodann  nach,  dafs 
Linke  kein  Latein  verstehe,  am  wenigsten  das  Latein  der  alten 
Hymnendichter,  und  dafs  er  die  Situationen,  aus  denen  jene 
Lieder  hervorgegangen  sind,  und  den  Geist,  der  aus  ihnen 
spricht,  wiederholt  gröblich  verkannt  habe.  Zum  Beweise  seiner 
Kenntnis  des  Lateinischen  führt  Herr  Brandes  Linkes  Über- 
setzung der  Stelle :  Aurora  cursus  provehit,  aurora  totus  pro- 
deat  in  patre  totus  filius!  in  dem  Ambrosianischen  Hymnus: 
Splendor  paternje  gloriaj  (S.  34  u.  35  seines  Buches)  an.  Linke 
übersetzt:  „Die  Röte  naht  in  raschem  Lauf,  o  Morgen,  zeuch 
nun  voll  herauf!  Im  Vater  haben  wir  den  Sohn."  — 
„Aurora  totus!"  „Ist  es  nicht,"  fügt  Brandes  hinzu,  „als  höre 
man  den  seligen   Samuel  Lange  von  Laublingen  reden!" 

Die  Hypothese,  zu  welcher  sich  Herr  Linke  hinsichtlich 
der  Entstehungszeit  des  Liedes  „Ein  feste  Burg"  jetzt  verirrt, 
läfst  sich  nur  erklären  durch  das  Verlangen,  dafs,  nachdem  so 
verschiedene  Männer  Hypothesen  über  die  Entstehung  des  Liedes 
aufgestellt  haben  (der  Besprechung  derselben  ist  die  erstere 
gröfsere  Hälfte  seiner  Schrift  bis  S.  108  gewidmet),  auch  er, 
der  Altenburger  Archidiakonus,  Doktor  der  Theologie  und 
Herausgeber  der  „Blätter  für  Hymnologie",  seine  Hypothese  für 


58       Abfassungszeit  von  Luthers  Lied:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott. 

sich  haben  müsse,  ähnlich  jenem  kleinstaatlichen  Landesvater, 
der  schlechterdings  seine  eigene  Eisenbahn  haben  wollte.  Das 
Verfahren,  welches  Linke  nun  einschlägt,  um  zu  einer  solchen 
eigenen  Hypothese  zu  gelangen,  ist  ein  geradezu  horrendes. 
Verführt  hat  ihn  dazu  unschuldigerweise  ein  ganz  verständiger 
Eat,  welchen  Prof.  Achelis  in  Marburg  in  seiner  als  Osterpro- 
gramm  der  dortigen  Universität  vom  Jahre  1884  veröffentlichten 
Schrift:  „Die  Entstehungszeit  von  Luthers  geistlichen  Liedern" 
unter  Anerkennung  von  meinem  und  dem  Schneiderschen  Ver- 
fahren gegeben  hat,  indem  auch  er  meint,  die  Entstehungszeit 
jener  Lieder  lasse  sich  nur  aus  den  jedesmaligen  Lebens- 
umständen des  Verfassers  erraten,  Demgemäfs  erklärt  Herr 
Linke  nun  S.  109  seiner  Schrift:  „Es  gilt,  aus  allen  Wer- 
ken Luthers  eine  Zusammenstellung  von  Anklängen  (an  das 
Lied:  ,Ein  feste  Burg  u.  s.  w.')  herzustellen,  das  crescendo 
dieser  Anklänge  zu  verfolgen,  bis  ein  fortissimo  eintritt,  das 
nicht  mehr  aufhört,  in  kein  decrescendo  zurückfällt."  (Gleich- 
zeitig eine  Stilprobe  des  Verfassers!)  Wie  einer,  der  mit  aller 
Gewalt  invita  Minerva  etwas  erzwingen  will,  hat  also  Linke,  wie 
er  auf  derselben  Seite  wörtlich  bekennt,  „Luthers  Schriften 
durchgesehen  und  Stimmungs-,  Sach-  und  Verbalanklänge  zu 
Tausenden  gesammelt,  chronologisch  geordnet  und  übersehen. 
Wenn  er  dieselben  alle  zum  Abdruck  bringen  wolle,  so  würde 
diese  seine  Schrift  ein  mehrbändiges  Werk  werden!"'  (Der 
Himmel  bewahre  uns  davor!)  Natürlicherweise  sind  es  nur  eben 
allgemeine  \A^endungen  von  der  Wut  des  Teufels,  der  Gefahr, 
welche  für  unsere  Leiber  und  Seelen  von  diesem  höllischen 
Feinde  drohe,  der  Unanfechtbarkeit  des  Wortes  Gottes,  jene 
bekannten  tausendmal  und  in  allen  seinen  Werken  wiederholten 
Stichworte  Luthers,  welche  für  die  Abfassungszeit  unseres  Liedes 
gar  nichts  beweisen,  die  Linke  aufgetrieben  hat.  Die  paar 
Stellen,  welche  ich  aus  Luthers  Briefen  aus  der  Jahreswende 
von  1528 — 1529  als  signifikante  Anklänge  an  das  Lied  ange- 
führt  habe,  sind  an  sich  beweiskräftiger  als  jene  tausende  von 
Linkeschen  Citaten  zusammengenommen.  Herr  Linke  hat  sich 
dadurch  aber  in  seinem  stupenden  Sammelfleifse  nicht  irre 
machen  lassen,  und  als  die  Krone  seiner  Bemühungen  endlich 
in  der  Altenburger  Gymnasialbibliothek    ein  Manuskript  latei- 


Abfassungszeit  von  Luthers  Lied :  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott.       59 

nischer  Vorlesungen  Luthers  aus  dem  Jahre  1524 — 1525  über 
die  kleinen  Propheten  aufgestöbert,  bei  dessen  Durchlesung  er, 
wie  er  S.  113  frohlockend  ausruft,  mit  einem  evQrjxa  aufge- 
sprungen sei.  Und  was  ist  die  Veranlassung  dieses  Sprunges? 
Weil  sich  in  diesen  Vorlesungen  bei  der  Exegese  des  Sacharja 
Stellen  finden  wie:  „Jacta  sunt  fundamenta  tenipli  (das  soll 
die  feste  Burg  sein  !)  Zacharias  vero  —  venit  hortaturque,  ne  labas- 
cant  animi,  sed  pergant  strenue,  nihil  territi  populis  circuni 
circa  jacentibus.  —  Contra  ista  omnia  securos  esse  jubet;  fore 
dominum  tutorem  contra  omnes  hostes.  —  Et  hodie  quoque 
multi  metuunt  uxoribus,  liberis,  bonis,  amicis,  hono- 
ribus,  Jestimationi,  alioqui  evangelium  libere  confiterentur.  — 
Consolatio  nostra  est,  quod  fideliter  nobis  adsistit  bonue 
ille  dux  noster,  in  acie  dimicat  pro  nobis  etc.  In  solchen, 
Luthern  bei  allen  seinen  schriftlichen  und  mündlichen  Aufse- 
rungen  geläufigen  Wendungen  (ich  habe  ganz  unparteiisch  noch 
die  signifikantesten  hervorgesucht)  geht  es  ein  paar  Druckseiten 
lang  fort!  Und  daraus  schliefst  Linke,  das  Lied  „Ein  feste 
Burg"  müsse  in  jener  Zeit,  in  den  Endmonaten  des  Jahres  1525, 
da  Luther  jene  Vorlesungen  hielt,  gedichtet  sein!  Und  weil  es 
nun  schlechterdings  ein  Reformationsjubiläum  sein  soll,  an  wel- 
chem Luther  sich  zu  diesem  Heldengesange  emporgerafft  habe, 
so  soll  Luther  am  31.  Oktober  oder  1.  November  1525  dies 
Lied  gedichtet  haben!  Und  das  alles  wird  hingestellt,  ohne 
den  geringsten  bibliographischen  Anhalt  und  indem 
Linke  sich  selbst  bewufst  ist,  dafs,  wenn  selbst,  was  durchaus 
nicht  der  Fall  ist,  aus  jener  Vorlesung  über  den  Sacharja  her- 
vorginge, dafs  Luthern  in  jenen  Tagen  lebhaft  die  in  seinem 
Heldenlied  niedergelegten  Gedanken  bewegt  hätten,  damit  noch 
gar  nicht  erwiesen  wäre,  dafs  Luther  ihnen  gerade  in  jener  Zeit 
auch  dichterischen  Ausdruck  gegeben  hätte.  Oder  wie  es  der 
Herr  Archidiakonus  selbst  S.  111  so  schön  in  seinem  eisrentüm- 
liehen  Stile  ausspricht:  „Ausgeschlossen  wäre  ja  nicht,  dafs  das 
Lied,  nachdem  das  fortissimo  der  Leitmotive  er- 
reicht war,  noch  bei  weitem  nicht  gleich  zu  Tage  trat,  son- 
dern es  könnte  ganz  wohl  möglich  sein,  dafs  dieses  fortissimo 
eine  längere  Reihe  von  Jahren  schon  bestanden  hatte,  und  dafs 
das  Lied    endlich    durch    besonders   anregende    äufserliche  Ver- 


60       Abfassungszeit  von  Luthers  Lied :  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott. 

anlassung  entstanden  sei,  als  Quintessenz  der  fertigsten  Ge- 
danken, Urteile,  Gefühle  und  Stimmungen  Luthers.  Es  wäre 
demnach  noch  heute  Schneiders  und  ßiltz'  Hypothese  möglich, 
denn  die  Zeitpunkte,  in  die  sie  das  Lied  versetzen,  liegen  beide 
mitten  im  fortissimo  " 

Der  Hauptgrund,  welcher  gegen  die  unmögliche  Linkesche 
Hypothese  spricht,  ist  freilich  ein  ganz  anderer.  Linke  ver- 
schliefst sich  selbst  nicht  gegen  denselben,  er  nennt  ihn  den 
„dunklen  Punkt"  bei  seiner  Beweisführung  und  kommt,  von 
Gewissensbedenken  getrieben,  selbst  wiederholt  darauf  zurück. 
Ph.  Wackernagel  hatte  die  Schneidersche  Hypothese  von  der 
Entstehung  des  Liedes  am  l.  November  1527  hauptsächlich 
deshalb  schroff  zurückgewiesen,  weil  es  undenkbar  sei,  dafs  ein 
solches  einmal  gedichtetes  mächtiges  Lied  anderthalb  Jahre  lang, 
bis  zum  Erscheinen  des  Joseph  Klugschen  Gesangbuches,  un- 
veröffentlicht lieblieben  sein  sollte!  Und  nun  soll  es  «jar  drei 
bis  vier  Jahre  unter  der  Bank,  in  Luthers  Schreibtisch  verborgen 
gelegen  haben.  Luthers,  der  gerade  in  den  Jahren  1524  und 
1525  aufs  lebhafteste  erfüllt  war  von  dem  Bewufstsein,  wie 
mächtig  seine  reformatorische  Sache  durch  entsprechende  geist- 
liche Lieder  gefördert  werde,  der  deshalb  alle  seine  Freunde 
aufs  eifrigste  und  dringendste  antrieb,  solche  zu  dichten  und 
selbst  die  mangelhaftesten  in  seine,  in  jener  Zeit  herausgegebenen 
Gesangbücher  aufnahm.  Jeder  Hymnolog  kennt  seinen  von 
de  Wette  ins  Jahr  1524  angesetzten,  an  Sj)alatin  gerichteten 
Brief  (de  Wette  H,  590),  worin  er  denselben  beschwört,  die 
reformatorische  Sache  durch  Dichten  geistlicher  Lieder  zu  för- 
dern, welche  so  dringend  nötig  seien,  und  dieselbe  angelegent- 
liehe  Bitte  an  seinen  Freund  Johann  Dolzig  richtet.  Er  teilt 
ihnen  im  Drange  seines  Herzens  schon  die  Psalmen  zu,  welche 
sie  dazu  benutzen  sollten.  Ebenso  dringend  spricht  er  den 
Wunsch  nach  deutschen  Gesängen  in  der  1524  erschienenen 
lateinischen  Ordnung  der  Messe  aus.  Rambach  S.  54.  Derselbe 
Luther  soll  den  mächtigen  Gesang,  von  dem  hier  die  Rede  ist, 
verschlossen  bei  sich  behalten,  in  keines  der  mannigfachen,  in 
den  nächsten  Jahren  erscheinenden  Gesangbücher  haben  auf- 
nehmen lassen.  Nicht  in  die  drei  Erfurter  Enchiridien  vom 
Jahre   1526    (Wackernagel,    P.ibliographie   Nr.    219,    220,    221), 


Abfassungszeit  von  Luthers  Lied:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott.        61 

nicht  in  die  Erfurter  und  Nürnberger  Gesangbücher  von  1527 
(Wackernagel  Nr.  247,  248,  253),  nicht  in  das  Zvvickauer  von 
1528,  er  soll  ihn  in  keinem  Wittenberger  Einzeldruck  veröffent- 
licht, er  soll  damit  bis  auf  das  fabulose  H.  Weyssesche  Ge- 
sangbiichlein  von  1528  gewartet  haben?  Der  Gedanke  ist  so 
widersinnig,  dafs  hoffentlich  Herr  Linke  die  Unhaltbaikeit  dieser 
seiner  Hypothese  bald  einsehen  und  auch  von  ihr  wieder  be- 
kennen wird,  wie  von  seinen  Fabeleien  in  jener  Lutherfestschrift: 
„Ich  erkläre,  dafs  ich  dieselbe  ad  acta  lege,  mich  derselben  ent- 
äufsere  und  dafür  eine  neue  Hypothese  substituiere." 

Doch  nein!  das  letztere  rate  ich  ihm  nicht.  Mir  scheint  es 
vielmehr  dringendes  Bedürfnis  für  Herrn  Linke  zu  sein,  sich 
solcher  Untersuchungen  vorläufig  gänzlich  zu  entschlagen  und 
sich  der  liuhe  hinzugeben.  Die  Nervosität,  welche  dem  hitzigen 
Herrn  wohl  immer  eigen  gewesen  ist,  hat  gegenwärtig  einen 
Grad  erreicht,  der  mir  beunruhigend  vorkommt.  Das  beweist 
zunächst  der  schon  von  Wilh.  Brandes  in  seiner  Recension  in 
der  „Theologischen  Litteraturzeitung"  gebrandmarkte  Ton,  wel- 
chen Linke  gegen  seine  Gegner  anschlägt  und  welcher  nur  mit 
einer  krankhaften  Reizbarkeit  zu  entschuldigen  ist.  Wenn  jemand 
irgend  einen  Ausdruck  von  ihm  so  auffafst,  wie  ihn  jeder  un- 
befangene Mensch  auffassen  mufs,  wie  ihn  Herr  Linke  aber 
nicht  verstanden  haben  will,  so  ist  das  Mindeste,  dafs  er  ihn 
der  „Fälschung"  beschuldigt.  Mir  allein  schleudert  er  diesen 
Vorwurf  dreimal  an  den  Kopf.  Was  mir  aber  noch  bedenk- 
licher für  seinen  Zustand  vorkommt  als  diese  Injurien,  das  sind 
die  \^'itze,  welche  er  macht.  Ich  will  ein  paar  Beispiele  dafür 
anführen.  Ich  hatte,  um  zu  schildern,  wie  bei  Luther,  nachdem 
die  Gefühle  und  Empfindungen  seines  Liedes  „Ein  feste  Burg" 
allmählich  sich  in  ihm  entwickelt  hatten,  in  jenem  Geburtsmonat 
desselben,  dem  Januar  1529,  das  Ganze  aus  Veranlassung  der 
damals  an  ihn  gerichteten  letzten  Packschen  Mitteilungen  zu 
jener  Dichtung,  so  zu  sagen,  zusaramenschofs,  mich  des  Ver- 
gleichs bedient,  welchen  Goethe  für  die  Entstehung  seines  Werther 
gebraucht,  es  sei  dies  geschehen,  wie  bei  einem  Anstofse  sich 
das  Wasser,  das  eben  auf  dem  Punkte  des  Gefrierens  steht, 
im  Gefäfse  krystallisiert.  Zufälligerweise  hatte  ich  vergessen, 
diese  letzteren  eigensten  Worte  Goethes  mit  Anführungsstrichen 


62       Abfassungszeit  von  Luthers  Lied:  Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott. 

ZU  versehen.  Der  Herr  Archldiakonus  hält  sie  daher  für  mein 
Produkt  und  glaubt  sie  artig  zu  verhöhnen,  indem  er  dazu  be- 
merkt: „Warum  nicht  gleich,  wie  die  Butter  beim 
Buttern?  Dann  pafst  auch  gleich  das  Gefäfs  des  folgenden 
Satzes!"  Noch  ein  anderer  Scherz  von  ihm!  Den  Namen  Ottos 
von  Pack,  welcher  selbstverständlich,  da  ich  in  dessen  Mittei- 
lungen den  Anstofs  zu  Luthers  Lied  gefunden  habe,  häufig  in 
meinen  Ausführungen  vorkommt,  hatte  der  Setzer  der  „Kreuz- 
zeitung" in  meinem  letzten  Artikel  aus  Versehen  zweimal  ,,Pank" 
gesetzt.  Linke  witzelt  darüber:  „Biltz  druckt  Pank  —  wohl 
ein  Urahn  des  Leipziger  Superintendenten,  den  Biltz  von  Berlin 
her  kennt."  Jeder  der  geehrten  Anwesenden  wird  mir  einräumen, 
dafs  bei  jemandem,  der  sich  solche  Witze  leistet,  nicht  alles 
mehr  im  normalen  Gleichgewichte  sein  kann.  Das  AUergefähr- 
lichste  in  dem  Zustande  meines  geehrten  Gegners  scheint  mir 
aber  das  förmlich  zur  fixen  Idee  in  ihm  gewordene  Verlangen 
zu  sein,  um  jeden  Preis  jene  Frage  nach  der  Entstehungszeit 
unseres  Liedes,  die  von  mir  schon  gelöst  ist,  auch  seinerseits 
noch  zu  beantworten.  Zu  welchen  Experimenten  ihn  diese  un- 
selige Idee  schon  geführt  hat,  haben  wir  gesehen.  Er  hat  mit 
unheimlichem  Fleifse  die  sieben  Folianten  von  Luthers  deut- 
schen Schriften  durchgelesen,  um  „Anklänge"  an  unser  Lied  zu 
finden,  und  gesucht,  gesucht,  gesucht!  Er  glaubt  zwar  jetzt 
gefunden  zu  haben.  Allein  man  wird  ihm,  wie  das  unausbleib- 
lich ist,  von  allen  Seiten  versichern,  dafs  das  nichts  ist,  was  er 
«befunden  hat,  und  das  Suchen  wird  von  neuem  anaehen.  Wohin 
soll  das  noch  führen?  Jeder  Psycholog  weifs,  welche  traurige 
Fohlen  ein  solcher  Eifer  nach  sich  ziehen  kaim.  Ich  als  Men- 
öchenfreund  möchte  dieselben,  was  an  mir  liegt,  gern  vermieden 
sehen,  um  keinen  Preis  aber  meinerseits  dazu  beigetragen  haben. 
Mit  den  Worten,  welche  die  Gräfin  Olivia  in  Shakespeares 
Fastnachtsposse  „Was  Ihr  wollt"  an  ihren  aufgeregten  Haus- 
hofmeister richtet,  rufe  ich  also  nochmals  meinem  werten  Gegner 
zu:  „Geht  zu  Bette,  Malvolio,  geht  zu  Bette!" 

Berlin.  K.  Biltz. 


Volkssage  und  Volksglaube. 

Von 

Wilhelm  Schwartz. 


Die  Sagen  haben  den  verschiedensten  Charakter  und  Ur- 
Sprung.  Die  Phantasie  des  Volkes  haftet  sich  zunächst  gern 
an  etwas  Charakteristisches  und  Auffälliges,  je  ferner  zumal  der 
Ursprung  desselben  zu  liegen  scheint,  und  zu  allerhand  Bildern 
schürzen  sich  da  die  Fäden  zusammen,  welche  die  Tradition 
von  Geschlecht  zu  Geschlecht  in  stiller  Arbeit  spinnt.  Die  Aus- 
führuno;  und  die  Motive  werden  meist  aus  den  lokalen  oder 
historischen  Umffebungen  genommen  und  variieren  so  unendlich. 

Der  Ausgangspunkt  der  Vorstellung  ist  zunächst  derselbe 
am  Harz  wie  auf  Ceylon,  wenn  dort  in  einem  Stein  ein  flüch- 
tiges Rofö  seinen  Huf,  hier  ein  menschliches  Wesen  als  letztes 
Wahrzeichen  eine  Spur  seines  Fufses  eingedrückt  haben  soll. 
Das  norddeutsche  Landvolk,  dem,  wenn  es  von  der  Vergangen- 
heit träumte,  noch  immer  allerhand  mythische  Bilder  durch  den 
Kopf  gingen,  welche  es  nur  in  die  Zeit  des  alten  Rittertums 
versetzte,  verknüpfte  die  Scenerie  mit  den  alten  heidnischen  Vor- 
stellungen von  dem  Sturmesgott,  der  nach  dem  Glauben  unserer 
Väter  in  den  P^'rühlingswettern  die  goldgekrönte  Sonnenfrau 
umwerben  sollte  oder  zu  entführen  trachtete.  Aus  dem  alten 
Gotte  ist  nur  ein  Ritter  geworden,  der  in  wilder  Jagd  über 
die  Berge  fort  eine  schöne  Prinzessin  verfolgt.  Und  da  der 
Rofstrappe  gegenüber  eine  ähnliche  Spitze  zum  verwegenen 
Sprung  einladet,  so  heifst  es  kurzweg,  eine  Prinzessin  oder 
ein  Ritterfräulein  habe  „bei  einer  Verfolgung"  den  kühnen 
Sprung  dort  hinüber  gewagt,  so  dafs  die  Spur  noch  immer 
Zeugnis  von  dem  geglückten  Wagnis  ablege,  wie  auch  die  gol- 
dene Krone,  die  ihr  dabei  entfallen  —  und  hierin  bricht  wieder 


G4  Volkssage  und  \'olksglaube. 

der  alte  Mythos  hindurch  — ,  in  der  Tiefe  des  Bodekessels  ver- 
sunken sein,  aber  jeden  Frühhng  wieder  an  die  Oberfläche  kom- 
men solle.  Ist  doch  das  letztere  nur  eine  Variante  zu  der  ähn- 
lichen Sage  von  der  griechischen  Sonnentochter  Persephone, 
wenn  sie  in  der  Gewitternacht  „der  finstere  Herr  der  Schatten" 
in  seinem  Donnerwagen  entführt  und  dabei  der  goldene  Hals- 
t^chniuck  ihr  entfällt  und  in  die  Tiefe  der  Quelle  Kyane  ver- 
sinkt. Erinnern  doch  beide  mythischen  Züge  an  den  bei  dem 
betreffenden  Naturbilde  eine  Kolle  spielenden  Regenbogen,  dem 
angeblichen  Goldgeschmeide,  der  bald  als  die  Krone,  bald  als 
das  Halsband  der  Sonnenfrau  galt,  bald  in  den  himmlischen 
ßegenwassern  zu  versinken,  bald  wieder  in  ihnen,  wenn  seine 
Zeit  da  war,  zu  Tage  zu  kommen  schien. 

Diese  Sage  ist  ebenso  poetisch-menschlich  von  dem  angeb- 
lichen historischen  Hintergrund  aus  durchgeführt,  wie  wenn  der 
Buddhist  sinnend  vor  der  gewaltigen  Menschenspur  in  Stein 
auf  dem  Adamspick  steht  und  nun  dieselbe  mit  dem  sich  ver- 
bindet, was  seinen  Geist  erfüllt,  mit  der  Himmelfahrt  seines 
Buddha,  und  er  zuletzt  daselbst  die  Stelle  glaubt  gefunden  zu 
haben,  von  wo  jener  sich  himmelan  erhoben  und  im  letzten 
Aufschwung  seine  Spur  dem  Felsen  eingeprägt  haben  soll. 

Derartige  Analogien  treten  überall  auf.  So  sollte  der  ab- 
gesondert  liegende  Hügel  des  Lykabettos  bei  Athen  von  der 
athenischen  göttlichen  Jungfrau  herrühren;  sie  habe  ihn  einst 
fallen  lassen,  gerade  wie  ein  Hügel  oder  ein  Stein  bei  Branden- 
burg a.  H.  im  miirkischen  Lande  von  einer  Riesin  oder  Frau 
Harke,  die  hier  zur  Heidenzeit  ihr  Wesen  getrieben  haben 
sollte,  angeblich  herrührt.  Die  Motivierung  ist  nur  in  beiden 
Fällen  eine  andere.  Dort  habe,  heifst  es,  Athene  den  Berg  zur 
Befestigung  der  Burg  Akropolis  herbeigetragen.  Hier  läfst  die 
Sage  die  Riesin  oder  Frau  Harke  damit  einen  See  zudämmen 
oder  in  einen  Gegensatz  zur  christlichen  Kirche  treten.  Ais 
sie,  heifst  es,  mit  dem  Stein  den  Dom  zu  Brandenburg  habe 
einwerfen  wollen,  da  sei  der  Berg  oder  Stein  ihr  entglitten  und 
läge  zum  ewigen  Wahrzeichen  nun  noch  dort. 

Schliefsen  sich  so  eine  Fülle  von  Lokalsagen  an  individuelle 
lokale  Eigentümlichkeiten  und  haben  nur  eben  an  der  betreffen- 
den  Stelle  ihre  Bedeutung,    so  spann  überall  die  Sage  auch  an 


Volkssage  und  Volksglaube.  65 

Namen  oder  wunderlichen  Gebräuchen  in  Wahrheit  und  Dich- 
tung, meist  aber  in  letzterer,  ihr  phantasievolles  Gewebe,  aus 
dem  dann  der  betreffende  Name  oder  der  Gebrauch  schliefslich  oft 
in  drastischer  Weise  sich  angeblich  erklärte.  Mykene  erinnerte 
die  Griechen  an  Brüllen  (j.ivxuo/.iai) ;  da  mufste  der  Name  von 
dem  Brüllen  der  Gorgo  herkommen,  dem  Untier,  das  dort  ge- 
haust, ebenso  wie  Krebsjauche  dem  Märker  mit  dem  Krebs  zu- 
sammenzuhängen und  die  zweite  Hälfte  des  Namens  nur  eine 
Korrumpierung  von  Juchhe!  zu  sein  schien,  so  dafs  die  Sage 
fertig  war,  nach  welcher  hier  in  einem  Wettlauf  einmal  der 
schwerfällige  dumme  Krebs  über  das  schnellste  und  listigste 
der  Tiere,  über  den  Fuchs  triumphiert  habe,  ähnlich  wie  in 
einem  anderen  Märchen  der  Swinegel  über  den  flüchtio;en 
Hasen.  Ausgeführt  wurde  es  beim  Krebs  in  der  Weise,  dafs 
er  beim  Beginn  des  Wettlaufes  sich  an  der  ßute  des  Fuchses 
festgekniffen  und  sich  so  habe  mitschleppen  lassen,  in  der  Nähe 
des  Zieles  sich  aber  so  unangenehm  bemerklich  gemacht  hätte, 
dafs  der  Fuchs  im  Schmerz  die  Rute  in  die  Höhe  gerichtet  und 
so  seinen  Rivalen  selbst  über  das  Ziel  hinausgeschleudert  habe. 

So  giebt  es  die  verschiedensten  Gründe,  die  eine  Sage  er- 
zeugen können,  aber  derartige  Sagen  haben  keine  mythologische 
Bedeutung  an  sich,  sie  bekommen  sie  höchstens,  wenn  die  hin- 
einspielenden Personen  oder  Dinge  mythisch  sind,  d.  h.  der 
Wunderwelt  angehören,  an  welche  die  Menschen  vor  ihrer  histo- 
risch-kritischen Entwickelung  geglaubt  haben.  Mythologische 
Bedeutung  haben  eben  nur  die  Traditionen  eines  Volkes,  welche 
auf  dem  alten,  allgemeinen  Volksglauben,  der  in  jener  den  Men- 
schen angeblich  umgebenden  Zauberwelt  lebte  und  webte,  beruhen. 
Sie  sind  eben  die  Niederschläge  desselben  in  allerhand  mehr 
oder  minder  historischer  Gewandung,  aus  denen  man  —  indem  man 
das  Gleichartige  zusammenstellt,  woran  der  phantasievolle  Zug 
des  Wunderbaren,  Märchenhaften  sich  heftet  —  den  alten  heid- 
nischen Volksglauben  selbst,  von  dem  sonst  oft  kein  Zeugnis 
mehr  meldet,  noch  rekonstruieren  kann. 

Ein  charakteristisches  Beispiel  der  elementarsten  Art  sind 
die  sogenannten  Gespenstergeschichten.  Eine  jede  einzelne  er- 
scheint zunächst  albern  und  als  ein  Vorwurf,  gegen  den  die 
menschliche    Vernunft   ankämpfen    müsse,    aber   alle    zusammen 

Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXV.  5 


66  Volkssage  und  Volksglaube. 

kommen  vor  der  Wissenschaft  als  ßudera  eines  alten  Glaubens- 
etandpunktes  zu  einer  bedeutsamen  Geltung.  Denn  in  den  an- 
geblich starren,  feurigen  Augen  der  Gespenster,  in  ihrem  ver- 
mummten Auftreten,  dem  Kettengerassel,  das  sie  begleitet,  den 
rollenden  Totenköpfen,  mit  denen  sie  nach  deutscher  Sage  spielen, 
und  in  ähnlichen  typisch  wiederkehrenden  Bildern  spiegelt  sich 
noch  deutlich  der  Hintergrund  ab,  dem  sie  ihren  Ursprung  ver- 
danken. Sie  weisen  uns  auf  einen  rohen  Aberglauben  der  Urzeit 
hin,  der  in  dem  umziehenden  Gewitter  wirklich  einen  solchen  Spuk 
dahinwandelnder  Geister  erblickte,  die  ewig  verflucht  seien  um- 
zugehen, und  im  Blitz  die  leuchtenden  Augen  dieser  in  den 
Wolken  vermummt  einherschreitenden  Wesen  sah,  im  Donner 
ihr  Kettengerassel  u.  dergl.  zu  hören  glaubte,  ebenso  wie  eine 
noch  rohere  Vorstellung,  indem  sie  den  heulenden  Sturm  in  das 
Bild  hineinzog,  in  der  schwarzen  Gewitterwolke  u.  a.  einfach 
einen  gespensterhaften  heulenden  schwarzen  Hund  mit  feurigen 
Augen  zu  erblicken  wähnte,  wie  die  Tradition  ihn  noch  jetzt 
meist  auf  den   Dorfstrafsen  des  Nachts  erscheinen  läfst. 

Es  ist  eine  der  psychologisch  interessantesten  Wahrnehmungen, 
zu  sehen,  wie  derartige  Jahrtausende  alte  Vorstellungen  gleichwie 
die  von  Hexen,  Mährten,  Kobolden  u.  dgl.  noch  jetzt  überall  auf  dem 
Lande,  ja  fast  noch  mehr  als  jene  sich  in  der  Tradition  erhalten 
haben.*  Sie  finden  aber  auch  leicht  eine  ihnen  passende  lokale  An- 
knüpfung und  eine  ihnen  besonders  zu  statten  kommende  Stim- 
mung des  Menschen  hier  vor.  Denn  nicht  blofs  die  Isoliertheit 
des  menschlichen  Lebens  in  Wald  und  Feld,  es  ist  vor  allem 
der  Schauer  der  Nacht  und  eine  gewisse,  dann  besonders  her- 
vortretende Nervosität  der  Menschen,  die  an  unheimlichen  Stellen 
dem  Geisterglauben  und  aller  Art  Spuk  zugut  kommt.  Wie 
der  alte  Hesiod  sagt:  „Die  Nacht  gehört  den  Geistern!"  so  ist  es 
noch  überall,  wo  Spuk  sich  erhalten  hat  und  geglaubt  wird.  Die 
Gespenster,  die  man,  wie  erwähnt,  in  der  Urzeit  sichtbarlich  in 
der  Gewitternacht  wahrzunehmen  wähnte,  sind  nur  im  Lauf  der 
Zeiten  in  der  Tradition  in  die  gewöhnliche  Nacht  eingerückt,  und 


*  Die  Tradition  hat  eben  eine  grofse  Macht.  Gebrauchen  doch  noch 
heutzutage  selbst  die  gebildetsten  Leute  gelegentlich  dahin  schlagende  Aus- 
drücke, wenn  sie  von  einem  Hexenschufs,  vom  Mahrtdrücken,  Koboldschiefson 
u.  dergl.  reden. 


Volkssage  und  Volksglaube.  67 

der  Glaube  meint  in  der  Erregung  der  Angst  immer  wieder  und 
wieder  seleffentlich  Wahrzeichen  dessen  zu  sehen,    womit  seine 
Phantasie  in  den  ersten  Jahren  in  heimischer  Überlieferung  ge- 
tränkt worden.  Nur  wo  das  Substrat  dazu  schwindet,  die  Menschen 
enger    zusammenrücken,    die    Kultur    und    die    Regulierung   des 
öffentlichen  Lebens  auch  zur  Nachtzeit  die  Möglichkeit  „sich  zu 
grauen"    dem  Menschen  gleichsam  nimmt,    da  verschwindet  der 
Spuk,  der  sofort  w'ieder  vor  dem  Geiste  auftauchen  kann,  wo  ein 
Wanderer  einsam  durch  den  Wald  zieht,  unbekannte  Töne,  eigen- 
tümliche Lichtspiegelungen   oder  Schatten   seinen  Geist  streifen, 
eine  Welt,  die  ihm  fremd,  plötzlich  auf  ihn  einzudringen  scheint. 
So  ist  es  noch  und  war  es  zu  allen  Zeiten.    Und  wie  neben 
analogen  Erscheinuncren  im  Traum  sich  die  Phantasie  in  stiller 
Abgeschlossenheit   des  Lebens   auch    geradezu    oft    zu  Visionen 
allerhand  Art  steigert   und  selbst  noch  heutzutage  in  einem  ab- 
gelegenen   Winkel    des    Landes    plötzlich    katholisch    getränkte 
einfache  Gemüter    in   irgend  einem  wunderbaren  Lichtschimmer 
den  Glanz  der  Jungfrau  Maria  zu  erblicken  glauben,    so   sahen 
auch  die  Heiden  ihre  Götter  im  Traum  und  Wachen  sich  ihnen 
offenbaren,    und    wer    die    Glaubensgeschichte    der    Menschheit 
schreiben  will,    mufs    eben  die  Göttergestalten  von  der  Voraus- 
setzung aus  entwickeln,  dafs  es  zu  der  Zeit,   wo  diese  Vorstel- 
lungen entstanden  und  galten,    Menschen    gegeben    haben   mufs, 
die  in  ähnlicher  Weise  daran  geglaubt  und  den  Glauben  in  der 
Tradition  dann  fortgepflanzt  haben.     Die   späteren   Geschlechter 
verarbeiteten  eben  nur  mehr  oder  weniger,  was  sie  überkommen, 
teils  in  gläubiger  Scheu  die  Formen  bewahrend,  teils  sie  ideali- 
sierend oder  kritisch  umgestaltend,  je  nachdem  sie  selbst  kultur- 
historischer sich  zu  entwickeln  anfangen.     So  gehören  den  An- 
fängen der  Glaubensgeschichte  die  rohen,   aber  immerhin  phan- 
tasievollen Vorstellungen  an,    welche  sich  der  Mensch    „für  das 
Unbegreifliche  im  Himmel  und  auf  Erden"   bildete,  und  die  im 
Wachen  und  Träumen   auf  ihn  einzuwirken  schienen,    während 
in    den    späteren    Zeiten    geschichtlicher   Entwickelung    und    den 
dabei  zur  Geltung  kommenden  Faktoren  entwickeltere  Gestalten 
idealer  Art  sich  substituierten,  die  sich  allmählich  im  Polytheis- 
mus bis  zum  Gedanken  „des  Göttlichen"  erhoben.    Die  Mytho- 
logie ist  eben  eine  Phase  der  heidnischen  Religion,  die  mit  der 

5* 


68  \'olkssage  und  Volksglaube. 

Kultur  auf  das  innigste  zusammenhängt.  Dafs  man  dies  nicht 
erkannt  und  niclit  die  den  prähistoriöchen  roheren  Zeiten  anheim- 
fallenden und  in  ihren  kleineren  Volkskreisen  sich  anbauenden 
Anfänge  religiöser  Vorstellungen  von  den  einer  späteren  national- 
ideelleren Entwickelung  namentlich  in  Poesie,  Kunst  und  Kultus 
unterschieden  und  den  Faden  der  Kontinuität  zwischen  beiden 
zu  suchen  getrachtet,  sondern,  namentlich  auf  dem  Gebiet  der 
klassischen  Mythologie,  auch  in  diesen  innerlichen  Dingen  aller- 
hand Import  von  aufsen  angenommen  hat,  ist'der  Grund  gewesen, 
dafs  die  mythologische  Wissenschaft  bisher  nur  sich  meist  damit 
begnügt  hat,  neben  nackter  Hinstellung  des  aufseren  Materials, 
insoweit  es  zum  Verständnis  der  Werke  der  Kunst  und  Poesie 
nötig  ist,  allerhand  Hypothesen  in  mehr  oder  minder  geistreicher 
Weise  aufzustellen,  was  eigentlich  die  Alten  ursprünglich  damit 
gemeint  haben.  Dabei  ist  man  dann  im  ganzen  eben  nicht  viel 
weiter  gekommen  als  das  spätere  historische  Altertum  selbst,  wel- 
ches, als  es  jene  Gebilde  nicht  mehr  vollgläubig  fafste,  aber  sich 
noch  scheute,  den  Glauben  daran  öffentlich  aufzugeben,  immer 
noch,  so  gut  es  eben  ging,  an  ihnen  anknüpfte  und  sie  in  aller- 
hand „sogen,  symbolischen"  Deutungen  sich  zu  vermitteln  suchte. 
Es  ist  aber  an  den  alten  Mythen  in  betreff  ihres  Ursprungs 
in  prähistorischer  Zeit  nichts  symbolisch  zu  deuten,  sondern  sie 
sind  nur  als  eine  psychologisch  auf  dem  realen  Boden  des  Lebens 
in  der  Beziehung  von  Mensch  und  Natur  entstandene  Glaubens- 
form zu  fassen,  die  überall  sich  in  ähnlicher  Weise  an-  und  ab- 
spinnt, wo  der  Mensch  in  aufseren  Erscheinungen  und  Bildern 
Überirdisches  erfassen  zu  können  glaubt.  Für  die  historische 
Zeit  dagegen  sind  die  Mythen  nur  das  ererbte  Material,  die  Tra- 
dition, an  der  und  mit  der  die  weitere  religiöse  Entwickelung 
sich  vollzieht,  bis  die  auf  polytheistischem  Boden  dann  erwach- 
senen Göttergestalten  in  den  verschiedenen  Kulten  immer  mehr 
zu  ethischen  Mächten  werden,  die  das  Geschick  der  Welt  wie  des 
einzelnen  lenken.  Aber  wie  die  Völker  an  realer  Kraft  verloren 
und  hinschwanden,  welkten  auch  jene  mit  dem  Volke,  das  sie 
geschaffen,  schliefslich  dann  selbst  dahin,  und  nur  vereinzelt  sind 
allerhand  Bezüge  noch  im  Leben  haften  geblieben  und  künden 
von  der  vergangenen  Zeit. 


Johann  Fischarts 

religiös -politisch- satirische    Dichtungen. 

Von 

L.  Wirth. 

Einleitung. 

Die  zwei  genialsten  Männer  des  16.  Jahrhunderts  auf  dem  Ge- 
biete der  deutschen  Litteratur  waren  Luther  und  Fischart.  Beide 
waren  in  mancher  Hinsicht  verwandte  Naturen,  und  der  eine  setzte 
in  seiner  Weise  gleichsam  das  Werk  des  anderen  fort.  Beide 
beschäftigten  sich  viel  mit  Theologie  und  religiösen  Fragen; 
der  eine  aus  Neigung  und  Beruf,  der  andere  nur,  um  auch  auf 
diesem  Felde  sich  neue  Waffen  für  den  Streit  zu  sammeln. 
Beide  waren  unerbittliche  Gegner  der  katholischen  Kirche  und 
betrachteten  es  als  ihre  Lebensaufgabe,  deutsches  Wesen  und 
den  Protestantismus  gegen  äufsere  und  innere  Feinde  zu  ver- 
teidigen. Beide  haben  aber  auch  für  die  deutsche  Sprache  und 
Litteratur  grofse  Bedeutung.  In  ihrer  Darstellung  zeigen  sie 
denselben  volkstümlichen  Humor,  dieselbe  Kraft  und  Anschau- 
lichkeit; in  der  Polemik  die  gleiche  Heftigkeit  und  Derbheit, 
aber  auch  dieselbe  Innigkeit  und  Reinheit  der  Gesinnung. 
Luther  gab  den  Anstofs  zu  einer  ganzen  Teufelslitteratur  seiner 
Zeit,  zu  der  auch  Fischart  sein  Teil  beitrug.  Beide  waren 
fröhliche  Naturen,  liebten  Musik  und  Gesang.  Luther  sans: 
^ern  zur  Laute  und  Fischart  machte  ein  Lobgedicht  auf  die- 
selbe. In  ihren  politischen  Ansichten  aber  wichen  sie  von- 
einander ab.  Luther  war  durch  und  durch  monarchisch  se- 
sinnt,  Fischart  dagegen,  der  meistens  in  freien  Reichsstädten 
lebte,  entschieden  republikanisch.      Während  Luthers  Thätigkeit 


70  Johann  E'ischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 

hauptsächlich  dei'  Kirche  und  Schule  gewidmet  war,  umfafste 
Fischart  nicht  nur  das  religiöse,  politische  und  sociale  Leben 
der  Nation,  sondern  auch  ihre  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der 
Kunst,  Litteratur  und  teilweise  auch  der  Wissenschaft.  Ja 
sogar  dem  Auslande  widmete  er  ein  ähnliches  Interesse,  so 
dafs  er,  was  menschliches  Wissen  betrifft,  wohl  als  ein  Uni- 
versalgeiiie  seiner  Zeit  angesehen  werden  mufs.  In  der  That 
waren  die  Kenntnisse,  die  er  sich  während  seines  kurzen  Lebens 
erworben,  aufserordentlich  grofs.  Er  kannte  die  lateinische, 
griechische,  italienische,  niederländische,  französische  Sprache 
und  die  Hauptwerke  dieser  Litteraturen;  auch  Hebräisch  ver- 
stand er.  Er  war  ein  genauer  Kenner  der  damaligen  Philo- 
logie, und  man  fühlt  es  ihm  an,  dafs  diese  Gelehrsamkeit 
seine  Freude  ist.  Die  Rechtswissenschaft  gehörte  zu  seinem 
Berufe.  Wenn  wir  dies  nicht  gewifs  wüfsten,  so  würde  man 
meinen,  dafs  es  die  Theologie  sei;  denn  man  sieht,  dafs  er  aufs 
genaueste  mit  der  theologischen  Litteratur,  den  Richtungen, 
Schulen,  Konfessionen,  Streitigkeiten  etc.  auf  kirchlichem  Gebiete 
bekannt  war.  Hierzu  kommt  noch  sein  Kunstsinn,  seine  Kunst- 
kenntnis, seine  Bekanntschaft  mit  der  Natur-  und  Heilkunde, 
sein  lebhaftes  Interesse  für  Geschichte  und  Politik. 

Sein  gröfster  Schatz  aber  war  sein  Vaterland.  Er  besafs 
eine  so  genaue  Kenntnis  der  Geschichte  und  Litteratur,  der 
Sitten  und  Anschauungen  seines  Volkes  wie  keiner  vorher 
und  wie  keiner  der  folgenden  Jahrhunderte.  „Die  alte  Zeit 
steht  bei  ihm  in  leibhaftem  Wesen,  in  unabgebrochener  Über- 
lieferung vor  uns.  Fischart  ist  der  letzte,  welcher  des  alten 
Deutschlands  noch  in  voller  Einfachheit,  voller  Wahrheit  und 
voller  Liebe  eingedenk  ist.  Die  folgenden  Jahrzehnte,  Jahr- 
hunderte hatten  Redensarten  von  dem  Deutschland  der  alten 
Zeit,  aber  keine  Erinnerungen  mehr,  viel  weniger  Überliefe- 
rungen. Nehmen  wir  noch  dazu  die  übersprudelnde  Fülle  von 
Schilderungen  der  Volkssitten ,  allgemeine  oder  besondere, 
untergegangene  oder  damals  noch  bestehende,  von  S))rich- 
wörtern  und  Redensarten,  von  Gleichnissen  und  Anspielungen, 
von  Liedern  und  Schwänken,  die  überall  aus  der  näch- 
sten Erfahrung  hervorquillt,  ihm  bei  jeder  Gelegenheit  unge- 
sucht  zur  Hand  ist,    diese   beinahe   unübersehbare   Menge    von 


Johann  Fischarts  religiö.s-politisch-satirische  Dichtungen.  71 

Zügen  aus  den  Ereignissen,  Gewohnheiten,  Zuständen  seiner 
Zeit,  80  dafs  kein  Geschäft,  keine  Kunst,  kein  Handwerk  bei- 
nahe sich  findet,  dem  er  nicht  seine  eigentümlichen  Züge  abge- 
lauscht hätte,  dessen  Ausdrucksweise  und  Formeln  er  nicht  ge- 
braucht, als  wären  sie  die  seinigen;  nehmen  wir  dazu  diese 
Masse  von  Zeugnissen  für  die  Tradition  der  alten  Sagen,  der 
alten  Poesie,  so  tritt  uns  in  Fischart  ein  durchaus  Einziger 
seines  Zeitalters  entgegen."* 

Es  ist  jedoch  nicht  meine  Absicht,  Fischart  in  seiner  ganzen 
Gröfse  hier  zu  zeichnen,  sondern  nur,  wie  er  sich  in  den  hier 
behandelten  Gedichten  zeigt.  Allein  genau  genommen  zeigt  er 
sich  hier  nicht  anders  als  in  seinen  anderen  Werken.  Wie  ein 
kunstvoll  geschliffener  Diamant  nach  allen  Seiten,  wie  man  ihn 
auch  wendet,  seine  glänzenden  Strahlen  wirft,  so  giebt  sich 
auch  Fischart  ganz  und  voll  in  allen  seinen  Werken.  Fischart 
war  ein  eifriger,  gläubiger  Protestant,  und  zwar  lange  Zeit  ein 
begeisterter  Anhänger  der  lutherischen  Konfession.  Sein  wieder- 
holter Aufenthalt  in  Basel,  wo  er  mit  dem  Calvinismus  in  Be- 
rührung kam,  seine  enge  Verbindung  mit  den  französischen 
Reformierten,  seine  republikanische  Gesinnung  zogen  ihn  jedoch 
allmählich  auf  die  entgegengesetzte  Seite,  so  dafs  er  (1579)  bei 
dem  Streite  über  die  Konkordienformel,  über  streng  lutherisches 
und  calvinistisches  Bekenntnis  in  Strafsburg,  zwischen  Johann 
Pappus  und  Johann  Sturm  auf  die  Seite  des  letzteren  trat. 
Für  die  nun  von  Luther  und  Calvin  begründete  Reformation 
trat  Fischart  mit  seinem  ganzen  Wollen  und  Können  ein,  und 
zwar  auf  zweierlei  Art,  indem  er  sich  an  dem  inneren  Ausbau 
der  neuen  Kirche  beteiligte  (Gesangbüchlein  für  „das  Gläubige 
Christenvölklein",  Katechismus  etc.),  noch  mehr  aber  dadurch, 
dafs  er  sie  mit  den  schärfsten  Waffen  gegen  katholische  Reaktion 
verteidigte. 

Fischart,  der  über  ein  solch  enormes  Wissen  verfügte, 
wäre  ganz  der  Mann  gewesen,  diesen  Kampf  n)it  allen  Waffen 
der  Wissenschaft  zu  führen.  Allein  sein  poetisches  Talent, 
seine    gewaltige    Darstellungsweise,    seine   heitere    Laune,    sein 


Wackernagel:  Joh.  Fischart  von  Strafsburg  und  Basels  Anteil  an  ihm. 
Basel  1870. 


72  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 

angeborener  Humor,  sein  unerschöpflicher,  übersprudelnder  Witz 
liefsen  ihm  das  Schlechte  besonders  von  der  lächerlichen 
Seite  erscheinen,  und  so  führte  ihn  sein  innerstes  Wesen  auf 
die  Satire,  die  er  zur  höchsten  Meisterschaft  entwickelte. 
Auch  Avufste  er  recht  gut,  dafs  eine  Sache,  welcher  der  Stempel 
der  Lächerlichkeit  aufgedrückt  wird,  für  immer  gebrandmarkt 
ist.     So  wurde  Fischart  Deutschlands  gröfster  Satiriker. 

Die  hervorstechendsten  Eigentümlichkeiten  seiner  Satire 
sind :  Er  führt  Personen  und  Sachen  gleich  unter  solchen  Namen 
ein,  dafs  sie  schon  dadurch  lächerlich  erscheinen.  Gewöhnlich 
fügt  er  auch  noch  ein  charakteristisches  Motto  hinzu.  Man 
sehe  z.  B.  die  Titel  der  verschiedenen  Satiren.  Gegenüber  den 
Stoffen  selbst  bewahrt  er  eine  grofse  Objektivität,  indem  er 
irgend  ein  wirkliches,  an  sich  lächerliches  Ereignis  etc.  festhält 
und  treff'end  darstellt.  Man  denke  z.  B.  an  die  Streitigkeiten 
der  Mönchsorden,  an  die  Zeche  der  Trunkenen  in  Gargantua  etc. 
Viele  der  gelungensten  Eff'ekte  erreicht  Fischart  durch  Anwen- 
dung des  Kontrastes,  indem  er  Personen,  Zustände,  welche  er 
lächerlich  machen  will,  ähnlichen  von  allgemein  anerkannt  grofser 
Bedeutung  gegenüberstellt.  In  fast  allen  Satiren  finden  sich  Pa- 
rallelen, die  hierauf  berechnet  sind. 

Die  übrigen  Eigentümlichkeiten  sind  mehr  sprachlicher  Art: 
Komische  Umdeutung  von  Fremdwörtern,  z.  B.  maulhenkolisch 
für  melancholisch,  Jesuwider  für  Jesuit,  Aff'erich  für  Afrikn, 
Kedtorich  für  Rhetorik',  Notnar  für  Notar,  Pfotengram  für 
Podagra  etc.  etc.  —  Wortspiele,  Wortmalerei,  buntscheckige 
komische  Wortbildungen,  so  dafs  die  Rede  oft  einem  Kaleido- 
skop gleicht,  das  er  immer  aufs  neue  dreht  und  wendet,  z.  B. 
„weiöheitwigtige  Sophisten,  sternamhimmelige  und  sandamerige 
Mifsbräuche,  gemsenkletterige  und  drittamhimmelverzuckte  Ma- 
terien, ein  unverrlegelter  Orden.  —  Geb  mir  Scheinheylig  Teu- 
fFelthum  Vnd  VertheuffeU  Scheinheyligthum.  Durch  Heyigen 
Pracht  vnd  Höflichkeit  Vnd  durch  Hochprächtig  Heyligkeit"  etc. 
Fischart  kann  kaum  einen  Gedanken  anführen,  ohne  ihn  in 
närrische  Bilder  zu  kleiden.  Unter  allen  ihm  zu  Gebote  stehen- 
den Ausdrücken  braucht  er  gerne  den  barocksten  oder  einen 
kräftigen  Volksausdruck.  Er  bildet  in  seiner  „fantastengreulichen 
Art    —    ungereimte,    Urärrische,     barbarische    Homonyme    oder 


Johann  Fischarts  reHgiös-politisch-satirische  Dichtungen.  73 

nameinige  Wortgleichheiten",  umschreibt  die  Worte  mit  etymo- 
logischen Umbildungen  nach  ihrem  Laute  und  freut  sich  jeder 
„Wortstempelei".  Er  sucht  nach  Worten,  „die  von  Getön  und 
Hall  auszusprechen  eine  Lust  geben".  Er  kann  keinen  Namen 
anführen,  ohne  allerlei  epitheta  ornantia  damit  zu  verbinden, 
kein  Hauptwort  nennen,  ohne  eine  ganze  Prozession  von  appel- 
lativen  Adjektiven  vorauszuschicken,  oder  eine  Schar  synonymer 
Ausdrücke  folgen  zu  lassen.  Über  alles  breitet  er  dann  noch 
gern  Reimklänge,  Assonanzen,  Allitterationen. 


I.     Dichterische  Behandlung  und  Tendenz  der  einzelnen 

Satiren. 

Wie  so  viele  litterarische  Erzeugnisse  des  16.  Jahrhunderts, 
so  sind  auch  Fischarts  Werke  an  irgend  eine  äufsere  Gelegen- 
heit angeknüpft,  an  Holzschnitte,  litterarische  Vorbilder,  fremde 
Originale,  an  Streitschriften  seiner  Gegner,  politische,  religiöse, 
sociale  Verhältnisse  und  Ereignisse.  Es  sind  also,  wenn  man 
so  sagen  will,  Geleuenheitsoredichte,  allein  Gelegenheitsgedichte 
im  gröfsten  Stile,  ähnlich  wie  man  ja  auch  Goethes  Dichtungen 
Gelegenheitsgedichte  nennt.  Blofs  die  Anregung  kommt  also 
von  aiifsen,  im  übrigen  geht  Fischart  ganz  seine  eigenen  Wege. 

Selten  kann  Fischart  bei  den  gröfseren  Satiren  den  Plan 
und  die  poetische  Einkleidung,  welche  er  sich  entworfen,  kon- 
sequent durchführen.  Gewöhnlich  ist  diese  Einkleidung  des 
Stoffes  recht  glücklich,  allein  gleich  läfst  er  sie  wieder  fahren, 
sobald  sich  seine  Gedanken  auf  einmal  in  anderer  Richtung  be- 
wegen. Ein  Vorfall,  den  er  erzählt,  erinnert  ihn  an  viele  ähn- 
liche, ein  witziger  Einfall  bringt  ihn  auf  einen  anderen  etc.  etc.; 
so  verleitet  ihn  seine  reiche  Phantasie,  seine  Stoff'fülle  zu  allerlei 
Seitensprüngen  und  häufig  auch  zu  übergrofser  Redseligkeit, 
bis  er  sich  oft  erst  am  Ende  seiner  ursprünglichen  Einkleidung 
erinnert  und  sie  dann  nicht  immer  wieder  glücklich  aufnimmt. 

Nacht  Rab.  —  Nachtrab  .oder  Nebel  Kräh  ist,  w^ie  man 
allgemein  annimmt,  Fischarts  erste  Satire.  In  dieser  wirft  er 
sich  gleich  auf  die  rechte  Brutstätte  des  jesuitischen  Schwarmes 
in  Bayern,  auf  Ingolstadt.  Dies  war  das  Hauptquartier  der 
papistischen    Vorfechter.      Dort    war   jener    Eisengrin,    der    die 


74  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 

Wunderzeichen  des  ersten  deutschen  Jesuiten  Canisius  beschrieb 
und  dessen  Katechismus  von  Ferdinand  I.  eingeführt  ward.  Von 
dort  betrieben  die  Jesuiten  „die  letzten  Frösche,  welche  das 
Tier  der  Apocal.  6  auf  den  Stuhl  ausspeit,  und  die  ihm  wieder 
auf  den  Stuhl  helfen  sollen,  die  Eichelsäue  und  Sau-Asse" 
(Meduse  Kopf  18),  ihre  Machinationen;  verhetzten  „die  deutschen 
Fürsten  zur  Verfolgung  und  Greulichkeit"  (Meduse  Kopf  130  etc.), 
schlichen  sich  als  Hofprediger,  Beichtväter,  fürstliche  Präcep- 
toren,  Schulmeister  und  Kircheninspektoren  (wie  Rabe)  ein,  und 
da  die  Ketzermeister  in  Deutschland  mit  Gewalt  nichts  aus- 
richten konnten,  so  verbitterten  sie  mit  heimlichen  Lügen  und 
Verhetzen  die  Leute  gegen  ihre  evangelischen  Verwandten, 
Nachbaren,  Landsleute.  Dorthin,  nach  Ingolstadt,  war  nun  ein 
übel  berufenes  Subjekt,  Jakob  Rabe  aus  Ulm,  gekommen,  der 
durch  seinen  Abfall  vom  evangelischen  Glauben,  seinen  aus- 
schweifenden Lebenswandel,  besonders  durch  seine  Schrift: 
„Christliche  bescheidne  vnd  wol  gegründte  ablähnung  der  ver- 
meindten  Bischoffs  Predigt"  etc.  Fischarts  Entrüstung  hervor- 
gerufen  hatte.  —  Fischart  will  zwar  die  Schellenkappe  auf- 
setzen und  über  Rabe  und  seine  Schrift  die  Pritsche  schwingen, 
allein  er  verfährt  dabei  doch  mehr  wie  ein  polemisierender  Theologe 
denn  als  Satiriker.  P>r  schleppt  einen  grofsen  gelehrten  Apparat 
herbei,  um  die  Behauptungen  seines  Gegners  zu  widerlegen 
und  ad  absurdum  zu  führen.  Das  Gedicht  enthält  zwar  keine 
strenge,  klare  Disposition,  allein  man  kann  doch  deutlich  er- 
kennen, dafs  der  Dichter  so  zu  sagen  in  seiner  Behandlung  einen 
Kreis  beschreibt,  indem  er  schliefsHch  wieder  an  dem  Punkte 
ankommt,  von  dem  er  ausgintj.  Man  urteile:  Der  Dichter  ruft 
die  Raubvögel  zusammen,  um  unter  dem  Vorsitz  des  Adlers 
über  den  Raben  Gericht  zu  halten,  der  durch  Wort  (Schriften) 
und  Betragen  sich  vieles  zu  schulden  kommen  liefs.  Leider 
läfst  Fischart  diese  poetische  Einkleidung  jetzt  fahren.  Er  be- 
spricht und  widerlegt  nun  die  Stellen  aus  Rabes  Schrift, 
welche  ihn  am  meisten  hindern.  Diese  Widerlegung  bringt  ihn 
auf  die  Persönlichkeit  Rabes  und  den  berüchtigten  Lebens- 
wandel desselben.  Fischarts  Absicht  ist  natürlich  diese, 
seinen  Lesern  zu  zeigen ;  Seht,  solcher  Mann  schreibt  ein  sol- 
ches Buch, 


Johann  Fiscliarts  religiös-politiscli-satirische  Dichtungen.  75 

Rabes  schriftstellerische  Beschäftigung  und  geistliche  Wirk- 
samkeit führt  Fischart  auf  den  Jesuitenorden.  Er  schildert 
ausführlich  die  Entstehung,  Wirksamkeit  und  das  Wesen  des- 
selben, verspottet  ihre  Wundersucht,  die  Unfehlbarkeit  ihres 
päpstlichen  Gottes,  und  zeigt  ihre  Herrschergelüste  und  ihre 
Blutgier.  Da  Rabe  ein  Mitglied  und  eifriger  Agent  dieses  Ordens 
ist,  so  ist  sein  Thun  und  Treiben  nur  ein  Ausflufs  dieses  Ordens. 
Von  dem  Orden  kommt  Fischart  wieder  auf  Rabe  selbst  und  end- 
lich zu  den  Raubvögeln,  die  er  zum  Gericht  herbeigerufen  hatte. 
Er  wiederholt  noch  einmal  seine  Anklage,  die  er  weitläufig  er- 
wiesen, und  bittet  den  Raben  „fg  xoQay.ug^^  in  irgend  einen  tiefen 
Graben  zu  werfen,  damit  niemand  mehr  sein  Krächzen  höre. 

Das  Gedicht  endigt  mit  einer  Entschuldigung  wegen  einiger 
Derbheiten  des  Ausdruckes,  allein  diese  seien  nötig  gewesen, 
weil  man  eine  Gemeinheit  nicht  anders  als  gemein  bezeichnen 
könne. 

Das  Gedicht  hat  noch  etwas  Hölzernes  und  Breites,  wie 
so  viele  Erzeugnisse  damaliger  Zeit.  Fischart  war  damals,  wie 
man  allgemein  annimmt,  auch  kaum  mehr  als  25  Jahre  alt, 
zudem  stand  hier  noch  der  Gelehrte  dem  Dichter  zu  sehr  im 
Wege.  Erst  allmählich  gewann  er  die  Leichtigkeit,  Feinheit 
und  Sicherheit  der  Darstellung,  welche  seine  späteren  W^erke 
so  auszeichnet.  Allein  „ex  ungue  leonem!"  Das  gilt  auch  hier. 
Man  erkennt  schon  an  dieser  Satire,  welche  gleich  in  grellster 
Farbe  auftritt,  alle  Eigentümlichkeiten  des  Satirikers,  die  sich 
später  nur  mehr  entwickeln. 

Am  gelungensten  sind  die  Partien,  in  welchen  er  den 
Jesuitenorden  hernimmt  oder  über  Rabes  Schicksale  und  Schein- 
gelehrsamkeit sich  lustig  macht. 

Der  Barfüfser  Seelen  vnd  Kuttenstreit.  —  Dieses  Gedicht 
ist  eigentlich  die  Erklärung  eines  witzigen,  gut  erfundenen 
Holzschnittes,  der  heiorcffeben  ist.  Solche  Darstellungen  durch 
Bild  und  Wort,  diese  Gattungen  von  Briefmalereien,  Satiren 
und  Pasquillen  waren  schon  seit  den  ersten  Zeiten  der  Buch- 
druckerkunst allgemein  beliebt,  und  seit  dem  niederländischen 
Aufstande  wurden  sie  ein  eigener,  ungemein  wirksamer,  den 
«Jesuiten  sehr  peinlicher  Zweig  der  polemischen  Litteratur.  Es 
ist    deshalb    sehr   natürlich,    dafs   Fischart,    der   eine    besondere 


76  Johann  Fischarts  rellgiös-poHtisch-satirische  Dichtungen. 

Vorliebe  hatte,  seine  Gedichte  an  Werke  der  bildenden  Kunst 
anzuknüpfen,  hiervon  häufig  Gebrauch  noachte,  obschon  die 
Holzschnitte,  deren  er  sich  bediente,  nicht  immer  schön  waren 
und  seinen  gebildeten  Kunstgeschmack  kaum  befriedigen  moch- 
ten ;  allein  daran  war  nichts  zu  ändern,  denn  das  Kunsthand- 
werk stand  eben  noch  auf  sehr  niedriger  Stufe.  Die  meisten 
seiner  Werke  zeigen  auf  dem  Titelblatt  einen  Holzschnitt,  der 
entweder  blofs  auf  den  Inhalt  derselben  anspielt,  lediglich  zur 
Zierde  dienen  soll  (z.  B.  beim  Nachtrab  etc.),  oder  der  Selbst- 
zweck ist  und  in  dem  folgenden  Gedichte  erklärt  wird.  Man 
nennt  diese  Art  Dichtungen  auch  „Gemälpoesien",  Holzschnitt- 
poesien. Aufser  dem  Kuttenstreit  gehören  noch  Gorgoneum 
Caput,  Meduse  Kopf,  Malchopapo  und  die  Tierbilder  zu  dieser 
Gattung. 

Obschon  der  Kuttenstreit  zu  den  Gemälpoesien  gehört,  ist 
die  Ausführung  doch  derart,  dafs  das  Ganze  auch  ohne  den 
Holzschnitt  recht  gut  verständlich  ist.  Der  Holzschnitt  stellt 
das  Innere  einer  Kirche  dar.  Auf  einer  Emporbühne  des  Chores 
steht  der  Dichter  mit  seinem  Führer.  In  der  Mitte  der  Kirche 
liegt  die  bleiche  Gestalt  des  Franziskus,  um  ihn  herum  sind 
viele  Mönche,  auch  einige  Nonnen  gruppiert,  welche  alle  nach 
Franziskus  greifen  oder  an  ihm  zerren  etc.  Im  Hintergrunde 
befinden  sich  ebenfalls  noch  einige  Mönche,  welche  allerlei 
Gegenstände  wegtragen,  und  einige  Päpste,  die  um  grofse  Kauf- 
mannsballen beschäftigt  sind.  Die  Gruppierung  der  28  Figuren 
ist  recht  gut  ausgeführt. 

Vei'o-leicht  man  diese  trockene  Beschreibung  des  Holz- 
Schnittes  mit  der  Fischarts,  so  erkennt  man  deutlich,  dafs  er 
dem  Homer  auch  abgelernt  hat,  wie  der  Dichter  Gegenstände 
beschreiben  und  schildern  soll.  Er  läfst  die  Figuren,  die  hier 
nebeneinander  stehen,  nacheinander  vor  uns  handelnd 
auftreten.  Er  verwandelt  also  das  Nebeneinander  im  Raum  in 
ein  Nacheinander  in  der  Zeit,  führt  demnach  schon  praktisch 
durch,  was  später  ein  Lessing  im  Laokoon  theoretisch  ausein- 
andersetzte. Wie  thut  er  dies?  Er  erzählt,*  er  habe,  als  er  in 
Italien  studierte,  die  Stadt  Aseisi  besucht,  wo  die  verschiedenen 
Barfüfserorden,  welche  sich  mehr  oder  weniger  für  Franziskaner 
ausgaben,  eine  Versammlung  hielten  und  ein  grofses  kirchliches 


Johann  Fischarts  religiös-politiscb-satirische  Dichtungen.  77 

Fest  feierten.     Hier  sah  er  sich  die  zahlreichen  Sekten  und  ihr 

Treiben  an.     Müde  kehrte  er  nach  seiner  Herberge  zurück,  wo 

er  sich  bald  zur  Ruhe  begab.    Da  hatte  er  einen  Traum,  dessen 

Schilderung  eben  jene  Beschreibung  des  Holzschnittes  ist.    Ein 

gewisser  Bruder  Leo  kam  nämlich    zu   ihm    und    führte   ihn    in 

die    Kirche,    wo    sie    sich    nach    dem  Chor    begaben.     Von   hier 

aus    sahen    sie   eine  Menge  Mönche  und  Tonnen,  Vertreter  der 

verschiedenen  Orden,  welche  den  St.  Franziskus  unter  sich  hin 

und  her  zerrten,  auf  alle  Weise  quälten  und  marterten.    Andere 

eignen  sich  allerlei,   was  Franziskus  gehört,  zu  und  eilen  damit 

weg.     In    der    Weise    nun,    wie    die    Mönche    und    Nonnen    den 

Franziskus  quälen  etc.,    erhellt  ihr  Verhältnis  zueinander.     Das 

Gedicht    ist    in    Anlage    und    Ausführuno;    viel    deutlicher    und 

durchsichtiger   als    das  vorhergehende.     Die    Tendenz    ist   deut- 
et o 

lieh  genug  ausgedrückt.  Da  man  katholischerseits  die  Pro- 
testanten  verspottete,  weil  sie  sich  in  Sekten  spalteten,  so  stellte 
Fischart  ein  Bild  aus  der  katholischen  Kirche  dem  gegenüber, 
wo  die  Orden  sich  in  noch  mehr  Sekten  trennten,  wobei  es  sich 
aber  nicht  wie  protestantischerseits  um  Principien  oder  andere 
wichtige  Fragen  handelte,  sondern  um  Lappalien.  Die  Regel 
des  Franziskus  ist  für  die  Sekten  und  Rotten  nur  Nebensache. 
Dagegen  legen  sie  auf  allerlei  Äufserlichkeiten  einen  hohen 
Wert  und  betrachten  diese  fast  als  die  Hauptsache.  Darüber 
geraten  sie  in  allerlei  Zänkereien  und  Streitigkeiten,  welche  mit 
Witz  und  Humor  geschildert  werden. 

Von  S.  Dominici  vnd  S-  Francisci  artlichem  Lehen  etc.  Diese 
und  die  vorhergehende,  wie  die  meisten  der  folgenden  Satiren 
sind  an  einen  Hauptvertreter  des  Papismus  gerichtet  (oder 
wie  Fischart  sagt,  ihm  „zu  Liebe  gestellt'*),  den  er  mit  feinem 
Takte  aus  dem  Mittelpunkte  des  Ingolstädter  Jesuitismus  zum 
zweiten  Stichblatt  seines  Witzes  herausgriff.  Es  ist  der  Fran- 
ziskaner Johann  Nas.  Während  das  vorige  Gedicht  sich  mit 
den  Orden  im  allgemeinen  beschäftigt,  behandelt  dieses  ein- 
gehend in  der  ersten  Hälfte  die  Franziskaner  und  Dominikaner, 
in  der  zweiten  Hälfte  blofs  die  Dominikaner.  Dem  Ganzen  ist 
eine  Art  Einleitung  als  Dedikation  an  Nas  vorausgeschickt.  Die 
Satire  selbst  fängt  mit  einer  Anspielung  auf  Virgils  Aneis  an: 
Arma  virumque  cano  etc. 


78  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 

Ich  mus  ein  man  mit  seinem  Kleid 
Beschreiben  sampt  der  Heiligkeit  etc., 

dessen  Anfang  recht  witzig  parodiert  wird.  Wie  der  alte 
Dichter  seine  Muse,  so  ruft  Fischart  die  H.  Katharina  von  Senis 
an,  damit  sie  ihn  inspiriere  und  ihm  mitteile : 

Was  docl^  die  vrsach  gruendlich  war 

Des  Zorns  in  der  beschornen  Schar 

Der  schwartzen  Muench  hie  mit  den  grawen, 

Die  mit  den  Dazen  vnd  den  Klawen, 

Wie  schwartz  vnd  grawe  ramlecht  Katzen 

Nun  lange  Zeit  einander  kratzen. 

Jene  Anspielungen  und  Parallelen  werden  im  weiteren  Ver- 
laufe jedoch  nur  gelegentlich  fortgesetzt;  erst  am  Schlufs  treten 
sie  VA'ieder  mehr  hervor,  passen  aber  dann  wenig  zu  dem  un- 
mittelbar Vorhergehenden. 

Anfangs  hat  es  den  Anschein,  als  ob  Fischart  blofs  den 
Helden  Dominikus  schildern  wolle,  bald  aber  wird  auch  Fran- 
ziskus herbeigezogen,  das  Verhältnis  beider  zueinander,  sowie 
ihrer  Orden  ausführlich  dargelegt  und  erst  mit  Vers  1740  die 
Geschichte  des  Dominikus  und  seines  Ordens  weitergeführt. 

Es  war  jedoch  Fischart  weniger  darum  zu  thun,  eine  Ge- 
schichte des  Franziskus  und  Dominikus  zu  schreiben,  als  viel- 
mehr das  Leben  und  die  Lehren  beider  Orden  eingehend 
zu  schildern.  Er  erzählt  daher,  welche  Feindschaft  zwischen 
beiden  herrsche,  wie  sie  entstanden  und  wie  sie  sich  äufsere. 
Er  zeigt  uns  ihre  Lebensweise,  ihren  Luxus  in  den  Kutten, 
ihre  Betteleien,  Erbschleichereien,  Sophistereien,  Scheinheiligkeit 
und  Unsittlichkeit.  Damit  wäre  das  Thema  behandelt.  Ein 
Ausspruch  des  Franziskus  Nas  jedoch,  dafs  Luther  im  Dienste 
des  Teufels  gestanden,  weil  er  manche  Anfechtungen  von  ihm 
erfahren,  veranlafst  ihn  (wie  auch  schon  der  Titel  ankündigt), 
zu  zeigen,  dafs  man  dies  noch  viel  eher  von  Dominikus  sagen 
könne.  Zu  diesem  Zwecke  erzählt  er  nun  in  der  zweiten  Hälfte 
der  Satire  das  Leben  des  Dominikus  sehr  ausführlich  und  ver- 
bindet damit  die  weitere  Absicht,  die  Legenden  und  Wunder- 
berichte des  Ordens  gründlich  lächerlich  zu  machen.  Dafs  er 
dabei  besonders  die  Legenden  auswählt,  welche  ihm  dazu  die 
beste    Handhabe    darbieten,    ist    leicht    begreiflich.      Von    den 


Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen.  79 

Wunderthaten  zieht  er  hauptsächlich  die  heran,  welche  eine 
Parallele  mit  den  Wundern  Christi  bilden,  wodurch  die  Absur- 
dität derselben  noch  mehr  hervortritt.  Über  jede  Legende, 
jedes  Wunder  stellt  Fischart  endlich  humoristische  Betrachtuno-en 
an,  erklärt,  wie  diese  eigentlich  auf  natürliche  Weise  statt- 
gefunden hätten  und  zu  welchem  Zwecke  sie  ersonnen  seien. 

Hierbei  streut  er  eine  Menge  ironischer,  satirischer  Be- 
merkungen ein,  komische  Geschichtchen  etc.  etc.  Auch  am 
Rande  stehen  fast  auf  jeder  Seite  Sprichwörter,  kurze  Vers- 
chen, Citate  in  deutscher,  lateinischer,  französischer  etc.  Sprache, 
welche  den  Text  in  humoristisch-sarkastischer  Weise  glossieren, 
z.  B.  „Die  Muench  haben  gelobt,  wie  jener  Muench  sagt,  Armut 
in  dem  bad  vnd  gehorsam  vber  Tisch  vnd  keuschheit  vber 
dem  Altar. 

Mit  den  banden  raubt  man, 

Mit  dem  hertzen  glaubt  man. 

Die  lufft  ist  gar  lutherisch,  sagten  die  Spanier  in  Frischland, 
wie  sie  sehr  starben  etc." 

In  dem  Gedichte  finden  sich  oft  heftige  und  derbe  Ausfälle 
gegen  den  Orden,  besonders  gegen  Nas.  Fischart  zeigt  hier 
eine  Leidenschaftlichkeit  wie  nie  vorher.  Es  thut  ihm  aber 
selbst  leid,  dafs  er  sich  durch  seine  Entrüstung  so  weit  hat 
hinreifsen  lassen.  Daher  entschuldigt  er  sich  auch  am  Ende 
des  Gedichtes  und  schliefst  mit  einem  Gebete,  dafs  Gott  die 
Verblendeten  noch  bekehren  möge.  Ob  das  ein  heutiger  Sati- 
riker  thun  würde? 

Obwohl  die  Darstellung  und  die  Ausführung  des  Ganzen 
sehr  gelungen  ist,  so  sind  doch  die  Einzelheiten  zu  weit  aus- 
gesponnen.    Zwar  sagt  Fischart  selbst: 

Ich  machs  nicht  gern  zu  lang, 
Zu  weit  gehn  ist  kein  spatzirgang; 
Die  kuertze  ist  viel  angenemer 
Vnd  der  gedechtnus  viel  bequemer. 

allein  er  befolgt  diese  weise  Regel  zu  wenig. 

Das  Jesuiterliütlein.  Kein  Orden  war  Fischart  so  verhafst 
wie  der  Jesuitenorden.  Dies  zeigte  schon  sein  erstes  Auftreten, 
besonders  aber  diese  glänzendste  aller  seiner  Satiren.  Die  in- 
direkte Anregung  dazu  empfing  er  durch  das  französische  Ge- 


80  Jobaan  Fischarts  religiÖs-politisch-satirische  Dichtungen. 

dicht  „La  legende  et  deecription  du  Bounet  Carre",  wie  Kurz 
nachgewiesen  hat,  aliein  die  Ausführung  ist  durchaus  selbstän- 
dig. Der  Plan  des  Ganzen,  eine  vortreffliche  Allegorie,  ist 
sehr  einfach  und  durchsichtis:.  Der  Dichter  stellt  sich  die 
Frage:  Woher  kommt  doch  alles  Leid  und  L^nglück,  das  die 
Christen  trifft?  Antwort:  Vom  Satan.  Wieso?  Als  Christus 
Lucifers  Macht  gebrochen  hatte,  so  fängt  die  Satire  an,  da 
schmiedet  dieser  neue  Pläne,  um  sie  wieder  zu  begründen.  Das 
Hörn,  das  Symbol  der  Hölle,  soll  wieder  auf  Erden  aufgepflanzt 
werden,  allein  versteckt  und  in  heiliger  Art  gestaltet;  damit 
man  es  nicht  sogleich  erkenne.  Daher  läfst  Lucifer  ein  Spitz- 
horn:  die  Mönchs-  und  Kuttenkappe,  sodann  eine  Mütze 
mit  zwei  Hörnern:  die  Bischofsmütze,  ferner  einen  drei- 
hörnig  übereinander  getürmten  Kopfschmuck:  den  päpstlichen 
Hut,  endlich  eine  vierhörnige  Mütze:  den  Je s  uitenhut,  an- 
fertigen. Diese  vier  stattet  er  mit  aller  teuflischen  Bosheit  aus 
und  überträgt  ihnen  die  Mission,  seine  Macht  auf  Erden  zur 
Geltung  zu  bringen,  und  sie  erweisen  sich  dann  auch  als  treue 
Anhänger  und  Werkzeuge  des  Satans.  Mit  anderen  Worten; 
das  Mönchstum,  Bistum,  Papsttum  und  der  Jesuitismus  zeigen 
sich  in  ihrer  Wirksamkeit  als  Institutionen  des  Satans.  Und 
wie  führt  Fischart  dies  aus?  Lucifer  beruft  alle  Teufel  zu 
einer  Versammlung.  In  ergreifender  Rede  schildert  er  zuerst 
die  Zerrüttung  seiner  Macht,  worauf  er  seinen  Plan  zur  Wieder- 
herstellung derselben  auseinandersetzt.  Nach  seiner  Anweisung 
werden  die  vier  Mützen  nacheinander  gemacht,  entsprechend 
ausgestattet,  geweiht  und  auf  Erden  eingeführt.  Bei  jeder 
Mütze  giebt  er  eine  scharfe  Charakteristik  des.  Standes,  der  sie 
trägt,  d.  h.  der  Mönche,  Bischöfe,  Päpste  und  Jesuiten.  Die 
Klimax,  welche  schon  im  Plane  angedeutet  ist,  tritt  bei  der 
Ausführung  trefflich  hervor.  Bei  jedem  neuen  Hute  gerät 
Lucifer  stets  mehr  in  Eifer.  Je  gröfser  die  Anstrengung  bei 
der  Herstellung  der  Hüte,  desto  gröfser  wird  seine  Begeiste- 
rung, welche  endlich  in  der  Rede  gipfelt,  die  er  über  die  Be- 
deutung und  Wirksamkeit  der  Jesuiten  hält.  Fischart  ent- 
wickelt bei  letzterer  (besonders  von  Vers  1017  an)  eine  Vir- 
tuosität in  Sprache,  Stil  und  Satire,  die  ihm  die  Bewunderung- 
aller  Leser  gewann.  —  Wie  im  Sekten-  und  Kuttenstreit  Fischart 


Johann  Fischarts  relfgiös-politisch-satirische  Dichtungen.  81 

die  einzelnen  Figuren  handelnd  und  sprechend  auftreten  läfst, 
so  werden  auch  die  einzelnen  Mützen  vor  unseren  Augen  an- 
gefertio^t,  gerade  wie  Homer  den  Schild  des  Achilles  Stück  für 
Stück  vor  uns  zusammenfügen  läfst.  —  So  zeigt  sich  auch  hier 
wieder  in  schlagender  Weise  Fischarts  künstlerisches  Gefühl. 

Gorgoneum  caput.  —  Meduse  Kopf.  —  Malchopcqyo.  —  Tier- 
hilder.  Diese  gehören,  wie  schon  bemerkt,  zu  den  sogenannten 
„Gemälpoesien".  Die  drei  ersten  sind  gegen  das  Papsttum  ge- 
richtet, die  letztere  gegen  den  Katholicismus  im  allgemeinen. 
Gorgoneum  caput  und  der  Gorgonisch  Meduse  Kopf  machen 
keinen  Anspruch  auf  künstlerische  Behandlung,  sind  auch  poe- 
tisch wenig  bedeutend,  wie  überhaupt  die  Werke,  in  welchen 
Fischart  sich  an  einen  getrebenen  Stoff  bindet.  Der  Dichter 
vergleicht  darin  den  Papst  mit  Gorgo  und  Medusa,  wobei  er 
seinen  Hafs  gegen  denselben  in  kräftigen  Worten  ausdrückt. 

Bedeutender  dagegen  ist  Malchopapo.  Obwohl  dieses  Ge- 
dicht auch  eine  Erklärung  eines  Holzschnittes  ist,  behandelt  ihn 
der  Dichter  doch  so  frei,  dafs  man  kaum  daran  erinnert  wird, 
ähnlich  wie  im  Sekten-  und  Kuttenstreit.  Der  Hauptnachdruck 
des  Gedichtes  liegt  in  einer  Parallele,  welche  Fischart  zwischen 
dem  Leben  und  den  Lehren  des  Papstes  und  Christi  zieht. 
Hier  ist  der  Dichter  wieder  in  seinem  Element,  daher  ist  auch 
hier  die  Darstellung  lebhafter    und  die  Ausführung  glücklicher. 

Die  Tierbilder  stehen  zwar  poetisch  nicht  höher  als  die 
zwei  zuerst  genannten  Holzschnittdichtungen,  allein  man  wird 
doch  nicht  leugnen  können,  dafs  die  Bilder  mit  Witz  und 
Scharfsinn  erklärt  sind.  Dies  springt  um  so  mehr  in  die  Augen, 
wenn  man  die  trockene  und  gesuchte  Auslegung  vergleicht, 
welche  Nas  von  denselben  Tierbildern  giebt.  Dafs  der  beifsende 
Spott  in  Fischarts  Satire  von  seinen  Gegnern  tief  empfunden 
wurde,  davon  zeugt  das  merlwvürdige  Schicksal  derselben.  Nach 
der  Erzählung  des  Abbe  Grandidier  (Essais  Historiques  et  topo- 
graphiques  sur  l'eglise  cathedrale  de  Strassbourg  1782)  nämlich 
mufste  ein  lutherischer  Buchhändler  in  Strafsburg,  welcher  Ab- 
drücke von  dieser  Satire  verkaufte,  das  Land  räumen,  nachdem 
er  vor  dem  Münster  öffentlich  Kirchenbufse  gethan  hatte;  die 
Holzschnitte  aber  und  Abdrücke  wurden  durch  den  Nachrichter 
verbrannt.     Die  Bilder  selbst  wurden  1686  weggemeifselt. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.   LXXV.  6 


82  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 

Dafs  die  Bilder  übrigens  nicht  den  antikatholischen  Sinn 
hatten,  welchen  Fischart  und  andere  denselben  beigelegt,  hat 
J.  Grimm  (Reinhard  Fuchs)  gezeigt.  Sie  waren  nichts  als  eine 
harmlose  Darstellung  aus  der  Tiersage :  das  Totenamt  für  den 
toten  oder  scheintoten  Fuchs. 

ßeimstücke  aus :  Reveille  matin,  der  Spanischen  Armada, 
dem  Vncalvinisch  Gegen  Badstüblein  und  dem  Meuchelmord  {Er- 
manung  an  die  Bund  Bäpstler).  Fischart,  der  dichterische  Vor- 
kämpfer des  Protestantismus,  verfolgte  nicht  nur  alle  Schicksale 
desselben  in  seinem  Vaterlande,  sondern  er  schenkte  auch  den 
religiös-politischen  Ereignissen  in  anderen  Staaten  Europas  seine 
volle  Aufmerksamkeit.  Es  giebt  eine  Anzahl  geschichtlicher 
Zeitberichte  aus  den  siebziger  und  achtziger  Jahren,  an  denen 
Fischart  nach  seiner  Weise  als  Übersetzer,  Verbreiter,  Geleits- 
oder Empfehlungsdichter  beteiligt  war,  aus  denen  hervorgeht, 
dafs  er  in  einer  ununterbrochenen  Aufmerksamkeit  an  den  kirch- 
lich-politischen Zeitereignissen,  namentlich  in  den  Nachbarlanden 
der  Schweiz  und  Frankreich,  den  lebendigsten  Anteil  nahm.  Der 
Kampf  zwischen  der  Ligue  und  den  Protestanten  in  Frank- 
reich, der  Aufstand  der  Niederlande  gegen  Spanien,  die  Aus- 
rüstung und  der  Untergang  der  spanischen  Armada,  endlich 
die  Ermordung  Heinrich  III.  von  Frankreich  waren  Vorgänge, 
welche  das  gröfste  Aufsehen  erregten  und  welche  das  leicht 
entzündbare  Dichtergemüt  eines  Fischart  heftig  bewegen  mufeten. 
Auf  diese  Begebenheiten  beziehen  sich  die  zuletzt  genannten 
religiös-politischen  Satiren. 

Als  sich  die  schreckliche  Kunde  von  der  Bartholomäus- 
hochzeit verbreitete,  da  behandelte  Fischart  diese  Schandthat  in 
seiner  Schrift:  „Reveille  matin  oder  Wacht  frü  auf."  Es  ist 
eine  Übersetzung  des  „Le  Reveille-matin  des  Francjois  et  de 
leurs  Voisins.  Compose  par  Eusebe  Philadelphe  Cosmopolite, 
en  forme  de  dialogue."  A  Edemburg,  de  l'imprimerie  de  Jacques 
James,  1574.  —  Obwohl  manche  Gründe  dafür  sprechen,  dafs 
Fischart  selbst  der  Übersetzer  dieser  Schrift  ist,  so  konnte  dies 
doch  nicht  mit  Sicherheit  nachgewiesen  werden.  Wahrschein- 
lieh  hat  er  den  Übersetzer  blofs  unterstützt.  Dagegen  sind  die 
beigefügten  Reimstücke  unzweifelhaft  von  ihm.  Die  Parallelen 
zwischen  Katharina  von  Medici  und  Fredegunde,   Brunhilde  und 


Johann  Fischarts  leligiös-politisch-satirische  Dichtungen.  83 

Isabel  sind  echt  Fischartisch.  In  kurzen,  kräftigen  Zügen 
charakterisiert  er  das  schändliche  Treiben  dieser  Frau  und 
macht  ferner  auf  die  Gefahr  aufmerksam,  welche  Deutschland 
von  dieser  Seite  drohe.  —  Der  Untergang  der  spanischen  Armada 
war  ein  Ereignis,  welches  Fischart  und  alle  Protestanten  als  ein 
Gottesgericht  betrachteten  und  das  er  unmöglich  unbenutzt  vor- 
beigehen lassen  konnte.  Von  den  der  „Spanischen  Armada" 
beigefügten  Gedichten  „fliefst  (wie  Kurz  sagt)  besonders  das 
zweite  mit  solcher  Lebendigkeit  und  Leichtigkeit  dahin,  dafs 
man  sieht,  es  strömt  jedes  Wort  aus  der  Tiefe  seines  Herzens. 
Es  ist  von  einer  rhetorischen  Fülle  und  Kraft,  wie  sie  nur  in 
den  besten  seiner  anderen  Gedichte  gefunden  wird."  Vortreff- 
lich schildert  er  zuerst  den  Übermut  Spaniens,  das  wie  eine 
riesige  Spinne  die  ganze  Welt  mit  ihrem  Netze  umspannen, 
aussaugen  und  sich  und  dem  Papsttum  unterwerfen  will.  (Auch 
hier  sieht  man  wieder,  welche  tiefen  Blicke  Fischart  in  die 
politischen  Zustände  seiner  Zeit  that.)  Von  allen  Staaten  Europas 
hat  England  am  meisten  den  spanisch-päpstlichen  Einflufs  von 
sich  fern  gehalten,  ja  sogar  bekämpft.  Das  schreit  nach  Rache! 
Dieser  Ketzerstaat  mufs  vernichtet  werden.  Demgemäfs  rüstet 
Spanien  eine  riesige  Flotte  aus,  die  bekannte  Armada,  und  der 
Papst  feit  sie  mit  seinem  und  aller  Heiligen  Segen  gegen  alle 
Unfälle;  ja  damit  nichts  fehle,  hatte  die  Flotte  auch  schon  die 
nötigen  Ketzerrichter  und  Ketzerbekehrer  samt  dem  ganzen 
Bekehrungsapparat  an  Bord.  Aber  der  Mensch  denkt  und  Gott 
lenkt;  er  bereitete  diesem  schönen  Compagniegeschäft  ein  wohl- 
verdientes Ende.  Die  Schilderung  dieser  Niederlage  und  deren 
Rückwirkung  auf  ganz  Europa  ist  voll  poetischer  Kraft.  Das 
Gedicht  schliefst  mit  einer  kräftigen  Mahnung  an  die  Deutschen, 
die  günstige  Gelegenheit  zu  benutzen  und  auch  den  spanisch- 
päpstlichen Einflufs  zu  brechen.  —  In  dem  „Vncalvinischen 
Gegen  Badstüblein"  kommt  Fischart  noch  einmal  auf  dies  Er- 
eignis  zurück.  Ein  Jesuit  nämlich  hatte  in  einer  Flugschrift: 
„Caluinistisches  Badstüblein"  den  mifslungenen  Feldzug  der 
Schweizer  und  Deutschen  verspottet,  welche  den  Hugenotten 
zur  Hilfe  o;ezo£ren  waren,  und  daraus  ferner  den  Schlufs  oe- 
zogen,  dafs  die  Sache,  für  welche  die  Protestanten  kämpfen, 
schlecht  sein  müsse,  da  Gott  ihr  Unternehmen  verhindert  habe. 


84  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 

Das  war  Wasser  auf  Fischarts  Mühle!  Darauf  mufste  er  ant- 
worten, und  dafs  dies  eine  gesalzene  Antwort  sein  würde,  läfst 
sich  erwarten.  Die  Disposition  zu  diesem  „Gegenbadstüblein" 
ergab  sich  für  Fischart  von  selbst :  Vergleichung  des  Feld- 
zuges der  Deutschen  und  Schweizer  geojen  die  Ligue  mit  dem 
spanisch-päpstlichen  Angriff  der  Arn)ada  gegen  England;  beider- 
seitiger Zweck;  Mifslingen  der  Unternehmung;  schliefslicher 
Sieg  der  Hugenotten!  —  Die  Ausführung  ist  meisterhaft.  Er 
erdrückt  gleichsam  seinen  Gegner  mit  der  unwiderstehlichen 
Macht  seiner  Ironie  und  seines  Hohnes.  Sehr  gelungen  sind 
auch  die  zwei  eingeschobenen   Liedchen. 

Die  Ermordung  des  Königs  Heinrich  Hl.  von  Frankreich 
durch  den  Predigermönch  Jaques  Clement  lenkte  Fischarts  Auf- 
merksamkeit wieder  auf  die  verderbliche  Wirksamkeit  der 
Mönche,  ein  Thema,  das  er  schon  wiederholt  behandelt.  In 
seiner  „Ermanung  an  die  Bund  Bäpstler"  erinnert  er  nochmals 
an  die  Gefahren,  welche  den  Völkern  und  Fürsten  von  den 
fanatischen  Dominikaner-  und  Jesuitenorden  drohen,  die  um 
so  gröfser  seien,  da  die  verderbliche  Lehre  von  dem  Ablafs  alle 
Sittlichkeit  untergrabe.  So  derb  die  Sprache  des  Gedichtes 
ist,  so  ist  sie  doch  durchgehends  würdig,  weil  sie  der  Ausdruck 
der  sittlichen  Entrüstung  über  die  abscheuliche  That  des  fana- 
tisierten  Mönches  ist. 

So  scharf,  geistreich  und  vernichtend  die  meisten  dieser 
Satiren  auch  sind,  so  haben  sie  doch  wahrscheinlich  nicht  den 
grofsen  Erfolg  gehabt,  den  Fischart  erwartet  haben  mochte. 
Zur  Zeit  als  sie  erschienen,  standen  die  Parteien  schon  zu 
scharf  geschieden  und  zu  erbittert  einander  gegenüber,  so  dafs 
sie  wohl  wenig  in  die  Hände  des  katholischen  Volkes 
gekommen  sein  mögen.  Wären  sie  zur  Zeit  Luthers  erschienen, 
im  Anfang  des  Jahrhunderts,  so  hätten  sie  gewifs  eine  ähn- 
liche Wirkung  gehabt  wie  Luthers  Schriften.  Indessen  be- 
weisen die  sehr  zahlreichen  Auflagen  seiner  Werke,  dafs  er 
während  seines  Lebens  und  auch  noch  30  Jahre  lang  nachher 
ein  vielgelesener  Schriftsteller  war. 

Schliefslich  wünsche  ich  noch  zwei  Punkte  zu  besprechen, 
welche  man  Fischart  oft  zum  Vorwurf  macht. 

Wie  konnte  doch  Fischart,   der    so    scharfe    Satiren  gegen 


Johann  FIscharfs  religiös-politisch-satirische  Dichtungen.  85 

den  Papismus  schrieb,  eine  Übersetzung  erzkatholischer 
Lobsprüche  auf  (28)  Päpste  liefern  (die  bekannten  Accuratte 
effigies  pontificum)?  Stellt  dies  nicht  völlig  im  Widerspruch 
mit  seinen  deutlich  ausgesprochenen  Grundsätzen  ?  Durchaus 
nicht!  Wir  wissen,  dafs  Fischart  sich  bei  einer  Menge  Schriften 
anderer  Autoren  beteiligt  hat.  So  hatte  er  die  Erzeugnisse 
vieler  befreundeten  Männer,  bald  Holzschnittvverke  von  Tobias 
Stimmer,  bald  Embleme  von  Holzvpart,  bald  die  Übersetzung 
eines  politischen  Werkes  von  Nigrinus  mit  Spruchversen,  mit 
empfehlenden  Versen,  mit  Vorreden  begleitet,  bald  hatte  er  die 
Hände  in  Übersetzungen  und  Auso^aben  von  ärztlichen,  maffi- 
sehen,  politischen,  theologischen  imd  anderen  Werken,  die  er 
bald  einem  Freunde  zuliebe,  bald  seinem  Schwager  oder  einem 
anderen  Verleger  zuliebe  herausgeben  half.  Oft  gewährte 
ihm  die  Beschäftigung  mit  gleichgültigen  Gegenständen,  ihm, 
der  eigentlich  nie  müfsig  sein  konnte,  doch  Gelegenheit,  etwas 
auszuruhen,  während  sie  zugleich  seinem  Drange  nach  Aus- 
breitung seines  Wissens  genügten.  So  verhält  es  sich  auch 
mit  der  vielgerügten  Übersetzung  jener  Accuratse  effigies  ponti- 
ficum. Fischart  dediziert  diese  Reimzeilen  „dem  Hochwirdigen 
Fürsten  vnd  Herrn  Melchipr,  BischoflTen  zu  Basel,  meinem 
Gnaedigen  Fürsten  vnd  Herrn  etc.  1573." 

In  der  Nachbarschaft  Basels,  in  dem  Fürstentum  dieses 
Bischofs,  und  zwar  in  dem  französischen  Teile  desselben,  war 
die  Heimat  und  der  Geburtsort  von  Jobin,  dem  Schwager 
Fischarts.  Dort  lebten  Verwandte  und  Freunde  desselben,  also 
auch  von  ihm.  In  der  von  Bernhard  Jobin  unterzeichneten  Zu- 
eignung jener  AccuratEe  effigies  heifst  es  daher:  „Sintemal  meine 
Voreltern,  Verwante,  Freund  vnd  ich  in  E.  F.  Gebiet,  Land- 
schaft vnd  schütz  mehrertheils  geboren,  erzogen  vnd  ernehrt 
worden,  auch  noch  zur  zeit  deren  etliche  E.  F.  G.  gnädiges 
echirms  geniefsen,  vnd  sich  noch  täglich  frewen  vnd  ge- 
trösten"  etc. 

Fischart,  der  bisher  trotz  seiner  Armut  viel  gereist  hat, 
wollte  sich  im  Jahre  1574  nach  Basel  begeben,  um  dort  sein 
Doktordiplom  zu  holen.  Daher  that  er  seinem  Schwager,  der 
ihn  darum  ersuchte,  gern  den  Gefallen,  jene  ßeimzeilen  zu 
machen,    die    Job  in    dem  'Fürstbischof    widmete.      Die    Holz- 


86  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satiriscbe  Dichtungen. 

schnitte  dazu  hatte  Tobias  Stitnmer  geliefert,  den  Jobin  seinen 
„Gevatter"  nennt.  Es  war  also  eine  Art  Familienhuldigung, 
hauptsächlich  aber  ein  buchhändlerisches  Unternehmen,  eine 
Spekulation.  Jobin  wollte  zeigen,  dafs  er  auch  gut  katholische 
Schriften  herausgebe.  Aufserdem  hat  Fischart  in  der  Vor- 
rede sich  sehr  vorsichtig  ausgedrückt.  Er  spricht  kein  Wort 
zur  Verherrlichung  jener  Papste,  wohl  aber  die  schönsten  zu 
Ehren  der  deutschen  Kunst  gegenüber  dem  Mifsbrauch  durch 
die  Welschen. 

Der    andere    Punkt    betrifft     die    Derbheit    des    Aus- 
druckes, die  Fischart  von  vielen  so  schwer  angerechnet  wird. 

So  wenig  —  um  mich  eines  volkstümlichen  Spruches  zu 
bedienen  —  jemand  aus  seiner  Haut  fahren  kann,  so  wenig 
kann  auch  der  gebildetste  Mensch  verleugnen,  dafs  er  ein  Kind 
seiner  Zeit  ist.  Alle  polemischen  Schriften  jener  Zeit  zeigen 
eine  grofse  Leidenschaftlichkeit  und  Derbheit  in  Sprache  und 
Darstellung,  weil  eben  die  Leidenschaften  der  Menschen  durch 
die  Ereignisse  fortwährend  angefacht  wurden.  Und  wehe  dem 
Schriftsteller  jener  Zeit,  der  in  Leben  und  Wandel  nicht  un- 
tadelhaft  dastand;  er  wurde  schonungslos  an  den  Pranger  ge- 
stellt. Nichts  aber  bringt  die  Menschen  mehr  in  Aufregung 
als  religiöse  Streitigkeiten,  besonders  wenn  diese  vom  Fanatis- 
mus geschürt  werden.  Unsere  Zeit,  die  in  religiöser  Hinsicht 
schon  vielfach  lau  oder  kalt  geworden  ist,  sieht  daher  auf  den 
Eifer  jener  Zeit  mit  vornehmem  Lächeln  herab,  oder  findet  ihn 
gar  inhuman,  pöbelhaft  etc.  Allein  in  jener  Zeit  war  die  Reli- 
gion für  die  Menschen  noch  eine  innige  Herzenssache,  und  es 
galt  aufserdem  einen  Streit  um  Sein  oder  Nichtsein!  Das  ver- 
gesee  man  nicht  und  beurteile  diesen  Dichter  jener  Zeit  in 
dieser  Hinsicht  auch  nacii  seiner  Zeit,  um  so  mehr,  da  man 
doch  auch  die  Derbheiten  (um  keinen  anderen  Ausdruck  zu 
gebrauchen)  des  heute  so  viel  bewunderten  Shakespeare  —  der 
darin  wahrlich  einem  Fischart  nichts  nachgiebt  —  mit  dem 
Mantel  der  Liebe  bedeckt. 

Da  Fischart  aber  ein  Mann  war,  der  durch  seine  Bildung, 
seine  Kenntnisse,  seinen  Geschmack  seine  Zeitgenossen  weit 
überragt,  so  hätte  er  —  meinen  andere  —  dies  auch  dadurch 
zeigen    sollen,   dafs   er  eben   alle  Derbheiten   vermeide.  —  Alle 


Jobann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen.  87 

Derbheiten  zu  vermeiden,  war  in  jenem  Jahrhundert  keinem 
Dichter,  Schriftsteller  etc.  möglich,  man  denke  z.  ß.  an  Luther  ; 
und  seien  wir  ehrlich,  auch  in  unserem  Jahrhundert  nicht !  — 
Wohl  aber  zeigte  sich  der  wahrhaft  Gebildete  dadurch,  dafs 
er  dieselben  so  viel  wie  möglich  vermied.  Dies  that  dann 
auch  Fischart.  Wenn  man  seine  Schriften  mit  denen  seiner 
Gegner  vergleicht  und  anderen  dieser  Zeit,  so  zeigt  sich  die 
grofse  Mäföigung  Fischarts  auf  jeder  Seite.  Wenn  ihn  jedoch 
die  Entrüstung  verleitet,  sich  im  Stile  seiner  Zeit  und  seiner 
Gegner  auszudrücken,  dann  weifs  und  fühlt  er  recht  gut,  dafs 
er  zu  heftig,  zu  derb  geworden  ist  —  die  anderen  fühlen  das 
aber  nicht  einmal  —  und  er  bittet  höflichst  um  Verzeihung, 
oder  er  erklärt,  dafs  man  diese  Person  oder  Sache  der  Wahr- 
heit gemäfs  nicht  anders  bezeichnen  könne,  z.  B. : 

Derhalb  jr  billich  Laeser  all, 

Wie  herb  auch  scheint  dis  schreiben, 

Lafst  euch  nichts  ärgern  jzumal, 

Man  mus  die  Wahrheit  treiben, 

Man  mus  den  Bluthund  Bluthund  nennen, 

Dan  er  ist  je  kein  Schaf  etc.  (Reveille  matin  29.) 

Ein  solchen  flegel  gebeert  ein  solcher  schlegel. 
Ich  mus  grob  reden  von  der  sach. 
Weil  ich  hab  vor  mir  grobe  knoepff: 
Die  Laug  mus  sein  gleich  wie  die  koepff. 

(Dominici  Leben  2872.) 

P^ürwar,  solch  Laurenwerck  vnd  gspoet 

Macht,  das  ich  was  hefftiger  redt, 

Denn  wer  kan  solch  Gottslesterung 

Vertragen  on  Verantwortung.  (Idem  2655.) 


IL    Fisoharts  Sprache. 

Gegen  das  Ende  des  15.  Jahrhunderts  war  das  Mhd.  auch  als 
Schriftsprache  erloschen.*  Die  einzelnen  Dialekte,  welche  sich  in  den 
letzten  Jahrhunderten  stets  mehr  entwickelt  hatten,  traten  nun  gleich- 
mäfsig  in  der  Schriftsprache  auf,  so  dafs  die  sprachliche  Einheit  Deutsch- 
lands verloren  zu  gehen  drohte.    Glücklicherweise  entstand  jedoch  jetzt, 


*  Vergl.  Zarncke,  Das  Narrenschiif  p.  275. 


88  Johann  Fiscliarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 

besonders  unter  Luthers  Vorgang,  das  Neuhochdeutsche,  das  all- 
mählich die  Mundarten  aus  dera  Gebrauche  als  Bücher-  und  Schrift- 
sprache verdr.ängte  und  fast  alle  deutschen  Stämme  wieder  durch  eine 
Sprache  verband.  Diesen  Sieg  hat  das  Neuhochdeutsche  jedoch  nur 
sehr  langsam  errungen.  Die  Schriftsteller  des  16.  Jahrhunderts  wollen 
teilweise  noch  gar  nichts  von  dieser  neuen  Sprache  wissen  und  halten 
sich  an  ihre  Mundart.  Andere  schlössen  sich  ihr  vollständig  oder  doch 
im  wesentlichen  an.  Zu  letzterer  Kategorie  gehört  auch  Fischart. 
Seine  Sprache  ist  im  allgemeinen  die  hochdeutsche.**  Diese  ist 
jedoch  stark  beeinflufst  durch  die  siidfränkische  Mundart,  speciell  durch 
den  Strafsburger  Dialekt.  Dazu  kommt  noch  eine  ziemliche  Anzahl 
mhd.  und  einige  niederdeutsche  Wortformen.  Alle  diese  zusammen 
bilden  etwa  ein  gutes  Drittel  seines  Wortschatzes. 

Ehe  ich  Fischarts  Sprache  im  Einzelnen  darlege,  mufs  ich  noch 
einige  Bemerkungen  über  seine  Orthographie  vorausschicken. 

Nach  Vilraars  Untersuchungen  zeigt  Fischarts  Orthographie  drei 
deutlich  unterscheidbare  Perioden:  „Was  vor  1575  gedruckt  ist,  zeigt 
zwar  Anfänge  einer  selbständigen  Schreibung,  aber  weder  ist  eine 
solche,  noch  sind  jene  Anfänge  selbst  konsequent  durchgeführt.  Im 
Jahre  1574  bildete  sich  Fischart  eine  eigentümliche,  an  den  Dialekt 
des  Elsasses  angeschlossene,  wohldurchdachte,  wenn  auch  in  einigen 
nicht,  unerheblichen  Funkten  fehlerhafte  Schreibung,  und  hielt  bis  zum 
Jahre  1578  streng  darauf,  dafs  die  Setzer  dieser  Schreibung  folgten. 
Vom  Jahre  1578  an  wird  seine  Einwirkung  auf  die  Setzer  schwächer 
oder   lässiger  und   hört  mit  dem  Jahre  1582,    nachdem   er   Strafsburg 


*  Ich  kann  daher  nicht  zugeben,  was  H.  Rückert,  Geschichte  der  nhd. 
Schriftsprache  II,  18:'>,  sa^t:  „Alle  diese  litterarischen  Heroen  (nämlich 
P^ischart  u.  a.)  stehen  entschieden  nicht  unter  Luthers  Autorität;  sie 
schreiben  die  Gemeinsprache,  aber  jeder  in  seiner  Weise  und  jeder  in 
seiner  eigenen  Orthographie."  Dem  steht  entgegen,  dafs  Fischart  sich 
deutlich  bewufst  ist,  hochdeutsch  zu  schreiben  und  dies  aucli  wiederholt 
erklärt,  z.  B.  Nachtrab   1003: 

Weil  sie  dann  kommen  also  grob 
So  mufs  man  jhn  das  Rappenlob 
Ein  wenig  auff  gut  hochdeutsch  sagen  etc. 

Diesen  Ausdruck  könnte  mnn  freilich  auch  so  auffassen,  dafs  Fischart 
diesmal  deutsch  schreiben  wolle  statt  lateinisch,  allein  warum  sagt  er 
dann  nicht  schlechthin  „deutsch"  oder  „gemeindeutsch",  sondern  hoch- 
deutsch? 


Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen.  89 

verlassen  und  die  Korrektur  von  Speier  und  Forbach  aus  nicht  mehr 
selbst  besorgen  konnte,  ganz  auf,  so  dafs  in  den  von  1582 — 88  ge- 
druckten "Werken  es  der  Geneigtheit  der  Setzer  überlassen  blieb, 
Fischarts  Orthographie  beizubehalten  oder  zu  beseitigen.  Er  selbst 
scheint  die  wesentlichsten  Stücke  seiner  Orthographie  von  1575  bis 
an  sein  Ende  beibehalten  zu  haben,  —  so  dafs  die  schlechten  Formen 
mit  dt  in  kondte,  gewandt,  wirdt  etc.  und  vieles  andere  nur  den  Setzern 
zur  Last  fällt." 

Wenn  ich  diese  Ansicht  an  den  hier  behandelten  Dichtungen 
prüfe,  so  finde  ich  sie  im  ganzen  zutreffend.  Meduse  Kopf  (1577), 
Malchopapo  (1578)  zeigen  uns  demnach  die  eigentliche  Orthographie 
Fischarts.  Beide  enthalten  keine  Konsonantenhäufungen,  keine  Ver- 
doppelung des  f,  k,  z  nach  Konsonanten  und  langen  Vokalen,  kein  ew, 
aw,  sehr  wenige  Dehnungs-h  u,  s.  w.  Eine  fast  gleiche  Orthographie 
bieten  auch  die  Tierbilder  (1573),  welche  jedoch  im  Rev.  Matin  (1575) 
wieder  bedeutend  zur  früheren  Schreibweise  neigt,  und  im  Gorgoneum 
Caput  (1577)  ist  dieselbe  ganz  wie  früher.  Dies  ist  auffallend.  Nach 
Vilmars  Ansicht  mOfste  man  gerade  das  Gegenteil  erwarten,  oder  sollte 
die  Entstehungszeit  von  Gorgoneum  caput  nicht  älter  angesetzt  werden 
müssen,  als  man  bis  jetzt  that? 

Charakteristisch  für  die  vier  zuerst  genannten  Dichtungen  ist 
auch,  dafs  in  denselben  zum  erstenmal  der  Diphthong  ai  auftritt,  der 
später  wieder  fast  ganz  verschwindet. 

Die  drei  zuletzt  behandelten  Gedichte:  Spanische  Armada  (1588), 
Meuchelmord  (1589),  Gegenbadstüblein  (1589),  welche  „der  Geneigt- 
heit der  Setzer"  überlassen  blieben,  zeigen  in  der  That  die  gröfsten 
orthographischen  Willkürlichkeiten.  Im  allgemeinen  schreibt  Fischart 
die  Wörter  mit  kleinen  Anfangsbuchstaben  (im  Jesuiterhütlein  ist 
es  gerade  umgekehrt).  Häufig  (allein  durchaus  nicht  konsequent)  ge- 
braucht er  grofse  Anfangsbuchstaben  bei  Wörtern,  auf  welchen  der 
Redeton  liegt,  oder  welche  er  sonst  hervorheben  will,  weshalb  sie  auch 
bei  allen  Wortarten  erscheinen.  Jedoch  ebenso  häufig  stehen  sie  nicht, 
wo  man  sie  erwarten  sollte ;  ja  es  giebt  genug  Verse,  in  denen  fast 
jedes  Wort  mit  grofsen  Anfangsbuchstaben  geschrieben  ist,  z.  B. : 

Auch  Vnser  Hörn  Vnd  Stärck  Zerbrach     (Jesuiterb.  80.) 

Zwei  Hoerner  mit  Vil  Gsteyn  Versetzt. 

Fürs  Dritt  Versuchstück  in  Der  Wüsten.     (Id.  309.) 


90  Jobann  Fischart s  religiös-politiscb-satirische  Dichtungen. 

1.    Die   Vokale.* 

Die  durchgreifende  Veränderung  im  Vokalismus,  welche  schon 
im  Spätmittelhochdeutsch  anfing,  nämlich  Dehnung  der  alten  Kürzen 
in  betonten  Silben,  hat  bei  Fischart  bereits  sehr  grofsen  Umfang  ge- 
wonnen. Diese  neuen  Längen  unterscheiden  sich  jedoch  dadurch  vom 
Neuhochdeutschen,  dafs  Fischart  sie  nach  Bedürfnis  auch  noch  als 
Kürzen  gebraucht.  Wenn  die  ursprüngliche  Kürze  sich  erhält,  so  wird 
schon  in  den  meisten  Fällen  der  folgende  Konsonant  verdoppelt.  Daher 
die  Doppelschreibweisen  wie:  dan,  dann  (Nachtr.  384);**  jederman, 
jedermann  (id.  392,  1295);  Got,  Gott  (Tierbilder  8,  14);  Stathalter, 
Statthalter  (Malchopapo  4,  13)  u.  s.  w. 

Andererseits  erfuhren  die  ursprünglichen  Längen  vielfach  Verkür- 
zung, wobei  dann  der  folgende  Konsonant  oft  verdoppelt  wurde.  Diese 
Verdoppelung  ist  jedoch  noch  nicht  konsequent  durchgeführt,  weshalb 
sehr  viele  Formen  mit  und  ohne  Verdoppelung  abwechseln,  z.  B,  herschen 
(Tierbilder  148),  herrschen;  er  hat,  halt  (Nachtrab  630)  u.  s.  w. 

Andere  Veränderungen  im  Vokalismus  sind  ein  Ausflufs  der 
dialektischen  Aussprache,  besonders  die  Trübung  oder  Ver- 
dumpfung  der  Vokale.  Da  auch  bei  Fischart,  wie  schon  bei  Brant,*** 
die  Konsonanten  selbst  nach  langen  Vokalen  vielfach  verdoppelt  werden, 
so  ist  ferner  nicht  blofs  eine  Trübung  der  Qualität,  sondern  auch  der 
Quantität  der  Vokale  anzunehmen.  Daher  ist  auch  hier  anwendbar, 
was  J.  Grimm  (Gr.  I,  213)  sagt:  In  allen  diesen  Wörtern  gilt  nur  ein 
gleichförmig  betonter  Laut,  den  man  weder  kurz  noch  lang  nennen  kann. 

Indem  ich  nun  den  Vokalismus  Fischarts  entwickle,  mufs  ich 
noch  zuvor  bemerken,  dafs  manche  der  hier  unten  angeführten  Kürzen 
auch  schon  als  Längen  vorkommen,  ganz  wie  im  Neuhochdeutschen. 
Manche  Formen  sind  blofs  aus  einem  oder  mehreren  Gedichten  belegt; 
dieselben  finden  sich  jedoch,  wenn  nicht  ausdrücklich  anders  bemerkt 
ist,  auch  in  den  übrigen  hier  behandelten  Dichtungen. 


*  Da  für  die  alten  Umlautsbezeiclinungen  von  a,  o,  u  mit  darübergesetz- 
teni  p,  für  den  alten  Diphthong  u  mit  dariibor<resetzteni  o  (=  mhiK  uo)  in 
<ler  Druckerei  keine  Typen  vorhamien  sind,  so  wurden  diese  durch  ae,  oe, 
ue  und  uo  ersetzt,  was  icli  beim  Vokalismus  (pag.  90,  97  u.  s.  w.)  beson- 
ders zu  beachten  bitte.  Da  jednch  bei  Fischart,  obwohl  sehr  selten,  aucli 
fiie  Bezeichnung  ae  vorkommt,  so  wurde  letztere  zur  Unterscheidung  mit 
fetten  Lettern  gedruckt. 

**  Ich   eitlere,    wie   schon   erwähnt,    nach   der   Ausgabe   von   H.    Kurz, 
J.  Fischarts  sämtliche   Dichtungen,  Leipzig  1866. 
***  Zarncke,  Das  Narrenschifl"  p.  279. 


Jobann  Fischarts  religiös-politiscb-satirische  Dichtungen.  91 

o)  Kurze  Vokale.* 

1)  Mhd.  a.  Dem  mhd.  a  entspricht  durchweg  a,  z.  B.  das,  anders, 
machen,  hab,  bafz  N.  290,  Habich  N.  18,  schandlich  N.  1614,  kallen 
N.  534,  Man  N.  880,  Plarr  J.  460  (mhd.  plärren).  Fadem  J.  257, 
ancke  K.  550,  dannoch  R.  M.  II,  3;  N.  689,  einfaltig  T.  I,  37,  Mar- 
melstein K.  17,  Statt  (=:  urbs)  K.  118.  Ausnahmsweise  steht  eine 
Nebenform  mit  Umlaut  in  getter  N.  593,  221. 

2)  Mhd.  e  und  e  sind  verwischt.  Sie  werden  bei  P'ischart  durch 
e  oder  ä,  ae  wiedergegeben,  ohne  dafs  sich  für  diese  Bezeichnungen 
ein  deutlicher  Unterschied  im  Gebrauche,  wie  im  Nhd.,  wahrnehmen 
liefse. 

Beispiele  für  e:  het  N.  79,  betten  N.  77,  zelen  N.  2128,  erzelen 
N.  760,  gefeilt  N.  891,  heltst  N.  265,  geste  N.  1541,  stet  N.  214 
(Staetten  N.  1959),  bletter  N.  222,  erger  N.  53,  266  (aerger  N.  3552), 
frembd  N.  3242  (fraembd  Sp.  A.  II,  6),  quelen  T.  134,  Hering  Sp.A. 
II,  229,  hellisch  N.  1456,  hencken  Sp.A.  II,  37,  nemlich  N.  595 
(fürnaemlich  T.  53),  weren  N.  2034,  schweren  N.  143,  154,  tregt 
N.  3249  (traegt  T.  77),  bespraengen  T.  127,  Kaessel  T.  123,  Laeser 
R.M.  I,  29,  belaegerer  Sp.A.  II,  26,  Widersaecher  J.  529. 

Beispiele  für  e:  sehen,  lesen,  nemen  (nemmen  N.  2279),  fressen 
hertzen,  spehen  N.  1786,  begeren  N.  738,  ausleschen  T.  207,  rechen 
J.  118,  ergetzen  J.  216,  selbs  N.  2645  (selbst  N.  2915). 

In  einigen  Wörtern  steht  statt  e;  1)  ö,  oe,  z.  B.  Mör,  Mör- 
wunder  etc.  M.  sehr  häufig,  Moer  Sp.A.  I,  2  (auch  Meer  I,  21), 
Hoelle  (hoel),  hoellisch  T.  89,  98,  boesser  Sp.A.  II,  10,  beschwoeren 
Mp.  89,  Hoerföhrer  Gb.  405;  2)  ae  in  Haeffen  D.  568;  ferner  oe 
statt  e  z.  B.  woellen  N.  745. 

Anmerkung.  Der  Vokal  e  für  mhd.  e  kommt  durchgangig  vor 
in  N.,  Sp.A.,  G.c,  T.,  J.,  jedoch  nicht  in  K.M.,  M.,  Mp.     In  letz- 


*  Bei  der  Darlegung  der  Vokale  nehme  ich  als  Basis  den  mhd.  Voka- 
lismus, um  einen  festen  Ausgangspunkt  zu  haben. 

Die  verschiedenen  Gedichte  eitlere  ich  unter  folgenden  Abkürzungen 
nach  der  Ausgabe   von  H.  Kurz : 

N.      =  Nachtrab.  M.      =  Meduse  Kopf. 

K.       =r  Barfüfser  Sekten-  und  Kuttenstreit.  Mp.    =  Malchopapo. 

D.       =  \on  St.  Dominici  etc.  artlichem  Leben.  J.        =  Jesuiterhütlein. 

T.       =  Tierbilder.  Sp.A.=  Spanische  f  Armada. 

R.M.  =  Reveille  Matin.  Mm.  =  Meuchelmord. 

G.c.  =  Gorgoneum  caput.  Gb.    =  Gegenbadstüblein. 


92  Jobann  Fiscliarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 

teren  Gedichten  steht  auch  meistens  ae,  seltener  ä,   das  überhaupt  ver- 
hältnismäfsig  nicht  viel  vorkommt. 

3)  Mhd.  i  ist  geblieben  im  Anlaut  mancher  Wörter,  besonders 
beim  Pronomen  steht  dafür  auch :  j. 

Beispiele:  vil  M.  78,  G.c.  19,  Mp.  51  etc.,  in  Cinn)>  ist,  sint, 
nit,  rit  N.  1092,  stilst  N.  1243,  .stim  N.  2869  (stimm  N.  2882), 
gewin  N.  944,  spil,  ligen  N.  686,  900  etc.  (liegen  N.  910),  dick 
{=  oft)  N.  134,  siehst  :  flehst  N.  275,  geschieht  N.  413,  sieht  N.  718 
(siht  N.  1079,  sihet  N.  1708),  anficht  Sp.  A.  II,  285,  Wider  J.  502  etc., 
nider  J.  910,  dis  M.  41,  diser  M.  34,  diselbig  R.  M.  62,  diselb  T.  28, 
jm  N.  15  (im  N.  105),  jn  N.  37,  jr  N.  3  (ir  N.  1),  jrren  N.  3195  etc. 

In  einigen  Wörtern  steht  statt  i  ein  ü  (we),  würd  T.  86,  171  und 
öfters,  würfFt  N.  714,  vi^ürcken  N.  1510,  wüfzt,  wüst  J.  47,  153, 
1  88  etc.,  also  stets  nach  lu. 

4)  Mhd.  0  ist  geblieben,  in  einigen  Fällen  jedoch  durch  Umlaut 
zu  oe  geworden. 

Bei,«piele:  vor,  wol  N.  876,  hol  N.  2347,  noch,  Obs  N.  2320 
(Ops  Sp.  A.  72  und  öfters),  foreht  T.  144,  öffentlich  N.  722,  from 
N.  2161  neben  frumb  N.  205,  117,  sonder  (mhd.  sunder)  J.  378, 
hornig  (hoernig)  J.  Titel,  Moerder  Mp.  61,  foerderst  J.  515  u.  s.  w. 

NB.  Neben  trotz  findet  sich  auch  trutz  N.  405,  wie  mhd.  troz 
neben  truz,  traz;  ähnlich  hoele  neben  huele  N.  2833  u.  öfters,  Donner 
neben  dunder  N.  3215. 

5)  Mhd.  ö  entspricht  ö  oder  oe,  z.  B,  moeeht,  götter  etc. 

6)  Mhd.  II  wird  durch  u  oder  v  wiedergegeben,  und  zwar  anlau- 
tend durch  v,  inlautend  durch  u. 

Beispiele:  vnd,  vnuerstand,  vnuerschempt  und  dergl.,  schmucken 
N.  1378,  spuren  N.  823,  rucken  Sp.  A.  11,  5  (neben  rücken),  kundbar 
N.  1335,  besunnen,  entrunnen  N.  1540,  gunnen,  gewunnen  N.  3557, 
duncken,  geduncken  N.  227,  416  ete.,  verrücken,  gucken  N.  3310, 
verzucken  N.  2485,  Sun  N.  1929  (häufiger  jedoch  Son  N.  1125,  oder 
Sohn),  Nunnen  N.  276G,  bur.st  N.  2204,  hur.'=^t  N.  3180,  gülden  M.  68 
(gewöhnlich  jedoch  golden),  muzen  M.  26,  rucke  N.  708,  trutz  N.  139, 
butz  N.  140. 

Dagegen  zeigt  sich  schon  die  Dehnung  in:  lugen  J.  357  (mit 
Umlaut  Lügen  S.  391)  u.  a. 

7)  Mild,  ü  wird  bald  durch  ü,  bald  durch  iie  ausgedrückt,  ferner 
im  Anlaut  eines  Wortes  durch  v. 


Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen.  93 

Beispiele:  vber,  vberfallen  u.  a.;  fiierdern  N.  146,  guennen  N. 
2791  (neben  gunnen  N.  3557  und  goennen  N.  3585),  mueglich  N. 
822,  2651  etc.,  muegen  N.  1345,  Sp.  A.  II,  231,  geluebde  M.  129, 
kuetzel  D.  38,  huelffen  Sp.  A.  II,  171,  tuermeln  T.  154,  fruembkeit 
N.  3720,  kuennen  N.  2125  (neben  können  N.  2690),  luege  N.  1857 
(neben  lugenwerck  N.  1856),  für,  Gehürn  T.  177,  J.  197,  küssen 
J.  327,  Münch  N.  853,  858  sehr  oft  (neben  Miiench),  stück  N.  765. 
In  manchen  Wörtern  steht  für  ue  (n). 

a)  ö:  störzen  T.  216,  förchten  N.  929,  2202  etc.,  Moenster  T. 
b)  i:  schiren  R. M.  I,  5,  zinden,  pfitze  N.  1864.  c)  uo:  kuofst  N.  99. 
d)  11 :  nutzlich  J.  471,  D.  312. 

In  anderen  Wörtern  ist  jedoch  mhd.  ü  wie  im  heutigen  Neu- 
hochd.  zu  ö  geworden,   z.  B,  Koenig,   goennen,  moegen,  Moench  etc. 

h)  Lange   Vokale. 

1)  Mhd.  ä  entspricht  a,  manchmal  auch,  besonders  im  Reim,  o; 
äw  ist  meistens  zu  au  kontrahiert. 

Beispiele:  han  N.  286,  bestahn  :  ausgahn  N.  850,  3317,  abgan 
M.  118,  Verlan  N.  122,  lasen  T.  114,  xMp.  91,  stat  N.  582,  bestaht 
J.  232,  Jar  (Jahr)  T.  3,  war  T.  2,  N.  1120  (warlich),  darmit  N.  82, 
darbey  N.  1  72  (do  N.  94) ;  —  bestohn  N.  379,  stobt  :  gebot  N.  285, 
gethon  :  (person)  N.  3308,  vnderlon  :  vndergon  N.  1872,  Roht :  gebot 
N.  286,  rot  (=  Rath  331)  N.  817,  mol  N.  2918,  geroth  :  kot  N. 
3688,  lossen  ;  Verstössen  N.  3640,  krora  :  (Rom)  N.  3156,  zumol  : 
(wol)  N.  3222,  Som  :  (Rom)  G.c.  33. 

Die  meisten  o  statt  ä  finden  sieh  in  Nachtrab.  Die  Verdoppelung 
des  langen  a  tritt  schon  wiederholt  auf  z.  B,  Jaar  D.  1631  u.  öfters, 
Schaaf  J.  221,  Aaron  etc.  Einigemal  steht  o  statt  au  (mhd.  äw), 
z,  B.  blo  J.  145,  gro  J.  145  (graw  K.  38),  Klogen  J.  56,  81 
(Kloen  J.  62). 

2)  Mhd.  ae  wird  bald  durch  ae  («),  bald  durch  e*  ausgedrückt, 
ohne  dafs  sich  ein  Grund  dafür  auffinden  liefse. 

Beispiele:  theten  N.  344  u.  öfters,  kem  N.  343  etc.,  vnfletig  N. 
954  (vngfletig  701),  nem  N.  1552,  leg  N.  2015,  sefz  2688,  erkleren 
N.  308  (erklaeren  319),  bewehren  N.  2605,  wer  N.  76  (wäret  33, 
99);  —  staets  T.  83,  staet  N.  177,  Schaeflin  N.  1036,  bewaerung 
T.  55,  kaem  R.  M.  4,  gefäfz  R.M.  II,  34,  faehlen  J.  432  etc. 


*  Was  auch  mhd.  schon  vielfach  in  den  Handschriften  vorkommt. 


94  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 

Anmerkung,  e  für  mhd.  ae  findet  sich  am  meisten  im  Nachtrab, 
ferner  in  den  Tierbildern,  im  Jesuiterhötlein  u.  a.  Dagegen  in  Meduse 
Kopf,  Malchopapo  und  Reveille  Matin  steht  durchgängig  ae;  ä  kommt 
nur  selten  vor. 

3)  Mhd.  e  bleibt;  in  einigen  Wörtern  steht  ee,  z.B.  erst,  verkert, 
keren  N.  3676,  mehr  etc.,  See  D.  1847,  Seel  (Soel,  Sael)  M.  83,  89 
und  öfters,  Mp.  76. 

4)  Mhd.  %  wird  durch  i  ausgedrückt  oder  diphthongisiert  zu  ei^ 
wofür  in  manchen  Wörtern  auch  exj  steht. 

Beispiele:  schniden  N.  177,  pliben  T.  öfters,  triben  T.  11,  schriben 
T.  170;  —  Maenlin  N.  2205,  Laendlin  N.  1187,  stueblin;  N.  91  — 
mein,  dein,  sein  etc.,  bei,  Leib,  schreiben  N.  73,  scheinen  N.  80,  fein 
N.  97,  weil  N.  167,  gleich  N.  166,  weit  N.  249,  nein;  —  Eysen 
N.  3096,  bey  T.  29,  schreyen  T.  29,  47,  speyen  J.  397. 

Selten  steht  y  statt  i,  z.  B.  Paradyfs  J.  315.  Statt  ei  findet  sich 
in  einzelnen  Fällen  auch  m,  z.  B.  Fund  (Feind)  J.  212. 

5)  Mhd.  ö  bleibt  o,  z.  B.  so,  also,  gros  (grofs),  Ionen  N.  2696, 
stro  N.  3293,  fro  N.  2542,  not  N.  818,  rot  N.  817,  kotecht  N.  716, 
stosen  R.  M.  60,  stos  R.  M.  I,  3  etc. 

6)  Mhd.  oe  entspricht  gewöhnlich  oe  (seltener  ö). 

Beispiele:  groeser  M.  9,  schoen  M.  61,  löfsen  M.  153,  schnoed 
M.  150,  hoechst  Mp.  100,  troesten  Mp.  101,  plöd  T.  147,  Roemisch 
N.  51,  boese  N.  57,  vnnoetig  N.  494,  schön  N.  497. 

7)  Mhd.  ü  ist  zu  au  diphthongisiert,  wofür  in  einigen  Wörtern 
auch  die  Schreibweise  aw  auftritt  (vergl.  ou). 

Beispiele:  auflF,  aus,  tausend,  schnauben  N.  57,  Kaufs  N.  101, 
brauch  N.  488,  maul  N.  520,  D.  925,  bauch  Sp.A.  921,  schlauch 
Sp.  A.  210,  bauen  J.  136,  säumen  N.  2871,  es  daucht  N.  2827;  — 
bawen  N.  94,  3303,  G.c.  46,  bawer  N.  232,  Saw  N.  34  und  öfters, 
J.  454  (Sau  582). 

8)  Mhd.  iu  als  Umlaut  von  ü  wird  durch  «ew,  äxi  (aeiv),  oder 
durch  eu  (eiv)  ausgedrückt. 

Beispiele:  Baeuch  Sp.A.  209,  ausser  J.  219,  äuserlich  J.  215, 
M.  89,  T.  27,  euserst  N.  3368  (eusserlich  J.  868,  872,  D.  4517), 
Meufs  N.  2763,  D.  4144,  heuser  N.  809,  vngseuberlich  N.  1028,  Seul 
T.  Titel,  Meuler  D.  573,  Leufs  D.  885,  seumen  D.  4222;  —  Saew 
T.  4,  16;  Sewhirt  N.  1090,  Gebaew  N.  3409,  Saeubad  Gb.  7. 


Johann  Fischarts  roligiös-politisch-satirische  Dichtungen.  95 

Mhd.  hl  als  Kontraktion  eines  ehemaligen  Diphthongen  wurde  zu 
eu,  ew;  in  einigen  Wörtern  zu  aw.  (Die  Schreibweise  ew,  aw  wird 
gebraucht,  wenn  der  Stamm  auf  w  auslautet.) 

Beispiele:  heut  N.  63,  euch,  Teuffei  N.  150  (TeüfFel  3156), 
Leute  N.  209,  teutsch  N.  92,  neu,  scheuen  J.  15  etc.;  —  er  beut, 
zeucht,  fleufst  Sp.A.  II,  327  etc. 

Bei  den  Verben  ist  mhd.  in  im  Präsens  schon  meistens  zu  ie  ge- 
worden, z.  B.  er  biet,  ziecht  Sp.A.   101  etc.  etc. 

Beispiele  für  ew,  aw  :  ewer  N.  7,  83  u.  öfters,  new  N.  90,  92, 
rew  N.  2118,  rewen  N.  3502,  schewen  N.  260,  schew  N,  3539,  trew 
N.  171,  618,  grewel  N.  156,  607,  thewer  N.  2565,  stewr  N.  1448, 
fewr  N.  1058,  Abenthewr  :  ghewer  N.  3621;  —  vertrawen  N.  438, 
brawen,  trawen  R.  M.  II,  15. 

Anmerkung.  Im  Barf.  Sekten-  und  Kuttenstreit  steht  durchgängig 
statt  eu  eü,  z.  B.  heüt,  Leiit,  Teüffel  u.  s.  w.  Einigemal  steht  auch 
ei  statt  eu,  z.  B.  deiten  J.  241,  scheichen  N.  2385.  Endlich  findet 
sich  noch  die  Form  Fründe  N.  2140  neben  Freunde. 

c)  Diphthonge. 

1)  Mhd.  ei  wird  durch  ei  oder  ey  wiedergegeben,  in  einigen  Ge- 
dichten durch  ai. 

Beispiele:  kleiben  N.  74,  meinen  N.  79,  ein,  kein,  heilig,  zeichen, 
Heimet  N.  111,  frumbkeit  N.  208  ;  —  eyn  J.  25,  keyn  J.  105,  Heyden 
J.  50,  Steyn  J.  158,  Schwachheyt,  Ewigkeit  J.  105,  heylig  (heilig);  — 
Heyligkeit  G.  c.  24,  Eyer  G.  c.  62  ;  —  dagegen  ain,  kain  M.  9,  mainen 
M.  57,  Haidentum,  Aigentum  M.  121  ;  —  hailigthum  T.  6  (neben 
Heiligtum  77),  ain  (neben  ein)  T.  78;  —  ainerley  Sp.A.  II,  44. 

Die  Schreibweise  ey  findet  sich  durchgängig  in  den  Gedichten 
seit  1580,  also  in  den  letzten,  jedoch  teilweise  auch  in  Gorgoneum 
Caput.    Über  ai  sieh  oben  pag.  89. 

2)  Mhd.  ou  wurde  a)  zu  o  im  Präteritum  der  Verben  der  U-Klasse, 
z.  Bi  bog,  log  (liegen)  N.  1550  etc.;  b)  zu  au,  wofür  in  gewissen 
Wörtern  auch  aw  steht,  welche  Schreibweise  bekanntlich  schon  in  mhd. 
Handschriften  vorkommt. 

Beispiele:  auch,  schauen,  glauben  N.  95,  äuge  N.  339,  laufen 
N.  2020,  rauben,  Raub  Sp.A.  II,  198,  199,  glaubig  J.  Titel;  — 
hawen  N.  513,  1495,  Sp.A.  II,  146  u.  s.  w.;  fraw  N.  334. 


96  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirisclie  Dichtungen. 

Anstatt  au  steht  einigemal,  besonders  im  Reim,  auch  eu,  z.  B, 
erleuben  N.  682  (erlauben  604),  gleuben  sehr  häufig  in  D.  4661, 
4240  etc. 

3)  Mhd.  öu  ist  meistens  zu  aeu  geworden;  in  einigen  Wörtern  zu 
eiü.    Im  St.  Dominici  etc.  dagegen  steht  durchgängig  eu. 

Beispiele:  verlaeugnen  N.  945,  Raeuber  :  aufsstaeuber  Sp.  A.  I,  19, 
raeuberisch  N.  804;  frewen  N.  165,  Sp.  A.  I,  40  und  sonst  häufig, 
verdevven  N.  1419,  Hewschrecken  N.  3204;  —  Beir<piele  aus  D. : 
Reuber  1385,  Zeuber,  Zeuberey  (mhd.  zouber,  zouberie)  4074,  4082, 
Treum  3967,  barheupt  803,  weitleufftig  746,  leufft  4185.  Hierher 
gehört  auch  das  Wort  Loeenhaut  T.  41,  in  welchem  das  w  ausge- 
fallen ist. 

4)  Mhd.  ie  wurde  zu  i  (=  i),  welches  jedoch  vielfach  ie  ge- 
schrieben wird. 

Beispiele  aus  N.:  hie,  hier,  wie,  riechen  53,  bhielt  27,  ziehen  58, 
schier  64,  liefs  65,  dienen  66,  biegen  128,  liegen  1550  etc.;  aus 
Malchopapo:  hi  1  (hie  59),  wiwol  14  (wie  2,  13),  schir  53,  diner  43, 
verbiten  36,  schlisen  :  genisen  95  ;  aus  den  Tierbildern:  wiwol  13  (wie 
79),  dinst  12,  hilten  34,  Spigel  68,  hizu  76  (alhie  77),  lib  115,  lisen 
148,  dinen  195,  Thir  210;  aus  Meduse  Kopf:  Thir  17,  lib  59,  schir 
116,  verliren  118,  siden  :  verbiten  128  etc.;  dagegen  wieder  in  Span. 
Armada:  hier,  dienen,  fliegen,  lieff  12,  Tieffe  2  u,  s.  w. 

Mhd.  ie  ist  dagegen  meistens  zu  Je  geworden  in  ie  *  und  den  damit 
zusammengesetzten  Wörtern,  z.  B.  jederman  N.  79,  jeder  N.  73,  jetzund 
N.  82;  dagegen  ie  vnd  ie  Mp.  60,  ider  Mp.  67,  jder  R.M.  II,  29. 
Auch  findet  sich  noch  durchgängig  die  Form  liecht,  welche  jedoch 
reimt  auf  nicht  N.  1231,  1490  und  öfters.  Nebeneinander  kommen 
vor:  fiengen  :  fingen  Sp.  A.  II,   121. 

5)  Mhd.  uo  ist  zu  einem  einfachen  langen  u  geworden  ;  nur  einmal 
findet  sich  noch:  ruossig  D.  706. 

Beispiele:  zu,  must,  mus,  gut,  mut  N.  72,  thut  N.  206,  genug 
N.  245,  Fürstenthumb  N.  1150,  Bistumb  N.  206,  1388,  stul  N.  1332, 
erhüben  N.  1644,  vnfur  M.  32,  Fürstentum,  Hailigtum  M.  77,  78, 
rum  R.M.  I,  46,  erhub  R.M.  II,  10,  Almusen  J.  226. 

In  Gorgoneum  caput  und  teilweise  auch  in  Barfufsler  Sekten-  u. 
Kuttenstreit   wird   der   alte   Diphthong  uo,   wie   schon   in  mhd.  Hand- 


Paul,  Mittelhochd.  Gr.  §  16,  Anm. 


Jobann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 


97 


Schriften  gern  durch  u  mit  darüber  gesetztem  o  bezeichnet,  z.  B.  zuo 
G.c.  4,  muofs  G.c.  40,  Huor  G.  c.  9 ;  —  muost  K.  46,  genuogsam 
K.  102,  zuo  (zu)  K.  23,  buoben  :  gruoben  K.  111.  Viele  der  aus  uo 
entstandenen  langen  Vokale  erfuhren  jedoch  schon  Verkürzung,*  z.  B. 
Mutter,  mufs,  stund  N.  2857,  pfrunden  J.  350  u.  s.  w. 

6)  Mhd.  üe  wurde  zu  einem  einfachen  langen  ue  (u). 

Beispiele:  buecher,  fueren  (fuehren)  N,  1623,  1792,  Sp.A.  11, 
rueren  N.  2652,  rüren  T.  75,  muesen  :  fuesen  Sp.  A.  I,  50  (muessen  : 
fluessen  11,  212),  külen  Sp.A.  II,  181,  genuegen  II,  188,  frue 
II,  192  u.  s.  w. 

Anmerkung.  Der  Buchstabe  y  kommt  meistens  blofs  in  Fremd- 
wörtern vor;  ey  =  ei  (s.  d.),  z.  B.  Cyclops  J.  31,  Apollyon  J.  42, 
Mayestetlich  J.  305  (vergl.  Mayesteten,  Maiesteten  Mm.  4,  95),  So- 
dany  J.  356,  Paradyz  J.  315  u.  s.  w. 

Zusammenstellung. 
Wenn  man  von  dialektischen  Abweichungen  und  anderen  unregel- 
mäfsigen  P'ormen  absieht,  so  Lafst  sich  für  den  Vokalismus  in  Fischarts 
Gedichten  folgende  Tabelle  aufstellen: 


Mhd 

a;  a 

=  ¥ 

iscbar 

t  a;  a  (o,  aw),  aa. 

15 
» 

e,  ae  | 

!    J 

= 

» 

6«      «Oa      O/» 

n 

e 

= 

M 

e  (ee). 

M 

i 

= 

« 

i  (j). 

>5 

i 

= 

» 

i  (ie);   ei  (ey). 

»3 

o;  ö 

= 

n 

0  (oe);  08,  ö. 

w 

ö;  06 

= 

» 

ö;  oe  (ö). 

JJ 

u;   u 

= 

)5 

u  (v);  au  (aw). 

« 

ü  ;   üe 

= 

5» 

ue,  ü  (v). 

»5 

iu  (Umlaut) 

= 

>? 

aeu,  äu  (aew);   eu  (ew) 

M 

iu  (ehemaliger 

D 

iphthong) 

= 

>J 

eu,  ie,  ew  (aw). 

M 

ei 

== 

» 

ei  (ey,  ai). 

>5 

QU 

= 

n 

au  (aw),  ö. 

J5 

öu 

= 

» 

aeu,  oe  (eu,  ew). 

» 

ie 

= 

n 

i,  ie  (je). 

M 

uo 

= 

M 

A. 

*  Vergl.  auch  Flöhhaz;  hrsgb.  v.  Wendeler,  Halle  1877:  stuond  :  wund 
630;  aufstuond  :  gund  794. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXV.  7 


98  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 

2.     Die    Konsonanten. 

Bei  den  Konsonanten  ergeben  sieh  ähnliche  Erscheinungen  wie 
bei  den  Vokalen.  Eine  veränderte,  ungenaue  Aussprache  stiftete  allerlei 
Verwirrung  an.  Eine  verworrene  Orthographie,  welche  der  veränderten 
Aussprache  Ausdruck  zu  geben  suchte,  warf  den  Konsonantismus  erst 
recht  durcheinander  und  steigerte  noch  die  Verwirrung.  Infolge  davon 
finden  wir  eine  Zerrüttung,  Häufung  und  Zusammensetzung,  welche 
die  frühere  Reinheit  und  organische  Verschiedenheit  zertrümmerte. 

Die  mhd.  Auslautgesetze  zeigen  sich  bei  Fischart  nicht  mehr, 
denn  nicht  nur  media,  sondern  auch  doppelte  muta  wie  liquida  stehen 
im  Auslaut.  Dies  ergab  besonders  für  den  Reim  wesentliche  Verände- 
rungen, indem  nun  Konsonantenbindungen  eintraten,  welche  mhd.  un- 
möglich waren. 

A.    Gemination. 

Die  Geminationen,  welche  das  Mittelhochdeutsche  schon  hatte, 
sind  geblieben.  Dagegen  ist  nach  den  kurz  gebliebenen  hochtonigen 
Vokalen  der  einfache  Konsonant  bald  verdoppelt  wie  im  Neuhochdeut- 
schen, bald  in  der  mhd.  Schreibweise  belassen,  d.  h.  nicht  verdoppelt. 
Letzteres  ist  besonders  bei  Verbalformen  der  Fall. 

Beispiele:  dan,  dann  N.  384,  from,  fromm  N.  2162,  stira,  stimm 
N.  2869,  schlim  N.  159,  Man,  Mann  N.  880,  Got,  Gott  R.M.  I,  27, 
Himel,  Himmel  M.  40,  wan,  wann  R.M.  I,  9,  vnbekant  N.  359,  kan, 
kann  N.  550,  kanst,  kannst  N.  992,  nent,  nennt  N.  129,  nanten  T.  26, 
genant  N.  1726,  kenten  N.  1629,  entran  N.  1041,  zertrent  N.  2286, 
gefeit  G.c.  80,  trift  R.M.  14. 

Die  gröfste  Willkür  in  Bezug  auf  Gemination  findet  sich  in  dem 
Gedichte  „Tierbilder". 

Beispiele  zur  Gemination  1)  der  liquida:  vnnd  (vnd)  N.  Titel, 
ermannung  N.  704,  1648  (manen  1801),  jnnen  G.c.  25,  darinn  N. 
583  (drin  594),  nemmen  N.  484,  735  (nemen  1949),  vernummen  N. 
982,  kommen  N.  2213,  Nammen  :  zusammen  K.  57  (vergl.  Namen  : 
gramen  D.  691);  Namen  :  zusammen  Gb.  151;  —  gesell  N.  726, 
sollst  (solst)  N.  996,  fall  N.  2862,  woell  :  soell  J.  796  u.  a.  m. 

2)  der  muta;  doerffen  N.  79,  dörffst  N.  45,  dorffst  K.  816,  darffst 
K.  1445,  darff  K.  1196,  rufl^en  N.  3274,  auff  J.  19,  24,  N.  etc.,  wirfft 
D,   56,  kieffen,   ruffen   D.  161,   ruempffen  :  schimpffen  D.  224,   auff- 


Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen.  99 

opffern  T.  164  (opfern  163),  beropfft  J,  3717,  dapffer  J.  2458,  ver- 
niinfftig  K.  251,  offt  K.  292,  TeufFel  K.  211,  292,  J.  29  (Teufel  K. 
258,  J.  456,  Theufel  J.  46),  Teüffel  N.  3156,  WoelfF  und  Wolf  T. 
42,  43,  fünfFK.  101,  zwoelff  N.  3058  u.  s.  w. ;  —  gecken  N.  229, 
geduncken  N.  416,  gebückt  N.  3221,  sohwenck  N.  2412,  sterck  N.  3207, 
hencken  N.  3221,  Storck  N.  3512,  versenckt  :  beschenckt  D.  264;  — 
erdappen  N.  3150,  schlappen  :  Kappen  D.  114,  trappeln  D.  131;  — 
anbetten  :  getretten  N.  170,  T.  92  (vergl.  erbeten  :  tretten  D.  320), 
verbotten  N.  511  (verboten  1176),  vmwatten  N.  2477,  Wetter  N.  1016, 
geboften  Sp.  A.  II,  110,  Gebott  :  Rott  J.  264,  bestettigen  :  settigen 
N.  2632,  fett  :  thet  D.  321,  Zotten  :  Rotten  D.  564;  —  dartzu  N. 
1483,  dautzen  N.  1170,  letzlich  N.  422,  Schaetze  J.  364,  zwentzig 
K.  56,  gesaltzen  :  geschmaltzen  N.  1975,  weltzen  N.  1890,  .«chertzen 
N.  1576,  schetzen  N.  1443,  schwetzen  N.  3205,  gantz,  scheutzlich 
J.  64,  hertz  T.  143,  Frantzosen  R.  M.  26  (Franzosen  58). 

Die  Konsonanten  f,  k,  z  werden  in  Meduse  Kopf,  Malchopapo, 
teilweise  auch  in  Tierbilder,  wie  schon  bemerkt,  nach  Konsonanten 
und  langen  Vokalen  nicht  verdoppelt. 

Über  die  Gemination  von  s  und  z  sieh  unten  pag.  102,  103. 

B.    Konsonantenhäufung. 

Diese  findet  durchgängig  bei  dt  statt  und  zwar  meistens  im  Aus- 
laut, zuweilen  auch  im  Inlaut.  Sie  kommt  jedoch  nicht  vor  in  Meduse 
Kopf,  Malchopapo,  Rev.  Matin  I  und  teilweise  in  den  Tierbildern. 

Beispiele:  man  kendt  N,  558,  wirdt  Gb.  131,  Goldt  Sp.  A.  182 
(Gold  211),  niemand!  G.  c.  1  (neben  niemand),  Pferdt,  Feldt,  Engel- 
landt  Gb.  140,  172,  Fedterbusch  D.  850,  schildt  D.  845  u.  s.  w. 

C    Über  die  Konsonanten  im  besonderen. 
a)  Sonorlaute. 

1)  Das  auslautende  (mhd.)  m  hat  sich  noch  erhalten  in:  Fadem 
J.  150,  257  etc.,  besem  D.  2686  etc. 

2)  Das  mhd.  mh  kommt  noch  vor  in  :  umb  :  dumb  N.  110,  520  etc., 
darumb  N.  96,  174,  warumb  N.  498  etc. 

Nach  Analogie  davon  treten  auch  Formen  auf  wie:  frumb  N.  177, 
fruembkeit  N.  3720,  Fuerstenthumb  N.  1150,  Bisthumb  N.  1386  u.a. 

Meduse  Kopf,  Malchopapo,  Tierbilder  haben  jedoch  diese  Formen 
nicht,  also  Babstum  T.  4,  drum  T.  172  etc. 

7» 


100  Johann  Fiscbarts  religiös-politisch-«atirische  Dichtungen. 

3)  Zwischen  m  und  einem  folgenden  t,  st  wird  in  gewissen  Wörtern 
ein  p  oder  h  eingeschoben,  letzteres  durchgängig  bei  Adjektiven. 

Beispiele;  kompt  N.  236,  J.  449,  K.  69  u.  a.,  kompst  N.  576, 
stimpt  N.  394,  schlempt  :  frembd  N.  1021,  schlempst  vnd  dempst  N. 
1520,  nimpt  N.  2152,  ruempt  N.  2659,  K.  33,  verdampt  :  sampt  N. 
3634,  J.  526,  Ampt  N.  889,  1314,  Amt  Mp.  67  (in  Tierbilder  stehen 
beide  Formen),  vnuerschampt  N.  1367  (vnuerschamt  Mp.  68,  T.  110), 
fuernembst  N.  1123,  2337,  froembst  N.  3427,  vngereimpt  N.  1033, 
Hembd,  Sambstag  u.  a. 

4)  Das  mhd.  w  (iuw,  ouw,  öuw,  uw,  dw)  ist  bei  Fischart  in  den 
meisten  Gedichten  noch  erhalten,  und  zwar  auslautend  und  vor  Konso- 
nanten ;  in  anderen  ist  es  wie  im  Nhd.  abgefallen  (vergl.  auch  Voka- 
lismus). 

Beispiele:  hawen  N.  513,  1495,  frawen  N.  334,  Saw  N.  3434, 
Saew  N.  416  (Sewhirt  N.  1090,  Saeubad  Gb.  7),  bawen  N.  94,  303, 
Gebaew  N.  3409,  Bawren  N.  232,  frewen  :  schewen  N.  260,  new 
N.  90,  92,  ewer  N.  7,  83,  rew  Sp.A.  96,  N.  3502,  trew  N.  171, 
grewlich  Sp.A.  II,  13,  N.  156,  Blawfuz  K.  20,  graw  K.  38  u.  a.      • 

5)  Mhd.  7  ist  anlautend  geblieben.  Zwischen  zwei  Vokalen 
ist  es  ausgefallen,  wie  im  Nhd.  Zu  bemerken  ist  noch,  dafs  beim 
Pronomen  anlautendes  j  für  i  steht,  z.  B.  jm  N.  15,  jn  N.  37,  jr  N.  3, 
jhres  etc.;  jder  T.  73,  jderman  T.  91. 

Auch  da,  wo  j  aus  mhd.  ie  entstand,  klang  es  oft  noch  rein 
vokalisch,  z.  B.  hie  :  je  N.  2785,  je  :  sie  D.  941,  ie  :  hie  Mp.  60, 
jzunt  M.  142  (dagegen:  jetzund  N.  82,  96,  jetzunder  N.  278,  625, 
jetzt  N.  84,  jetz  N.  18). 

6)  V  vertritt  anlautend  auch  die  Vokale  u,  ü,  inlautend  dagegen 
wird  es  selbst  durch  u  wiedergegeben,  z.  B.  vnuerschampt,  vertringen 
N.  757. 

b)  Geräusch  laute. 

1)  Die  media  b  wird  anlautend,  selten  inlautend,  in  gewissen 
Wörtern  zur  tenuis;  ebenso  die  media  d  anlautend  und  auslautend, 
selten  jedoch  inlautend. 

Beispiele  mit  p  im  Anlaut  und  Inlaut:  pUck  N.  1685,  plicken 
M.  47,  J.  15,  280,  par  N.  1526,  J.  286,  plitz  N.  3215,  naupen  : 
schnaupen  N.  57,    plut  M.  74,   T.  127,    prennen  R.M.  I,  65,    prand 


Johann  Fischarts  religlös-politiseh-satirische  Dichtungen.  101 

N.  58,  Mp.  20,  priinstig  T.  184,  plenden  N.  80,  R.M.  I,  44,  pringen 
N.  126,  R.M.  II,  27,  prauchen  N.  127,  Mp.  107,  R.M.  144,  J.  376 
(brauchen  J.  440,  T.  etc.),  prechen  Mp.  106,  T.  177,  J.  445,  pleiberi 
T.  11,  R.M.  74,  J.  110,  plei  N.  85,  prif  N.  102,  praten  N.  127, 
priiten  N.  12,  Mitprüder  Mp.  73,  prallen  T.  180,  plöd  T.  147,  prummen 
J.  421,  gepüren  J.   629. 

Dagegen  findet  sich  die  media  in:  bossen  N,  34  (bussen  2562), 
gebicht  N.  2353  (=  pechen),  Bapst  N.  99  (auch  Papisten  N.  2627, 
Pabst,  Papst),  bochen  N.  1161  (pochen  N.  1412),  Britsche  N.  1006, 
Schaafbeltz  J.  490. 

Beispiele  mit  t  im  Aolaut  etc.:  tringen  N.  424,  3236,  Mp.  26, 
G.c.  68,  Sp.  A.  I,  35  (betrengen  Sp.  A.  II,  340),  gelt  N.  122,  Sp.A. 
I,  34,  J.  322,  Golt  Mp.  16,  Trach  (auch  mhd.  trache)  M.  16,  troifach 
M.  75,  trei  J.  21,  trifach  J,  303.  gedult  :  vnschult  R.M.  I,  9,  19, 
wuntern  M.  37,  Tueterich  Mp.  103,  schultig  R.M.  I,  19,  verterben 
Mp.  98  u.  a.,  milt  (auch  mhd.  milte)  Sp.A.  II,  72,  Toppelhorn  J,  251, 
ticht  vnd  tracht  D.  581,  neben  dichten,  trachten  D.  737. 

Dagegen  findet  sich  die  media  in:  doli  N.  35,  297,  vnder  N. 
1874,  1880,  1884  (auch  mhd.  under)  neben  unter;  daptfer  N.  2458, 
Sp.A.  II,  340,  doben  N.  3522  (toben  3631),  diente  N.  1732  {=  Tinte), 
doellpisch  N.  3052,  erdappen  N.  3150,  draube  N.  1888,  Schwerd  Mp.  27. 

2)  Ein  t  wird  angeschoben  in:  dannocht  N.  714,  1309;  jedoch 
findet  sich  auch  dannoch. 

3)  Der  Buchstabe  c  kommt  nur  in  Fremdwörtern  vor,  ferner  in 
den  Verbindungen  ck,  ch,  sonst  steht  zur  Bezeichnung  der  tenuis  k. 

4)  Die  mhd.  Aussprache  des  h  hat  sich  noch  in  einigen  Wörtern 
erhalten,  nur  steht  dann  ein  ch  geschrieben.  (Im  Nhd.  ist  jenes  h 
stumm  geworden.)  Es  ist  dies  besonders  der  Fall  bei  den  Verben : 
sehen,  geschehen,  fliehen,  verzeihen,  ziehen,  scheuen,  z.  B.  siehst  N. 
867,  sieht  718  (auch  noch  siht  N.  1079,  1708),  secht  N.  697  (seht 
1069),  sech  ,J.  377,  geschieht  N.  413,  verzeicht  N.  2859,  fliecht  N. 
3447,  ziecht  Mp.  42,  Sp.A.  II,  101,  J.  706,  scheucht  J.  123. 

Auch  in  anderen  Wörtern  findet  sich  noch  ch,  wo  es  nhd.  ver- 
stummt ist,  z.  B.  rauch  N.  2190,  beinach  J.  306,  befelch  N.  2744. 

Ausnahmsweise  steht  statt  „fliegen"  die  Form  „fliehen",  welche 
mit  „vnderliegen"  reimt  (N.  905). 

Auslautend  ist  mehrfach  ch  eingetreten,  z.  B.  manch  R.M.  I,  21. 


102  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungeru 

Der  Gebrauch  des  h  als  Dehnungszeichen  hat  schon  ziemlich 
um  sich  gegriffen  und  zwar  nicht  blofs  nach  Vokalen,  sondern 
auch  in  Verbindung  mit  t  als  th.  In  einigen  Wörtern  wird  es  auch 
mit  anderen  Konsonanten  verbunden,  besonders  mit  r,  z.  B.  verrhaten 
N.  776,  821,  R.M.  I,  20,  J.  355  etc.,  vnrhu  N.  3494,  befolhen  (?) 
N.  2164,  neben  befohlen  N.  2179,  Author  R.M.  25,  auffrhur  J.  355, 
berrhümet  J.  510  u.  s.  w.  Dagegen  finden  sich  noch  sehr  viele  Wörter, 
in  welche  das  Dehnungs-h  noch  keinen  Eingang  gefunden  oder  in  denen 
die  Schreibweise  noch  schwankt,  z.  B.  Son,  Jar  N.  1007  (Sohn,  Jahr, 
Jaar  K.  13),  jaeilich,  zal  N.  3190,  bezalen  N.  1500,  wal  N.  1756, 
erwelen  N.  1769  (erwehlen  762),  fart  N.  1486,  du  erferst  N.  466 
(widerfehrt  2486),  stul  T.  10,  gfar  N.  208,  manen  N.  180,  erman- 
nung N.  704,  fülen  N.  822,  stelen  N.  914,  verhelen  N.  2810,  ver- 
raten N.  1226  (rathen  1476),  fueren  N.  1633  (fuehren  1792),  fro, 
froelich  N.  1840,  war,  warlich  N.  1120  (wahr  2879),  angenem  N.  2790, 
fuernem  N.  1621,  vngelert  N.  3008,  on  N.  1226  (ohn  1204)  u.  s.  w. 

4)  Das  mhd.  z,  tz  wird  bei  Fischart  im  Inlaut  und  Auslaut  stets 
tz  geschrieben,  z.  B.  setzen  N.  11,  holtz  103,  gantz  N.  141,  J.  16, 
gäntzlich  D.  3346,  kurtzumb  N.  623,  kuertzlich  D,  258,  schwartz  N. 
882,  Ertzhirt  N.  1096,  Frantzoesisch  N.  276,  butz  N.  140,  J.  1019, 
jetz  N.  18  (jetzt  84),  jetzund  N.  96,  itzunder  D.  198,  Hertzog  Gb. 
410,  Printz  Gb.  418,  Saltz  Gb.  393,  434,  trutzen  346  u.  s.  w. 

Dagegen  findet  sich,  wie  schon  oben  bemerkt,  einfaches  z  in 
Malchopapo,  Meduse  Kopf,  z.  B.  schüzen  Mp.  8,  stuerzen  :  kuerzen 
Mp.  64,  Schaez  Mp.  40,  Schaz  M.  87,  sezen  M.  136,  ganz  M.  146, 
herz  M.  92  u.  s.  w. 

Im  Rev.  Matin  und  den  Tierbildern  kommen  beide  Schreibweisen 
vor,  z.  B.  Frantzosen  R.M.  26  —  Franzosen  58,  herzen  T.  147  — 
hertzen  142  u.  s.  w. 

5)  Das  mhd.  3  ist  mit  dem  s  zusammengefallen.  In  der  Schrei- 
bung dieser  Konsonanten  herrscht  in  Fischarts  Gedichten  die  gröfste 
Verworrenheit.    Im  Einzelnen  finden  sich  folgende  Schreibweisen : 

a)  /  steht  im  Anlaut  und  inlautend  vor  t,  z.  B.  fein,  gewefen 
N.  9,  fagen  25,  alfo  41,  vnfer,  fich,  diefer  45,  derfelbig  65  (dallelbig 
N.  146,  D.  347),  dafelbft  N.  121,  böfe  N.  57,  lofe  N.  158,  gelefen,  er 
lift  (ließt  N.  66),  wift  K.  247,  gröfer  R.M.  17,  J.  18,  groeft  D.  434 
(aber:    groffe   D.  197,   Gb.  19),   muft   N.  17,   D.  75    (mucßt),    mueft 


Jobann  Fischarts  religiös-politisch-satiriscbe  Dichtungen.  103 

K.  82,  halft  Mp.  29,  K.  89  (heilt  N.  87,  D.  140,  haißt  R.  M.  53), 
gehaifen  Mp.  27,  anmafen  Mp.  65,  fchlifen  :  genifen  Mp.  95,  lafen 
(—  lassen)  Mp.  91,  fafen  J.  71,  Mnfigang  J.  232,  deft  N.  174,  ftoft 
K.  94  (floßt  R.M.  7),  weift  Gb.  83),  fuefe  Mm.  96  etc. 

b)  s  steht  durchgängig  im  Auslaut  der  Pronomina  und  in  den 
Endungen  der  Adjektive  etc.,  z.  B.  vns,  des,  das,  folchs,  es,  alles, 
anders,  welchs  N.  94,  deines,  feines  N.  131,  guts  N.  136,  Teuffels 
N.  140,  nichts,  was  (erat)  N.  491,  eins,  jedes  u.  s.  w. 

Dagegen  haben  Barf.  Sekten-  u.  Kuttenstreit,  Dominici  artliches 
Leben,  Rev.  Matin,  Malchopapo  s  auch  in  den  Wörtern  und  Formen, 
in  welchen  die  anderen  Gedichte  fi  aufweisen;  manche  Wörter  finden 
sich  in  zweifacher  Schreibweise. 

Beispiele:  aus  N.,  K.  93,  D.68etc.  —  auß  J.  23,  Gb.  8,  N.30, 
101.  dis  K.  115,  D.  435  —  diß  Gb.  85,  J.  27,  N.  163.  mus 
K.  179,  D.  1,  R.M.  32,  Mp.  91  etc.  —  muß  N.  84,  505,  J.  61  etc. 
gros  K.  111,  R.M.  3,  D.  8  —  groß  N.  Gb.  51.  boes  D.  187, 
Boshait  R.M.  19  —  boeß  J.  89,  Boßheit  J.  85.  bis  D.  62  —  biß 
N.  403,  J.  446.  gewis  K.  115,  Mp.  51  —  gewiß  N.  256,  D.  127. 
bas  K.  202,  D.  9  —  baß  Mp.  111.  hies  :  lies  K.  170  —  ließ 
N.  422,  R.M.  III,  17.  heis  :  beis  D.  310  —  fleiß  :  heiß  N.  367. 
Im  D.  steht:  Flus  268,  vberflus  8,  zeugnus  173  etc.;  in  N.  verdam- 
nuß  etc.  161. 

c)  ß  steht  im  Auslaut,  im  Inlaut  meistens  vor  einem  Konso- 
nanten. 

Beispiele:  weiß  N.  88,  R.M.  II,  36,  aeß  :  kaeß  N.  27,  haßt 
N.  97,  kueßt  :  gewißt  N.  100,  aß  :  saß  N.  114,  Hauß  :  auß  N.  101, 
haß  D.  68,  heßlich  N.  46,  alßdann  N.  23,  Gb.  287,  faßnacht  N.  80, 
Halß  J.  208,  Gb.  391,  Pariß  N.  401,  laßt  Mp.  90,  R.M.  31;  aber: 
laft  R.M.  ni,  12,  laeßt  Mp.  30,  Gaenß  Gb.  292,  Glaß  Gb.  86,  Boeß- 
wicht  J.  487,  heißt  Gb.  457  (heift  Gb.  461). 

Im  Barf.  Sekten-  und  Kuttenstreit  wird  ß  auf  folgende  Weise  ge- 
schrieben: /s,  welches  sonst  nur  vereinzelt  vorkommt,  z.B.  Hafs  :  Fafs 
K.  23,  aufs  25,  bifs  152,  hefslich  154,  Hafs  D.  197  etc. 

d)  Das  gerainierte  rahd.  33,  ss  wird  Jf  geschrieben. 

Beispiele  der  Gemination:  belTer,  WalTer,  gewiffen,  müITen 
N.  143  (müfen  Mp.  95,  J.  135),  laffen,  halfen,  deffen,  maffen 
(=   Mafsen)    (anmafen    Mp.    65),    heilTen    :   beilTen    N.    480,   Reuffen 


104  Johann  Fischarts  i-eligiös-politiscb-satirische  Dichtungen. 

N.  679,  BarfuelTer  ;  SuppengielTer  D.  118,  rellTen  :  bevleiflen  D.  50, 
weiffe  D.  99,  willen  :  riffen  J,  beyllen  J.  151  (heyfen  505);  Küffen  : 
Füffen  J.  327,  befleilTen  J.  327,  groffen  J.  636  (grofe  J.  878,  groß 
J.  910),  eufferlich  J.  869,  Geyffeln  J.  873,  Hechffenwetter  J.  964, 
auITerkoren  J.  548  (außgefüUt  J.  663). 

In  einigen  Gedichten,  z.  B.  Malchopapo,  Meduse  Kopf,  unterbleibt 
häufig  die  Gemination. 

6)  Mhd.  s  vor  1,  m,  n,  w  ist  schon  durchgängig  zu  seh  geworden, 
ebenso  das  s  nach  r.  Dagegen  wurde  mhd.  hir3  zu:  Hirz  N.  175, 
D.  etc.;  Hirtzkoerner  J.  245. 

3.     Der   Reim. 

A.     Verhältnis  der  Vokale  zueinander  im  Reim. 

Obgleich  Fischart  beim  Reime  im  allgemeinen  ebenso  streng  wie 
bei  der  Versmessung  verfährt,  so  findet  sich  doch  eine  beträchtliche 
Anzahl  unreiner  Reime.  Auch  manche  reine  Reime  stellen  sich  dem 
Auge  nicht  gleich  als  solche  dar,  da  die  beiden  Reimworte  häufig  mit 
abweichender  Orthographie  geschrieben  sind,  z.  B.  erzeygen  :  vber- 
steigen  J.  111,  vnterlan  :  hon  N.  540,  Liecht  :  vernicht  J.  96  u.  s,  w. 
(sieh  die  Reimworte).  —  Der  Reim  ist  stumpf  oder  klingend; 
ersterer  überwiegt  bei  weitem.  Um  einen  passenden  Reim  heraus- 
zubringen, macht  Fischart  nicht  nur  von  Synkopen,  Apokopen  und 
Zusammenziehungen  etc.  den  weitgehendsten  Gebrauch,  sondern  er  ver- 
wendet dazu  auch  Worte  und  Wortformen,  die  sonst  nicht  vorkommen, 
z.  B.  blieben  :  grueben  N.  1470,  —  gruoben  :  Buben  N.  2328,  — 
mueg  (=  Mühe)  :  sieg  N.  1345,  —  betten  (=:  bitten)  betten  N. 
2291,  ~  drab  (darob)  :  Rab  N.  2404,  —  beschirmpt  :  gestirmpt 
N.  2445  (vergl.  stuermen  2458),  —  Unter  tonen  :  schonen  M,  133, — 
beschlossen  :  verblosen  Sp.  A.  II,  195,  —  gewifst  :  kuefst  N. 
100,  —  gespeyen  :  schreyen  N.  47,  —  gelachen  :  sachen  N. 
942  u.  s.  w.  Sehr  gern  verwendet  er  beim  Reime  Dialektformen, 
ältere  Verbalformen,  überhaupt  ältere  Worte,  z.  B.  Roth  :  gebot  N. 
286  (sonst  Rath  331  etc.),  —  krom  :  Rom  N.  3156,  —  geroth  : 
kot  N.  3688,  —  Som  (=  Same)  :  Rom  G.c.  33,  —  Rom  :  Trom 
(=  Traum)  Sp.A.  280,  —  stosen  :  losen  (=  lassen)  N.  1045,  — 
Lucifer  :  ferr  J.  967,  —  verloren  :  Hören  (sonst:  Huren)  M.  96, 
124;  —  Mönchen  :  verduenchen  D.  415,  —  an  :  verstahn  D.  504,  — 


Johann  Fischaits  religiös- politisch-satirische  Dichtungen.  105 

vnterlan  :  hon  (=  Hohn)  D.  540,  —  han  :  kan  D.  601,  —  grund  : 
bestund  N.  120,  —  fund  :  gekundt  N.  123,  —  rucken  :  Prucken 
Sp.  A.  5  (vergl.  Bruecken  :  juecken  D.  270),  —  vntertrucken  :  ver- 
schlucken Sp.  A.II,  13,  —  pruch  (z^  brauche)  :  such  Sp.  A.  I,  34  etc. 
Ich  gehe  nun  über  zu  einer  Zusammenstellung  Fischartischer 
Reimworte.  Ich  sehe  dabei  von  einer  Zurnckführung  auf  den  nihd. 
Vokalismus  ab  und  nenne  Längen  und  Kürzen  so,  wie  sie  Fischart 
hier  gebraucht.    Es  reimen  nun  folgende  Vokale :  * 

a)   Kurze   mit   kurzen. 

1)  e  :  ä  (e).  setzen  :  schätzen  N.  1442,  —  Netz  :  Schaetz  J. 
375,  —  setzt  :  schaetz  N.  2600,  —  geschlecht  :  bedecht  N.  1554.  — 
gedenckt  :  draengt  N.  1650,  —  erstäncken  :  erdencken  T.  121,  — 
naerrt  :  zerrt  G.c.  20,  —  Welt  :  helt  G.  c.  80  u.  s.  w. 

2)  ä  :  ö.  oelgoetzen  :  schaetzen  M.  111,  N.  1985,  —  schaetzen  : 
Papsgoetzen  Gb.  95. 

3)  e  :  ö.  wölffen  :  helffen  N.  911,  —  feilen  :  woellen  N.  914,  — 
woellen  :  gsellen  N.  925,  —  verhetzen  :  goetzen  N.  1065,  —  keck  : 
Stoeck  T.  63,  —  stell  :  woellG.c.25,  —  Leutfresser  :  boesser  Sp.  A. 
II,  10  u.  s.  w. 

4)  i  :  M.  geflick  :  stück  N.  1011,  —  begännen  :  singen  N.  1450, 
wissen  :  fuessen  N.  1515,  —  suend  :  Kind  N.  1557,  —  stuermen  : 
beschirmen  N.  2455,  —  kuennen  :  sinnen  N.  1391,  —  gewinnen  ; 
kommen  (veniunt)  N.  2544,  —  künnen  :  drinnen  N.  2581,  —  Papisten  : 
brüsten  N.  2628,  —  gegruendt  :  findt  3475,  —  Ghürn  :  hirn  T.  177, 
Dirn  :  zürn  M.  57,  —  Koenigin  :  Heldenkün  Sp.  A.  I,  25,  —  glueck  : 
flick  Sp.  A.  11,  90,  —  Wüsten  :  Christen  J.  310,  —  künnen  :  ge- 
winnen J.  184  u.  s.  w. 

5)  M  :  w.  butzen  :  herspruetzen  N.  995,  —  murmel  :  tuermel 
T.  154,  —  schuetzen  :  nutzen  D.  235. 

6)  0  :  M  —  i  '.  eu  {ü)  —  i  :  ö  —  o  :  a.  kommen  :  vernummen 
N.  982  (wahrscheinlich,  weil  ersteres  Verbum  dialektisch  auch  kummen 
lautet;  vergl.  auch:  fund  :  auffkumpt  Sp.  A.  215),  —  vmb  :  kom  D.  330. 

Ahnlich   sind   wohl  zu  beurteilen:   konten   :    erfunden  N.  647; 


*  Diejenigen  Reime,  welche  nichts  Besonderes  darbieten,   lasse   ich   un- 
erwähnt. 


106  Johann  Fiscbarts  religlös-politiscli-satirische  Dichtungen. 

vergl.  gekundt  :  f'undSp.A.  123;  —  sind  :  verfreund  D.  93;  vergl. 
finden  :  Fründen  N.  2140;  —  sin  :  koen  D.  759,  —  woell  :  viel 
N.  641;  vergl.  viel  :  will  768;  —  bossen  ;  vnderlassen  N.  2390;  vergl. 
stosen  :  losen  1045. 

Auch  reimt:  Moerder  :  Ortter  D.  865.  Dieser  Reim  ist  jedoch 
nicht  bedenklich,  da  in  letzterem  Worte,  wie  das  bei  Initialen  die  Regel 
ist,  der  Umlaut  unbezeichnet  blieb. 

b)    Lange   mit  langen. 

1)  e  :  ä  (e)  fehlen  :  erwehlen  N.  1355,  —  gelehrt  :  erklaert  N. 
1798,  —  Baeren  :  zuerweren  T.  130,  —  gesaeet  :  aufgehet  Sp.  A. 
II,  155,  —  Sehne  :  Winterkrae  D.  784. 

2)  e  (ä)  :  ö.  erkleren  :  aufhören  N.  2665,  —  vberthoeren  :  be- 
weren  N.  3301,  —  gebaer  :  Moer  M.  7,  —  geht  :  schnoed  M.  150, — 
Koenig  :  wenig  Sp.  A.  II,  41,  —  moegen  :  zuwegen  Sp.  A.  II,  131,  — 
wehren  :  zerstoeren  Gb.  200,  —  erhoer  :  kehr  Gb.  224. 

3)  rt  :  0  meistens  in  Dialektformen,  mal  :  hol  N.  1354  (vergl. 
znmol  :  wol  N.  2918,  3222;  andermal  :  wol,  allzumal  :  wol  D.  600, 
775),  —  braten  :  errothen  (sonst  rathen),  —  schon  :  gethan  N.  2530 
(vergl.  gethon  :  person  3308),  —  erzogen  :  plagen  D.  671  (vergl. Flogen  : 
flogen  J.  64;  plagen  :  sagen  D.  751);  —  ähnlich  ist  wohl  auch  der 
Reim;  dahin  :  versoen  D.  864  aufzufassen. 

4)  M  :  z  {ie).  führen  :  zieren  N.  967,  —  schluegen  :  kriegen  N. 
1163,  —  spielt  :  wuelt  N.  1350,  —  blieben  :  grueben  N.  1470,  — 
zufuehren  :  pancketieren  N.  2520,  —  mueh  :  hie  N.  2677,  —  vben  : 
schriben  T.  170,  —  verfiir  :  Thir  M.  24,  —  gstigen  :  lügen  M.  25,  — 
muegen  :  kriegen  Sp.  A.  11,  231,  —  müh  :  sie  Sp.A.  II,  141,  —  sie  : 
frue  n,  191,  —  gewiesen  :  fuessen  II,  294. 

5)  ei  :  eu,  aeu.  Reuter  :  leider  N.  820,  —  leut  :  reit  N.  860,  — 
reiten  :  beuten  (=  erbeuten)  N.  1310,  —  deuten  :  seilen  N.  855,  — 
Reussen  :  preisen  N.  680,  —  traeumen  :  reimen  T.  95,  —  treuen  : 
seien  T.  205,  —  antreiber  :  Landreuber  Sp.A.  98,  —  fleufst  :  reifst 
Sp.A.  II,  327)  vberdaeuben  :  zuverkleyben  J.  913,  —  ruraeuchen  : 
zuweychen  J.  915,  —  Leut  :  Eyd  J.  206,  —  heut  :  Leyd  J,  117, — 
vielleicht  :  reucht  D.  775  u.  s.  w. 

Anmerkung.  In  den  Gedichten,  in  welchen  cd  statt  ei  steht,  reimt 
ai  nicht   nur  mit  ai,   sondern   auch  mit    eu,  ei   und   aeii^   z.  B.  Laien  ; 


Johann  Fiscbarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen.  107 

scheuen    T.    165,    —    kain    :    sein    T.   210,    —    zaichen    :    Raeuchen 
M.  93. 

6)  ei :  ew.  verdewen  (=z  verdauen)  :  seyen  N.  1420,  —  schreyen  : 
schewen  N.  1454,  —  new  :  drey  N.  2700,  —  schew  :  abgoetterey 
N.  3540,  —  speien  :  frewen  D.  741. 

7)  aeu  :  ew,  aeio  :  ew.  gemaeuer  :  tbeur  M.  70,  —  Gebaew  : 
new  N.  3410. 

c)   Kurze  mit  langen. 

1)  a  :  d.  vberal  :  waal  N.  1158,  —  lan  :  Mann  N.  1015, 
2497,  —  bezalt :  gefallt  N.  1544,  —  zsammen  :  kamen  Sp.  A.  II,  27,  — 
schaden  :  gestatten  J.  94,  —  an  :  han  J.  820  u.  s.  w. 

2)  M  :  M.  würd  :  gebort  T.  171,  —  killen  :  fuellen  Sp.  A.  II,  181 
(vergl.  Küssen  :  Füssen  J.  326). 

3)  u  :  ü.  Vergl.  pag.  96  Nr.  5;  ferner  Flöhhaz :  muster  :  Schu- 
ster 95. 

4)  e  :  e,  ä.  lesen  :  Messen  T.  181,  —  kernen  :  vernemmen  N. 
1076,  —  ferr  :  wer  (:=  esset)  G.  c.  37,  —  erkenne  :  auflehne  Sp.  A. 
II,  291,  —  Gebett  :  entgegensteht  Gb.  115,  —  Welt  :  fehlt  Gb.  387, 
Mayesteten  :  tretten  Mm.  4. 

5)  e  :  ö.  woellen  :  quelen  T.  134,  —  moerden  :  wegkehrten 
Gb.  449. 

6)  0  :  0.  spott  :  kot  N.  2014,  —  Rom  :  hinkomm  N.  2225,  — 
mochst  :  versteht  Gb.  134,  —  holen  :  Wollen  Gb.  384,  —  Stollen  : 
Kolen  Gb.  475. 

7)  i  :  ie.  gewifs  :  hiefs  N.  1051,  —  will  :  spiel  N.  1435,  — 
dien  :  gewinn  N.  1127,  —  hielt  :  schilt  N.  1235,  —  Schiffen  :  Tieffen 
Sp.  A.  1,  —  Schiff:  lief  Sp.  A.  11,  —  gewis  :  lies  D.  521,  —  drinnen  : 
Einen  J.  381. 

8)  i  :  ü.  gefuehrt  :  Wirt  N.  1520,  —  kuenst  :  dinst  (servire) 
N.  1601,  —  kuennen  :  dienen  1657,  —  erwuest  :  ist  N.  2335,  — 
will  :  fuel  N.  2400,  —  vngewifs  :  gruefs  N.  2697,  —  dritter  :  gueter 
Sp.A.  84. 

B.    Verholten  der  Konsonanten  zueinander  im  Reim. 

Im  allgemeinen  sind  die  Reime,  was  die  Konsonanten  betrifft,  bei 
weitem  nicht  so  entstellt  wie  hinsichtlich  der  Vokale.  Im  einzelnen 
ist  folgendes  zu  bemerken : 


108  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 

1)  Durch  die  gewaltsamen  Apokopen,  Synkopen  etc.  entstand  eine 
Anzahl  Reime,  welche  für  Fischart  gewifs  reine  Reime  sind,  z.  B.  ge- 
melt  :  weit  N.  2615,  —  hüt  (=:  hütet)  :  anfsbrüt  J.  1021,  —  Argu- 
ment :  blendt  J.  901,  —  behendt  :  das  end  K,  35,  —  die  wett  :  redt 
D.  144,  —  ausgered  :  stet  D.  360,  —  es  schad  :  gebad  D.  367,  — 
verblend  :  getrent  D.  631  u.  s.  w. 

2)  Da  mhd.  s,  3  längst  zusammengefallen  sind,  so  wird  auch  im 
Reime  keine  Rücksicht  mehr  auf  die  ursprüngliche  Verschiedenheit  der- 
selben genommen,  z.  B.  was  :  laß  N.  270,  —  vergeffen  :  gewesen  N. 
111,  —  blafer  :  haffer  J.  960,  —  laffen  :  geblafen  K.  310,  —  hafs  : 
gras  K.  329,  —  was  :  haß  D.  67,  —  Saltz  :  Hals  D.  324,  —  Eseln  : 
Neffeln  D.  879,   -  boefer  :  gröffer  D.  881  u.  s.  w. 

3)  In  Liquidalverbindiingen  wird  gern  die  media  und  tenuis  der 
Dentalen  und  Gutturalen  gebunden,  weil  die  Aussprache  gleich  war, 
z.  B.  trinkt  :  verschlingt  Sp.  A.  II,  17,  —  blind  :  zindt  D.  274,  — 
Lenden  :  Endten  D.  294,  —  bald  :  gewalt  D.  305,  —  wird  :  verwirt 
D.  764  u.  s.  w. 

4)  Verschiedene  Konsonanten  scheinen  im  Auslaut  der  Reimworte 
nicht  ausgesprochen  worden  zu  sein,    besonders  t,  b,   zuweilen  auch  n. 

Beispiele:  gemerckt  :  werk  N.  3120,  ■ —  hinweg  :  schmeckt  N. 
2835,  —  gleifserwerck  :  verbergt  N.  3227,  —  setzt :  schaetz  N.  2600,  — 
gepflanzt  :  gantz  N.  3457,  —  krank  :  geschwankt  N.  3461,  —  Geitz  ; 
reitzt  Sp.  A.  I,  7,  —  grausen  :  thausent  K.  80,  —  Probst  :  Ops  Sp.  A. 
11,  71,  —  schnaps  :  Pabst  J.  405,  —  schufs  :  wufst  N.  2724;  — 
Concilium  :  frumb  N.  3340,  —  Kutzumb  :  Judicium  Sp.  A.  II,  227,  — 
summ  :  drumb  N.  2600,  —  Predigern  :  genediger  D.  470. 

5)  In  vielen  Reimworten  gleicht  sich  das  eine  dem  anderen  in 
Form  und  Orthographie  an,  z.  B.  darumb  :  kumb  (=  kommt)  N. 
2215,  —  bedt  (=  Bett)  :  redt  N.  2481,  —  geflohen  :  gezohen  (=  ge- 
zogen) 2215,  —  lez  :  Nez  N.  100,  —  F:ngelbnrck  :  fiirck  Sp.A.  II, 
154,  —  Kelch  :  befelch  (=1  Befehl)  T.  151,  —  versucht  :  beschucht 
(=  beschuht)  T.  151,  vergl.  Holzschuher  D.  615,  —  erschreck  :  hin- 
wegk  G.  c.  1  u.  s.  w. 

4.    Versmessnng. 
Fischarts  Verse  haben,   gleichviel  ob  stumpf  oder  klingend,    vier 
Hebungen  und  in  der  Regel  ebenso  viele  Senkungen  ;  erstere  sind  immer 
einsilbig. 


Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen.  109 

Fischart  mifst  seinen  Vers,  oder  richtiger  gesagt,  zählt  die  Sil- 
ben peinlich  genau.  Er  beginnt  gewöhnlich  mit  einer  Senkung  und 
zählt  dann  unbarmherzig  konsecpient  weiter,  ohne  alle  Rücksicht  auf 
den  Wortaccent  oder  auch  die  Quantität.  Seine  Verse  sind  also  Jam- 
ben, jambische  Dimeter,  die  wohl  hyperkatalektisch  sein  können,  was 
jedoch  nicht  gerade  oft  vorkommt. 

Gewöhnlich  fällt  die  Hebung  auf  die  betonte  Wort  silbe  und 
dann  fliefst  der  Vers  lasch,  wenn  auch  monoton,  dahin;  allein  es  giebt 
auch  Verse  genug,  bei  denen  das  nicht  der  Fall  ist.  Wie  solche  Verse 
klingen,  mögen  einige  Beispiele  zeigen : 

So  die  Keyser  solln  han  gethon.     J.  366. 

Von  Schätzen  der  Welt,  die  mein  sein.     J.  364. 

Der  will  Gaistlich  halsen  allain.     Mp.  32. 

Der  die  Leut  stainhart  macht  vnd  eitel.     M.  50. 

Wider  jre  gebot  vnd  geheifs.     N.  3600. 

Die  katholisch  Fraw  Julia.     N.  3304  etc.  etc. 

Es  ist  schade,  dafs  der  reichhaltige  und  oft  geistreiche  Inhalt 
dieser  Dichtungen  in  einer  solchen  unbedeutenden  Form  stickt,  wie 
diese  langweiligen  Reimpaare.  Die  neuhochdeutsche  Sprache  hatte 
damals  leider  noch  keine  neue  poetische  Form  gefunden ;  die  alten 
Reimpaare,  einst  so  geschmeidig  und  klangreich,  waren  seit  dem  Unter- 
gang der  mhd.  Poesie  eintönig  und  hölzern  geworden.  Fischart  hat 
dies  auch  recht  gut  gefühlt  und  daher  seinen  Versen  so  viel  wie  mög- 
lich Schwung  zu  geben  versucht,  indem  er 

1)  der  letzten  Hebung  einen  Tiefton  vorausschickte  z.  B.  luegen  : 
vnfuegen ;  haben  :  Landgraben ;  lachen  :  nachmachen. 

2)  Indem  er  die  Verse  mit  tieftonigen  Silben  beschlofs,  welche 
miteinander  oder  mit  hochtonigen  Silben  verbunden  sind,  oder  durch 
Anwendung   von  klingenden  Reimen,   z.  B.  grund  :  Fridegrund  R.  M. 

II,  4,  —  vnterschaid  :  boshait  R.M.  I,  17,  —  Baalei  :  Tirannei  R.  M. 

III,  5,  —  oberkeit  :  weltlichkeit,  —  verrhaetern  :  mordthätern,  — 
Landerich  :  Chilperich,  —  Gonderich  :  vermessenlich,  —  Königs- 
stammen  :  allesammen  R.  M.  11. 

3)  Durch  häufige  Anwendung  von  Synkopen  und  Apokopen,  durch 
Zusammenziehung  und  enklytischen  Gebrauch  vieler  Wörter  (sieh 
hierüber  unten),  z.  B. : 

Sagt,  dafs  sie  han  vDghorsam  gthan, 

Dafs  sie  band  Priestern  Eh  zuglan.     N.  667. 


110  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen. 

4)  Durch  Elision  eines  Vokales,  z.  B. : 

Auffnemmen    zu^rens  Ordensglieder.     N.  3289. 
Auch    du_Vnbaendiger    Belial.     J.  36. 

5)  Indem  er  manchmal  Verse  mit  blofs  drei  Hebungen  einstreut. 
Im  Rev.  Matin  wechseln  Verse  von  drei  und  vier  Hebungen  fortwäh- 
rend untereinander  ab,  z.  B. : 

Ja  billich  sagt  im  Sprichwort  jr 
Vnbill  stos  auf  die  Thür.  —  (1.) 

6)  Durch  Variieren  des  Reimes,  z.  B.  im  ersten  Gedichte  des 
Rev.  Matin  haben  die  vier  ersten  Verse  gleichen  Reim;  dann  folgen 
lauter  ge  k  reu  zte  Reime.  Den  SchUifs  bilden  zehn  gleiche  Reime. 
Das  Gedicht  „Meuchelmord"  und  andere  schliefsen  ebenfalls  in  den 
letzten  Versen  mit  gleichen  Reimen.  Von  den  Liedern  im  „Gegen- 
badstüblein"  hat  ersteres  folgende  künstliche  Reim  verschlingung:  ab, 
ab,  aa,  bb,  cc;  letzteres  hat  erst  acht  gleiche  Reime  und  dann  noch 
zwei  Reimpaare. 

7)  Indem  er  die  damals  so  gebräuchlichen  Flickwörter,  z.  B.  eben, 
frei  u.  s.  w.  möglichst  vermied. 

Merkwürdig  ist,  was  J.  Grimm  in  Bezug  auf  diesen  Punkt  sagt: 
„Die  Verse  Fischarts  sind  holpericht,  voll  Flickwörtern"  —  während 
Vilmar  gerade  das  Gegenteil  behauptet. 

5.     Synkope,   Apokope,   Zusammenziehungen. 

1)  Fischart  macht  von  der  Synkope  und  Apokope  den  ausgedehn- 
testen Gebrauch,  ohne  alle  Rücksichl,  ob  die  betreffende  Silbe  ein  ton- 
loses oder  ein  stummes  e  enthalte.  Ja  man  darf  wohl  sagen,  die  Ab- 
werfung jedes  au  slau  t  enden  e  ist  beim  Substantiv,  Adjektiv  und 
Verbum  Regel  geworden,  z.  B.: 

Das  er  nit  besser  rett  jr  ehr.     N.  56. 

Dafs  er  sie  plag,  vergißt  und  quell.     J.   1114; 

er  schmeck  N.  406,  —  ich  bit  N.  847,  —  denck  411,  —  rit  (=  ritte) 
N.  1092,  —  man  kont  J.  1106,  —  anschleg  N.  1481,  —  die 
sterck  N.  3207,  —  leng  1186,  —  Laeufs  :  Narrenweyfs  K.  77,  — 
Raenck  :  Lugenschwaenck  J.  1060,  —  die  Mitt  :  all  Ritt  J.  798,  — 
Haend  :  all  End  J.  805,  —  die  Leut  J.  1063,  —  durch  mein  krafft 
J.  1061,  —  on  (=r  ohne)  J.  766. 


Johann  Fiscliarts  religiös-politisch-satirische  Dichtungen.  111 

2)  Oft  fallen  ganze  Flexionssilben  ab,  ja  das  Wort  selbst  wird 
ergriffen.  Infolge  davon  wird  der  Artikel  oft  enklytisch  mit  Substan- 
tiven und  Adjektiven  zu  einem  Worte  verbunden,  z.  B.  dLeut  N.  164, 
dheuser  N.  809,  dgsellschafft  N.  990,  dkucken,  dalten  (=  die  alten) 
N.  727,  dschwein  759,  dweltlich  Herrschaft,  ■ — -  es  ist  bedeut  R.  M. 
497,  das  laut  (=  lautet)  692,  jr  werd,  thet,  acht,  schreit  etc.;  — 
gtrifacht  Ghürn  .1.  314;  — 

Die  warheit,  weils  ainfaltig  red  (^=  redet).    R. M.  I,  37. 
Die  kleinen  muefs  (=  müssen)  jhr  essen  sein.     760. 

3)  Auch  die  Synkope  des  e  (a)  ist  häufiger  als  die  Schreibung 
desselben;  besonders  bei  den  Vorsilben  be,  ge,  z.  B,:  gsell  N.  726, 
bschuldigt  731,  gsang  746,  gfar  208,  bhalten  368,  bsih  (=  besieh) 
565,  —  geredt  N.  200,  gredt  294  (geredet  196),  geschmidt  N.  818,  — 
nantst  Mp.  43,  wolln  J.  1032,  welchs  N.  976,  —  drinn,  drein  N. 
764  u.  s.  w. 

4)  Eine  Folge  der  Synkope  ist  die  Z  usammen  zieh  un  g  eines 
Wortes,  oft  mit  Ausstofsung  eines  Konsonanten,  z.  B.  eim  =  einem 
N.  3249  etc.  etc.,  deim  =  deinem  N.  1459,  seim  2421,  du  list 
(=  liefsest)  dich  schelten  1631. 

Ähnlicher  Art  sind  die  Ziisammenziehungen  der  Präpositionen  mit 
dem  Artikel,  z.  B.  vndern  =  unter  den  N.  1518,  —  bein  =  bei  den 
2818,  ons  =  ohne  das  688;  aufsn  D.  140,  zun  (=  zu  den)  fiisen 
M.  30. 

5)  Sehr  häufig  sind  die  Zusammenziehungen  des  Pronomens,  Ar- 
tikels mit  Verben,  Konjunktionen  und  Pronomen,  z.B.:  fuerstu  N.  994, 
hastu  1702,  wirstu  1734,  magstu  467,  sichstu  874,  findstu  1248  etc.; 
corrigierts  =  korrigiert  das  N.  3248,  lans  =  lassen  es  2831,  hings  = 
hing  sie  F.  1664,  hans  =  haben  sie  N.  2431;  —  ebenso  müssens 
N.  3385,  seinds  1488,  hettens  2117,  koennens  1465,  dieweils  R.  M. 
I,  87,  vnds  N.  1750,  danns  1820;  sies  =  sie  es  N.  2460  (dagegen  = 
sie  sie  2456),  dirs  =  dir  sie  N.  1771,  weils  3066,  dafs  =  dafs  die 
N.  3143,  das  D.  360,  wenns  D.  4489,  sichs  =  sich  dessen  D.  2504. 

Merkwürdig  sind  folgende  Zusammenziehungen: 

O,  wers  (=  wärest  du)  gewesen  nit  zu  Rom.     N.  250. 
Als  hets  im  sinn  ein  Bubenstück.     1686. 

6)  Andere  bemerkenswerte  Zusammenziehungen  sind:  ag,  eg, 
ig  zu  ei  (ai,  ey)  wie  im  Mhd.,  z.  B. :  widerleit  =  widerlegt  N.  1239, 


112  Johann  Fischarts  religiös-politisch-satirischc  Dichtungen. 

auferleyt  2098,  aufsgeleit  2889;   seyt  =:  sagt  N.  164,   treit  =  trägt, 
geseit  :=  gesagt  1468,  leit  =:  liegt  1467. 

7)  Im  Gegensatz  zu  den  Verkürzungen  etc.  finden  sich  auch, 
jedoch  nicht  häufig  und  meistens  im  Reim,  Verlängerungen  der 
Formen,  z.  B.  schiltet  N.  1644,  gestaehlet  J.  759,  vngescheuet  : 
scheuet  J.  1027  etc. 


über  die  Verdoppelung  der  Konsonanten 

im  Altnormannischen. 


„Soweit  das  handschriftliche  Material  bis  jetzt  übersehen  wird"  — 
sagt  H.  Suchier  in  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  III,  S.  134  —  „hat  die  Mundart 
des  eigentlichen  Franciens  keine  Handschrift  aufzuweisen,  deren  Nieder- 
schrift dem  13.  Jahrh.  vorausläge.  Durch  diesen  Umstand  erlangen 
die  normannischen  Handschriften  des  12.  Jahrh.  für  die  Geschichte 
der  französischen  Sprache  erhöhten  Wert.  Besonders  mufs  die  Gruppe 
der  noch  in  die  Mitte  des  12.  Jahrh.  gehörigen  oder  doch  der  Mitte 
dieses  Jahrhunderts  nahestehenden  Handschriften  im  Mittelpunkte  des 
philologischen  Interesses  stehen,  da  dieselben  bei  der  Kürze  der  ältesten 
Sprachdenkmäler  als  erste  Repräsentanten  der  sprachlichen  Gestaltung 
einer  französischen  IMundart  anzusehen  und  darum  bei  allen  Fragen 
der  historischen  Grammatik  mit  zu  befragen  sind."  Alle  diese  Texte 
sind  jedoch  leider  nicht  in  ihrer  ursprünglichen,  sondern  in  mehr  oder 
Aveniger  verderbter  Fassung  auf  uns  gekommen.  „Quelque  nombreux 
et  quelque  importants  que  soient  les  anciens  monuments  du  dialecte 
normand"  —  sagt  C.  .Joret  in  den  Memoires  de  la  Societe  de  Lin- 
guistique  de  Paris  III  (1878),  S.  210  —  „ils  ne  nous  sont  point  par- 
venus  en  general  sous  leur  forme  primitive ;  recopies  le  plus  souvent 
par  des  scribes  etrangers,  ils  ont  perdu  en  grande  partie  les  caracteres 
de  la  langue  dans  laquelle  ils  avaient  ete  ecrits."  Ihr  anglonormanni- 
scher  Ursprung  bringt  es  mit  sich,  dai's  ihnen  gewisse  Eigentümlich- 
keiten der  Schreibweise  anhaften,  auf  deren  Entfernung  vor  allem  Be- 
dacht genommen  weiden  mufs,  wenn  man  den  ursprünglich  reinen 
normannischen  Text  der  Vorlagen  wieder  erhalten  will.  Nun  gab  es 
aber  in  der  damaligen  Zeit  keine  feststehende  Orthographie,  nach  welcher 

Archiv  f.  L.  Sprachen.    LXXV.  8 


114  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnonnannischen. 

Schreiber  und  Abschreiber  sich  hätten  richten  können ;  „s'il  y  a  eu 
une  orthographe  quelconque  au  moyen  age,  c'est  l'orthographe  latine 
qui  a  plus  ou  moins  persiste  dans  le  fran^ais.''^  Dazu  kommt  noch, 
dafs  gerade  die  anglonormannischen  Schreiber  durch  besonders  auf- 
fallende Flüchtigkeit  und  Mangel  an  Sorgfalt  sich  auszeichneten.  „II 
n'existe  pas,  je  pense"  —  sagt  Gautier  ^  —  „de  type  plus  exact  de 
mechants  copistes  que  les  scribes  anglo-normands,  lesquels  ont  eu  lieu 
de  transcrire  si  souvent  d'excellents  textes  normands."  Ganz  besonders 
auch  für  die  anglonormannischen  Schreiber  gelten  die  allgemeinen 
Gründe  für  schlechte  Schreibungen:  Gelehitthuerei,  dialektische  Be- 
sonderheiten, zufälliges  Festhalten  an  einer  in  einem  Lieblingsbuche 
gefundenen  Form,  Trägheit  oder  übermäfsiger  Eifer  des  Schreibers  und 
was  der  individuellen  Gründe  mehr  sind.  ^ 

Allerdings  lag  es  zum  Teil  auch  in  den  Oitsverhältnissen,  dafs 
die  in  England  kopierten  normannischen  Vorlagen  gewisse  Verderbt- 
heiten an  sich  trugen,  die  den  Originalvorlagen  nicht  angehaftet  hatten. 
Noch  lag  ja  das  seit  der  Eroberung  eingeführte  Normannisch-Fran- 
zösische mit  dem  Angelsächsischen,  das  nach  wie  vor  von  der  Masse 
des  Volkes  gesprochen  wurde,  im  Kampfe.  Es  konnte  nicht  ausbleiben, 
dafs  die  Wörter  normannischen  Ursprungs  unter  dem  Einflufs  fortwäh- 
render Vermischung  mit  dem  Angelsächsischen  allmählich  eine  andere 
Gestalt  annahmen.  Besonders  waren  es  die  Vokale,  weniger  die  Kon- 
sonanten, die  eine  Änderung  erfuhren,  „puis  que  l'anglo-saxon  traitait 
les  gutturales  ....  de  la  meme  maniere  que  ce  dialecte."^ 

Die  specifisch  anglonormannischen  Kennzeichen  sind  in  der  Reim- 
predigt ^  ausführlich  angegeben  worden.  Zweck  dieser  Arbeit  soll  es 
sein,  auf  einem  bestimmt  umgrenzten  Gebiete  die  Verdoppelung  der 
Konsonanten  des  Altnormannischen  zu  behandeln.  Dafs  eine  genaue 
und  eingehende  Untersuchung  der  Konsonantengemination  im  Altfran- 
züsischen*^    dringend    wünschenswert   sei,     hat  A.   Tobler   bereits   vor 


'   üautier,  Epopees  frau^aises  I,  S.  276;  ähnlich  Diez,  Gr.  I,  S.  297. 

-  1.  c.  S.  24tJ,   Anm. 

3  Francesco  d'Ovidio  In  Romania  VI:  „Delle  voce  italiane  che  raddop- 
piano  una  consonante  prima  della  vocale  accentata,"  Ö.  210. 

''  Joret,  Du  C  dans  les  langues  romanes,  in  der  Bibllotheque  de 
l'Ecole  des  hautes  etudes,  16e  fascicule,  S.  290. 

'■>  Bibliotheca   Norraannica.     llerausggb.  von  H.  Suchier.    Halle  1879. 

6  Zwar  hat  O.  Faulde  in  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  IV,  Ö.  542—570  eine 
Arbeit  „über  Gemination  im  Altfranzösischen"  veröllentlicht,  jedoch  ist  das 
von  diesem  Verfasser   verarbeitete  Material  nichts    weniger   als   vollständig. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen.  115 

mehr  als  einem  Decennium  in  den  Gott.  gel.  Anz.  1872,  S.  889  aus- 
gesprochen. 

Um  das  gesammelte  reichliche  Material  zu  erhalten,  hat  Verfasser 
die  hernach  zu  nennenden  Texte  mehreremal  sorgfältig  Wort  für  Wort 
durchgelesen,  jedes  Wort,  das  mit  Doppelung  eines  Konsonanten  vor- 
kam, aufgeschrieben,  zugleich  aber  auch  dasselbe  Wort,  wenn  es  sich 
irgendwo  mit  einfachem  Konsonant  geschrieben  fand ,  aufgezeichnet. 
Für  jeden  einzelnen  Fall  sind  zwei  Stellen,  und,  wenn  es  besonders 
wünschenswert  erschien,  ausnahmsweise  auch  mehr  als  zwei  Stellen 
notiert  worden.  Auch  sind  alle  diejenigen  Wörter  aufgezeichnet  wor- 
den, die  im  Lateinischen,  Germanischen,  Celtischen,  Arabischen  und 
Hebräischen  Doppelkonsonanz  haben,  in  den  französischen  Ableitungen 
jedoch  mit  einfacher  Konsonanz  geschrieben  sind.  Auf  diese  Weise 
glaubt  Verfasser  ein  zu  einer  richtigen  Beurteilung  vollständiges  Ma- 
terial gesammelt  zu  haben. 

Was  nun  die  Texte  anlangt,  so  sind  folgende  benutzt  worden;  sie 
sind  nach  der  Zeit  der  Niederschrift  der  Handschriften  geordnet  i  und 
in  dieser  Reihenfolge  auch  später  citiert: 

1)  Handschrift  L:  La  Cancun  de  Saint  Alexis.  In:  „Ausgaben 
und  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  romanischen  Philologie." 
Veröffentlicht  von  E.  Stengel.     Marburg  1881.      (A.) 

2)  Das  altfranzösische  Rolandslied.  Genauer  Abdruck  der  Oxf, 
Hs.  Digby  23.    Besorgt  von  E.  Stengel.     Heilbronn  1878.      (R.) 

3)  Die  Lincolner  Handschrift  von  Li  Cumpoz  Philipe  de  Thaün. 
Herausgegeben  von  Dr.  E.  Mall.     Strafsburg  1873.      (L  C.) 

4)  Libri  psalmorum  versio  antiqua  gallica  e  cod.  Ms.  bibl.  Bod- 
leiana  asservato.     F.  Michel,     üxonii  1860.2     (OP.) 


Es  liegt  auf  der  Hand,  dafs  zu  einer  Beurteilung  der  „Gemination  im  Alt- 
französischen" vor  allen  Dingen  ein  ganz  vollständiges,  wenn  auch  auf  eine 
gewisse  Anzahl  von  Autoren  beschränktes  Material  zu  Gebote  stehen  mufs. 
Faulde  hat  zwar  etwa  zwanzig  kontinental-französische  und  anglonorman- 
nische  Texte  benutzt  und  so  das  Altfranzösische  im  allgemeinen  behandelt, 
jedoch  aus  keinem  Autor  auch  nur  annähernd  das  ganze  Material  gesammelt. 
Einzelheiten  zu  übersehen,  ist  freilich  bei  solchen  Arbeiten  sehr  leicht  mög- 
lich ;  indessen  fehlen  bei  Faulde  manche  sehr  wichtige  Formen. 

1  Für  die  Bestimmung  der  Reihenfolge  ist  für  uns  besonders  mafs- 
gebend  gewesen,  was  in  der  Reimpredigt  auf  S.  XVIII  (20),  XXVIII  (39), 
XXXVIII  (Z.  5  ff.)  und  auf  S.  XXXIX  über  Alter  und  Reihenfolge  un- 
serer Handschriften  gesagt  wird. 

^  Von  den  Canticis  in  OP  sind  nur  die  sechs  ersten  benutzt. 


116  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen. 

5)  Die  Holmcoltraner  Handschrift  des  unter  Nr.  3  genannten 
Werkes.     (CC.) 

6)  Bibliotheque  de  l'Ecole  des  hautes  etudes.  52^  fascicule.  Paris 
1882.  Lapidaires  fran9ais  des  XII%  XIIP  et  XIV«  siecles  publies 
par  L.  Pannier.     (L.) 

7)  Le  livre  des  psaumes  edite  par  Francisque  -  Michel.  Paris 
1876.     (CP.) 

8)  Aus  der  unter  5  genannten  Hs.:  Tiie  Bestiary.  In  Populär 
treatises  of  science.     Edited  by  Thomas  Wright.    London  1841.     (B.) 

9)  Les  quatre  livres  des  rois.  Par  M.  Le  Roux  de  Lincy.  Paris 
1841.     (Q.) 

Gleich  hier  möge  erwähnt  werden,  dafs  zugleich  mit  L  benutzt 
wurde:  Marbodi  liber  lapidum  seu  de  gemmis  ...  a  Johanne  Beck- 
manno.  Gottingce  1799.  Zu  den  Psalmen  (0  P  und  C  P)  wurde  be- 
nutzt: Biblia  Sacra  Vulgatae  Editionis  ...  edidit  Valentinus  Loch. 
Ratisbonae  1849. 

Zu  erwähnen  ist  noch,  dafs  der  accent  aigu  nur  auf  das  e  der 
letzten  Silbe  mehrsilbiger  Wörter,  das  im  Auslaut  oder  vor  s  steht, 
gesetzt  ist;  ebenso  ein  Trema  auf  den  zweiten  von  zwei  Vokalen,  die 
in  anderen  Worten  diphthongische  Geltung  haben.  Aufserdem  sind 
die  Accente  unserer  Texte  nicht  beibehalten  worden. 

Die  Konsonanten  h,  j,  k  (q),  v  (w)  und  x  treten  nie  gedoppelt  auf. 

In  folgender  Reihenfolge  sind  die  einzelnen  Konsonanten  behan- 
delt worden:  c,  g;  assibil.  c  oder  g  vor  e,  i;  t,  d,  s,  z;  1,  r,  m,  n; 
p,  b,  f. 

Ferner  möge  hier  noch  erwähnt  werden,  dafs  diese  Arbeit  nahezu 
vollendet  war,  als  „Die  Aussprache  des  Latein"  von  Emil  Seelmann 
(Heilbronn  1885)  erschien.  So  gut  es  ging,  ist  dieses  wertvolle  Buch 
noch  nachträglich  benutzt  worden. 

Nicht  unerwähnt  darf  endlich  bleiben,  was  H.  Suchierin  dem  Vorwort 
zu  den  jüngst  erschienenen  Lais  der  Marie  de  France,  herausgegeben  von 
K.  Warnke,  über  den  normannischen  Dialekt  sagt :  „dafs  das  Norman- 
nische niemals  eine  Volksmundart  der  Normandie  gewesen  ist.  Das 
Anglonormannische  hat  sich  erst  nach  dem  Jahre  1066  von  dem  Nor- 
mannischen abgezweigt,  und  wenn  sie  sich  auch  in  einigen  Punkten 
seitdem  in  gleicher  Richtung  entwickelt  haben  köntiten,  führt  doch  die 
Übereinstimmung  der  beiden  Idiome  fast  durchweg  auf  den  Zustand 
der   Sprache  in   der  Mitte  des    11.  Jahrh.   zurück"  ...  und  es  ergiebt 


Die  Verdoppelung  der  Kunsonanteu  im  Altnormaniiiächeu.  117 

siel),  „dafs  die  gewöhnlich  als  normannisch  bezeichnete  Sprache  nur 
im  östlichen  Neustrien,  nur  in  Ile  de  France  mit  der  Volksmundart  zu- 
sammenfallen konnte."  ...  „Die  Ausdrücke  Normannisch  und  Anglo- 
normannisch  . . .  bezeichnen  treffend  die  beiden  Nuancen  der  haupt- 
sächlich, aber  nicht  ausschliefslich  auf  dem  Gebiete  des  anglonorman- 
nischen  Königreiches  litterarisch  gepflegten  Sprache.  Man  könnte  sie 
auch  durch  Altfrancisch  und  Anglofranzösisch  ersetzen." 

C. 

Was  zunächst  die  Aussprache  von  c  anlangt,  so  schliel'sen  wir 
uns  den  Ausführungen  an,  welche  sich  in  dem  Aufsatze:  „Die  Mund- 
art des  Leodegarliedes"  von  H.  Suchier  in  der  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  II 
(1878)  finden.  1  Dort  heifst  es  auf  S.  292:  „h  —  nach  c  —  war 
ursprünglich  nur  diakritisches  Zeichen ;  es  bedeutet,  dafs  ch  ein  anderes 
c  ist  als  c  in  gleicher  Kombination  ohne  h.  Wer  dieses  bedenkt,  dem 
kann  nicht  der  geringste  Zweifel  bleiben,  was  altnorm.  Handschriften 
mit  der  Schreibung  unches  (unquam)  ausdrücken  wollen;  mit  dem  Zu- 
satz des  h  soll  die  Aussprache  untses  vermieden  werden;  dem  wird 
ferner  die  Aussprache  des  c  in  esdrechanz,  Oxf.  Ps.  17,  43.  52,  es- 
leechat  15,  9.  18,  6.  9  nicht  zweifelhaft  sein,  da  hier  h  offenbar  ganz 
dasselbe  ausdrücken  soll,  was  in  denselben  Worten  auch  durch  Zusatz 
eines  e  bezeichnet  wird  (esdreceanz,  Oxf.  Ps.  34,  13,  esledeceai  65,  16). 
In  einer  Zeit,  aus  welcher  wir  zwar  keine  norm.  Handschriften  haben, 
der  aber  die  Originalhandschriften  noch  vorhandener  Denkmäler  (Alexius, 
Roland  u.  s.  w.)  angehören,  wurde  zwar  das  velare  und  palatale  c  von 
dem  assibilierten  in  der  Bezeichnung  geschieden,  nicht  aber  das  palatale 
vom  Velaren  c  ...  Erst  allmählich  gelangte  man  dahin,  den  Laut  des 
palatalen  c  mit  ch  auszudrücken  und  somit  ch  auch  vor  a  zu  schrei- 
ben ...  Als  aber  die  Normannen  im  12.  Jahrb.  ch  zur  Bezeichnung 
des  palatalen  c  in  allgemeinen  Gebrauch  nahmen,  braucht  der  Laut, 
den  man  damit  ausdrückte,  keineswegs  TSH   gewesen  zu   sein.     Viel- 


1  Andere  Ansichten  über  die  Aussprache  des  c  werden  besonders  ver- 
treten von  G.  Paris  in  La  vie  de  saint  Alexis,  Paris  1K72  (S.  85  f.)  und  in 
dem  vorhin  unter  Nr.  G  genannten  Werke  (S.  33),  sowie  von  Charles  ./oret 
in  seiner  Arbeit  „Du  C  dans  les  langues  romanes"  (Bibliotheque  de  l'Ecole 
des  hautes  etudes,  16e  fascicule,  besonders  S.  236,  263,  276)  1874  und  in 
dem  neueren  Werke  desselben  ^'erfassers,  in  welchem  freilich  keine  neuen 
Beweisgründe  für  die  vertretene  Ansicht  beigebracht  werden:  „Des  carac- 
teres  et  de  l'extension  du  patois  normand,"  Paris  1883  (bes.  S.  113  f.). 


118  Die  \'erdoppeluug  der  Konsonanten  im  Altnormanuisclien. 

mehr  bedeutet  h  in  chambre,   champ  u.  s.  \v.   mir   ein  c,    welches   sich 
von  c  in  col  und  cul  unterschied,   d.  h.  auf  dem  Wege  war,  TSH    zu 
werden,  keineswegs  aber  nur  ein  c,   das   bereits   die   letzte  Station  auf 
diesem  Wege  zurückgelegt  hatte."     Ferner  heifst  es  auf  S.  295:  „Die 
pikardische  Verwandlung  des   assibilierten  c  und  t   in  ch  (TSH)    wie 
in  cherquier,   comenchier  ...    ist  in  norm.  Handschriften  des  12.  Jahr- 
hunderts,   von    einigen    Schreibfehlern   abgesehen,   ohne   Boleg."     Und 
weiter  heifst  es:    „Sicher   ist,   dafs   das  Norm,    des  12,  Jahrh.   dem  c 
vor  e  und  i  den  Laut  T  S  giebt,  und  dafs  Schreibungen  w  ie  menchunge, 
Cambr.  Ps.  S.  4,  oder  cumenchad,  Q  L  R   S.  69,    mit  ch   den   gleichen 
Laut   bezeichnen   sollen    (nicht  TSH,  wie  Joret   behauptet)  ...     Dafs 
das  Norm,   im  12.  Jahrh.  c   vor  a   als  reines  K   gesprochen    habe,   ist 
unerweislich."     Auf  S.    296    heifst   es   sodann:    „Seit    der   Mitte    des 
12.  Jahrh.  aber  schreiben  ein  Jahrhundert  hindurch  alle  norm.  Original- 
handschriften und  alle  agn.  Handschriften   nur  das   gemeinfranzösische 
ch"  ...  „g  vor  a  hatte  ursprünglich  den  Laut  GYA,  fiel  also  mit  dem 
Laut  des  j  (oder  g  vor  e,  i),  welcher  D  Z  H   war,   durchaus    nicht   zu- 
sammen."    Seit   der   Mitte   des    12.  Jahrh.   jedoch   fielen   diese   beiden 
Laute  (g  und  j)    zusammen.     Auf  S.  299    heifst  es   schliefslich   noch: 
„Die  franz.  Sprache   besitzt  eine  Reihe  von  Wortbildungsmitteln  mit  a 
als  Anlaut :    -a,    -are,    -atus,   -ata,   -arius,   -aria  u.  s.  w.      Sobald  ein 
solches  Element  an  einen  auf  c  auslautenden  Wortstamm  gefügt  wurde, 
mufste    dieses   c    in    das   palatale  übergehen,    daher    neben    blanc    das 
Femininum   blanche    (blanc   -|-   a)   ...  neben   sec  das  Verbum   sechier 
(sec-are)   existieren.    Indem    aber    das    a    vieler   Endungen   in    andere 
Vokale    verwandelt    wurde,     schwand    die    eigentliche    Ursache    dieses 
Wechsels  von    velareni   und  palatalem   c  aus   dem   Sprachbewufstsein, 
und   man  Hefs   diesen    Wechsel    auch    vor    Endungen   eintreten,    deren 
Anlaut  ein  anderer  Vokal  als  a  war.     Daher   leitete   man   von   , . .   sec 
assecchi  Oxf.  Ps.  101,  12,  assechi  Cambr.  Ps.  S.  183,  sechece  Oxf.  Ps. 
104,  39,  Formen,   deren   ch  zwar  infolge   der  Unbestimmtheit  der  alt- 
norm. Graphic  mehrdeutig  sein  könnte,  aber  durch  die  Aussprache  des 
13.  Jahrh.    als  palatales  c  bestätigt  wird.     So   erklärt  sich  ...   sachel 
QLR   S.  364  von  sac  ...". 

Nachdem  wir  diese  Bemerkungen  über  die  Aussprache  des  c  vor- 
ausgeschickt haben,  wollen  wir  nun  zunächst  die  in  unseren  Texten 
vorkommenden  Verbindungen  der  Präpositionen  ad  (a),  ob  und  sub  -]- 
einem   mit  c   beginnenden  Worte   folgen   lassen.     Die    Endkon?onanten 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannisclien.  119 

der  genannten  Präpositionen  sind  fast  stets  ausgefallen.  Dafs  schon 
im  Lateinischen  „die  Gemination  der  Konsonanten  in  späterer  Zeit  nir- 
gends häufiger  unterlassen  wurde  als  in  den  Präpositionenzusamraen- 
setzungen",  erhellt  aus  den  von  Schuchardt  ^  vS.  517  Anm,  und  S.  518 
mitgeteilten  Beispielen,  aus  denen  wir  folgende  auswählen  :  acipe,  apel- 
lare,  coloquente,  comendans,  coresistere,  eficax,  oficio,  oportune,  sucessa. 
Für  uns  sind  an  dieser  Stelle  besonders  die  Formen  acipe  und  sucessa 
von  Interesse.  „In  den  zuletzt  genannten  Kompositionen,"  sagt  Corssen  ^ 
I,  S.  373,  wo  die  Wörter  aperio,  öperio,  ömitto  für  obmitto,  Öculto  bei 
Plaut,  für  obculto  (occulto)  e.  c,  besprochen  werden,  „assimilierte  sich 
der  auslautende  Konsonant  der  Präposition  dem  anlautenden  Konsonant 
des  Verbalstammes  und  schwand  dann  ...  In  den  vorstehenden  Kom- 
positionen entschwand  seit  alter  Zeit  das  Bewufstsein  von  der  aus 
Assimilation  entstandenen  Konsonantenschärfung;  man  hörte,  sprach 
und  schrieb  nur  den  einfachen  stark  lautenden  Konsonanten." 

Gutturales  c. 

a)  Präpositionen  -}-  c. 
1.    ad  (a)  -\-  c. 

A  acatet  8.  acat  125.  acoler  86.  acomunier  52.  acorent  102.  104. 
acurede  80.  acustumerent  100. 

R  rachatent  1833,  racatet  3194.  achevee  3578.  achiminez  365. 
702.  acoeillent  3967,  aquillit  689.  acorder  73.  2621.  acorde  (s.)  433. 
475.  acraventet  1955.  3923.  acuminiez  "^  3860.  acunter  534.  1034. 
acurt  2563. 

LC  achater  550.  achaisun*  1311.  1363.  acuntet  2110.  acunter 
2050.  acurzant  380.  acuveitee  2706. 

OP  raachaterre  18,16.  rachatere  77,39.  racated  102,4.  racata 
105, 10.  acraventastl05,  25.  acrerrat36,22.  acreit  111,5.  acunterat  31,  2. 


1  Hugo  Schuchardt,    Der  Vokalismus  des  Vulgärlateins.    3  Bde.    Leip- 
zig 1866-68. 

^  Über  Aussprache,  Vokalismus  und  Betonung  der  lateinischen  Sprache. 
Leipzig  1858. 

^3  „Das  handschriftliche  e  sunt  acuminiet  darf  (gegen  Zeitschr.  11,  179) 
nicht  angetastet  werden;  nur  ist  darunter  acuminjet  ...  d.  h.  — ^jiet,  in 
üblicherer  Schreibung  — giet  gemeint."  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  III,  Ö.  257. 
W.  Förster  sagt  nämlich  in  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  II,  S.  179,  acuminiet  müsse 
fünfsilbig  sein;  „adcommunicare  =  acu-menei-ier,  und  später  ei  =  i,  also 
acumeni-ier." 

^  *ad-casionem  =  occasionem. 


120  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen. 

CC  achater  550.  achaisun  1311.  1363.  acuntet  2110.  acuntum 
2410.   acurzant  380.  acuveitee  2706. 

L  accreist  553  —  das  einzige  Wort  mit  cc.     acorder  187. 

CP  raachatierre  18,14.  rachated  102,  4.  aclinad22,2.  acraventee 
45,6.  acuillit  26,12.  acunterat  31,2.  acuntas  55,8.  acurrent  61,10. 
acutement  103,19.  138,3.  acuterunt  103,22.1 

B  aeastier  123,  5.  aeravantad  83,  6.  acumplit  79,  20.  acuntant 
85,25. 

Q  achatassent  391,2.  achatee  158,4.  acorder  8, 17.  acorde21,8. 
acosterent  363,3.  acreüd  209,4.  acreissed  226,8.  acuillid  74,11. 
107, 11.  acuintez  11,  12.  acuinter  86,  13.  aculche  11,  3.  aculehad  330,7. 
acumpaigna  4,  A.  2,12.  acumpaignierent  48,6.  acumpli  10,A.  1,1. 
54,10.  acuntez  185,16.  acunte  391,8.  acuple  21,  A.  1,3.  acuplerent 
245,11.  acuragee  3,  12.  acuragiez  24,3.  acureit  387,6.  acusassent 
331,5.    acustumiers  2,2.  acoiisturaeement  3,1. 

2)  oh  -f  c. 

CP  hat  occultes  18,13.  50,17,  während  OP  18,12  —  dies  ist 
die  einzige  Stelle  —  ocultes  aufweist. 

3)  sub  -\-  c. 

R  sucurez  1794.  suciirre  2617  neben  succurez  3378  und  suc- 
currat  1061.    sucurance  1405.    sucurs  2562. 

LC  sucurs  1758.    securrat  1815. 

CC  sucurs  1758.  sucurat  1815. 

L   succurs  33.  succurement  36. 

CP  sucur  Te  d.  19. 

Q  sucurs  3,7.  37,12. 

Während  sich  also  bei  ad  -|-  c  stets  —  mit  Ausnahme  eines  ein- 
zigen Falles  in  L  —  einfaches  c  findet,  wird  für  ob  -j-  c  und  sub  -j-  c 
teils  einfaches,  teils  doppeltes  c  geschrieben  ;  vorwiegend  ist  die  Schrei- 
bung mit  einfachem  c. 

b)   Aus   dem    G  e  r  m  a  n  i  s  c  li  e  n   stammen: 
LC  lecherie  530. 
CC  lecherie  530. 
Q  lecheiir  122,7.  132,13.  lecherie  302,20.  tricheür  91,25. 


>  •ad-cubitum  und  *ad-cubitare  =:  occubitum,  occumbere. 


Die  Vtrdoiipi-Iuiig  der  Konsonanten  im  AltnormannlsLlicn.  l'Jl 

Wie  in  diesen  Beispielen  der  germanische  k-Laut  sicli  im  Nor- 
mannischen als  ch  (=  k)  erhielt,  so  geschah  dies  auch  mit  denjenigen 
Wörtern,  welche  einen  lateinischen  Stamm  mit  cc  haben,  das  ch  (c) 
oder  weniger  häufig  cch  (cc)  wurde. 

c)  Lateinisches   cc. 

A  pecet  12.  pechet  22.  64.  pechethuor^  73.  pecables  79. 

R  bacheler  113.  bachelers  3020.  buches  633.  buche  1603.  broche 
1125.  brochent  1184.  pecchet  15.  240.  peccez  1882. 

LC  peche  282.  pechiez  576.  pechiere  526. 

OP  asseccat  21, 16.  assechit  101,  5.  assecchi  101,  12.  buche  5,10. 
8,3,  peccheürs  1,1.  3,7.  pecheür  1,6.  36,14.  peccherre  9,17.  9,24. 
pecherre  36,10.  36,12.  pechiet  9,39.  peccherunt  33,21.  peccer  4,5. 
peccames  105,6.  secherunt  36,12.  secchas  73,16.  seccherent  101,4. 
sechece  104,  39. 

CC  pechiet  282.  pechiez  576.    pechiere  526. 

L  buche  146.  360.    peche  942. 

CP  assechad  21,16.  assechi  101,11.  buche  8,2.  9,27.  buchiees 
(OP  hat  V.  17  morseis)  147,6  (Vulgata  :  buccellas).  ensechad  105,9. 
essechas  73,15.  pecheürs  1,  6.  pechiet  31,  1.  pechie  31,6.  peccher4,4. 
pecchai  40,4.  pecchiez  (Hs.  B  2)  C.  A.  7.  sechiee  89,6.  secchetez 
67,  7.  secchece  105,  9. 

B  buche  82,26.  85,8.  enbrocet  105,10.  pecher  98,13.  pechent 
77,8.  peched  (s.)  83,31.  pechet  94,23.  rocher^  84,13. 

Q  baehilers  97,  1.  bachelers  116,  8.  bachelerie  28,  1.  52,  15. 
buches  6,8.  buche  312,17.    buchie  311,5.  desecchad  318, 11.  esbrucad 


'  Nach  G.  Paris,  AI.,  S.  94,  Anni.  besser  pechethor. 

^  Bisweilen,  wenn  die  verschiedene  Schreibweise  von  Hs.  A  unil  B  ein 
besonderes  Interesse  bietet,  dürfen  wir  wohl  die  Hs.  B  citieren,  von  deren 
Wert  es  in  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  S.  570heifst:  „In  der  That  hat  die  jüngere 
Handschrift  nicht  selten  die  richtigere  Lesart."  Hiermit  wollen  wir  freilich 
nicht  gesagt  haben,  dafs  die  Lesart  von  B,  wenn  wir  sie  mitteilen,  dann  auch 
die  richtige  sei. 

■'  W.  Förster  sagt  in  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  II,  S.  87:  „Es  ist  klar, 
dafs  für  alle  roaian.  Formen  ein  Typus  *rocc-um,  *rocc-a,  *rocc-ia  anzu- 
nehmen ist  ...,  und  nicht  das  von  üiez  vorgeschlagene  *rupea."  —  In  den 
Memoires  III,  8.  232,  Anm.  1  sagt  Joret  in  betreff  des  norm.  Wortes  roque: 
„Cette  forme  exelut  Tetymologie  rupea  de  röche  proposee  par  Diez  ..." 
Joret  schlägt  „*rupica"  vor.  Und  Diez  .sagt  unter  rocca :  „Aber  dem  guttu- 
ralen rocca  ist  damit  —  nämlich  mit  rüpea,  rfipja  —  nicht  geholfen:  die- 
sem genügte  nur  eine  andere  Ableitung  von  rupes,  rupica,  wie  von  avis 
avica"  u.  s,  w. 


122  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen. 

298,10.  pechied  8,1.  peche  8,17.  pecchie  20,5.  39,13.  pecchassent 
340,10.  rochiers  42,15.  45,13.  rochout  178,11.  sachels  364,18. 
Sache  7,3.  118,10.  secchiees  98,18.  115,10.  sechast  183, 16.  secches 
(adj.)  177,14.  vaches  21,4.  21,  A.  1,1. 

Auch  gehören  hierhin   folgende  Eigennamen : 

Q  Aeharon  345,5.  346,19.  Accharon  19,4.  22,10.  Accaron 
19,4.  68,5.  Socco  238,10.  293,19  (lat.  Text:  Socho).  Soccho  257,2 
(lat.  Text:  Sochoth).  Soco  398,17. 

Gutturales  g. 

a)    Präpositionen  -j-g. 

Nur  ad  (a)  findet  .sich  vor  g,  welches  in  diesem  Falle  stets  ein- 
fach ist,  und  zwar 

1)  Mit  lateinischem  Stamme'. 
A  agravet  58. 
R  agreget  2206. 

OP  agregee  (Vulg. :  gravata)  31,4.    agrevees  37,4. 
CP  agregee  31,4.    agrevez  37,4. 
Q  agraventad  19,10.  agraventer  199,10.    agreva  18,5. 

2)  3Iit  germanischem  Stamme: 

B  aguaitables  118,24.    agnaitant  118,14. 

Q  agreier  27,14.  aguaiter  366,15.  aguaiz  366,18.  aguait  53,13. 

b)   Lat.    cc   vor   I. 

wurde  stets  einfaches  g  in: 
A  eglisei  52.  114. 

OP  iglise  21,23.  21,27.  eglise  106,32. 
CP  eglise  21,23.  21,26. 
B  eglise  82,3.  109,13. 

Q  Egll.se  5,A.  1,4.  5,A.  1,6.  Eiglise  10,A.  2,2. 
Dem  Hebräischen  (Eglah)  ist  entnommen: 
Q  Eggla  129,3  (Vulg.,  2  Reg.  III,  5:  Egla). 


'  Nach  Schnchardt  I,  S.  238  finden   sich  im  Lateinischen  die  Formen: 
eclisia,  ecclisia,  feclisla,  {ecclisia. 


Die  \  crdoppelung  lUn-  Konsonanten  im  AltnormanniscLen.  123 

Assibiliertes  c  vor  e,  i. 
a)    Präpositionen    -|-    c. 

1)  ad  (a)  -{-  c. 
A  acertes  17.30. 

OP  aceint  C.  Hab.  26.    acertes  10,6.  14,5. 
CP  aceint  C.  A.  25.    acertes  2,6.  5,6. 

Während  diese  Formen  nur  einfaches  c  aufweisen,  findet  sich  cc 
in   acceptable   B  77,22,    in    acceptablement   und   acceptables    8,3    und 

113,3  in  Q. 

2)  ob  -\-  c. 

R  Ociant  3286.  3526.  Occiant  3474.  3517.  ocire  42  Kand.  ocis 
102.    ocisiün  3946. 

LC  occident  2572.    ocire  680.  ocist  688. 

OP  occident  74,6.    ociet  9,30.  ocies  58,11.    occisiün  43,24. 

CC  occident  2572.    ocire  680.  ocist  688. 

L  ocit  295.  721. 

CP  occident  74,6.  101,12  (OP  hat  dechedement).  ocient  36,14. 
ociez  61,3.    occisiün  43,22. 

B  ocit  81,19.  85,17.  occit  90,14. 

Q  ocire  9,4.  ocirad  58,5.    ocision  219,2.  occisiün  228,11. 

Die  Substantiva  occident  und  occisiün  haben  also  fast  stets  cc, 
während  ocire  meist  einfaches  c  aufweist. 

b)   Lat.  cc   vor   e,   i. 
1)  In  Fürivörtern  und  Adverbien 
findet  sich  stets  einfaches  c. 

A  ici  Einleitung,  ices  14.  icel  3.  35.  icil  65.  icele  61.  76. 
icesta  Einleitung.  41.     icest  125.     ico  106. 

R  ici  401.  558.  ico  186.  230.  icil  618.  880.  icel  664.  1845. 
icele  979.  2495.    icest  1180.  1677.    icist  1023.  1393. 

LC  ici  2559.  2810.  i(;o  12.  39.  icil  15.  511.  icele  319.  iceles 
1236.    iceste  3161. 

OP  ice  4,9.  7,3.  icil  2,13.  icels  5,  11.  5,12.  icele  94,9.  icest 
9, 16.  icist  23,5.  47, 13.  icesti7,8.  iceste  23,6.  purice  40,  20,  51,  5. 
empurice  44, 3.  45,2  (C  P  hat  statt  der  letzten  beiden  Wörter:  pur 
iceo,  pur  ices  choses,  pur  ceo  e.  c). 

CC  ici  2559.  2810.  jqo  12.  39.  icel  420.  icil  511.  icele  319. 
1223.    iceles  1236.    iceste  3161. 

L  ice  236.    ici  380.    icel  18.    icele  229.  355.    iceste  73.  177. 


124  Die  Verdoi)[)elung  der  Koiisoiuinteii  im  Altnormiiniiischen. 

CP  ices  43,17.  icil  2,13.  iceals  33,19.  iceols  42,3.  icele 
33,14.    icest  31,7.    iceste  3, 2.  7, 7.    icez  24,  9.    iceo7,3. 

B  iceo75,  11.  7G,9.  icil  96,2.  111,8.  icele  79, 13.  89,17.  ices 
127,28.  icest  96,  9.  106,19.  icist  131,2.  131,3.  iceste  95,  3.  129,25. 

Q  ici  38,11.  76,9.  i^o  42,5.  96,5.  icest  42,  A.  1,1.  iceli 
49,2.  109,10.  icist  4,  A.  2,7.  29, 1.   ices  22,  8.  397, 15.  icez  336, 17. 

2)  In  folgenden  Haiiptiuörtern 
mit  stets  einfachem  c: 

R  croce  1670  (cruiz  2504). 

OP  traces  16,6.  76,19. 

CP  bacini  59,8.  107,9  (O  P  hat  59,10  und  107,10  esperance). 
estrnces  16,  5.  64,  12. 

B  trace  77,  13.  89,  7. 

Q  traces  297,  11.   304,  20. 

Als  Ausnahme  mit  cc  ist  zu  nennen:  pieccettes  B  57,  wo  cc  wohl 
Druckfehler  ist,  da  im  Glossar  piecette,  auch  363  piecete  steht;  ebenso 
depece  56;  depecee  65  e.  c.  —  Aufserdem  ist  mit  cc  noch  zu  nennen: 
Macces  (lat.  Text  ebenso)  Q  238,  8. 

c)   Aus   lat.    et   vor  frz.,   lat.    i. 

LC  equinoctiüm  1377.  equinoction  1710.  resurrectiün  206.  2121. 
surrectiün   279. 

OP  afflictiün  17,21.    resurrectiün  138,1. 

CC  equinoctiüm  1377.   1710,  sonst  wie  L  C. 

L  suspeciüm  555. 

CP  afflictiün  9.13.  17,18,    actiüns  55,12.  acciün  94,2.  acciüns 

99.4.  uncciün  151,5.  Einmal  findet  sich  tt  statt  et  in  cuntredittiiin 
30,  21 ;  hiervon  unter  t. 

Hier  wird  also  der  Laut  k  -j-  ts  dargestellt  durch  et-  und  cc; 
einmal  findet  sich  —  in  L  —  die  Form  suspeciün  mit  c.  ^ 

1  Horning  (Zur  Geschichte  des  lat  c  vor  e  und  i  im  Romanischen, 
Halle  1883,  ö.  .3)  sagt,  das  Wort  sei  „aus  einem  Typus  baccinum  (nicht 
bacinum)  abzuleiten". 

-  Einfaches  assibil.  c  entsteht:  1)  aus  et  in  benedictio:   OP  beneiceuu 

20.5.  23,5.  CP  benei9un  3,9.  20,6.  Q  bpnei9un  91,  19  e.  c;  —  2)  aus  pti  in 
captiare:  LC  cha9out  430.  chacat  G61.  CC  chazot  430.  chac^at  661.  B  noces 
Einl.  Q  chacierent  49,8.  encha(,-ad  89,12.  —  3)  aus  de  in:  escraeed  Q  79,4. 
Auch  clocerent  OP  17,49  gehört  hierhin,  wenn  die  Ableitung  von  claudicare 
—  in  Ztschr.  für  rem.  Phil.  III,  S.  171  wird  auch  an  cloppicare  gedacht  — 
richtig  ist.  —  4)  aus  pi  in:  appropiare,  das,  ähnlich  wie  aus  sapiam  sache 
wurde,  approclier  ergab,  z.   B.  aprochant  B  91,10  e.  c. 

a  Vgl.  S.   127,  Anm.  2. 


IJie  Vordoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen.  125 

Fehlerhaft  steht  cc  statt  c  in  proecces  R  1564  und  proecce  1731. 
Denn  es  finden  sich  folgende  Formen  mit  c,  sc  und  s : 

OP  basseces  62,9.    sechece  104,39.    veillece  70,20.  91,10. 

L  durece  361.    largece  10.    pruece  9. 

CP  basseces  62,10.  secchece  C.  M.  (Ex.  15)  23.  veillece  70,9. 
veillesce  70,  18.  91,10. 

B  richeise  96,30.  98,9.    vellesce  114,6.  veillesce  114,16. 

Q  deslresce  281,11.  juinteices  254,17.  lassesce  116,  18.  leesce 
387,5.  prueise279,5.  richeise  64,10.  333,21.  viellesce  11,4.  vieil- 
lesce  276,  3  e.  c. 

Assibiliertes  g  vor  e,  i. 
a)    Präpositionen    -|-    g. 

Dieselben  ergeben  stet«  einfaches  g. 

1)  ad  (a)  -f-  g. 
OP  agenuillums  94,6. 
Q  agenuillez  264,14.  agenuillat  346,10, 

2)  svb  -\-  g  (aus  j)  : 
OP  sugez  36,6.  sugete  61,1.  61,5. 

b)   Die   Endung  age. 

Nur  zwei  Beispiele  mit  gg  finden  sich  in  L,  von  denen  das  erste, 
lengagges  4,  wohl  Druckfehler  ist,  da  im  Glossar  lengage  steht;  das 
zweite  ist  curagge  15.  Diesen  beiden  Formen  steht  sonst  stets  ein- 
faches g  gegenüber,  z.  B. 

R  curages  56.  191.    damage  1102.  1885. 

L  selbst  bietet  curage  841.    damages  502.  damäge  842. 

Q  damage  326,5  (damagier  125,12.  damager  151,14).  taillage 
393,17.    tolage  219,9  e.  c. 

Besonders  zu  nennen  ist  assegga  Q  369,2,  wo  gg  den  j-Laut  be- 
zeichnen soll,  denn  ebenfalls  in  Q  finden  sich  die  Formen  asejad  137,  1. 
asegie  161,14.  asegierent  199,9. 

t. 

Als  Präpositionenverbindungen  sind  zu  nennen : 

1)  ad  (a)  4-  t. 
a)  In  Haupt-  und  Zeitwörtern. 
A  atarger  118.   atempredes  119.   atendi  78.   atente  89.    atendudc 
94.  attendeies  appendix.    aturnad  28.  aturnede  29. 


126  Die  A'erdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormiinnischen. 

R  atachet  3737.  atalentet  3001.  atarget  368.  atent  665.  2837. 
atraire  2256. 

LC  atraiement  1  2146.  atent  2653.  atendeient  1758.  atraire 
556.  2060. 

OP  atent  26,20.  36,36.  atente  38,11.  atenevid  C.  H.  8.  atriblet 
3,7  (sonst  stets  contribled,  z.  B.  50,18). 

CC  ataint^  2146.  atent  2653.  atendeient  1758.  atraire  556. 
2060. 

L  atrait  535.    attendra  306. 

CP  atemprez  24,8.  attend  54,2.  attendit  65,17.  attente  61,5. 
atende  26,5.  atendanz  55,6.  atendis  •*  24,4.  atenued  78,8.  atenuias 
88,40.  atribled  82,10.  atrible  31,3.  attribled  (Hs.  B:  t)  72,21.  atu- 
chad  37,2.  atuched  103,32.  aturnee  29,15. 

B  atachet  93,5.  101,28.  atempree  82,  16.  atemprez  122,  24. 
atent  88,22.  atendant  111,6.  atrait  106,7.  atucher  92,19.  atuchet 
101,27. 

Q  atarjout  3,1.  atariad  63,7.  atarier  306,5.  attarie  62,10.  atta- 
rier  64,9.  attarriet  105,3.  ateindre  49,7.  ateinst  288,5.  atemprance 
1,A.  2, 6.    atempred  167,10.'* 

b)   Im  Adverb  atant. 
R  atant  413.  634. 
B  atant  94,3.  103,22. 
Es  wiegt  also  überall  die  Schreibung  mit  einfachem  t  bei  weitem  vor. 

2)  sub  -}-  t. 

LC  subtilment  579.  subtil  1204.  sutilment  1213. 

CC  sutilement  579.  sutilment  1213. 

Dieses  ist  das  einzige  Wort,  in  welchem  b  von  sub  vor  t  sich 
noch  zweimal  erhalten  hat;  sonst  findet  sich  (=  subs),  z.  B.  sustrait 
B  100.4  oder  suz  (=  subtiis),  z.  B.  siiztrait  CP  140,6. 

Aufser  der  in  der  Präpositionszusammensetzung  von  ad  (a)  -|-  t 
vorkommenden  Verdoppelung  dieses  Konsonanten  finden  sich  in  unseren 


'  „Der  Vers  mufs  korrupt  sein",  in  dem  dieses  Wort  steht.    Mall  S.  151. 

*  „attingcre  und  *attan<zere  waren  nebeneinander  im  Gebrauch,  wie 
impingere...  und  impangere."     Reimpred.  S.  XYIII. 

^  „Druck-  oder  Schreibfehler"  (=  exspectavi).  Ztschr.  f.  rom.  Phil. 
I,  S.  ;)71. 

''  Präpositionsvertauschung  fand  statt  in  entamassent  von  attaminare 
Q  202,17. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnonnannischen.  127 

Texten  nur  noch  wenige  Beispiele  von  Assimilation;  attement  A  114 
steht  —  mit  Ausfall  des  p  vor  t  —  für  atement  und  ist  also  nicht 
durch  Assimilation  entstanden;  i  und  cuntredittiün  CP  30,21  steht 
fehleihaft  für  cuntredictiün,  wie  Hs.  B  wirklich  schreibt.  2  Auch 
putidus  giebt  putes  mit  einfachem  t  in  LC  und  CC  140. 

Aus  nitidam  wurde  gebildet : 

A  nethe  9. 

OP  nette  17,35.  18,8. 

L  nete  384. 

CP  nete(Hs.  B:  tt)  17,32.  nette  (A  u.  B)  18,  7.  netteded  88,45. 
neteded  17,20.  17,24  (Hs.  B  hat  stets  net(eed). 

Q  netee  (s.)  1,  A.  2,  6.  207, 15.   nettes  208,  1  i.  nettement  83,  10. 

Die  noch  zu  besprechenden  Formen  mit  t  (tt)  entstammen  fast 
ausnahmslos  fremdsprachlicliem  tt. 

1)  Lal.  und  germ.  att  wurde  at. 
A  batant  85.    debatre  86.    nate^  50. 

R  abatied  98,  1317.  batent  1158.  batue  1331.  cumbatre  56G. 
cumbatrat  614.    escumbatues  2307. 

LC  cumbatrat  71.  cumbatanz  452.    Mathiu  2205. 

OP  baterunt  97,  9.  escumbatirent  108,  2.  128,1.   batemenz  88,32. 


1  p  und  b  vor  t  blieben  entweder,  wenn  auch  selten,  stehen,  wie  bap- 
tizet  A7,  oder  sie  fielen  aus,  wie  in  batesma  A6:  entrarote  A  103;  achater 
LC  550;  receter  B  113,3;  set  Q  43,1;  setante  Q  217,15;  crute  R  2580; 
auch  das  häufige  duter  (z.  B.  C  C  37;  gehört  hierhin.  An  die  Stelle  von 
p  trat  i  in  caitif,  z.  B.  B  103,5.  Nur  einmal  findet  sich  tt  in  dette  Q  85,12, 
sonst  auch  in  diesem  Worte  stets  t,  z.  B.  detes  OP,  Oratio  dom.;  deturs 
ebendort;  detes  CP  Or.  d.  5;  deturs  ebendort. 

Dafs  attement  für  atement  stehe,  ist  Toblers  Ansicht,  der  in  den 
Gott.  gel.  Anz.  I,  S.  889  sagt,  dafs  „commune  62  und  attement  114  wohl 
nur  aus  Versehen  den  geminierten  Laut  zeigen." 

In  den  Memoires  I,  S.  91  sagt  G.  Paris:  „C'est  ä  tort  que  M.  Diez 
rattache  ate,  aate,  et  ses  derives  ...  au  norois  at:  ces  mots  viennent  d'aptus." 
Und  bei  Diez,  W.  II,  c  unter  azaut  heifst  es:  „Gleicher  Herkunft  ist  alt- 
franz.  a-ate",  nämlich  wie  nzaut:  „von  ad-aptus." 

^  c  vor  t  bheb  entweder,  z.  B.  in  contradiction  OP  30,26;  79,7;  CP 
contredictiün  (Hs.  B:  cc)  80,7;  cuntredictiün  94,8;  B  nocturnals  123,18. 
124,2;  fructefierad  in  Q  415,6;  oder  es  fiel  aus,  z.  B.  in  dites  OP  86,2: 
parfite  OP  88,36;  ditiet  (dictatum  =  „carminis")  CP97,6;  otreis  B  119,20; 
flotat  Q  366,11;  oder  endlich  es  wurde  zu  i,  z.  B.  in  oitovre  LC  791; 
uitovre  CC  791.  1137  (October  1149). 

3  „natta  für  matta"  (Gregor  von  Tours).     Diez,  Gr.  I,  S.  42. 

Das  Wort  bataille,  das,  wenn  man  battuere  und  nicht  batuere  als 
Etymon  annimmt,  auch  hierhin  gehören  würde,  ist  hier  übergangen;  es 
findet  sich  unter  mouilliertem  1;   es   hat   stets  einfaches  t. 


128  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen. 

CC  cumbatrat  71.  cumbatanz  452.    Mathie  2205. 

CP  enbatues  G3,7.  escumbatirent  108, 4.  (fuildrantte  Cant.  A  16 
ist  Schreibfehler  für  fuildrante). 

B  batud  78,30.    conibatant  75,5.    Matheu  80,2, 

Q  abateras  96,4.  abatereit  137,6.  batant  132,2.  baterai  282,18. 
enbatre  354,18,  embatuns  50,8.    cumbatanz  3,13.  cuinbatrad  341,3. 

Es  findet  sich  also  stets  einfaches  t  nach  a. 

2)  e  vor  t  (tt). 

a)  t  (tt)  entstanden  aus  lat.,  griech.  oder  germ.  tt. 

R  metre  3692,  3832,  mettre  2382,  metet  212.  tramettet  1565, 
prametent  341 G. 

LC  metet  146.  156.  metrat  1788.  2065. 

OP  forsmeterat  51,5,  forsmetras  103,31,  remetanz  21,15,  re- 
metra  147,7. 

CC  mete  146,  metet  156.  metrat  1788,  2065. 

L  letres  appendix,   metra  465.  558.  melez  601.  643.   reraete  826. 

CP  letreiires  70,5  (OP  hat  70,18  litterature).  mete  103,14. 
metent  124,3.  metrai  131,11.  136,6.    forsmetras  i  103,30. 

B  lettre  90,  14.  91,  2.  letre  100,  25.  meteit77,19.  122,10,  metre 
94,9.  mettre  123,22.    metrat  107,29. 

Q  letres  380,2.  lettres  413,  3.  entremettre  215,16.  metez  21,8. 
metent  71,18.  338,5.  mettre  95,4.  217,11.  metra  28,2.  mettrai 
414,18.  metereie  187,3, 

Bei  weitem  vorwiegend  ist  also  die  Schreibung  mit  einfachem  t 
nach  e  in  diesem  Falle, 

Die  beiden  einzigen  aus  dem  Griechischen,  bezw.  aus  dem  Ger- 
manischen stammenden  Wörter  sind:  desbareterent  55,10;  desbareter 
71,21  in  Q  und  cretines  353,17  in  Q,  In  beiden  Wörtern  ist  t  statt 
tt  in  die  unbetonte,  vortonige  Silbe  getreten. 

Als  Fremdwort  gehört  noch  hierhin:  Bettaven  Q  48,8. 

b)  6  in  der  Diminutiv-Endung  ete  (ette):^ 


1  forsmetrad   24,13    ist   nach   Ztschr.    f.  rom.  Phil.  I,   S.  570   Sehreib- 
fehler für  forsmerrad,  wie  Hs.  L5  liest. 

-  „Diese  wichtige  romanische  Ableitung  ist  unlateinisch ;  ilu-  Ursprung 
ist  dunkel.  Sie  ist  diminutiv  und  zeugt  auch  Verba.  Gewöhnlich  dient  sie 
zur  Verkleincrimg.  Einzelne  Spuren  im  Mittellatein  bezeugen  ihr  hohes  Alter." 
Diez,  Gr.  II,  S.  ;571.  In  Romania  VII,  S.  247  beifst  es:  „Selon  Diez,  qui 
'     "  "     '      ■        '     '  ,■    ■      .■  ..  ^^   serait   pas 

appar- 


uiez,  Vjrr.  11,  ö.  .1/j.  in  nomania  vii,  o.  'lii  neust  es:  „oeion  ui 
suit  l'opinion  de  Pott,  la  terminaison  diminutive  —  ett  —  ne  ser 
d'origine  latine,  mais  d'origine  allemande;   cependant  le  fait  qu'elle 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen.  129 

R  carettes  2972.    crignete  1655.   Tulettes  1568  (=  „Toletam").» 

LC  atometes  2321.  2389.  petitettes  2070  (C  C  hat  petizades). 
ruelete  133.    saete  1760.  1763.    urettes  2069  (C  C  hat  hurades). 

OP  saieles  7,14.  10,2.  saiettes  63,8.  76,17. 

CC  atometes  2321.  2389.  charete  134.  huretes  2322.  2388. 
reuelette  133.    seete  1760.  1763. 

L  chiaetes  562.  aguettes  58.  pieccettes  57.  piecete  363.  tachetes 
751.    veinetes  754.    violete  383. 

CP  saetes  (Hu.  B:  saiettes)  44,5.  56,5  (Hs.  B  auch  t).  saietes 
7,  13.  10,2  (Hs.  B:  tt,  wie  auch  17,  14). 

B  bestete  9-5,20.  97,4.  concete  128,6.  cosetes  129,5.  flurete 
90,27.  florete  90,28.  fossette  88,27.  fosette  90,27.  mustelete  95,  20. 
naturete  88,27.    paillete  90,28.    petitete  93,11. 

Q  berbeiete  158,10.  158,15.  boist-ttes  311,2.  311,8.  miette 
319,4.  Olivete  176, 12.  perrette  182, 16.  saetes  79, 17.  81,  17.  saiettes 
79,20.  79,21  (auch  saiete  82,1.  82,2).    vileites  398,18. 

Die  Ableitung  von  boete  B  85,22  und  pudnete  B  85,22  ist  dem 
Verfasser  unbekannt  geblieben. 

Aus  den  genannten  Beispielen  ersehen  wir,  dafs  in  allen  Hand- 
schriften t  und  tt  vor  e  in  der  Endung  ete  (ette)  ohne  Unterschied  ge- 
braucht werden.  Etwas  vorwiegend  ist  die  Schreibung  mit  einfachem  t. 
Schon  im  Lateinischen  wechselten  nicht  selten  t  und  tt  in  denselben 
Wörtern.     Über  die  Gemination  des  lat.  sagt  Corssen  I,  S.  69:  „Dafs 


tient  a  tout  le  domaine  roman  hormls  au  valaque  engage  ä  supposer  une 
base  -ittus  -itta  dans  le  latin  populaire.  ...  ü  y  a  ici  plus  qu'une  hypo- 
these,  il  y  a  certiiude  ..."  Im  Anschlufs  an  eine  von  Cornu  in  Roraania 
XXII  veröffentlichte  Arbeit:  „Les  noms  propres  latins  en  -ittus,  -itta  .  .  .", 
sagt  G.  Gröber  in  Ztschr.  f.  rem.  Phil.  II,  8.  184.  dafs  ihr  lateinischer 
Ursprung  unwahrscheinlich  sei.  Wie  wolle  man  sag-itta  erklären,  „das  die 
lateinische  Nationalität  dieses  Suffixes  nicht  zu  beweisen  vermag,  da  sagitta 
keine  römische,  vielmehr  eine  entlehnte  Waffe  ist,  .  .  .  ein  Lehnwort,  das, 
wenn  es  wirklich  mit.  dem  keltisch-lateinischen  sagum  zusammenhängt,  ...  die 
keltische  Abkunft  auch  des  Suffixes  itta  involvieren  und  jene  Kosenamen" 
—  die  Cornu  aufstellte  —  „als  Nachbildungen  keltischer  Kosenamen  anzu- 
sehen veranlassen  würde."  Ebenso  sei  auch  die  Annahme  wenig  gesichert 
(S.  183),  dafs  -itta  ein  indogerm.  Suffix  sei.  „Dies  scheint  es  nur  unter 
der  Voraussetzung  sein  zu  können,  dafs  .  .  .  die  Nebenform  -itia  als  Grund- 
form angesehen  würde,  in  welchem  Falle  wenigstens  das  Slavische  eine 
wichtige  Parallele  gewährte."  Nach  Schuchardt  (Slavodeutsches  und  Slavo- 
ital.)  ist  dieses  Suffix  etruskischen  Ursprungs. 

1  chaiete  1986  gehört  nicht  hierhin;  es  steht  für  chaeite  (Gautier,  Rol). 
„Quant  ä  chaeit,  il  ne  peut  s'expliquer  que  par  cadectus,  forme  analogique. 
Cfr.  coUectus  =  coUeit..." 

Archiv  f.  n.  Spracten.    LXXY.  9 


130  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen. 

das  t  im  Inlaut,  mochte  es  assibiliert  sein  oder  nicht,  einen  scharfen 
Ton  hatte,  zeigt  das  Schwanken  der  Schreibart  zwischen  t  und  tt  in 
den  auf  Inschriften  vorkommenden  Namen  wie  Atilius  neben  Attilius" 
u.  s.  w.  Ebenso  „schwanken  in  den  ältesten  Handschriften  die  Schreib- 
weisen zwischen:  obliteratum,  Gaj.,  literas,  Gaj.,  oblitteratas,  Gaj." 
u.  s.  w.  1 

c)  e  in  den  Zeitwörtern   auf  eter.     Nur  drei   Beispiele   —  jeter, 
regreter  und  saieter  —  bieten  unsere  Texte, 

aa)  A  jeter  106,  dejeter  186,  jetent  72,  jetet  88  (getent  53,  54). 

R  jeter  2868,  jetent  3530  (getet  302,  getee  444). 

LC  arcgetant  1759,  jetet  1224. 

OP  geted  1,5.  jetet  21,9.  gete  54,25.    degetera  76,7.  degeteras 
139,11. 

CG  arcgetant  1759,  getet  1224. 

L  gette  437.  519.  gete  825.  864. 

C  P  degeted  1, 5.  degetums  2,  3.  dejetes  50, 12.  dejeterai  (Hs.  B  :  tt) 
17,43.  dejeterat  76,7. 

B  jeterat  82,21.  geterat  102,3.  gete  92,10.  94,12  (getad  88,3. 
88, 7). 

Q  getai  34,  15.  geted  105,  5  (jetad  67,  16.  jeterent  122,  19).  de- 
gete  27,  2,  34,  17.  dejeterai  268,  8,  430,  5.  engette(=  en  gette)  95, 10. 

bb)  A  regreter  26. 

R  regreter  2026.  2886.  regretent  1469.  regrette  1566. 

cc)  OP  saietent  10,2.  saiettent  63,3.  saietterent  63,4. 

CP  saietent  10,2.  saietassent  63,4.  saieterunt  (Hs.  B:  tt)  63,4. 

Die  Schreibung   mit   einfachem  t   wiegt  also  bei  weitem  vor;    nur 
in  der  3.  Pers.  des  Pr.  und  Fut.  findet  sich  bisweilen  tt. 


terai 


3)  i  vor  t  (tt)  aus  lat,  tt. 
R  quites2  1140.  quite  2748.  quiteded  901 
869,2. 


908.    aquiter  492.    aqui- 


Q  quites  38,14.  quite  64,11.    aquitast  356,7. 


'  Dafs  übrigens  tt  im  Lateinischen  auch  Doppellaut  (=  „zwei  physio- 
logisch und  akustisch  selbständige  Zwillingslaute")  war,  weist  Seelmann, 
Aussprache  des  Latein,  wiederholt  nach  (S.   111  ff'.). 

^  Das  Wort  und  seine  Derivativa  gehört  nur  hierhin,  wenn  die  Be- 
merkung Gautiers  (Rol.)  zutrifft:  „Quite,  dit  W.  Foerster,  ne  peut  pas  dd- 
river  de  quietus,  quitus  .  . .,  tout  d'abord  il  faut  deux  t .  . .  je  suppose  en- 
core  un  i  apres  les  deux  t;  quittium,  quittidum."  Diez  schlägt  nämlich  unter 
cheto  als  Etymon  quietus  vor. 


Die  Verdoppelung  der  lyonsonanten  im  Altnormannischen.  131 

Auch  die  Fremdwörter  mit  tt  sind  hier  zu  nennen: 
LC  sagittaire  1403.  sagittaries  1728. 
OP  litterature  70,28  (CP:  letreüres  70,15). 
CC  sagittarie  1403.  sagittaries  1728. 

4)  t  (tt)  aus  lat.  tt  nach  u. 

A  anglutet  61.  ^ 

LC  glutun  3733.    gluternie  „(?)"  529  (CC  hat  glutunerie). 

OP  deguterent  67,  9.  degutanz  71,  6.  gutes  C.  Moys.  ad  fil.  Isr.  3. 
gutieres  64,11.  71,6.    transghitet  68,19. 

CC  glutun  2733.    glutunerie  529. 

L  gutta  259.  gute  382.  873. 

CP  deguterent  67,9.  gutes  71,6.  C.  M.  (Deut.)  3.  transglutums 
34,26.  transglutie  106,27. 

B  degutant  116,1.  transgluterat  108,23. 

Q  gute  16,7.  291,11. 

Einfaches  t  findet  sich  also  überall,  mit  Ausnahme  eines  Falles  in  L, 

Besonders  zu  nennen  sind  gutte  L  379,  part.  fem.  von  gustare 
(Text  liest:  guttee)  und  das  Fremdwort  gutta  OP  44,10  (Vulg.  hat 
V.  9 :  Mirrha). 

5)  t  in  tan  tost. 

Diese  Wortverbindung  erscheint  nur  in  Q:  tantost  424,2.  tant 
tost  64,6.  313,16.2 

Unbekannt  geblieben  ist  dem  Verfasser  die  Ableitung  von  sotes 
B  86,12. 

d. 

ad  (a)  -\-  d  wurde  stets  ad. 

R  adeiset^  981.  adeset  1907.  adenz  1624.  2025.  adestrant 
(eigentlich:  ad  estrant  =  addextrantem)  2648.  adubees  713.  aduber 
993.    aduree  1396.  1460. 

OP  adreceras  7,10.  adrece  24,5. 

CP  adrece  43,26.    adrecement  118,7. 


'  „glutus,  wofür,  nach  gluttire  zu  urteilen,  auch  gluttus  stattfand." 
Diez,  W.  I,  S.  210. 

^  Das  in  Reimpredigt  S.  XXVIII,  40  genannte  tuttens  erscheint  in 
unseren  Texten  stets  getrennt:  tuttens,  z.  B.  CC  2018.  2027;  LC  hat  stets 
tuz  tens,  einmal  toz  tenz  2692  und  einmal  tuz  tenz  2218;  B  tut  tens  98,24 
u.  s.  w. 

3  addonet  A  104,  das  vor  R  genannt  werden  müfste,  steht  für  ad  donet. 

9* 


132  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Alt  normannischen. 

Q  adedd  3,13.  adrecier  44,16.  readrecier  423,7.  adrecement 
29,16.  adrecemenz  188,17.  adreit  67,16.  adubez  247,15.  adubed 
248,14. 

sub  -[-  cL 

Sub  verliert  das  b,  z.  B.  sudniant  E,  942. 

Lat.  dd  (d). 

Eigennamen:  Q  Addo  239,1.  Asaradon  (lat.  Text  hat  Asar- 
haddon)  416,4.  Engaddi  93,5.  93,7.  Gaddi  (lat.  Text:  Gadi;  auch 
im  Hebr. :  ä). 

Aufserdem  finden  sich  nur  vier  Wörter  mit  dd :  CP  6,  10  sudde- 
ment;  Q  9,  2  reddement  (Adv.) ;  9,3  reddur  (die  beiden  letztgenannten 
Wörter  stammen  von  rigidus)  und  reddeie  68,6  in  CP,  Hs.  B,  das 
Schreibfehler  ist,  da  Hs.  A  rendeie  hat,  auch  sonst  das  n  erhalten  ist, 
z.  B.  rendeient  B  78,  3, 

Was  suddement  anlangt,  so  findet  sich  (nach  Schuchardt  I,  S.  149) 
schon  im  Lateinischen  die  Form  sudditas.  Das  Wort  hat  sonst  (auch 
in  CP)  einfaches  d,  wie  folgende  Beispiele  zeigen: 

OP  sudement  63,4  (dies  ist  die  einzige  Stelle;  diese  Handschrift 
hat  sonst  stets  ignelement  e.  c). 

CP  (Hs,  B  hat  6,10  sudeiement  statt  suddement)  sudeiement 
63, 4,  sudein  63, 7.  suduseraent  (wohl  Schreibfehler  für  sudeiement, 
wie  Hs.  B  liest)  72,19. 

Q  sudeement  34, A.  1,1.  37,16. 


Schon  im  Lateinischen  wurden  s  und  ss  selbst  in  Fällen,  wo  man 
dies  am  wenigsten  erwarten  sollte,  nicht  selten  ohne  Unterschied  an- 
gewandt. „Der  Ansicht"  —  sagt  Corssen  I,  S.  116  —  „dafs  s  zwi- 
schen Vokalen  weich  gesprochen  wurde,  scheint  sich  in  den  Weg  zu 
stellen,  dafs  im  Lateinischen  für  s  im  Inlaut  zwischen  Vokalen  in  In- 
schriften wie  in  Handschriften  ss  geschrieben  ist  ..."  Es  werden  dann 
genannt  caussa,  causam  und,  was  besonderes  Interesse  für  uns  hat, 
auch  „bassim,  J.  N.  4317."  ^  Und  weiter  heifst  es  auf  S.  117:  „Nach 
Quintilians   Aussage   (I,  7,  20)    schrieb    man    zu   Ciceros   Zeiten   und 


1  „...  SS  für  s   ist   in  griechischen  Lehn-  und  Fremdwörtern   ziemlich 
regelrecht."     Seelmann,  Ausspr.  des  Latein,  ö.  129. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannisclien.  133 

noch  etwas  später  ss  anch  nach  langem  Vokal  in  Wörtern  wie:  caiissfe, 
cassus,  divissiones,  und  Quintilian  fand  diese  Schreibweisen  in  Hand- 
schriften des  Cicero  und  Vergil."  Corssen  nennt  dann  u.a.  noch  vissu 
und  promissi.  ^ 

Auch  in  unseren  Handschriften  finden  sich  eine  Reihe  von  Fällen, 
in  denen  s  und  ss  in  ähnlicher  Weise  vertauscht  erscheinen  \\\e  im 
Lateinischen.  Im  grofsen  und  ganzen  läfst  sich  aber  doch  eine  einheit- 
liche Behandlung  des  .=cliarfen  und  des  weichen  Konsonanten  erkennen. 
Beza  2  sagt  über  die  Aussprache  von  ss  auf  S.  38:  „si  inter  duas  vo- 
cales  duplex  scripta  comperiatur,  tunc  prior  quidem  quiescit,  posterior 
autcm  perfecto  nativoque  suo  sibilo  profertur,  ut  ...  baisser  ...  grossir, 
...et  siniilia."  Und  auf  S.  71  heifst  es:  „duplex  s  non  pronunciatnr 
ut  duplex,  sed  ut  Simplex  nativo  suo  sono." 

Von  Verbindungen  von  Präpositionen  -|-  s  finden  sich  : 

1)  ab  -{-  s 
nur  R  o40  asols.  1130  asoldrai.    Auch  dieses  einfache  s  lautete  scharf. 


1  Weit  ausführlicher  und  eingehender  behandelt  E.  Seelmann  diesen 
Doppelkonsonanten.  Nachdem  derselbe  darauf  hingewiesen,  dafs  „echte 
plionctische  Gemination"  vorliege  in  lat.  ,,niit-to,  güt-ta,  niap-pa,  sic-cus, 
süm-ma,  än-nus,  bei-la,  il-le,  cür-ro,  tüs-si«,  fis-si,  ces-si,  es-se,  fös-sa,  spis- 
sus,  süf-fero  u.  s.  w.",  heilst  es  ebendort  (S.  84)  weiter:  „Nicht  überall  liegt 
in  Doppelbuchstaben  ein  Doppellaut  vor.  Abgesehen  von  rein  etymologi- 
sierenden Sclireibungen  hat  wenigstens  11  und  ss  im  Latein  oft  nicht  eine 
Geniinata,  sondern  eine  Kontinua,  d.  h.  einen  einheitlichen,  aber  über  die 
normale  Konsonantendauer  hinaus  angehaltenen  Laut  bezeichnet  . . .  Ein 
solcher  Dauerlant  mit  voraufgehendem  langem  Vokal  ist  anzunehmen  bei: 
Fö-lla,  ui-lla,  ml-lle,  ü-ssi,  lauda-sse  .  . .  schliefslich  da,  wo  ss  aus  ns  entstanden 
ist  und  mit  einfachem  s  wechselt,  wie  bei  me-(s)sem  =  mensem  und  ähn- 
lichen Formen.  Eine  strenge  Grenze  zwischen  Dauerlaut  und  geminiertem 
II,  SS  u.  s.  w.  giebt  es  übrigens  physiologisch  nicht,  und  die  Sprache  hat  bis- 
weilen eine  Lautgattung  in  die  andere  übergehen  lassen."  Auf  S.  97  heifst 
es:  „Einen  einzigen,  aber  länger  anhaltenden  Laut  ...  bezeichnen  11,  ss  (rr) 
nur  in  wenigen  Worten,  und  hier  ist  der  Vokal  durchweg  lang.  Der  durch 
Dopptlbuchstaben  gekennzeichnete  Dauerlaut  gehört  physiologisch  ungeteilt 
zur  folgenden  Silbe,  der  betreffende  Vokal  steht  also  hier  in  offener."  Auf 
S.  110  f.  iiiindelt  Seelmimn  dann  noch  einmal  ausiührlicher  von  den  „Dauer- 
lauten" (1,  m,  n,  r,  s,  f,  w,  j  u.  s.  w.)  und  „Zwillingslauten  (implosiva  -{- 
explosivaj".  Auf  S.  3i:^  heifst  es  noch,  „<lafs  ...  drei  Arten  von  s  im 
klassischen  Latein  zu  unterscheiden  sind:  1)  geminiertes  s  in  crassus...  2)  ge- 
dehntes s  ...  in  cau-ssa  ...  3)  einfach  explosives  s  in  ro-sa. "  Während  besonders 
das  Italienische  (S.  110  u.  l\?)  die  lat.  Gemination  beibehielt  und  neue 
entwickelte,  haben  „die  romanischen  Sprachen  .  . .  die  lat.  Gemination  nicht 
fortgeführt.  Nur  in  wenigen  gelehrten  Worten  .  .  .  erinnert  auch  das  Fran- 
zösische daran"  (S.  116). 

^  De  Francicse  lingute  recta  pronuntiatione."  Genevae  1584  (Berlin  und 
Paris  1868). 


134  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  Im  AltcormaDnischen. 

2)  ad  -!-  s. 

A  asembler  9.  asemblier  app.  asez  81.  asist  30  (sesist  =  s'asist  20). 

R  asalt  729.  asaldrum  947.  aseger  476.  asemblet  367.  asem- 
blereit  599.  aserie  717.  3658.  asez  25.  35.  asis  452.  asise  8997. 
asofiret  1321. 

LC  asemblement  563.  asemblemenz  1113.  asemblouent  1116. 
asemblez  1556.  asen=er  246.  asis  659.  asistrent  1347.  asuagement 
298.    asseit  2596  (=  ad  seit;  CC  hat  estait). 

OP  asseccat  21,16.  assechit  101,5.  aserableront  2,  2.  asemblerai 
15,4.  assemblerat  38,10.  assemblat  40,6.  assuajas  84,3.  assuages 
88,10.    aisumptiün  88, 18. 

CC  asemblement  563.  asemblemenz  1113.  asemblouent  1116. 
asemblez  1556.  asenser  246.  asis  659.  asistrent  1347.  asuagement  298. 

CP  assechad  21,16.  assechi  101,11.  assemblee  (Hs.  B)  1.6. 
asembles  (A  und  B)  17,  48.  assemblet  C.  M.  (Ex.  15)  8.  rassem- 
blerad  146,2.  asembleement  (A  und  B)  4,10.  asez'  30,24.  91,5. 
assegeraent-  65,9.  assidaelment  39,13.  104,4.  asiduelment  (Hs.  B: 
ss)  39,20.  60,4  (auch  Hs.  ß:  s)  a«surdisses  38,14. 

B  asemblerunt  82,25.  asemblat  83,6.  assemblat  83,12.  asefir 
101,7.    asist  100,13.  asis  123,11. 

Q  asaiUid  61,1.  153,6.  asalt  72,15.  325,16.  assalt  338,19. 
essalt  (Schreibfehler  statt  assalt)  339,2,  asavure  195,7.  asavured 
360,10.  asaziez  6,12.  aseer  253,16.  256,4.  asejad  137,1.  asegie 
161,14.  asenad  67,16.  aseörs  39,18.  asenrement  138,10.  asurement 
335,6.  assenr  93,4.  aseürad  388,9.  asis  1,3.  3,9.  asise  (s.)  281, 
A.  1,1.  assis255, 14.  assit  31,14,  assemblerent  14,1.  18,13,  asem- 
ble  14,6,  asembkrent  20,2.  assentir  288, 10.  assentiras  324,  2.  asentit 
285,  12.  assez  4,  A.  2,1.  asez  8,11.  140,19.  assummerai  12,10. 
asnmmee  98,  13.  asumez  144,  3.  asuajout  61,  2.  asuager  241, 
A.  1,4. 

Die  beiden  ältesten  Handschriften  zeigen  nur  einfaches  s.  Ein 
einziger  Fall  mit  ss  findet  sich  in  LC;  die  jüngeren  Handschriften 
.-chreiben  s  und  ss  ohne  Unterschied,  um  den  scharfen  L.iut  des  s  zu 
bezeichnen. 


•  Dieses  \Vort  fehlt  in  OP,  wo  statt  ilessen  malt  (91,5)  oder  aban- 
dantment  (30,30)  steht. 

-  =  .obsidionem-;  dieselbe  Vertaaschnng  von  ob  ond  ad  in  dem 
gleich  folgenden  assordissea  ^  ob-sordiscas. 


Die   Verdoppelung  der  Konsonanten  Im  Altnormannischen.  135 

3)  ex  -}-  s. 
R  essoign  1232. 

OP  exsurdrunt  77,8  ist  das  einzige  Beispiel  mit  ex. 

CP  essechas  73,15.    essurdisses  (:=  obscurdescas)  27,1. 

B  esspesset  87, 12. 

Q  espeisse  253,6.  254,14.      essuigne  5,3. 

4)  de  -f  s. 

Da  de  und  des  (dis)  leicht  zu  verwechseln  ^  waren,  so  findet  sich 
bisweilen  auch  in  der  Verbindung  de  -|-  s  Doppelkonsonanz;  jedenfalls 
hatte  aber  auch  das  einfache  s  des  Stammes  den  scharfen  Laut.  Hierhin 
gehören: 

A  deseivret  67.   desevrassent  117. 

R  deseveret  1201.   deseverez  1977. 

LC  desevrement  755.    desevrat  757. 

O  P  desseit  (deseit)  38,6.  desevras  9,22.  desevrerent  65,12. 
dessevrer  37,  22.  desseivre  42, 1. 

CC  desevrement  755.    desevrat  757. 

C  P  deseit  (desit)  38,5.  desserat  (deerit)  33,10.  desevre  11,6. 
desevrai  17,  22.  desseivrent  CA.,  M.  S.  5.  dessevrat  C.  M.  (Deut.)  23. 

B  desevere  124,23;  auch  gehört  hierhin  deseree,  Schreibfehler  für 
desevree  128,4.    deservi  77,4.  103,7  (hat  stets  einfaches  s). 

Q  deservid  104,15.  183,2. 

5)  ens  -\-  s. 
enssa'imez  0  P,  C.  M.  ad  f.  J.  22. 

6)  tres  -}-  s. 

R  tressuet  („trans-sudatum")  2100.    tressalt  3166. 

LC  tressaillum  2347.  2373. 

CC  wie  LC. 

L  tressue  196  (steht  im  Text;  Hs.  A  hat  trop  sue). 

CP  tressalderai  17,29. 

Überall  findet  sich  also  ss.  2 


1  In  Bezug  auf  das  gleich  folgende,  gewöhnlichste  der  hierhin  ge- 
hörigen Verben  des(s)ev(e)rer  sagt  Diez,  Gr.  I,  S.  15:  „disseparare  für 
separare.  Nazarius."  Nach  G.  Paris,  AI.,  S.  103  steckt  in  desevrer  jedoch 
nicht  dis  („de-ex  ou  dis"),  sondern  de. 

^  „bis??  ou  bes?"  (bissexte  folgt  unter  ss)  steckt  nicht,  wie  Gautier 
(Rol.)  meint,  in  R  bosuign  1366,  LC  u.  CC  busuin  30.   162   und  Q  busuin 


136  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen. 

Lateinisches   ss. 

Fast  stets  ist  die  Doppelkonsonanz  ^  geblieben,  wie  folgende  Bei- 
spiele beweisen: 

A  alasserent  100.  anceisurs  1.  3.  apresset  12.  cesset  17.  le- 
cesset  58.  engraisser  51.  lasse  22.  89.  masse  43.  message  78.  passet 
11.  passer  103.  poissent  63.  poissuni  110.  puisse  31.  puisset  118. 
puisum  74.    presse  104.  105. 

R  anceisurs  3177.  3826.  baisset  138.  bassent  3273.  cesser  2639. 
cuntesses  3729.  fosset  2590.  3166.  fosse  3105.  grosse  3153.  lasse 
2723.  lasserat  871.  masse  182.  651.  message  92.  120.  messager 
2763.  messe  164.  670.  passerat  54.  passer  83  (passe  cerf  —  Passe- 
cerf  1380).  passage  657.  740.  presse  933.  961,  prese  1220.  puissez 
480.  poisset  1555.  poüssum  631.  poüsum  624.  puisant  2731.  poisant 
3111.  qiiasset  2078.  3448.  esquassent  3879.  trespassast  2865,  tres- 
passees  3324.    vasselage  25.  744.    vassal  231.  352.  vassalment  1080.- 

LC  abaissant  1420.  basse  2542.  basses  2544.  bissexte  189.  191. 
bisexte  3  2152.  cessent  294.  desqnassee  87.  messeis  42.  necessaire 
27.  ni'cessarie  36.  passees  261.  2096.  passiün  1620.  2750.  poisse 
1451.  1655.    trespasser  1655.  trespassant  3018.    vassalage  1958. 

OP  basse  87,6.  cesse  36,8.  cessez  45,10.  confessiün  41,5. 
94,2.  craisse  16,11.  62,6.  deqnassera  109,7.  encreissas  22,7.  en- 
craisserunt  64,13.  cultiveresse  119,5.  felnnessement  17,24.  34,22. 
fosse  7,16.  9,31.  messagier  67,  34.  necessitez  (C  P  hat  anguisses  und 
travailz)  24,18.  30,9.  passent  79,13.  passere  83,3.  passer  10,1. 
pramesse  55,9.  puissance  64,7.  piiissante  (s.)  C.  M.  6  (piiissanz ''  C. 
Mar.  4.7).  possessiün  2,8.  77,53.  sessiün  138,1.  trcspasse  10,1. 
trespasserunt  17,14.    triclierresses  11,2.  11,3. 


83,16.  168,5.  Denn  bei  Diez,  W.  I,  S.  386  heifst  es:  „Freilich  lafst  sich 
letzteres  (besoin)  auf  das  zu  einem  nndt'ren  Stamme  gehörige  ahd.  l)i-siuniü,i 
scrupulositas,  woraus  ein  Subst.  bi-siuni  zu  folgern  ist,  ...  zurückführen; 
denn  dafs  hier  das  romanische  bis  nicht  im  Spiele  ist,  zeigt  teils  der  He- 
griff des  Wortes,  teils  seine  Schreibung." 

1  Die  PTifiennamen  mit  ss  (s)  folgen  in  einem  besonderen  Abschnitt. 
Vgl.   aucli  S.   133,  Anm.   1. 

^  mise,  das  wie  bisur  B  117,7  den  weichen  s-Laut  hnt  (vgl.  S.  137, 
Anm.  2)  findet  sich  aufser  in  R  968,  3363  noch  in  demise  R  1635,  sowie 
in  remese  A  27. 

•■'  Schon  bei  Augu^stin  findet  sich  (nach  Schuchardt  III,  S.  187)  bisse.x- 
tus  und  bisextus. 

"  OP  hat  sonst  poant,  poanz,  vertud  e.  c.,  wo  CP  puissant  e.  c.  hat; 
auch  CP  hat  puant  S.  A.  1.  5.  puanz  F.  C.  13. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen.  137 

CC  abassee  2528.  baissant  1420.  basse  2542.  basses  2544. 
bissexte  189.  191.  bisexte  2135.  2148.  cessent  294.  desqiiassee  87. 
gregesse  (LC:  griue)  3087.  messeis  42.  necessarie  27.  36.  pas?ecs 
261.  2096.  passiiin  1620.  2750.  puisset  1655.  trespasser  1655. 
trespassant  3018.    vassalage  1958.    vassals  1705. 

L  grasse  897.  groissur  869.  iclropisie  (pitissare,  ninuEiv;  Diez) 
157.  message  16.  passez  130.  passiiin  401.  pisse  530.  poissant  6. 
122.   poissance  30.   poisse  686.  poissent  851.  rosinete  (von  riissus)  880. 

CP  abaissent  21,7.  anniincieresses  70,18.  basse  (=  basem)  ^ 
103,5.  cessat  35,  3.  cessez45,10.  cessable  T.  D.  4.  confessiün  41,4. 
68,33.  craisse  16,10.  80,15  (auch  creisse  62,6.  64,12  und  crasse 
91,13).    cumpassai  74,3.   cumpasse   92,1.    dequasse  45,2,   dequaissie 

45.6.  encressas  22,5.  eucreisset  118,70  (auch  engraissiez  C.  M., 
Deut.,  22).  felunessement  17,21.  74,4.  felenessement  82,3.  fosse 
39,2.  56,8.  possessiun  2,8.  103,24.  puisanz  (Hs.  B:  ss)  23,8.  C. 
S.  M.  4.  7.  puissanz  (Hs.  A  und  B)  51,1.  puissant  50,13.  71,12. 
puissent  58,13.    puissance  76,14.  77,4.  puisance  C.  S.  M.  6.   quasset 

17.7.  quassas  73,14.  rennissiün  Symb.  Ap.  7.  sessiün  138,2.  tres- 
passent    17,12.    41,7.     tricherresse  51,4. 

B  baise  (=  declines)  90,25.  cessum  79,24.  crisopassus  127,3. 
esspesset  87,12.  felunesse  109,11.  fosse  82,19.  86,18.  fossette 
88,  27.  füsette  90,  27.  larenesse  109,  11.  passer  92,  27.  passerat  97,  25. 
paissiün  79,11.  passiiin  100,19.  117,30.  puisse  76,12.  trespasser 
76,12.2 

Q  abaissad  67,18.  146,11.  alassez  49,9.  alasserunt  178,3.  an- 
cesurs  330,5  (auch  ancestres  295,4).  basses  (s.)  251,16.  255,4.  base 
(s.)  254,16.  255,8.  basse  (adj.)  216,5.  285,  15.  cesse  20,6.  cessast 
25,1.  chanteresse  195,8.  confessiün  210,  A.  1,2.  deuesse  279,19. 
espeisse  253,6.  254,14.  felenessement  71,9.  132,7.  fenelessement 
174,9.  298,10.  fosses32, 12.  42,15.  fossed  317,13.  graisse  49, 
A.  1,2.  5.  gioisse  253,4.  grosse  62,1.  245,18,  masse  157,10. 
436,9.  niasseiz  250,5.  meissuns  202,  13.  maissuns  212, 12.  messages 
9,6.   23,12.     ossenient    203,3.    286,9.     passed  5,6.   passerent  29,8. 


^  Schon  oben  ist  die  lat.  Form  bassim  genannt  worden. 

^  B  117,7  steht  bisur.  Es  stammt  nach  Diez  vom  lat.  bysseus,  eigtl. 
Baumwollenzeufr,  dann  braun.  „Die  Vereinfachung  des  ss  im  Fem.  bisa, 
bise  macht  keine  Schwierigkeit:  sie  ist  dieselbe  wie  im  Part,  misa,  mise, 
lat.  missa."     Vgl,  S.   136,  Anm.  2. 


138  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen. 

possessiün  4,  A.  2,5.  96,10.   praraesse  145,4.  222,1.   presse  373,14. 

promissiön  2,  A.  1,2.    2,  A.  2,4.  rescusse  (s.  =  *  reexcusa)  36,11. 

russet  59,13.    russaz  66,17.    trespasserai  208,12.  trespassant  379,13. 

vassals  97, 18.    118,10.    vasselage  212, 13.     ysope   (=    „hyssopum") 

241,5. 

Im  Anschlufs   an   diese   Formen    mögen   die    zahlreichen   Verbal- 

endiingen  mit  ss,  seltener  s,  i  folgen : 

A  alasses  2   90.    angendrasses  appendix.    baillissent  105.    confor- 

tasses  90.    desevrassent  117.    doüses  64.83.  doüsses  84.  doüssurn  124. 

feisses   appendix.    fussent  33.   fusses  81.  92.    oüsse  46.  98.    parlasses 

90.    perissent   60.    reconfortasses   78.    repairasses   78.    revenisses  95. 

scarnissent  54.    soüsse  98.    soüsent  98.    vedisse  87.  92.    volisse  41. 
R  baillisent   2349.     beneisse  1931.     beneissent  3667.     brunisant 

1621.    creisez    1728.     cunvertisset   3674.    doüsez    353,   doüssez   455. 

esbaldissent    1481.     esclargisset    958.     escremissent   113.      establisent 

3027.  3237.  establissent  3217.  glatissent  3527.  guarantisez  3277. 
guarisez  21.  guarisset  1837.  guerpissent  1626.  guerpisset  2683.  he- 
nissent  3526.  oiissent  688.  oiisse  691.  oüssum  1717.  1729.  partis- 
sent3529.  plevissent  3847.  vei'ssez  1622.  ve'issum  1804.  veisez  349. 
3388. 

LC  acuntissum  2114.  celebrassent  3286.  cre'issent  (CC  hat  als 
Schreibfehler  cresisant)  490.  deguerpissnm  1662.  doüssent  1174. 
esboillisant  1331.  feissum  2113.  guardassent  2250.  3285.  presissent 
673.    ocesissent  674.    sacrifiassent  2249.    seüssent  1173. 

OP  aemplisset  19.6.  amassent  108,3.  areisse  89,6.  benei'ssant 
36,23.  beneissez  65,7  (benediseient  61,4.  benediseiz  67,28).  beneiseiz 
102,20.  beiissent  77,49.  cachassent^  C.  M.  ad  f.  J.  44.  cuneüsse 
72,16.  deguerpisses  70,20.  deperdisse  100,10.  deperisse  108,14. 
destruisis  79,13.  88,43.  devancissent  78,8.  disissent  C.  M.  ad  f.  J. 
41.  dunasse  50,17.  enasprissent  65,6.  67,7.  endurcisse  89,6.  en- 
flaistrisseit  106,26.  enorguillissent  C.  M.  ad  f.  J.  40.  entendissent 
57,9.  C.  M.  ad  f.  J.  43.  esbuillissed  C.  Hab.  25.  escharnissont  24,2. 
establisanz  17,  36.  establisis  88,  46.  establisseiz  177,26.  feissent  104,  23. 


'  Das  aus  lat.  sc  entstandene  ss  folgt  weiter  unten. 

^  Es  möge  hier  erwähnt  werden,  dafs  das  heutige  aller  in  unseren 
Texten  stets  einfaches  1  aufweist. 

^  In  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  III,  S.  176  heifst  es  :  „cachassent  ist,  wenn 
man  capti'ire  ansetzt,  auffällig  .  .  .  und  wahrscheinlich  Schreibfehler  für 
chacassent. "     Cod.  Corb.  hat  chacjassent. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanien  im  Altnormanniscben.  139 

frescissanz  80,8.  fussent  34,15.  89,2.  haissanz '  17,44.  haissent 
104,23.  maldiseient  61,  4.  nurrisset  32,  19.  ordisseie  C.  Hez.  5.  oiisse 
80,13.  oüssent  123,2.  perdissent  118,  95.  perissent  67,  2.  91,8  (auch 
parisfeiz  2,12).  purpensasse  118,148.  purveissent  C.  M.  ad  f.  J.  43. 
ravisset  7,2.  9,32.  ravissanz  21,  13.  regehissez  29,  4.  32,2.  reposisse 
54,13.  requesissent  77,21.  resplendi.ssent  143,7.  sustenisse  54,12. 
truisse  131,  5.  truisset  20,  8.  veisse  39,16.  62,3.  vergundissent  6,  10. 
30,21.    volsisses  50,  17. 

CC  celebrassent  3286.  cuntissum  2114  (neben  acunturn  2410). 
doüssent  1174.  esbnillissant  1331.  feissum  2113.  guardassent  2250. 
3285.  guerpissum  1662.  oceissent  674.  presissent  673.  sacrifiassent 
2249.    soüssent  1173. 

L  apareissant  736.  deüssent  393.  f'ussant  (=  fuissent)  788. 
poissant^  6.  122.  159.  poissance  30.  poisse  686.  poissent  851.  re- 
splendissanz  636. 

CP  aemplisset  19,4.  alassent  106,7.  apresisse  118,71.  apru- 
Qassent  26,2.  assurdisses  38,14.  aünassent  30,14.  benedissetit  61,  4. 
beneissez  65,  7.  boüssent  77,  44.  caceassent  C.  M.  (Deut.)  44.  de- 
guerpisses  26,11.  37,21.  deperdissent  77,45.  desissent  C.  M.  (Deut.) 
42.  destruissis  (Hs.  B:  s)  43,2.  eississent  104,38.  enorguillissanz 
9,23.  enorgujlisent  48,6.  C;  M,  (Deut.)  41.  entendisse  72,16.  en- 
tendis.«ent  C.  M.  (Deut.)  43.  esbahisseie  76,4.  esbuillisset  C.Abb.  24. 
escharnissent  21,7.  escharnisseient  118,51.  esclerzisset  66,1.  esjois- 
sez  31,12.  32,3.3  establisanz  17,33.  feisse  39, 10.  118,112.  fle- 
chi.sums  94,6.  fremisseient  34,17.  fressissant  C.  M.  (Deut.)  26.  fuis- 
sent (=  fugerent)  59,4.  fusse  34,14.  fussent  77,39.  guardassent 
104,45.  guardasse  118,101.  manjassent  26,3.  77,25.  nesquissent 
89,2.  obeissanz  102,20.  ocesissent  41,10.  oisse  118,67.  ordiseie  C. 
Ez.  5.  eüsse  80,13.  oüssent  104,25.  123,3,  perdissent  118,95. 
perissez  2,  12.  perissent  39, 19.  purpensassae  118,148.  purveissent  CM. 


'  CP  hat  17,41  haanz  und  101,25  a  haenge  oüssent  =  odio  haherent. 

^  Im  Text  steht  poischant;  jedoch  bemerkt  Pannier  (Einleitung,  S.  33): 
„11  y  a  aussi  poischant,  mais  il  est  probable  que  c'est  une  faute  pour  pois.^ant, 
qu'on  trouve  deux  fois  (159,  30)."  Die  Zahl  30  ist  übrigens,  wie  obige 
Citate  zeigen,  unrichtig. 

*  „Schwanken  zwischen  der  inchoativen  und  einfachen  Flexion  zeigt 
sich  bei  esjoir  :  esjoient  67,3  neben  esjoisse  91,6."  Fichte,  Die  P'lexion  im 
Cambridger  Psalter  S.  68.  OP  hat  (aufsfr  esjoissement  C.  Hab.  22)  nur 
einfache  Formen  (z.  B.  esjoez  31,14)  oder  benutzt  ein  anderes  Verb  (eS' 
leecet  42,4)  oder  gebraucht  Umschreibung  (delitable  chose  132,1). 


140  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen. 

(Deut.)  43.  piirvuchassent  77,  17.  ravlsset  9,  30.  ravisse  49,22.  recor- 
di.ssnms  136,1.  rejeissez  29,4.  regehissent  66,3.  regehisez  96,12. 
regehisiez  104,1,  105,1.  regehisent  144,10.  resplendissant  54,23. 
soüssent  C.  M.  (Deut.)  43.  truisse  131,5.  turmentassent  68, 29.  ver- 
gundispenti  69,2.  82,17. 

B  apoverissant  120,14.  ciinnisseient  77,28.  fnsent  127,30. 
gnerpisum   76,20.  guerpissent  96,30.  109.21.    hennissant  93,4. 

Q  achatassent  391,2.  acusassent  331,5.  alasse  105,6.  alassent 
281,  A.  1,2.  amendassent  389,13.  aparisante  247,20.  atiirnasse 
288,16.  aiirassent  405, 2.  aüsapse  79,16.  boüsse  287,12.  ceinsis- 
sant98,3.  criasf^ent  173, 19.  mliivassent  404, 15.  cumbatissent  338, 16. 
cumenchassent  316,15.  cunduissuns  196,15.  decolas?ent  380,  Rand, 
deissant  (dicerent)  72,1.  deissent  192,1.  desirassent  132,19.  despen- 
dissent  423,12.  deüssent  20,3.  diinasses  187,3.  287,9.  dussent 
244,9.  244,11.  encnsassent  107,11.  107,19.  endoctrinassent  340,9. 
endureissez  21,1.  enmenassent  23,13.  enpeinsissent  378,19.  en- 
qupisse  272,7.  entendissent  48,10.  entreme'issent  436,1.  enveissez 
350,9.  escliarnissentll8, 11.  espermentasse272,  7.  entamassent  202,17. 
entrassent  190,  11.  enveiassent  380,  Rand,  eiisse  3,15.  eüssent  166,2. 
feisse  101,6.  feissent  281, 5.  331,3.  feisent  166, 4.  fissent  280,17. 
flaistrissenl  414,14.  forf'eissent  387,14.  fmnisse  4,8.  fussent  9,14. 
36,  A.  1,1.  fusent  186,13.  fuissnms  127,14.  gissent  (gesir  198,19) 
155,16.  giseit  160,14.  163,8.  gnaitassent  166, 1.  guarda?sent  74, 16. 
186,5.  giiarisse  168,4.  guansseit  241,  A.  1,8.  giiaresist  362,4. 
guerpissez  301,15.  laidissant  94,7.  loassent  341,10.  mandassent 
176,9.  manjasse  287,12.  me'issnms  369,  15.  menasse  288, 15.  obe'is- 
pant  56,6.  obeisant  146,16.  obeissanz  62,10.  oceissent  73,  7.  oissent 
173,19.  oisse  272,8.  otissent  1,  A.  2,1.  ons?es  3,6.  oüsse  43,10. 
oüses  43,14.  oüsent  207,5.  parlassent  72,1.  parlasse  170,10.  pai- 
tissez  35,4.  pecchas.«ent  340,10.  perisse  169,16.  poüs.'^ent  20,3. 
36,6.  preis.'ies  100,8.  purrisseient  19,  3.  pnrve'issent  383, 13.  receus- 
isent  117, 15.  rechusse  362,20.  rofeissent  389, 12.  regnassent  298,  9. 
relevassenl  279,  3.  remeissent  176,  7.  reqneis.«ent  316, 16.  retenissent 
74,16.  returnasse  287,13.  ruassent  426,6.  sacrefiassent  405,2.  ser- 
vissent  340,11.  soldeassent  391,  1.  soiissant  42,  A.  1, 1.  sujurnassept 
152,4.     sunassent  410, 19.     tapisse  77, 17.     tenissent  280,  17.    teste- 


'  Neben  vcrgundent  (=  revereantur)  68,8,  wo  OP  aient  bunte  liest. 


Die   Ver'ioppehing  der  Konsonanten  im  Altnornianniscben.  141 

moniassent  331,  6.  travaillisse/,  350, 10.  truissent  97, 11.  trnisse  178,  8. 
tuassent  88,1.  384,2.  tuchassent  171,15.  uissums  127,14.  veisses 
3,14.  venissent  23,13.  43,10.  venjasses  100,19.  vestisscnt  132,19. 
volsissent  105,  6. 

Aus  dem  Verzeichnis  dieser  Formen  ergiebt  sich,  dafs  sich  fast 
stets  SS,  daneben  aber  auch  einfaches  s  findet. 

An  diese  Zeitformen  mit  ss  (s)  mögen  sich  die  Wörter  mit  den 
Endungen  isseraent,  issur  und  issable  anschliefsen.    Es   sind   folgende: 

OP  gemissement  6,6.  11,5.  esjoissement  C.  Hab.  22.  fremisse- 
ment  C.  Hab.  18-    resplendissemenz  76, 18.  resplendissement  143,  7. 

L  resplendissable  164. 

CP  gemissement  6,0.  11,5.  esjoissement  42,4.  esjoiessemenz 
95,6.  esjo'isement  C.  A.  21.  fremissement  C.  A.  17.  frencliissement 
43,13.  guarnissement  30,  3.  warnissemenz  88,  41.  rugisement  (Hs.  B  : 
ss)  21,1.    esba'issur  115,2.    oscharniseiirs  1,1.    esjo'issable  132,1. 

Es  steht  also  auch  hier  fast  ausnahmslos  ss. 

L  at.  X. 

Schon  im  Lateinischen  findet  sich  s  oder  ss  statt  x,  z.  B,  assis, 
Alesander,  visit  und  vissit.  ^  Im  Normannischen  ist  meis  ens  ss,  sel- 
tener s  für  X  eingetreten.-     Die  hierhin  gehörigen  Formen  sind: 

A  eissit  15.  eisit  17.  issi^  49.  eisi  55.  esample  37.  laisent  16. 
39.  laisas  94.  laissent  116.  120. 

R  desist  1760.  eissirent  1776.  eissut  2810.  issent  2640.  2766. 
essaiet  2068.  essample  1016.  essamples  3979.  issi  63.  606.  laissum 
229.  laissent  1000.  lessez  569.  lesset  824.  laisez  265.  laisat  1114. 
leserat  1206.    quisae*  1653.    seisante  1689.  1849. 

LC  eissir  724.  essem{)larie  66.  eissi  153.  432.  laisse  138. 
laissent  256.  lasser  2018.    seissante  1983.  2041. 

OP  dissis^  89,3.  diseie  93,18.  eissi  1,5.  41,1.  issi  34,17. 
60,8.  eisset  16,3.  eisseies  67,  8.  eisit  18,4.  eisanz  18,5.  isseit  40,7. 
eissemenz  18,6.  64,8.  issement  73,  6.    essalcez7, 6.  essalchanz  17,  54. 


'  Schuchardt  I,  S.  133. 
-  Auch  findet  sich  dreimal  x. 

3  Wegen   der   Ableitung    dieses    Wortes   aus    a^que   sie    (üiez)    führen 
wir  es  hier  bei  x  an 

''  Die  Handschrift  liest  als  Schreibfehler  quifse. 

^  Nach  Meisters  Kollation  (S.   120)  ist  disis  zu  lesen. 


142  Die  \'erdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannisclien. 

exalceras  17,  52.  exalcet  20, 13.  ^  cssamplas  118,  32.  essamplide  CA.  2. 
essai  25,25.  essaierent  94,8  (auch  essaierunt  34,19).  laiserent  16,16. 
laissai  80,11,  laissa  104,13.  maixeles  31,12.  quisse  44,4.  teissant 
C.  Hez.  5. 

CC  eissir  724.  issir  1741  (LC  hat  saillir).  essemplarie  60.  issi 
153.432.    laissent  256.    laisset  1649.    seissante  1983.  2041. 

L  coisse  776.  eissue  828.  i.si  88.  646.  issi  205.  issir  337.  issent 
862.    laisast  20.    seisante  728. 

CP  asaierent  77,41.  94,9.  essaie  25,  2.  assamplie  C.  A.,  M.  S.  2. 
essamplas  118,32  (auch  ensannpliz  C.  M.,  Deut.,  22j.  deleisses  26,  1 1. 
delessas  84,2.  delessad  104,20.  eshalcet  9, 13.  eshalcer  74,4.  essalciez 
54,12.  essal^as  138,15.  esleissas  49,19.  laissai  80,11.  lesse  36,8. 
lessad  104, 14.  leises  C.  Sim.  1.  leisad  U.  S.  M.  8.  desissent  C.  M. 
(Deut.)  42.  detraisis  88,45.  eissi  89,13.  issi  1,5.  34,15.  eisitl8,4. 
eisuz  F.  C.  23.  eisset  108,8.  eissanz  40,6.  isset  16,2.  issuz  104,23. 
eisemenz  18,6.  eissement  67,21.  issement  64,8.  maissele  3,8.  mai- 
seles  31,10  (Hs.  B:  ss).    quisse  44,3.    teisant  C.  E.  R.  5. 

B  buissun  87,14.  88,9.  bussun  87,20.  buisun  87,17.  buissunet 
87,12.  essample  90, 15.  96,21.  essercer  121,  7.  issi  77, 18.  95,27. 
isi  104,18.  issit  86,6.  eissirent  97,17.  laisse  76,9.  laissum  91,28. 
lassat  86,7.  lesse  94,  14.  115,25.  leser  114,  16.    quisse  112,20. 

Q  aissels  255,8.  255,12.  aiselers  250,17.  asaiad  66,8.  eissil 
172,5.  eissuz32,5.  eissi  61, 10.  isse6,7.  issent  46, 14.  eisist  362, 18. 
eshalcied  334,11.  essample  268,10.  issi  21,13.  24,  A.  1,1.  laissez 
6,7.  laissad  21,2.  laisad  64,1.  seisante  128,4.  381,4.  teissures 
62,2.  teissuz  249,9.  tissurs  204,5. 

L  a  t.   s  c. 
A  conuissent  41.   conuissum  72.   naisance  Einl.    recunuissent  40. 
R  boissun  3357.   conoisance  3987.   cunoisances  3090.    conoissent 
3901.    reconoisable  3124.    reconuisance  3620.    reconuisset  3588. 
LC  creissance  2385.    creissutn  3089.    peissun  1448.  1450. 
OP   creissed  C.  Moys.  ad  f.  J.  2.     cruissirent  15,7.    cunuissums 

66.2.  iraissez  4,5.  iraissent  98,  1.   naissement  49,  2.  106,3.   naissance 

57.3.  72,15.     peissuns   8,8.    104,27.     vaissels  7, 14.    30,16.   vaisel 
2,9.  vaisels  70,25. 


•  Diese  beiden  Formen  mit  ex   und  das  gleich  folgende  maixeles  sind 
die  einzigen  Formen  mit  x. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannisclien.  143 

CC  creissance  2385.    creissum  3089.     peissun  1448,  1450. 

L  creisent  150.  creissant  735.  738.  cunuisance  98.  cunuissent 
34.  peisun  853.  856.   vaisel  602.    vaissel  006.  709.    vessie  669. 

CP  creissanz  143,  12.  creisset  C.  M.  (Deut.)  2.  cunuissiez  4,3. 
cunuissand  94,10.  dessend  ^  143,5.  faisses  (=^  fascia)  44,13.  flu- 
rissed  89,6.  iraisez  (Hs.  B;  ss)  4,4.  iraisset  123,3.  neisance  (Hs. 
B:  ss)  57,3.  neissance  J09,  4.  neissant  103,22.  nessement  45,5. 
49,1.  peisseie  151,1.  peissun  8,9.  peissuns  104,29.  vaissel  2,9. 
vaisels  7,13.  70,22  (Hs.  B:  ss).  veisels  30,13. 

B  decreissent  107, 10.  desentll4,7.  naissement  1 11, 1  7.  peissun 
81,3.  98,4.  peisun  104,28.  110,3. 

Q  creisseit  9,5.  creissent  275,2.  cuneissez  112,7.  cunuissent 
264,1.  cunuissance  357,  5.  peissuns  240,2.  241,6.  poissum  29,16. 
recunuissance  216,  A.  1,  2.  vessel  32,8.  vaissel  66,12.  98,17.  vai.'els 
400,6. 

Aus  lateinischem  sc  ist  also  normannisches  ss,  selten  s  entstanden. 

Ger  man.    s  k. 

Dasselbe  findet  sich  als  s,  c,  ss  oder  sc  in : 

OP  decirera  76,8.  descireras  C.  Hab.  15.  dessiras  29,14.  fres- 
cissanz  80,8.  C.  Moys.  ad  f.  J.  26. 

C  P  deciras  59, 1.  decireras  C.  Abb.  14.  fressissant  C.  M.  (Deut.)  26. 

Q  dessired  16,1.  dessirad  333,6.  descirad  164,16.  166,9.  de- 
sirad  56,20.  desired  120,3. 

Lat.   st. 

Dasselbe  wurde  zu  ss,  selten  s,  in : 

A  angussuse  92.    fruissiet  appendix. 

R  anguisables  301.  3126.  anguissables  3444.  anguissus  823. 
2198.  angoisset  2010.  angoiset  2575.  anguissent  3634.  fruiset  237 
fruisez  2539  (defruisent  2588).  fruisset  1317.  2289, 

German.   st. 
cruissent  R  2540. 


1  Dies  ist  das  einzige  Mal,  wo  dieses  Wort  mit  ss  erscheint;  hernach 
findet  sich  in  ß  desend;  sonst  weist  die.«es  Wort  stets  sc  oder  c  auf,  z.  B. 
R  descendre  3919.  3920.  CP  decendrat  7,16.  decendit  17,9.  descendent 
21,30.  27,1.  B  decent  105,8.  decendreit  118,27.  Q  descendirent  32,1.  des- 
cendit  75,18. 


144  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen. 

Lat.  p  s. 
R  ensementi  3173.  3223. 
LC  ensement  1127.  1148.    esse  24C9. 

OP  ensement  1,3.   1,5.  enssenient  41,1.  C.  Moys.  ad  f.  J.  3. 
CC  ensement  1127.  1149.    esse  1433  (L  C  hat  ceste).  24G9. 
L  ensement  78.  449. 

CP  essement  28,6.  147,9.  ensement  1,3.  1,5.    dessi  2  4,2. 
B  ensement  75,9.  82,3.     esse  93,3. 
Q  ensement  4,  A.  2,9.  37,8. 

Lat.   c. 

Dasselbe  ist  nur  in  der  Endung  -icellnm  in  folgenden  zwei  Wör- 
tern zu  ss'  geworden  : 

OP  arbrissels  79,  11. 

CP  russeals  64, 10.  ruiseals  77,  16.  77,  44  (Hs.B  hat  beidemal  ss). 
ruisals  1,3. 

Es  erübrigt  nun  noch,  einige  Formen  nachzuholen,  die  zu  keiner 
der  bis  jetzt  genannten  Ableitungen  zu  rechnen  sind.     Zunächst : 

ß  trussez  130.  trosser  701.  estrussee  722. 

Während  Diez  und  andere  dieses  Wort  von  tortiare  mit  umge- 
stelltem r  herleiten,  die  Ableitung  vom  celtischen  trus  oder  ahd.  trust 
jedoch  abweisen,  heifst  es  bei  Gautier  (Rol.) :  „Des  deux  explications 
que  l'on  a  donnees  de  ce  mot,  l'une,  tortiare,  est  impossible ;  l'autre, 
par  le  celtique  trus,  bien  qu'elle  ne  soit  pas  sure,  est  au  moins  pos- 
sible.  Note  de  W.  Fcerster. "  Und  in  der  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  II, 
S.  172  sagt  W.  Foerster  selbst:  „Das  Zeitwort  hat  mit  tortiare  nichts 
zu  thun,  das  torcier  geben  müfste,  aber  nicht  trosser!  V.  hat  croleit, 
Vs.  crolee.  Daher  ist  wohl  da-f  sinnlose  trussee  , beladen'  palaogr.  ein 
durch  kleine  Striche  aus  crullee  entstelltes  Wort  ...",  also  ein  Ver- 
sehen des  Kopisten  (oder  Korrektors),   der   crullee   in   trussee  änderte, 


'  „Ce  n'est  pas  ipsa-mente,  dit  W.  Foerster,  mais  un  moL  forme  avec 
mente  et  i'adverbe  simple  ensi  (?),  donl  l'origine  n'est  pas  assuree."  (iantier 
(Rol.).  Gautier  fügt  hinzu:  „On  peut  neanmoins  opposer  ä  Fcerster  le  pro- 
ven(^al  eissamenf  und,  so  setzen  wir  noch  hinzu,  das  in  C  P  wiederholt  vor- 
kommende essement. 

^  Nach  Reimnredigt  S.  75  =  de  ipso  und  i  (ibi  oder  hie);  OP  hat 
V.  3 :  desque  a  quant. 

3  „rivicellum  ::=  ruissel  ::=  ruisseau,"  Bibliothöque,  16«  fasc,  S.  121. 
Sonst  wurde  c  zwischen  N'okalen  zu  is,  z.  B.  OP  aisil  68,26;  CP  aisil  68,  24; 
L  noisance  610;  B  taisum  79,22;  Q  luisante  248,3.  maisereres  267,6. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen.  145 

„dem  er  ein  es  —  722  —  vorsetzte;  dieses  estrusser  ...  ist  (j^s  be- 
kannte estrusser,  estrosser  , zersplittern',  von  trus,  tros,  *, Splitter, 
Bruckstück'." 

Derselbe  Stamm  findet  sich  in 

LC  destrossoiient  1169.  destrusser  1176. 

CC  destrusouent  1169.   destrusser  1176. 

B  trusees  93,2. 

Q  estnissad  77,9.  estrnssee  78,4. 

Sodann  ist  zu  nennen  : 

Q  57,9  (A  la)  parestrusse,  nach  Burguy  von  „ad  et  extrorsum". 

Germanischen  Ursprungs  sind: 
CP  cumbruissas  (O  P  hat  atribled)  3,8  von  brochlsön  (Diez)  und 
Q  enlassad  157,7  von  tas  (Diez). 

Besonders   zu   nennen    sind: 
OP  (par)  desserte  7,4  (Littre:   „des  ...  pour   de   avec   une  s  de 
prononciation  et  servlr")  und  ressurdet  40,9. 
L  disesset  148, 

CP  giissille  77,48,  wohl  Schreibfehler  f'ir  grisille.  i 
B  esspie  (spica)  90,  26. 
Neben  disesset  findet  sich: 
A  dis  e  seat  33  und  dis  e  set  55,  sowie 
Q  dise-setme  342,19. 

Folgende  Eigennamen  mit  ss  (s),  die  teils  lateinischen ,  teils 
hebräischen  Ursprungs  sind,  haben,  falls  nicht  das  Gegenteil  hervor- 
gehoben wird,  auch  in  der  Ursprache  dieselbe  Form  wie  das  hier  zuerst 
zu  nennende  Wort : 

R  Bruise  (=  .,Borussiam")  3245.  Grossaille  1649.  Rossillon 
797.    Russillun  1896. 

OP  Assur  82,7.  Jerusalem  50,19.  64,1.  Manasses  59,7.  Ma- 
nasse  79,  2. 

CP  Assur  82,8.  Jerusalem  78,1.  115,9.  Jerussalem  136,6. 
146,2  (auch  Gerusalem  134,21).  Manasses  59,7.  Mannasse  79,2. 
Mannasses  107,8, 


'  Unter  mouilliertem  1   finden  sich  die  übrigen  Formen  dieses  Wortes 
mit  stets  einfachem  s. 

ArchiT  f.  n.  Sprachen.   LXXY.  10 


146  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannisclien. 

Q  Assen  (=  „Jassen")  214, 18.  Assur  394,15.  Assyriens  395,2. 
399,3.  Asynens399, 1.  401,5.  Gessuril25,  5.  Gessur  128, 15.  Jeru- 
salem 154,  9.  173,21.  Manasse  238, 18.  302,2.  Messallemeth  422,13. 
MessuUam  423,  4.  Salmanasar  401,  5.  Salmanassar  406, 18.  Tegla- 
falasar  (=  „Teglathphalasar")  394, 15.  Teglaphalassar  398,  21.  399,  3. 
Thelassar  412,18.    Ysachar  (=  „Issachar")  239,5.  305,1. 

z. 

Nur  zwei  Wörter  zeigen  die  Doppelkonsonanz  zz,  nämlich  duzze 
(duodecim)  Q  124,  1  u.  2,  sowie  espiezz,  Plur.  von  espiet,  R  1811. 
Was  zunächst  das  letztere  Wort  anlangt,  so  ist  es  wohl  Schreibfehler 
fiir  espiez.  Aufser  dem  zuerst  genannten  duzze  finden  sich  in  Q  selbst 
und  in  anderen  Texten  folgende  Formen  desselben  Wortes  mit  ein- 
fachem z  und  einmal  mit  c: 

R  duzei  262.  286. 

LC  und  CG  duze  260.  267. 

L  duze  524. 

B  duze  106,21.  126,19.  duce  106,25. 

Q  duze  181,1.  204,7. 


'  In  den  Memoires  III,  8.  119  sagt  V.  Thomsen  über  dieses  z:  „Dans 
les  niots  veritablement  franc^ais  il  n'y  a  qu'un  petit  groupe  oü  dans  rancieiine 
langue  on  ait  eu  en  realite  dz  medial:  ce  sont  les  noms  de  nombre  de 
11  ä  16,  (ians  lesquels  la  continuation  du  c  latin  est  contractee  avec  le  d 
precedent.  La  on  iie  trouve  Jamals  ecrite  s,  mais  aussi  ny  a-t-il  point  d'al- 
traction  d'i,  p.  ex.  douze  doze  pour  dodze  ..." 

Elberfeld.  E.  Eickershoff. 

(Schlufs  folgt.) 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 


Die  Lieder,  als  deren  Verfasser  Hiigiu'S  de  Bregi  genannt  wird, 
sind  folgende : 

Nr.  1.     Ensi  ke  chil  ki  cuevre  sa  pesance. 

Nr.  2.     Encoir  ferai  une  canchon  perdue. 

Nr.  3.    Nus  hom  ne  set  damis  ki  puet  valoir. 

Nr.  4.     Sonkes  nus  hom  pour  dure  departie. 

Nr.  5.     Lonc  tans  ai  servi  em  balance. 

Nr.  6.     Quant  voi  le  tans  felon  rasoagier. 

Nr.  7.     En  aventure  ai  cante. 
Vgl.    Bibliographie    des    Chansonniers    Fran^ais    des    XIII^    et 
XIV^  sieeles  etc.  par  Gaston  Raynaud,  Paris  1884,  in  8».     2  T. 

Sämtliche  Lieder  sind  gedruckt  bei  Brakelmann,  Archiv  für  das 
Studium  der  neueren  Sprachen  Bd.  XLI  —  XLIII,  nach  der  Liedei-- 
handschrift  Nr.  389  zu  Bern,  deren  Kopie  (Fonds  Mouchet  8  in  Paris) 
für  die  diplomatische  Wiedergabe  als  Vorlage  diente.  Nr.  1  Archiv 
XLI,  p.  356,  Nr.  2  p.  353,  Nr.  5  Archiv  XLII,  p.  380-,  Nr.  6  p.  358 
(nicht  bei  Tarbe,  Chansons  de  Thibault,  wie  G.  Raynaud  a.  a.  O.  unter 
Quant  voi..  irrtümlicherweise  angiebt),  Nr.  7  Archiv  XLII,  p.  287; 
Nr.  3  Archiv  XLIII,  p.  264,  Nr.  4  ib.  p.  350. 

Nr.  4  findet  sich  aufserdem  gedruckt  bei :  De  la  Borde,  Essai  sur 
la  musique  ancienne  et  moderne.  T.  2  (1780),  in  4°,  p.  304.  Ge- 
druckt nach  Nr.  846  der  Bibl.  Nat.  Paris.  —  Fr.  Michel,  Chansons 
du  Chastelain  de  Coucy,  revues  sur  tous  les  mss.  (1830),  gr.  in  8^, 
p.  89.  Nach  den  Vatikan-  und  Nat. -Bibl. -Handschriften.  —  A.  I.  V. 
Leroux  de  Lincy,  Recueil  de  chants  historiques  fran9ais,  T.  I  (1841), 
in  80,  p.  101.    Abdruck  nach  Michel.  —  A.  Keller,  Romvart  (1844), 

10* 


148  Die  Lieder  iles  Hugiies  de  Bregi. 

in  8",  p.  257.  Nach  der  vatik.  Handschrift  Nr.  1490.  —  P.  Tarbe, 
Chansons  de  Thibaiilt  IV,  comte  de  Champagne  et  de  Brie,  roi  de  Na- 
varre  (1851),  in  8^,  p.  G5.  Nach  Mouchet  8.  —  E.  Mätzner,  Alt- 
französische  Lieder  (1853),  in  8«,  p.  12,  93,  94,  96.  Nach  Keller; 
Beilagen  nach  Laborde  und  Älichel. 

Folgende  Gründe  lassen  mir  eine  nochmalige  Herausgabe  als  zum 
mindesten  nicht  überflüssig  erscheinen : 

1)  Es  fehlt  bis  jetzt  an  einer  eingehenden  Betrachtung  über  die 
Heimat,  Sprache  und  Verhaltnisse  des  Dichters,  dessen  Lieder  sich  doch, 
nach  ihrer  häufigen  Reproduktion  zu  urteilen  (einzelne  kommen  in 
IG  Liedersammlungen  vor),  einer  gewissen  Beliebtheit  erfreut  zu  habe« 
scheinen. 

2)  Brakelmann,  dem  aufserdem  zwei  Handschriften,  die  von  Frank- 
urt   und   Nr.   1050    nouv.   acqii.    Bibl.   nat.    Paris,    unbekannt   waren, 

läfst  sich  manche  üngenauigkeiten  zu  schulden  kommen,  die  eine  Be- 
richtigung heischen : 

Zu  Nr.  1.  Br.  (Archiv  XLII,  p.  77)  kennt  das  Lied  nicht  in 
AI,  A2  und  Ba.* 

Zu  Nr.  2.  Br.  giebt  keine  Variante  an  ;  auch  ist  dies  Lied  im 
Estenser  Codex  zu  Modena  nicht  das  59.  der  dem  Monios  zugeschrie- 
benen Lieder,  sondern  anonym  (nach  G.  Raynaud). 

Zu  Nr.  y.  Br.  behauptet,  in  Ms.  20  050,  f.  172  Bibl.  nat.  Paris 
stände  nur  eine  Strophe  von  diesem  Liede,  während  sich  thatsächlich 
deren  vier  finden.  Er  wird  es  mit  Nr.  5  verwechselt  haben,  von  dem 
diese  Handschrift  in  der  That  nur  die  erste  Strophe  hat.  Ms.  12  615 
bringt  es  nicht  anonym  (vgl.  die  Tabelle  weiter  unten).  In  der  Hand- 
schrift 659  Arras  kann  es  unmöglich  das  vierte  dieses  Dichters  sein, 
da  dieselbe  nur  drei  dem  Uges  de  Bregi  zuschreibt.  Brakelmann  XLII, 
p.  62  führt  selbst  nur  drei  an;  siehe  auch  G.Raynaud.  Br.  kennt  das 
Lied  nicht  in  Ba,  Bb,  B  2.  Es  mufs  sich  früher  auch  in  A  2  befunden 
haben,  denn  in  der  Table  des  Chansons  ist  das  Lied  unter  Seigneur 
ügon  de  Bergi  aufgeführt  und  dabei  auf  fol.  25  verwiesen;  dieser  Um- 
stand ist  von  G.  Raynaud  nicht  erwähnt  worden. 

Zu  Nr.  4.  Ein  kritischer  Text  ist  in  keinem  der  oben  erwähnten 
Drucke  geliefert.  Br.  führt  weder  die  Varianten  der  siebenten  Strophe 
in  B3a,  B3b,  noch  die  sechste  Strophe  in  A  1  an. 

*  Ich  brauche    der  Kürze   wegen   für   die  Manuskripte    die  Buchstaben, 
für  deren  Bedeutung  icli  auf  weiter  unten  verweisen  niufs. 


Die  Lieder  des  IJugucs  de  Bregi.  149 

Zu  Nr.  5.  Br.  führt  nicht  an,  dafs  A  1  nur  drei  Strophen  von 
diesem  Liede  enthält. 

Zu  Nr.  G.  Nr.  G  ist  in  A  2  nicht  dem  Hugues  de  Bregi,  sondern 
Blondiaus  de  Neele  zugeschrieben.     Br.  kennt  es  nicht  in  AI. 

Zu  Nr.  7.  Dies  Lied  findet  sich  nicht  nur  in  Fl  und  AI,  son- 
dern aufserdem  noch  in  F2,  A3  u.  Ba. 

Zu  den  Handschriften.  A3  enthält  nicht  ein  Lied  von  Hugues 
de  Bregi  (Archiv  XLII,  p.  521),  sondern  zwei,  wenn  auch  bei  Nr.  2 
der  Autorname  unvollständig  ist.  A2  schreibt  dem  Hugues  de  Bregi 
nur  4,  nicht  5  Lieder  zu. 

3)  Brakelmanns  Behauptung,  dafs  F  1  für  die  Chansons  fast  aus- 
nahmslos die  besten  Recensionen  biete,  erleidet  gerade  für  diese  Lieder 
eine  leicht  zu  konstatierende  Ausnahme.  Ich  bemerke:  Häufige  Reim- 
wiederholung, ohne  dafs  die  Reimwörter  etwa  Zwillingswörter  wären, 
ohne  dafs  also  weder,  eine  Verschiedenheit  der  Etymologie  noch  der 
Bedeutung  vorläge;  so  Nr.  1  116,  Nr.  1  V4, 7.  —  Unreinheit  des 
Reims  Nr.  1  n7,  Nr.  1  VI  2,  Nr.  6  13,  Nr.  3  IV  7.  —  Unbegrün- 
dete, refrainartige  Wiederholung  Nr.  7  VlO.  —  UnvoUständigkeit 
Nr.  1  IV3.  —  Schreibfehler  ma  nie  für  mamie  Nr.  1  VIII. 

Aufser  der  UnvoUständigkeit  von  Nr.  7  (vgl.  Tabelle)  fehlt  in 
Nr.  4  die  für  dieses  Kreuzlied  so  wichtige  vierte  Strophe. 

Die  Handschriften,  welche  Lieder  von  Bregi  enthalten  und  die  ich 
einsehen  konnte,  sind: 
Bibl.  nat.  Paris  mss.  fr.  12  615 ;   für   Beschreibung   vgl.   Brakelmann, 

Herr.  Arch.  Bd.  XLII,  p.  57— 59.  ^1. 
„        „        „  „       „   8U,  vgl.  P.  Paris,  les  mss.  fr.  t.  VI,  p.  450—3, 

sowieCatal.desmss.fr.  t.I,  p.  98  — 105,  ^3. 
„        „        „         „       „   845,  vgl.  Catal.  des  mss.  fr.  I,  p.  105  — 110, 

und  Brakelmann,  Arch.  XLII,  52 — 53.  J^5. 
„       „        „         „       „   84:6,  vgl.  Catal.  des  mss.  fr.  I,  p.  110  — 114, 

und  Brakelmann,  Arch.  XLII,  54.  J^a. 
„        „        „         „       „   841,  vgl.  Catal.  des  mss.  fr.  I,  p.  114 — 118, 

und  Brakelmann,  Arch.  XLII,  54  —  55.  J^l« 
„       „        „         „       „   1591,  vgl.  Catal.  des  mss.  fr.  I,  p.  260  — 264, 

und  Brakelmann,  Arch.  XLII,  64 — 65.  2^  ^- 
„  „  „  „  „  i55<Si,  vgl.  Br.,  Arch.  XLII,  65-66.  J). 
„       „        „         „      „  20050,  vgl.  Br.,  Arch.  XLII,  48—49.   p^2. 


150  Die  Lieder  des  Ilugues  de  Biegi. 

Bibl.  nat.  Paris  rnss.  fr.  24  406;    früher    Lavaliiere   59;   so   noch   bei 

Brakeltnann;  vgl.  diesen,  Arch.  XLII,  49, 

und  Catal.  de  Bure  II,  p.  193-197.   B4. 

„        „        „         „       „   nouv.  acqu.  1050;  vgl.  Gaston  Raynaud,  Bibl. 

de  l'ecole  des  chartes  t.  XL,  48—67.  B  ^  ^• 

Berner  Liederliandsclirift  389;    vgl.   Sinner,    Catal.  III,  p.  365 — 375; 

Wackernagel,  Altfranz.  Lieder  p.  86  — 113; 
Brakelmann,  Arch.  XLII,  47— 48,  73  — 82, 
241  —  392;  Gröber  und  v.  Lebinski,  Ztschr. 
für  rom.  Phil.  III,  39  —  60.  pi. 

Bibl.  de  l'Arsenal,  Paris  5198,  früher  Fonds  de  Paulmy  63;  vgl.  Brakel- 
mann, Arch.  XLII,  53  —  54.  B^«. 

Bibl.  des  Vaiican  1490;   ich  konnte   nur   die  Kopie   benutzen,   welche 

sich  unter  Nr.  3101  (früher  62)  in  der 
Arsenalbibliothek  zu  Paris  befindet,  aber 
leider  nur  zwei  Lieder  enthält ;  vollständig 
war  jedoch  der  Katalog  dazu.  Vgl.  Keller, 
Romvart  379  —  398;  Brakelmann,  Archiv 
XLII,  61—62.  ^2. 

Die  nichtkollationierten  und  darum  bei  der  Vergleichung  der  Hand- 
schriften unberücksichtigt  gelassenen  Manuskripte  sind: 
Frankfurter  Stadtbibliothek  Nr.  29;   nach    G.  Raynauds   gütiger  Mit- 
teilung   auf    Pergament,    mit   einfacher    Pagination.      Wegen    der 
durch  Feuer   verursachten  Unordnung   der  Bibliothek   war  es  mir 
trotz  aller  Bemühungen  nicht  möglich,  des  Manuskriptes   habhaft 
zu  werden. 
Arras  657;    vgl.  Catal.   general   des   mss.  IV,   p.  68  —  69;   Catal.  des 
mss.  d'Arras  (par  Caron)  p.  293  — 299  ;  Brakelmann,  Arch. XLII,  62. 
Modena,  Estenser  Codex;  vgl.  Cavedoni,  Grützmacher,  Mussafia. 

Um  die  Vergleichung  der  in  den  Handschriften  enthaltenen  Lieder 
möglichst  leicht  zu  machen,  stelle  ich  sie  in  der  auf  S.  152  und  153  be- 
findlichen Tabelle  zusammen,  Avelche  die  Zahl  der  Strophen,  ihre  Reihen- 
folge (nach  AI)  und  den  Verfassernamen  geben  wird. 

fc'obald  nun  eine  Handschrift  in  irgend  einem  der  Lieder  vollstän- 
diger ist  als  eine  andere,  so  ist  anzunehmen,  dafs  dieselbe  älter  ist 
und  allenfalls  der  weniger  Strophen  aufweisenden  zti  Grunde  gelegen 
haben   kann.     Selbstverständlich    tritt   diese  Erwägung  nur  in    Kraft, 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi.  151 

sofern   die  Echtheit   dieser   Strophe   unbestritten    ist.     Auf  dieses   Kri- 
terium hin  isolieren  sich  nun : 

I.  AI,  durch  die  sechste  Strophe  in  Nr.  4. 
II.   D,  durch  die  siebente  Strophe  in  Nr.  3. 

III.  F  1,  durch  die  vierte  und  fünfte  Strophe  in  Nr.   5. 

IV.  Ba,  würde  sich  F  1  in  Nr.  1,  2,  6  unterordnen,    macht   sich 

aber  selbständig  durch  VII  in  Nr.  4,  Yllb  in  Nr.  3;  wäh- 
rend   es    sich    hierin  den    Abhängigkeiten    Bl — B4    fast, 
gleichstellt,    hat   wiederum  vor  diesen  und  A  1  so  manches 
voraus,    dafs  ihm  eine  Originalstellung  eingeräumt  werden 
mufs. 
F  2  hat  dagegen  kein  Anrecht,    hierher  gezählt   zu  werden,    weil 
die  Unikumstrophe  VIII  in  Nr.  3  nicht  echt  ist;   sie  erweist  sich  viel- 
mehr als   eine  spätere  Schöpfung  des  Besitzers   der  Handschrift,   eines 
fahrenden  Sängers  (vgl.  Brakeimann  a.  a.  O.). 

Aus  diesen  vier  Manuskripten  gingen  alle  anderen  hervor, 
I.  A  1  war  Quelle  für  A2  und  A3,  eine  Behauptung,  die  eines 
Beweises  nicht  bedarf;  die  Recensionen  decken  sich  fast  völlig. 
II.   D  isoliert  sich. 

III.  Die  nahe  Verwandtschalt  zwischen  F  1  und  F  2,  welche  nach 
P.  Meyer  schon  Brakeimann  erkannte,  bestätigt  sich  durch  Vergleichung 
der  Strophen- Anzahl  und  -Reihenfolge  in  Nr.  1,  2,  4,  sowie  durch  die 
übereinstimmenden  Varianten  in  Nr.  4  12,   4  III  1.5.  8,   4  VI. 

IV.  Ba  ist  durch  das  verlorene  Ms.  z  (denn  Bi,  Bl,  B2,  B3a, 
B  3  ^,  B4  könnten  ohne  gemeinschaftliche  Vorlage  keine  solche  Ähn- 
lichkeit unter  sich  zeigen)  Grundlage  gewesen  für  B^,  Bl,  B  2, 
B3a,  B  3  Ä,  B  4,  wobei  natürlich  nicht  ausgeschlossen  ist,  dafs  B3a 
für  B  3  5  oder  umgekehrt  vorgelegen  hat,  obwohl  dies  nicht  zu  be- 
weisen ist.  B4  kommt  direkt  von  B«.  Für  Bl,  B2,  B  3  ^,  B  3  a, 
B4  ergiebt  sich  dies  sofort  aus  Nr.  4,  wo  die  Handschriften  nicht  nur 
alle  die  ünikumstrophe  VII  und  alle  dieselbe  Reihenfolge  haben,  son- 
dern auch  bis  in  die  einzelnen  Details  eine  überraschende  Kongruenz 
der  Recension  zeigen.  Bb  stellt  sich  zu  dieser  Gruppe  sowohl  in 
Nr.  3  wie  in  Nr.  6.  Nr.  5  fehlt  bei  allen  völlig.  Vgl.  dazu  die 
übereinstimmenden  Varianten :  Nr.  2  1 2. 8 ;  II 1.  2.  3. 6. 7. 8 ;  III 1 .  4.  5. 6  ; 
IVl.2.5.6;  VI. 2. 4.5;  Nr.  3  II;  III 5 ;  IV7;  Nr.  6  15;  114; 
III  1.2;  IV  1.6.  8;  VI.  3.  Dafs  die  abhängigen  Manuskripte  Namen 
einsetzten,  wo  die  Vorlage  anonym  war  (und  Ba  ist  stets  anonym),  hat 


152 


Die  Lieder  Jes  Iliigucs  de  Bregi. 


T  a 

belle 

d  e  r 

"  Ai""  1      A2      1     A3 

B« 

B^ 

Bi          B2 

"^  '  •       Bibl.  nat.  Paris!   Vatican  1490.  'BiW.  iiat.  ParisiBibl.  nat.  Paris  Bibl.  nat.  ParisiBiW.  iiat.  Paris[Bibl.  iiat.  Paris 

iiss.fr.  12  615.1  Arsenal  3101.  1    mss.  fr.  844.    | 

msB.  fr.  840.    | 

rass.  fr.  845.    1 

mss.  fr.  847.    |  mss.  fr.  1501. 

1. 

6. 

Hugues  de 

6 

5 

Bregy. 

Im  Katalog  zu 

letzte  irrtüm- 

1. 2.  5.  7.  4 

. 

3101 

lich  geteilt. 

* 

J4 

nie  sire 

Seigneur 

Ugon 
de  Bergi 

vghes 

sire  huges 
de  bregi 

anonym 

2. 

5 

5 

ImKat.  zuSlOl 

5 

5.  unvollstän- 

6 
1.  2.  3.4.  5. 

5 

5 

5 

c  'S 

me    sire 

Seign.  Ugon 

dig. 

60 

me  sire         me  sire     1 

vghes 

de  Bergi.  ] 
mesire  Uges 

— ges  de  — 

anonym 

hugues  de 
bresi 

Hugue  de 
bresil 

anonym 

3. 

6 

6 

5 

5                     6 

S 

letzte  irrtüml. 
geteilt. 

Im  Kat.  zu  3101 
Seigneur 

Ugon 
de  Bergi 

1.2.  3.4.  7  b. 
5«.  5?'.  6  a. 

1.2.3.4.  76. 
5ö. 

1.2.3.4.5a.    1.2.3.4.5. 
7  5.                   6  a 

^  s 

mesires 

mesire 

me  Sire 

huges  de 
bregi 

anonym 

hugues  de 
bresi 

hugue  de 
bresil 

uues 
de  bargi 

4. 

6 

5 

5 

5 

5 

letzte  unvoll- 

mesire Uges 
de    l'resi. 

Blatt 

1.3.2.7.5 

1.  3  2.  7.  5 

1.3.2.  7.5 

tn    S 
U    o 

ständig. 

ausgerissen. 

Li  cliaste- 

o    W 

CO  2 

me  sire 
Luges  de 

Im  Kat.  zu  31  Ol 
öeign.  Ugon 

Im    Index: 
Hugues  de 

anonym 

hiins 
de  couci 

anonym 

bregi 

de  Bergi. 

Bregi 

5. 

3 

3 

erste  unvollst., 

.- 

nie  sire 

daher  kein 

Antorname. 

■ 

^- 

huges  de 

Im  Indes: 

j^ 

bregi 

Hugues  de 
Bregi 

6. 

5 

5 

5 

'o 

1.2.5.4.3 

1.2.  5.4.3 

> 

aubuins 

Blondiaus 

1   de  Nccle 

anonym 

anonym 

C 

7. 

6 

6 

6 
1.3.4.2.5.6 

c 

nie   sire 

me  sire 

es   3 

Pieres  de 

Pieres  de 

c  ■" 

Corbie 

Corbie 

anonym 

""^ 

Die  Lieder  des  Ilugues  de  Bregi. 

Handschriften. 


153 


B3« 

Bibl.  Araenal, 
Paris  5198.     1 

E3^      1      B4 

Bilil.  nat.  Paris  Bibl.  uat.  Paris 
louv.acq.  10.50. [mss.  fr.  24406. 

D 

Bibl.  nat.  Paris 
nss.fr.  12581. 

Fl 

Berner  Lieder- 
hdschr.  580. 

F2 

Bibl.  nat.  Paris 
mss.fr.  20050. 

Frank- 
furt 
Nr.  29. 

Mo- 
dena. 

Arra 

7 

1.2.7.5.3.4. 
6  (unvollst.) 

Ugues 
de  bregi 

7 

1.2.7.5.3.4. 
G  (unvollst.) 

anonym 

So 

§ 

1- 

5 

nie  sire 

luigues  de 

bresi 

5 

nie  sire 

hugues  de 

bresi 

6 

mesires 

Uges  de 

bregi 

6 

zweimal 
F2a  F2b 

anonym 

a 

o 

c3 

4 
anonym 

7 

1.2.3.4.7. 
5.6 

anonym 

6 
1.2.3.4.5.6 

Messires 
Gaises 

4 
1.2.3.8 

anonym 

"Sc 

CQ  ^ 

3 

3 

tu  ^ 
C  ' 

'S ' 

ö 
o 

5 

1.3.2.7.5 

Li   chaste- 

lains 

de  couci 

5 

1.3.2.7.5 

Li  chasle- 

lains 
de  couci 

5 

1.3.  2.  7.5 
anonym 

4 
1.2.  5.3 

li  rois  de 
naivairez 

4 
1.2.5.3 

anonym 

CO 

03 
< 

CO 

O 

"3 
o 

3 

C 
_bß 
'S ' 

c 
o 

^, 

5 

1.2.4.  3.  5 

li   sirez 
amaris  de 
Creonne 

1 

1«.  2J 

anonym 

5 

1.2.  n.  4.  3 
anonym 

5 

1.2.5.4.3 

anonym 

5 

messires 

uguez  de 

bregi 

5 

1.2.  3.  4  (un- 
vollst.). 5 
messirez 
uguez   de 
breegi. 

3 
anonym 

154 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 


nichts  Überraschendes.  Man  gab  dem  Liede  den  Verfasser,  der  dein 
Schreiber  vielleicht  a  on  anderswo  bekannt  war  (so  Nr.  2),  oder  der 
Schreiber  legte  sich  aufs  Raten  nnd  nahm  einen  Dichter,  dem  das  Lied 
wohl  mit  gröfster  Wahrscheinlichkeit  zuzutrauen  war  (so  Nr.  4),  oder 
endlich  er  blieb  bei  der  Anonymität,  wo  er  keinen  fand  (so  Nr.  6). 

Die  Bezeichnungen  B3,  Bl,  B2,  B  3a,  B  3  J,  B  4  deuten  sowohl 
die  Nähe  der  Verwandtschaft  zu  B«  wie  untereinander  an. 

In  Nr.  1  haben  F  1  und  Ba  Strophe  VII  gemein  (VI  war  schon 
in  Fl  unvollständig  und  wurde  von  Ba  deshalb  wahrscheinlich  aus- 
gelassen) und  in  Nr.  2  zeigt  Ba  die  zweite  Hälfte  der  Sti'ophe  VI  von 
Fl  —  dieselbe  wurde  dann  in  den  Abhängigkeiten  von  Ba  nicht  wie- 
derholt! —  so  dafs  man  schon  -daraus  auf  ein  intimes  Verhältnis  zwi- 
schen Ba  und  Fl  geführt  wird.  In  der  That  ist  auch  Ba  einer  biu*- 
gundischen  Vorlage  entflossen,  so  dafs  wir  für  Fl  und  Ba  eine  ver- 
loren gegangene  Handschrift  y  ansetzen  müssen.  Denn  Ba  zeigt  in 
Nr.  7  III 5  die  Form  ai,  wo  die  anderen  gemeinfranzösischen  und  pi- 
kardischen  Manuskripte  a  haben  (3.  Pers.  Sing.  Präs.  von  avoir),  der 
Schreiber  hat  das  buig.  ai  (=  a)  für  die  erste  Person  genommen.  Ba 
hat  ferner  in  Nr.  1  V4  das  bürg.  Wort  engignier  (vgl.  Mignard,  Girart 
de  Rossillon  p.  XXIII),  wo  alle  anderen  gemeinfrz.  und  pik.  Hand- 
schriften das  synonyme  decevoir  aufweisen. 

Diese  anzusetzende  Handschrift  y  enthielt  jedenfalls  schon  die 
VI.  Strophe  in  Nr.  1  verstfimmelt,  weshalb  Ba  sie  nicht  kopierte.  Da 
nun  schliefslich  eine  Urhandschrift  anzusetzen  ist,  weil  keine  der  vor- 
handenen in  jeder  Beziehung  vollständig  ist,  so  läfst  sich  folgender 
Stammbaum  der  Manuskripte  aufstellen: 


A2A3 


BftBlB2B3nB36 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi.  155 

Vergleicht  man  nun  das  Resultat  der  Forschung  mit  demjenigen 
Erakelmanns,  so  findet  man  im  allgemeinen  dieselben  Verwandtschafts- 
verhältnisse, abgesehen  davon,  dafs  Brakelmann  immer  nur  von  ihrer 
Zusammengehörigkeit,  nie  von  ihrem  Abhängigkeitsverhältnisse  handilt. 
Was  jener  also  durch  eine  auf  die  BeschaflTenheit,  die  Schrift  und  den 
Inhalt  der  ganzen  Handschriften  basierte  Untersuchung  erreichte, 
dasselbe  ergab  sich  aus  einer  minutiösen  Vergleichung  von  nur  sieben 
Liedern  dieser  Handschriften.  Da  nun  Brakelmanns  Ergebnis  als  im 
ganzen  richtig  angesehen  wird,  läfst  sich  auf  diese  Weise  ein  indirekter 
Beweis  für  die  Richtigkeit  der  hier  befolgten  Methode  deduzieren.  Übri- 
gens ist  für  die  Produkte  der  Lyrik  ein  solches  Verwandtschaftsver- 
hältnis immer  schwerer  zu  konstatieren  als  für  epische  Gedichte.  Hier 
wird  eine  fehlende  Zeile  sofort  zum  Charakteristikum,  denn  der  Gang 
der  Handlung  läfst  den  Ausfall  von  einigen  Zeilen  kaum  unbemerkt, 
es  entsteht  sofort  eine  Lücke,  und  nichts  ist  für  Epen  charakteristi- 
scher als  Lücken;  Zusätze  können  bei  den  Dichtungen  in  kurzen 
Reimpaaren  ungestrafter  und  leichter  gemacht  werden.  Das  umgekehrte 
läfst  sich  bei  der  Lyrik  beobachten.  Hier,  wo  eine  Strophe  durch  den 
Gang  der  Handlung  nicht  zum  unveräufserlichen  Bestandteil  des  Liedes 
wird,  ist  dem  Geschmack  und  der  Willkür  des  Schreibers  ein  bedeu- 
tend gröfserer  Spielraum  gelassen,  was  das  Streichen  anbelangt. 
So  läfst  er  naturgemäfs  gern  eine  Strophe  aus,  wo  sie  ihm  schon  frag- 
mentarisch überliefert  ist.  Dem  Zudichten  stellen  sich  hier  schon 
gröfsere  Schwierigkeiten,  besonders  metrischer  Natur,  entgegen.  Wenn 
sie  es  versuchen,  mifsglückt  es  ihnen  zumeist  jämmerlich,  wie  unserem 
Trouvere  in  Nr.  3  VIII, 

Das  Ergebnis  vorliegender  Untersuchung  weicht  vom  Brakelmann- 
schen  jedoch  in  zwei  Punkten  ab, 

L  A2  ist  von  jenem  zu  Siena  A,  x.  36,  Vatican  1522  und  Arras 
657  gestellt.  Die  Unikumstrophe  IV  in  Nr,  4  sowie  die  in  die  Augen 
fallende  Ähnlichkeit  beider  Recensionen  läfst  es  als  zu  AI  aufserdem 
gehörig  erscheinen.  Ob  sich  die  von  Brakelmann  erwähnten  drei  Hand- 
schriften (Siena,  Vatican,  Arras)  zur  A-Gruppe  gesellen,  müfste  natür- 
lich eine  andere  Untersuchung  entscheiden. 

IL  B  2  ist  bei  Brakelmann  isoliert.  Dafs  es  zur  B-Gruppe  ge- 
hört und  in  naher  Beziehung  zu  B  1  steht,  ist  vorhin  bewiesen. 

B4  (früher  Lavaliiere  59)  ist  zu  F1,F2  gestellt;  nach  des  Ver- 
fassers  eigenem  Zeugnis  jedoch  nur   mit  Bezug   auf  die  am  Schlüsse 


156  Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 

der  Handschrift  mitgeteilten  30  geistlichen  Lieder  (Arch.  XLII,  S.  46). 
Vür  die  Chansons  d'Amour  stellt  es  sich  also  zur  B-Gruppe. 

Wesentliche  Grundlage  für  die  folgende  Wiedergabe  der  Lieder 
bildet  A  1  (das  ist  ßibl.  nat.  Paris  niss.  fr.  12  615).  Denn  aufser  dem 
schon  gedruckten  Berner  Liederkodex  389  ist  dies  der  einzige,  welcher 
alle  sieben  Lieder  enthält,  und  zwar  in  durchweg  guter  Lesart.  Über- 
dies ist  der  Liederband  einer  der  wertvollsten  und  bcsterhaltenen  aus 
dem  13.  Jahrhundert.  Vgl.  de  Coussemaker,  CEuvres  comp],  de  Ad.  de 
la  Halle,  Paris  1872,  p.  XXX.  Ebenso  G.  Raynaud  p.  183.  Brakel- 
mann,  Arch.  XLII,  57  —  59. 

Dialekt   des    Schreibers. 
Dafs   der  Schreiber   der  Handschrift  12  615  mss.  fr.   ein   Pikarde 
war,  ergiebt  sich  aus  folgenden  Erscheinungen : 

1)  öl  -j-  Kons,  und  al  -]-  Kons,  werden  in  echt  pikardischer  Weise 
gleichgestellt,  saudee  (=  soldee,  soudee)  Nr.  2  IV  1  —  vauroie  (z= 
voudroie)  Nr.  6  III 3  —  faus  (=  fous)  Nr.  1  IV  1.  Vgl.  dazu  Neu- 
mann, Zur  Laut-  und  Flexionslehre  des  Afrz.  p.  65.  —  G.  Paris, 
Romania  VI,  p.  616  (cauper,  saus,  vauront).  —  W.  Förster,  Rieh, 
li  biaus  p.  IX.  —  Tobler,  Dis  dou  vrai  Aniel  p.  XXIX.  —  W.  Förster, 
Chev.  as  deus  esp.  p.  XLVI. 

2)  c  vor  urspriingl.  a  ist  pikardisch  =  c  (k),  und  so  hier.  Zwar 
finden  sich  c  und  ch  promiscue,  doch  giebt  es  ja  keine  einzige  pikar- 
dische  Handschrift,  die  hierin  konsequent  verfahren  wäre  (Förster, 
Chev.  as  deus  esp.  p.  LIII).  Dafs  sich  nur  chascun  (statt  cascun) 
findet,  kann  nur  für  die  Pikardie  sprechen.  Denn  das  auf  qiiisque  unus 
ziuückzuführende  Wort,  in  dem  das  a  nur  eine  Folge  der  afrz.  Tendenz 
ist,  in  unbetonter  Silbe  vor  dem  Accent  ein  a  zu  setzen  (vgl.  assayer 
statt  essayer  u.  a.),  tritt  nach  Neumann  a.  a.  0.  p.  77  in  pik.  Denk- 
mälern gerade  überwiegend  auf. 

3)  Die  korrespondierende  Erscheinung  des  ch  statt  c  vor  yrspr. 
c  und  i  findet  sich  hier  ebenfalls,  und  zwar  überwiegen  die  ch-Formen. 
Die  eigentümliche  Ausnahme  grasses  Nr.  4  III 4  (statt  graches)  findet 
sich  nach  Neumann  p.  80  ebenfalls  in  den  Chartes  du  PonthieuXIII,  4,  6. 

4)  Der  Hilfslaut  d,  der  in  anderen  Dialekten  zwischen  1-r,  n-r 
zu  treten  pflegt,  fehlt  im  Pik.,  hier  vaura  Nr,  4  115,  7  116;  vauroie 
Nr.  6  III  3;  venra  Nr.  3  VI  2,  VII  7;  tenra  Nr.  7  114. 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi.  157 

Der  Hilfslatit  b  zwischen  m-1,  der  in  dieser  Handschrift  durch- 
gängig auftritt,  scheint  auch  [jik.  frühzeitig  eingetreten  zu  sein.  Vgl. 
Suchier,  Aue.  und  Nie.  p.  58. 

5)  t  -j-  s  giebt  pik.  nicht  z,  sondern  s.  Es  kommt  hier  kein  ein- 
ziges  z    vor.     Vgl.  Förster,  Chev.  as  deus  esp.  p.  LIII. 

G)  c  in  der  1.  Pers.  Sing.  Präs.  statt  d  oder  t  und  statt  i  der 
1.  Pers.  Perf.  (nicht  nur  für  auslautende  Dentalis,  wie  Neuniann  a.  a.  0. 
p.  104). 

Die  Beispiele  im  Text  der  sieben  Lieder  (das  sechste  und  siebente 
rnufs  aus  später  zu  nennenden  Gründen  von  der  sprachlichen  Unter- 
suchung über  des  Dichters  Dialekt  ausgeschlossen  werden,  für  die 
Mundart  des  Schreibers  können  sie  natürlich  vöUig  in  Betraclit  ge- 
zogen werden)  sind  folgende  : 

cancNr.  1  V5,  quic  Nr.  1  III  3,  vic  Nr.  1  IV  3  (meche  Nr.  1  V3 
stellt  sich  als  analoger  Konjunktiv  dazu),  douc  Nr.  2  III6,  doc  Nr.  3 
III 5,  euc  Nr.  3  IV  7,  seuc  Nr.  6  IUI,  soc  Nr.  6  IVB,  V8.  Vgl. 
lue  statt  luth,  Gargantua,  livre  I,  cap.  XXIII  (IMoland). 

Die  weniger  häufige,  entgegengesetzte  Erscheinung,  dafs  t  an  die 
Stelle  von  c  tritt,  zeigt  sich  in  den  Formen  vaintra  Nr.  7  IIS,  dont 
Nr.  3  14,6,  adont  Nr.  3  12,  proet  que  Nr.  4  IV  6.  Vgl.  dazu  die- 
selben Formen  in  Durmart  le  Galois,  Stengel  v.  3294,  6398,  6401 
(9690  ist  ein  Druckfehler  in  den»  von  Irrtümern  wimmelnden  Wörter- 
verzeichnis). Das  vaintra  ist  jedenfalls  rein  lautphysiologisch  zu  er- 
klären ;  die  überhaupt  unfranzösische  Konsonantenverbindung  er  ist 
durch  tr  ersetzt,  da  nächst  der  dentalen  media  die  dentale  tenuis  sich 
der  labialen  am  besten  anpafst.  Adont  und  dont  mag  sich,  unter  dem 
Einflufs  der  Schriftverwechselung  von  e  und  t,  in  Anlehnung  an  das 
synonyme  atant  gebildet  haben. 

Wenn  nun  auch  t  und  c  in  den  alten  Handschriften  eine  sehr 
grofse  Ähnlichkeit  miteinander  haben  (vgl.  Förster,  Ztschr.  für  österr. 
Gyran.  1874,  p.  143  —  Rieh.  11  biaus,  Anm.  zu  v.  530)  und  sicher- 
lich in  manchen  Fällen  ein  verzeihlicher  Lesefehler  vorliegt,  wie  z.  B. 
Nr.  2  IV8  (A3),  so  wird  doch  immer  obige  Erscheinung,  so  sehr  die 
naheliegende  Verwechselung  der  Buchstaben  zur  Ausbreitung  bei- 
getragen haben  mag,  einer  wissenschaftlichen  Erklärung  bedürfen, 
zumal  da  die  Formen  im  Reim  bestätigt  sind:  Rieh,  li  biaus  quic  3984, 
demanc  2552  (Ztschr,  für  österr.  Gymn.  1877,  S.  204).  Eine  solche 
ist  denn  auch  früh  versucht  worden.     Mätzner,   der   mit  zuerst  auf  die 


158  Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 

Erscheinung  aufmerksam  machte,  erklärt  seuc,  afrz.  Lieder  p.  129 
IV  33  als  Analogiebildung  zu  dem  kurz  voraufgehenden  sace;  er  ahnte 
offenbar  noch  nicht,  wio  sehr  die  Erscheinung  auf  pik.  Gebiet  vei*- 
breitet  war.  Suchier,  Aue.  et  Nie,  der  im  grammatischen  Teil  die 
Formen:  perc,  atenc,  parc,  seno,  euc,  due,  valuc,  buc,  siec  anführt, 
fafst  sie  als  Anbildung  an  fac  auf.  Ob  ein  einzelnes  Wort  dergestalt 
analogisierend  zu  wirken  wohl  im  stände  war?  Förster,  Chev.  as  deus 
espees  p.  LVII  giebt  zu  den  citierten  Formen  commanc,  cuic,  demanc, 
douc,  mec,  entenc  keine  Erklärung.  G.  Raynaud,  Etüde  sur  le  dialecte 
des  chartes  du  Ponthieu  etc.,  deutet  die  Erscheinung  so,  dafs  ein  teneo 
entwickelte  *  tenjo  :  tieng,  tienc  und  ähnliche,  später  wirkte  die  Ana- 
logie. Dieser  Theorie  aber  steht  die  nach  Suchier  palatale  Aussprache 
des  c  entgegen,  wie  die  lothr.  Formen  doz,  Fred,  des  heil.  Beruh.  556, 
eswarz,  ibid.  572,  cuiz,  ibid.  522  darthun.  Vgl.  Suchier,  Jen.  Litt.- 
Ztg.  1878,  Artik.  467. 

Obgleich  nun  die  Einwirkung  des  Konjunktiv  Präs.  auf  den  Ind. 
wenig  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat,  liegt  der  Gedanke  in  diesem 
Falle  doch  zu  nahe,  um  nicht  eingehender  geprüft  zu  werden.  Die  bis 
jetzt  gefundenen  Konjunktive  sind :  sence  —  sanche,  meche  Nr.  1  V  3, 
als  mece  im  C'est  li  dis  de  le  pasque  (pik.)  Archiv  XXVI,  S.  287, 
Rieh,  li  biaus  4141  im  Reim  auf  proeche;  ebendas.  proumeche  :  gete 
1189,  meche  :  fiUette  671,  siece  :  i)iece,  Chev.  as  deus  esp.  p.  LVII, 
wo  auch  mecent. 

Die  zahlreichen  Konjunktive  auf  iam  (doniam  —  doigne)  erzeugten 
falsche  Analogie  auch  in  der  3.  Konjugation;  wie  man  sentiam  :  senche, 
teneam  —  tiegne  bildete,  so  auch  mittiam  —  meche,  sediam  —  siece. 
War  der  Zischlaut  einmal  in  den  Konjunktiv  gedrungen,  so  sprach  man 
ihn  auch  im  Indikativ  und  liefs  nur  das  Zeichen  des  Konjunktivs,  das 
e  fort.  Senche  gab  sen6,  tiengne  —  liend,  siece  —  sie6,  meche  —  mec. 
Die  volle  pik.  ch-Form  findet  sich  noch  in  tinch  752,  esrauch  753, 
fuch  1249,  soch  2315,  wo  der  Zischlaut  gleichfalls  ins  Perfektum  ge- 
tragen wird.  Rieh,  li  biaus ;  Stellen  angeführt  nach  Gröber,  Jen.  Litt.- 
Ztg.  1875,  Art.  155. 

Dies  Verfahren  war  aber  im  ganzen  zu  vereinzelt  und  zu  lokali- 
siert, um  allgemein  zu  werden,  und  teilte  das  Schicksal  so  vieler  an- 
derer vorübergehenden  Erscheinungen. 

7)  Die  pik.  Schwächung  des  a  im  Art.  fem.  la  und  den  Pron. 
poss.  ma,  ta,  sa  findet  sich  in  den  Liedern  durchaus  nicht,  ebensowenig 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi.  159 

wie  men,  ten,  sen  für  mon,  ton,  son.  Des  Schreibers  Heimat  ist  darum 
sehr  nahe  an  die  Grenze  des  Gemeinfranz,  zu  rücken.  Dagegen  findet 
sich  das  Pron.  pers.  fem.  der  3.  Pers.  Sing,  eigentümlicherweise  als  le 
oder  apostrophiert,  daneben  zweimal  la,  Nr.  3  III  7  u.  VI  5.  Über  la, 
ma,  ta,  sa  statt  le,  me,  te,  se  vgl.  übrigens  Rieh,  li  biaus. 

8)  Sieht  man  ab  von  der  eingebürgerten  unregelmäfsigen  Dekli- 
nation von  riens  und  gent,  sowie  dem  s  der  Feminina  der  3.  Deklin. 
im  Nom.  sing.,  so  wird  man  die  Deklinationsregel  als  strikt  gewahrt 
gelten  lassen  können  —  im  13.  Jahrh.  eine  besondere  Eigentümlichkeit 
der  Pikardie.   S.  Förster,  Jahrb.  XIII,  S.  304;  Neumann  a.  a.  0.  p.  114. 

Die  Form  vo  (pik.)  kommt  nur  Nr.  2  V  7  vor,  sonst  nostre 
Nr.  4  VII,  vostre  Nr.  4  III  6. 

Ehe  des  Dichters  Dialekt  festgestellt  wird,  mui's  untersucht  werden, 
ob  er  wirklich  der  Verfasser  der  unter  seinem  Namen  angegebenen 
Lieder  ist.  Dabei  ist  vor  allem  gewichtig  das  Zeugnis  der  dem  Urtext 
zunächst  stehenden  Handschriften  AI,  Ba,  D,  Fl.  Leider  ist  Ba  in 
allen  Chansons  anonym. 

Über  Nr.  1,  2  u.  3  kann  betreffs  des  Autors  kein  Zweifel  walten. 
Für  Nr.  4  hat  die  Angabe  von  A  1  den  meisten  Wert ;  denn  F  1  ist 
bekannt  für  die  Ungenauigkeit  in  der  Nennung  von  Verfassernamen. 
Der  Gruppe  B  stand  es  offen,  entweder  bei  der  Anonymität  der  Vorlage 
zu  bleiben,  oder  dem  Liede  den  Verfasser  zu  geben,  der  dem  Inhalte 
nach  der  wahrscheinlichste  war.  Das  Gedicht  ist  eine  Chanson  de 
croisade  und  man  schrieb  sie  dem  Chastelain  de  Coucy  zu,  dem  Dichter 
der  Kreuzzugslieder  par  excellence.  Vgl.  die  Tabelle.  Nr.  5  ist  in 
A  3  mit  Nr.  1,  2  und  4  zusammen  dem  Hugues  zugeschrieben,  und 
kann  sicher  ihm  zuerteilt  werden.  Für  Nr.  6  und  7  mufs  die  Frage  der 
Autorschaft  unentschieden  gelassen  werden  —  innere  Gründe  sprechen 
weder  für  noch  gegen.  Für  Nr.  7  könnte  höchstens  geltend  gemacht 
werden,  dafs  es  mit  denselben  Worten  beginnt,  in  denen  Nr.  2  I  schliefst. 

Wenn  sich  im  Katalog  zu  Nr.  3101,  Arsenal  (A2)  unter  Ce  sont 
les  cancons  mon  Seigneur  Ugon  de  Bergi  als  fünftes  Lied  Fine  amor 
claime  en  moi  par  iretaige  angeführt  findet,  so  steht  im  Corpus  der 
wirkliche  Verfasser  Mesires  Meurisses  de  Craon  angegeben,  der  sich  in 
der  dritten  Zeile  auch  selbst  nennt.  Es  liegt  hier  um  so  mehr  ein  ein- 
faches Schreiberversehen  vor,  als  auch  in  den  Handschriften  der  Pariser 
Nationalbibliothek  Craon  als  Autor  genannt  wird. 


160  t)ie  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 

Die  zweite  Frage,  welclie  zu  erledigen  ist,  betrifft  die  Verfasser- 
schaft der  sogenannten  Bible  au  Seigneur  de  Berze,  gedruckt  bei  Bar- 
bazon  et  Meon,  Fabliaux  et  Contes  T.  II,  p.  394  ff.  Ist  dieser  Seigneur 
de  Berze  identisch  mit  Hugues  de  Bergi?  Folgende  Gründe  sind  über- 
zeugend genug,  um  in  ihnen  ein  und  dieselbe  Person  zu  sehen, 

1)  Die  Gleichheit  des  Namens.  Die  Orthographie  Ber/e  findet 
sich  zwar  nicht  bei  den  Liedern;  sie  wird  aber  auch  irrig  sein,  denn 
V.  771  nennt  sich  der  Verfasser  Hugues  de  Bersil,  eine  Schreibart,  die 
mit  Metathesis  des  r  (gerade  im  Pik.  häufig)  in  B  1  und  B  3  (5»  wieder- 
kehrt. 

2)  Beide  lebten  um  1200,  da  die  Sprache  auf  diese  Zeit  zeigt. 

3)  Beide  waren  Plkarden.     Für  die  Lieder  siehe  weiter  unten. 
Die   Handschrift,    welche  dem   Druck   von   Barbazon  et  Meon  zu 

Grunde  gelegen  hat,  ist  ihrem  allgemeinen  Charakter  nach  im  gemein- 
französischen Dialekt  geschrieben.  Auf  die  Pikardie  weisen  Reime  wie 
faus  :  aus  223  (faus  =  falsus),  Devinaus  :  entr'aus  665,  denn  aus 
wäre  gemeinfranzösisch  cus  und  reimte  nicht  mit  faus,  devinaus;  Bartsch, 
Afrz.  ehrest.  360,  30  amoureus  :  eus  im  Jehan  de  Meung.  Förster, 
Chev.  as  deus  esp.  p.  XLVI  belegt  dies  aus  in  zahlreichen  Reimen. 
Von  gröfserer  Beweiskraft  ist  der  Reim  liez  :  iriez ;  letzteres,  lat.  iratus, 
giebt  gemeinfrz.  ire,  das  nicht  mit  lie  (=  laetus)  reimen  kann.  Siehe 
Tobler,  Versbau  S.  124.  Pikardisch  ist  der  Reim  durchaus  korrekt. 
Dem  Schreiber  der  Handschrift  (Paris,  Bibl.  nat.  mss.  fr.  837;  ancien 
7218)  hat  offenbar  eine  pikardische  vorgelegen,  aus  der  er  viele  dia- 
lektische Eigentümlichkeiten  bewahrte.  So  oft  die  Beibehaltung  der 
pik.  Diphthongierung  iei-,  iez,  ierre,  ie  —  aber  meist  nur  im  Reim : 
envoisiez  :  pechiez  129,  147,  199,  207,  225,  557,  haitie  :  blecie  605, 
trichierre  :  conquierre  717,  mestier  :  preeschier  779,  87,  827.  So  er- 
klären sich  auch  die  urpikard.  Formen ;  vousist  (es  verbessern  B.  et  M. 
282  vausist),  taut  (=  tolit)  72,  cerchie  (=  cherche)  772,  390, 
cerche  391,  avera  (=  aura)  528. 

4)  Die  Verfasser  sind  beide  Kreuzfahrer. 

5)  Sie  rühmen  sich  beide  oft,  die  Welt  gesehen  zu  haben: 

Hugues  de  Bersil  qui  tant  a 
Cerchie  le  siecle  ca  et  la.     772  Bibl. 
jou  ki  tot  voi  le  monde  a  mon  voloir.     Nr.  2  III 3. 

Alles,  was  von  französ.  Schriftstellern  in  anderem  Sinne  aufgestellt 
worden  ist  —  ohne  Beweis!  — ,   wird   nun  hinfällig.     Es   ist   viel   ge- 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi.  161 

fabelt  worden  in  Frankreich  über  diesen  Dichter,  Etienne  Pasquier 
besafs  unglückseligerweise  die  Bible  au  Seignor  de  Berze  in  einen  Band 
gebunden  mit  der  Bible  Guiot  und  meint,  Les  Recherches  de  la  France 
1GG5  in  fol.,  Livre  VII,  cap.  3,  p.  600,  Bible  Guiot  sei  ein  Versehen 
des  Schreibers,  es  müsse  eigentlich  heifsen  Bible  Huguiot  (!).  Claude 
Fauchet,  Recueil  de  l'originc  de  la  langue  et  poesie  fran9oises  etc., 
Paris  1581,  p.  151,  schliefst  sich  seinem  Freunde  Pasquier  an.  Abbe 
Massieu,  Hist.  de  la  Poesie  fran^oise,  Paris  1739,  p.  125  baut  dann 
weiter:  On  l'appeloit  Guyot  par  sobriquet,  de  son  nom  Hugues  qu'oa 
accommodait  ainsi;  et  on  lui  donnait  le  surnom  de  Provins  parce  qu'il  etait 
de  cette  ville.  —  Le  peu  de  rapport  qu'il  y  a  entre  Guyot  de  Provins  et 
Hugues  de  Bercy,  a  trompe  quelques-uns  de  nos  ecrivains,  et  a  donne  lieu 
de  faire  deux  poetes  d'un  (I).  Es  gab  indes  noch  viele,  die  Pasquier  mit 
gewissenhafter  Treue  folgten;  La  Croix  du  Maine  et  du  Verdier,  Les 
Bibliotheques  fran^aises  1752,  T.  I,  p.  380  u.  ff.  Gilles  Menage,  Dict. 
etym.  de  la  langue  fran9oise,  T.  II,  s.  v.  marinette.  Abbe  Moreri, 
Dict.  hist.  s.  V.  Berci.  Im  19.  Jahrhundert  wärmt  Felis,  Bibliogr. 
univers.  des  Musiciens  T.  H,  p.  68  den  alten  Irrtum  noch  einmal  auf, 
nachdem  Graf  de  Caylns,  T.  XXI  des  memoires  de  l'Inscr.  et  Beiles 
Lettr.  p.  191 — 202,  schon  längst  das  richtige  Verhältnis  festgestellt  hatte. 
Von  beweisenden  Darlegungen  ist  natürlich  auch  bei  ihm  nicht  die  Rede. 

Der  Text  bei  Barbazan  et  Meon  ist  voll  von  mehr  oder  wenig 
groben  Irrtümern.  Eine  Vergleichung  mit  ms.  fr.  847  Bibl.  nat.  Paris, 
ancien  7218,  ergab  folgende: 

12  malades,  19  nel,  164  sanc  et  char,  182  dieu,  183  des,  224 
tricheor-plusor,  229  ainsi,  245  li  autre,  271  len,  282  vousist  (pik.  ou 
für  au),  317,  318  voudront,  porront  (Subj.  eil),  354  couoite,  458 
richete  (Reimwort  povrete,  vgl.  Aniel  9),  499  retendra,  507  perdre 
(der  Herausgeber  hat  pdre  mit  dem  sinnlosen  prendre  übersetzt),  606 
conques,  714  reuienent,  776  dolor  (folor  existiert  nicht!),  789  en- 
seurquetout,  798  acorde,  828  et  quil  connoist. 

Die  verhältnismäfsig  geringe  Anzahl  von  Reimen  setzt  der  Be- 
stimmung der  Heimat  des  Dichters  auf  diesem  Wege  einige  Schwierig- 
keiten entgegen,  und  nur  auf  indirektem  Wege  ist  sie  festzusetzen. 

I.    Dafs   der   Dichter   kein    Normanne   war,    beweist   der   Reim 
proie  :  moie  :  joie  Nr.  1  IV.    Von  den  drei  afrz.  oi, 
1)  oi  =  lat.  I  od.  e  in  betonter  Silbe, 

ArcMv  f.  n.  Sprachen.  LXXY.  11 


162  Die  Lieder  des  Ilugues  de  Bregi, 

2)  oi  =  geschloss.  o  (ü)  -)-  i  (od.  c  =  i),  croiz  (crucem),  doiz 
(ductionem), 

3)  oi  ^  offenes  o  -\-  i,  joie  (gaudia),  oie  (audiam), 

wird  3  norm,  nicht  in  ei  umgewandelt.  Da  nun  2  und  3  nie  reimen, 
1  und  3  bisweilen  (Chev.  au  Jyon  4683)  reimen  und  hier  zwei  Fälle 
der  ersten  Art  vorkommen  (moie,  proie)  und  einer  der  dritten  (joie), 
so  sind  die  Reime  bürg,  und  pik.  echt,  nicht  aber  norm. 

II.  Der  Reim  menlit  :  de  li  Nr.  3  IV  ist  bürg,  unmöglich  (es 
findet  sich  kein  einziger  der  Art  im  Girart  de  Rossillon). 

III.  Die  Verwandlung  von  iee  zu  ie  ist  nach  Suchier,  Aue.  et 
Nie.  p.  65  zugleich  wallonisch,  lothr.  und  pik.  Da  nun  die  beiden 
ersten  Dialekte  durch  Betrachtung  I  und  II  ausgeschlossen  sind,  ist 
der  ursprüngliche  Dialekt  pikardisch.  Denn  in  folie  :  foie  Nr.  IV  ist 
foie  aus  foiee  zusammengezogen;  vgl.  Mussafia,  Germania  VIII,  p.  53. 
Burgundisch  scheint  die  Accentverschiebung  nicht  so  unbedingt  statt- 
gefunden zu  haben,  denn  die  bürg.  Handschriften  haben  foiee  (F  1,  F2), 
wodurch  der  Reim  also  aufgehoben  wurde.  Dasselbe  gilt  von  fenie  : 
foie  Nr.  4  II,  nur  dafs  die  anderen  Manuskripte  hier  haschie  für  foie 
haben. 

Bei  der  im  ganzen  wenig  prononcierten  Eigenart  des  Dichters 
wird  seine  Heimat  am  besten  an  die  Grenze  der  Isle  de  France  zu 
legen  sein,  vielleicht  nach  Aisne,  wo  es  ein  Dorf  Berzi-le-Sec  giebt. 
So  vermutet  auch  P.  Meyer,  Romania  VI,  p.  19  in  einer  lakonischen 
Fufsnote.  Doch  wird  es  geraten  sein,  an  der  von  A 1  und  F  1  über- 
lieferten Schreibung  Bregi  vorläufig  festzuhalten. 

Wie  bei  der  Mehrzahl  der  afrz.  Lyriker  sind  wir  auch  bei  Hugues 
de  Bregi  auf  das  angewiesen,  was  er  von  sich  selbst  aussagt.  V.  405  ff. 
seiner  satirischen  Bible  giebt  uns  sofort  einen  festen  Anhalt,  die  Epoche 
zu  bestimmen,  in  der  er  gelebt  hat. 

Qar  je  vi  en  Constantinoble 

Qui  tant  est  bele  et  riohe  et  noble 

Que  dedenz  un  an  et  demi 

Quatre  Empereres,  puis  les  vi 

dedens  un  terme  toz  morir 

de  vil  mort;  qar  je  vi  mutrlr  etc.  etc. 

Es  geht  aus  dieser  Stelle  hervor,  dafs  der  Dichter  am  sogen,  vierten 
Kreuzzuge  feilnahm  (1198  — 1204);  denn  die  Anspielung  auf  die  Er- 
oberung Konstantinopels  und  das  tragische  Geschick  der  vier  Kaiser 
kann    sich    nur   auf  diesen   Kreuz/.ug  beziehen.     Vgl.   Caylus  a.  a.  0. 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi.  163 

Der  Dichter  wird  in  den  Handschriften  verschieden  betitelt.  Die 
Bible  nennt  ihn  Seignor  de  Berze,  chastelain ;  als  Liederdichter  trägt  er 
gewöhnlich  die  Bezeichnung  me  sire,  auch  Sire  (Nr.  1  A  3),  Chevaliers 
(Nr.  3  Frankfurt),  Monseigneur  in  der  Handschrift  von  Arras,  Seignenr 
im  Katalog  zu  3101  Arsenal.  Vergleicht  man  damit  sein  eigenes  Be- 
kenntnis ne  sui  ne  clers  ne  letrez  B.  v,  375,  so  wird  zu  folgern  sein, 
dafs  er,  vielleicht  ein  Gut  besitzend  (worauf  seigneur  [sire]  und  chäte- 
laiö  deuten),  jedenfalls  dem  französischen  Adel  angehörte.  Der  Titel 
Monseigneur  gebührt  ihm  unbedingt  nicht,  da  er  weder  Fürst  noch 
höherer  Geistlicher  war. 

Der  Dichter  nimmt  oft  Gelegenheit,  die  Erfahrung  zu  preisen,  die 

man  auf  Reisen  gewinnt: 

Cil  qui  plus  voit,  plus  doit  savoir: 

car  per  oir  et  por  veoir 

Set  len  ce  ke  len  ne  sauroit 

Qui  toz  iors  en  un  leu  seroit.     v.  1 — 4. 

Er  liebt  es,  sich  seiner  Bereistheit  zu  rühmen: 

Hugues  de  Bersil  qui  tant  a 

Cerchie  le  siecle  ca  et  la.     B.  v.  771  u.  772.     Oder: 

jou  ki  tot  voi  le  monde  a  mon  voloir.   Nr.  2  1113.  Oder: 

j'ai  le  siecle  plus  parfont 

cerchie  et  veu  que  il  nont.     B.  v  .389. 

Aber  je  mehr  er  von  der  Welt  gesehen,  desto  mehr  hat  er  sich 
überzeugt,  dafs  sie  nichts  taugt : 

Tant  ai  ale,  tant  ai  veu 

Que  jai  du  siecle  conneu 

Quil  ne  vaut  riens  a  maintenir, 

Fors  por  lame  du  cors  partir.     B.  v.  4 — 8. 

Sen  sui  et  dolenz  et  confus 

Car  nule  gent  ne  vousist  plus, 

Se  tant  en  fast  mains  com  je  di.     B.  v.  281—83. 

et  ce  que  toz  li  mons  voit  bien 

ke  li  siecles  ne  vaut  mes  rien.     B.  v.  364  —  65. 

eil  qui  plus  en  cerche  et  voit, 

cest  eil  qui  mains  amer  le  doit. 

Qar  eil  i  trueve  plus  de  mal, 

Qui  plus  va  amont  et  aval.     B.  v.  393 — 94. 

Dafs  er  nicht  immer  dieser  pessimistischen  Ansicht  gehuldigt, 
würden  schon  seine  chansons  d'amour  beweisen.  Er  gesteht  es  aber 
auch  selbst  ein  und  spielt  häufig  auf  die  toll  verlebte  Jugendzeit  an : 

jai  fet  en  la  vie 
Mainte  oiseuse  et  mainte  folie.    B.  v.  775. 

11* 


164  Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 

—  javoie 
plus  ke  nus  daus  solaz  et  ioie.     B.  v.  778. 

li  siecles  ot  tel  savor 
Que  je  navoie  nuit  ne  ior 
Autre  euer  ne  autre  penssee.     v.  379. 

je  qui  tant  ai  amee 

la  joie  du  siecle  et  tant  lo.     v.  382. 

plus  lai  amee  que  nus.     v.  398. 

Es  peinigt  ihn  noch  bittere  Reue,   denkt  er  der  Sünde  der  Liebe: 

Dun  pechie  con  apele  ainor, 

Me  prent  sovent  molt  grant  paor.     v.  739 — 40 

und  dennoch  gedenkt  er  oft  heimlich  der  früher  Geliebten  : 

Qar  puis  con  a  du  tout  partie 
•  Samor  de  sa  tres  bele  amie, 
Si  sen  delite  on  plus  sovent 
En  remembrer  son  biau  cors  gent, 
Quant  len  ja  pensser  ni  devroit.     v.  743  ff'. 

Aber  er  predigt  jetzt  ein  gesittetes  Leben : 

Preesche  ore  de  fere  bien.     v.  775 
und  ermahnt  auch  seinen  Freund  Jacques,  seinem  Beispiel  zu  folgen. 

So  viel  läfst  sich  über  Hugues  de  Bregi  konstatieren.  Es  ist 
somit  die  von  Michaud,  Bibl.  univ.  nouv.  ed.  T.  IV,  p.  197  aufgestellte 
Behauptung:  Hugues  etait  seigneur  de  Berze-le-chatel,  bailliage  de 
Mäcon  —  und  nach  ihm  von  Leon  Feugere  (Henri  Estienne,  Sur  la 
Frecellence  du  langage  fran^ois),  Paris  1850,  p.  205  als  falsch  zu- 
rückzuweisen. Die  Existenz  eines  gleichlautenden  Dorfes  genügt,  um 
den  Franzosen  nicht  nur  zu  gew^agten  Konjekturen,  sondern  selbst  zu 
den  gemessensten  —  aber  natürlich  unbewiesenen  —  Behauptungen  zu 
veranlassen.  Dasselbe  läfst  sich  von  der  vagen  Konjektur  Emeric- 
Davids  sagen,  der  Hist.  litt,  de  la  France  T.  XLIH,  p.  640  ff.  Hugues 
de  Bregi  mit  dem  Troubadour  Ugo  di  Bersia  identifiziert.  Ofienbar 
hat  ihn  Crescimbeni  darauf  gebracht,  da  er  in  seiner  Istoria  del  Volgar 
Poesia,  Roma  1698,  p.  219  einen  Ugo  di  Bersia,  nuc  de  Bersie  erwähnt. 

Die  Fassung  der  Lieder  soll  eine  kritische  sein.  Ich  habe  mich 
bemüht,  die  beste  Lesart  herzustellen,  obwohl  A  1  im  allgemeinen  eine 
gute  darbietet.  Natürlich  konnte  im  wesentlichen  für  den  Text  nur 
AljBa,  D,  Fl  mafsgebend  sein,  und  selbst  eine  scheinbar  vorzuzie- 
hende Lesart  der  anderen  Mss.  mufste  unberücksichtigt  bleiben. 

In  den  Varianten  ist  natürlich  abgesehen  von  den  gewöhnlichen 
dialektischen  .Verschiedenheiten.     Für  die  Berner  Liederhandschr.  389 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 


165 


benutzte  ich  den  textgetreuen  Druck  Brakelmanns  in  Heirigs  Archiv 
Bd.  XLI — XLIII;  wo  seine  Vorlage  (Kopie  Mouchet  8,  Paris)  ihn 
irre  führte,  habe  ich  nach  Gröbers  und  Lebinskis  sorgfältiger  Kollatio- 
nierung der  Handschrift  (Ztschr.  für  rom.  Phil.  Bd.  III,  p.  39  ff.)  ver- 
bessert. So  a  vostre  statt  apostre  Nr.  41116,  ke  sil  st.  ke  il  Nr.  4  II 8, 
festiue  st.  sestiue  Nr.  6  III  2. 

Den  ursprünglichen  Dialekt  des  Dichters  durchzuführen,  boten  sich 
keine  Schwierigkeiten.  Das  unpikardische  a  in  la,  ma,  sa,  ta  habe  ich 
konserviert,  weil  die  Heimat  an  die  Grenze  der  Isle  de  France  zu  legen 
sein  dürfte. 

Die  Endung  -aige  habe  ich  keinen  Anstand  genommen  stehen  zu 
lassen,  da  sie  nach  Neumann  a.  a.  0.  p.  1 3  über  das  ganze  pik.  Sprach- 
gebiet vorkommt,  und  sich  aufserdem  in  einem  so  entschieden  pikar- 
dischen  Denkmal  findet  wie  C'est  li  dis  de  le  pasque  v.  69,  63  u.  a. 

Über  die  Form  boin  Nr.  1  16,  V  6  vgl.  Neumann  S.  44. 

Über  em  statt  en  siehe  Anm.  zu  Nr.  2  II  5,  über  trovaisse,  chas- 
caisse  Anm.  zu  Nr.  4  Uli. 


Nr.  1. 
I.  Ensikechil  ki  cuevre  sa  pesanche 
et  son  deshait  entre  ses  anetnis 
per  cou  ke  mains  len  aient  en  viltanche, 
me  fais  ie  liesquant  phis  sni  dire  espris; 
et  canc  per  cou  ke  chascun  soit  avis 
kil  ait  ens  moi  aucune  boine  estanche, 
kern  assasses  recuevre  plus  damis. 

1 .  AI  A3  ausi  com  eil.    pesance.  — 

2.  AI    A3  meschief;    F2    annemins.    — 

3.  Fl  F2  me  tiegne  on.  AI  viltance. 
F2  vitance.  —  4.  AI  A3  fais  beau 
saniblant  la  (A3  ou)  plus  ...  Fl  em- 
pris.  —  5.  F2  Ba  chant,  Fl  chans.  A3 
et  tout  pour  ce  qua  chascun.  Fl  F2 
a  chascun,  B«  chescun.  —  6.  Ba  que 
iaie.  A3  F 1  B«  en,  F2  an.  F2  ait 
fehlt.    AI  estance.  —  7.  F  1  cons  asezeis 

It.   Dune    cose    fönt  dami's   grant 
enfanche, 
ades  culdent  ke  li  lor  valent  pis ; 
ains  ke  ma  dame  meust   en   sa  pois- 

sanche, 
li  fu  vaillans  asses  a  son  avis  ; 
et  quant  el  et  mon  euer  laciet  et  pris, 
si  li  fu  vis  ke  noi  point  de  vaillanche 
per  cou  kel  mot  del  tot  a  son  devis. 


1.  Fl  fait  dame,  F2  fait  feme.  AI 
enfance.  —  2.  AI  ases.  AI  A3  dient 
des  lor  kil  (A  1  ki).  Ba  vaillent.  F  1  F  2 
li  siens  valle.  F 1  F  2  cuide.  —  3.  A  1  A  2 
eust  sor  moi  poissance.  F  2  sa  fehlt.  — 
4.  A3  assez  vaillanz.  Fl  F2  Ba  estoie 
ieu  vaillans  a  sien  avis.  —  5.  B«  mes 
puis  kelle,  F 1  et  des  kelle,  F2  et  puis 
kelle.  A3  Zeile  5  u  7  umgestellt.  AI 
A3  mot  de  tot  (A3  du  tout)  a  sei  con- 
quis.  —  6.  Fl  F"2  li  fut  avis.  Bnlisem- 
bla  il.  Fl  not,  F2  no.  F2  poissance, 
A  1  vaillance.  —  7.  F  2  puis  quelle,  F 1 
quant  eile,  Ba  des  quele.    Fl   plaixir. 

III.  Je  nos  pas  dire  ke  ioutraissoie, 
tant  ai  ens  li  et  apris  et  trove; 
et  si  ne  quic  ke  iamais  ferne  croie, 
se  de  chesti  mon  euer  avoie  hoste, 
je  proi  a  dieu  ki  li  doinst  carite 
dun  si  loial  ami  com  ie  seroie 
se  ie  trovaisse  ens  li  la  loiaute. 

1.  A3  trasis  (trahis?).  Fl  F2  ie  ne 
dis  (F2  di)  pais  (F2  pas)  ke  iou  en- 
gingnies  (F  2  angignies)  soie.  —  2.  A  3 
en  li,  Fl  a  li  apris  et  esgairde.  —  3.  A3 
Fl  F2  cuit,  iamaiz  (x).  F2  fehlt  si. — 
4.    A3    ceste.    —    5.    A  3    que    il  doint 


166 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 


chierte.  Fl  F 2  et  norporcant  deus  li 
doinst  volenteit  (F2  volante).  —  6.  A3 
que  ie  seroie.  Fl  F2  amin.  —  7.  A3 
Fl   F 2   trouvoie,  en   (F 2  an). 

IV.  Molt  par  est  faus  ki  ne  cache 

sa  proie 
ki  de  lataindre  a  forche  et  poeste. 
ia  vie  tel  ior  se  cachaisse  la  uioie, 
ieusse  tost  ataint  et  achieve. 
Je  ne  tieng  pas  chelui  a  bien  sene 
ki  de  sa  dame  refuse  sa  ioie, 
ke  ferne  a  tost  son  coraige  mue. 

I.Fl  mult  est  eil  folz,  chaisce.  F  2 
je  ting  a  fol,  chasse.  Ba  eil  est  bien 
fox.  AI  chaee.  —  2.  Fl  F2  del  re- 
covre.  A 1  force.  B  a  assez  poetey.  — 
3.  AI  chascaice.  A3  Ba  vi.  Fl  iai  fut 
teils  iors  se  chaisse  la  moie  unvollstän- 
dig. F2  chasaise,  Ba  chacesse.  —  4.  F  1 
F  2  recovreit.    B  a  mon  voloir  achevey.  — 

5.  A  1  celui,  —  6.  A3  Ba  grant  ioie.  Fl 
F2  samie  respite.  —  7.  AI  A3  car. 
B«  fame. 

V.  Tel  hoine  ia   ki  done  a  la  foie 
a  son  hoste  et  rent  cou  kil  li  doit 
por  cou  ke  plus  le  nieche  ens  la  folie 
et  si  de  plus  dechevoir  le  porroit. 
ausi  a  fait  ma  dame  a  son  endroit. 
kele  me  fut  de  boine  compaignie 

de  chi  adonc  ke  decbeu  mavoit. 

1.  F  1  niains  en  i  ait,  foiee,  F2feiee. — 

2.  AI  kil  i.  Fl  tant  plux  kil  ne  doit. 
F2   Ba  rant  (rent)  plus  quil  ne  doit. — 

3.  Ba  mieuz,  A3  Fl   F2  B«  mete.   — 

4.  AI  A3  se.  AI  la  porroit.  FlF2Brt 
engingnier  (angignier)  lou  voldroit  (vodroit, 
voudroit").  —  Fl  F2  B«  ensi  (autel, 
ausi)  fist  moi  ma  dame  en  j.  endroit.  — 

6.  FlF2A3Brt  bone.    A  1  A  3  ele.  — 

7.  AI  de  si  atant.  Fl  F2  tant  kelle  uit 
(sot)  kengingnier  me  voldroit  fporoiti. 
B  a  sot  que  suen  quite  mavoit. 

VII.  Tant  ai  ame  fine  amor  et  mamie 
ke  nus  fors  deu  ma  dolor  ne  croiroit, 
lionkes  ne  fu  si  boine  amor  perie. 
sele  me  dit  kele  mamie  soit, 
maintes  fois  ai  pense  kele  mamoit. 
mais  or  vui  bien  kele  ne  maime  mie ; 
car  ele  rit  quant  plus  me  voit  destroit. 

Im  ganzen  nach  V>  n.  I.Fl  amors 
et  ma  uie.  —  2.  F2  creroit.  —  3.  Fl 
ne  ains:    F2  ne  iamais  niert-  —  4.  Fl 


Celle  ne  dist.  F2  sencor  ne  dist  quelle 
mamies  soit.  —  5.  F 1  iai  mainte  fois  pan- 
ceit.  —   7.  Ba  F2   quelle  se  rit. 

VI.  Canchon  de  li  sele  ma  en  vilte 
kencor  saperchevra  ke  ie  foloie 
quant  des  autres  saura  la  verite. 
quoi  kele  mait  a  son  tort  ohlie, 
si  lamerai  tos  iors  se  tant  vivoie; 
car  ie  nai  euer  ke  dune  volente. 

1.    AI   chancon,    A3   chancons  di.   — 

2.  A 1  seperchevra.  A3  F2  sen  repen- 
tira  quele  foloie,  F  1  folie.  —  4.  A  3  que 
quele.  —  5.   A  3  touz  iours. 

Nr.  2. 

I.  Encor  ferai  une  canchon  perdue 
puis  ka  perdre  sont  atorne  mi  cantt 
konkes  ne  fis  canchon  ens  mon  vivan. 
dont  merite  me  soit  encor  rendue. 
nainc  de  canter  damors  miex  ne  me  fu, 
mais  par  espoir  eheste  aura  tel  vertu 
ke  des  autres  me  rendra  la  droiture. 
si  mec  sans  plus  ehest  cantenaventure. 

I.  AI  chancon,  encoir.  —  2.  AI  A3 
a  perte.    A  3  tuit  torne.     A  1    chant.  — 

3.  A2  canchons  ne  fis.  Bö  B2  quainc 
nies,  B 1  B  3 «  quainz  mes.  —  4.  B  2 
que,  nen  tust.  Fl  merites,  randus.  — 
5.  B  1  F  2  &  nainz.  B  a  nonques  por  chant. 
A  2  kain  de  canter  daniour.  Fl  F  2  a 
ne  de  ...  AI  chanter.  Fl  moins,  F2ö 
mains.  A 1  ne  men.  —  6.  B2  et  par 
espoir.  F2b  mais  se  dex  piaist  ceste  ..  . 
AI  ceste.  —  7.  A2  mi.  ß«  ma  droi- 
ture.—  8.  Al'I  Sans  plus  metrai,  Ba  met 
rai.  Fl  F2  san  met.  Ba  B&  Bl  B2 
B  3  n  B  3  i  cest  chant  sanz  plus. 

II.  Raisons  seroit  puis  ke  dame  est 

vencue 
ke  on  conquiert  ausi  come  en  tirant, 
kele  refust  male  a  perdre  ensemant. 
car  quant  on  cuide  avoir  sa  loial  drue, 
sa  on  mout  tost  empoi  deurc  perdu 
cou  dont  on  a  tant  mal  trait  et  eii; 
sest  grans  dolors  quant  la  ioie  ne  dure 
dont  on  sostient  tante  paine  et  endure, 

1 .  B  ffl  bien  fuat  raisons,  B  i  B  1  B  2 
B3a  B3b  Fl  F2  bien  sera  droiz  (B  1 
B2  droit).  —  2.  A2  qi.  Ba  quainsi  coH 
len  la  conquiert  en  tirant.  \M)  Bl  B2 
B  3  a  B  3  6  ausi  conme  on  la  conquiert  en 
tirant.    Fl  F2  ensi  com  hom  (F 2  ausi 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 


167 


com  hons")  la  conquiert  en  proiant.  — 
3.  B«  fust,  autresiment.  Bö  Bl  B2 
B  3  «  B  3  b  resoit.  F  2  J  refnst  gries  a.  F  1 
F2  ausiment.  —  4.  Bn  car  fehlt.  B3« 
quant  fehlt.  F  1  F  2  mais  quant.  —  5.  A  2 
tost  eni  poi  fehlt.  A  3  si  a  on  tost.  B  n 
sa  Ion  dou  tout  en  .. .  BJBl  B2B3« 
B  3  6  si  la  cuide  on  (B  1  on  fehlt)  mout 
tost  avoir  (B  2  B3a  avoir  mout  tost) 
perdu.  Fl  F  2  ö  si  lait  on  tost  en  .. . 
F2rt  si  lat  sitost  an...  —  6.  B«  lonc 
temps  mal  trait  eu.  B&BlB3rtB3& 
tant  (B3&  si)  lonc  travail  eu.  B2  eu 
lonc  tamps  travail.  F  1  tante  grant  poenne 
eue.  F  2  maint  grant  anui  eut.  —  7.  A  2 
F  2  grant  dolour  est.  B  a  granz  pechiez. 
Fl  ke  la  ioie.  Bö  Bl  B2  B3«  BSö 
F2a  peu  dura.  —  8.  A2  de  coi  on  a. 
BrtBöBlB2B8«B3öFl  F2  sueffre. 
B  a  max  et  endure.    A  1   tante  paine. 

III.  Grans  dolors  est  quant  cou  ki 
plus  niagree 
mestuet  plus  tart  ke  lautre  gent  veoir. 
jou  ki  tot  voi  le  monde  a  niou  voloir 
et  de  la  riens  el  monde  kai  plus  amee 
me  covient  estre  sauvaiges  et  eschis. 
si  ke  trop  doc  con  nel  saiche  a  mon  vis 
cou  ke  ie  pens  de  li  ens  mon  coraige 
quant  ie  regart  son  tres  simple  visaige. 

1.  A  1  amaiges  mest,  BöBl  B2  B3« 
B 3  ö  A  2  A3  damages  est  (A  2  A  3  mest). 
B «  Fl  F  2  graus  dolors  est.  B  a  de  ce 
que.  Fl  ke  ce  ke.  —  2.  B«  covient 
plus  tart  de  lautre  gent.  B2  me  seult 
plus  tost  dez  autrez  gens.  A  2  de  lautre 
gent.  BöBl  B3aB3ö  des  autres  genz. 
Fl  F2  ne  peut  nuls  bons  a  son  plaisir 
ueoir  (F2  avoir).  —  3.  Ba  diex  ie  voi 
tout  le  monde.  B2  ie  qui  tos  sui  du 
tout  a  son  voloir.  F 1  et  sai  ge  tot  le 
siecle  amon  voloir.  F2  que  ie  voi  tout 
lou  siecle.  BöBlB3aB3öse  mont.  — 
4.  A2  riens  vivant.  F2&  et  de  rien  que 
iai  plus  enameie.  F  1  del  mont  ke  plus 
niagree.  BöBl  B2  B3a  B3ö  qui  pluz 
magree.  —  5.B«F1  F2«  mestuet.  Bö 
Hl  B  2  B  3  «  B  3  ö  moi  couvient.  A  1  A  3 
Bö  Bl  B3ß  B3Ö  estre  et  sauvaige  et 
eschis.  B  2  et  saluage  et  escbit.  A2  B« 
Fl  F2rt  estre  sauuaies  et  eschis.  F2ö 
estre  saluaige  et  eschis.  —  6.  A  2  A  3 
dont.  B«  que  tant  redout  con  conoisse 
a  mon  vis.  F 1  ceu  devroit  eile  hien 
cognoistre  a  mon  vis.  F2  et  se  devroit 
bien  conoistre.  Bö  B  1  B  2  B  3«  B3  ö  tant 
dout.    A  1  saice.  A  1  douc.  —  8.  A  1  som. 


IV.  Se  toute  amors   ne  rent  autre 

saudee 
a  tot  le  mains  fait  ele  miex  valoir 
ceaus  ki  aimentde  cuersans  dechevoir; 
ne  ia  lamors  niert  si  desesperee 
ke  on  nen  soit  mieudres  et  plus  iolis, 
et  puis  kamors  lor  done  los  et  pris, 
iel  tieng  a  sen.s  ki  kel  tiengne  a  folaige 
cou  dont  on  est  plus  vaillans  par  usaige. 

1.  A  2  amour.  BöBlB2B3«B3ö 
F2Ö  se  done  amors,  autres  soudees.  Fl 
se  fine  amor.  —  2.  Bö  Bl  B3«  B3ö 
eutout  le  miüns  endoivent.  B2  adont  le 
miex.  F 1  si  fait  eile  vers  aniours.  F2 
ce  (F2Ö  si)  fait  eile  vers  amoins.  — 
3.  B2  que  hons  qui  ainme.  B3ö  de  euer 
fehlt.  —  4.  Bö  desespee  (der  Strich 
durch  p  ist  vergessen).  B  3  ö  la  mort  (!).  — 
5.  A  2  quon  ne  soit.  A  3  nieilleur.  B  a 
Bö  Bl  B2  B3rtB3ö  en  son  euer  plus 
iolis.  —  6.  F2a  et  des  camors.  A3  se 
dounent.  Ba  Fl  F2  nos  a  trait  ioie  et 
pris.  Bö  Bl  B2  B3«  B3ö  nos  aioie 
pramis.  —  7.  AI  ie  ting,  ki  ke.  Ba  que 
quou  tiegne.  —  8.  A3  ce  done,  Fl  F'2 
muels  vaillans. 

V.  Pechie  fait  diex  ki  consent  felonie 
cheli  dont  tos  li  mons  est  envieus, 
et  ma  dame  me  tient  por  annie.x 
quant  ie  li  proi  por  dieu  ke  ne  mochie. 
ahi  simple  de  vis  et  bien  parlans, 
dorgueillcjs  euer  et  damoros  samblans. 
com  mal  senible  ki  voit  vo  boche  rire 
ke  si  saichies  asprement  escondire. 

1.  Bö  B2  Bl  B3a  B3Ö  eil  ki.  Fl 
F2Ö  Sil,  F2rt  si.  Fl  F2  velonnie.  — 
2.  AI  cell,  A3  F2a  cele.  Bö  Bl  B2 
B3a  B3Ö  celui  sor  qui  eist  nions  (B2 
malz)  est  coueuteus.  —  3.  Bö  Bl  B2 
B3aB3öF2ö  car,  F  1  maix,  F  2  a  can. 
Ba  angoisseus.  —  4.  BöBl  B2  B3a 
B3öetsili.  BaBöBlB2B3«B3ö 
Fl  F  2  pri  merci  que  ne  mocie.  A  1 
mocie.  —  5.  Bö  Bl  B2  B3a  B3ö  ahi 
sage  cortoise  (B3n  cortoise  sage)  et  bien 
parlant.  Ba  F2ö  biau  parlauz.  F 1  de 
biaulz  parlans.  F  2  a  ai  simple  vis  et  biaus 
parlans.  A3  vis  et  ...  (Lücke  bis  ans 
Ende).  —  6.  BaBö  BlB2B3aB3ö 
Fl  F2  semblant.  —  7.  Bn  Fl  F2  com 
mal  semble  qui,  A  1  A  2  com  il  pert  poi. 
Bö  Bl  B2  B3a  B3Ö  maupert  a  vos.  — 
8.  BöBl  B2B3a  quen  si  sachiez  crual- 
ment.  Ba  Fl  F2  B3ö  si  sachiez.  F  2  ö 
Sache.    AI   A2  sachiez  si. 


168 


Die  Liecler  des  Hugues  de  Bregi. 


VI,  A  Saint  Denise  envoierai  nion 
cant 
liugon,  ki  soit  de  ma  ioie  ioians. 
quant  ie  laurai  kencor  ne  lai  ie  mie. 
nonkes  nen  eu  fors  enuit  et  consirre. 
mais  ie  sui  si  de  li  perdre  doutans, 
ie  nen  puis  mais  car  ele  est  si  vaillans 
ke  tous  li  nions  la  eovoite  a  amie; 
mais  ie  sui  cils  ki  sor  tous  la  desire. 

Nach  Fl.  1.  F2  morise,  Fl  F2 
chant.  —  2.  F2a  quil  soit.  —  3.  F2ö! 
ancor.  —  4.  F  1  ou,  F  2  oi.  A  1  consire.  — 
b.  Ba  F2  et  si  ie  suis  de  vos  perdre 
doutans.  Fl  suis.  —  6-  Ba  F2  que  tant 
estes  vaillans.  Ba  nest  mervoille.  — 
7.  F2  que  vos  poieis  port  tout  amis 
(F  2  6  toz  amanz)  eslire.  B  a  que  bien 
poez  por  tot  ami  eslire.  —  8.  F2a  sor 
tot.    F2  Ba  vos  desire. 

Nr.  3. 

I.  Nus  hom  ne  sait  dami  kil  puet 
valoir 
declii  adonc  kil  la  del  tot  perdu; 
mais  quant  il  voit  son  daniaige  aparoir, 
donc  aprinies  dist  il  ke  mar  i  fu. 
encor  ne  ma  ma  dame  coneu : 
quant   giere   mors,    donc   porra   bien 

savoir 
ke  pert  dame  ki  pert  son  loial  dru. 

I .  F  2  kar  nulz  ne  seit  damin  ki,  F  1 
damin  kil.  A  1  set  damis  ki.  —  2.  A  1 
B  6  B  1  de  si.  A  1  B  4  adont,  B  2  atant, 
B  a  addonc.  D  iuqua  ce  jor,  F 1  iusca 
loure,  F2  juscai  cel  jor.  AI  B2  a.  D 
a  tres  tout,  B  4  que  il  a  tout.  — •  3.  B  a 
quant  len  voit,  B  4  et  quant.  B  1  B  6  Ie 
damage.  —  4.  A  1  dont.  Bl  Bi  adonc 
primes.  B  2  lors  primes,  B «  Fl  adont 
dit  il  elais  (he  las  B«)  tant  (com  Ba). 
B4  F2  lors  se  complaint  et  dist  tant. 
D  dont  dit  il  primes  ke  mar  li  fu.  — 
5.  B&  Bl  noncor,  queneu.  —  6.  F2 
maix  quant  ie  t  mors.  B2  ie  iere.  D 
Fl  serai.  AI  F2  dont,  Fl  adon,  B« 
B4  D  lors.  D  aura  bien  seu.  —  7.  B2 
que  dame  pert  quant.  F 1  ki  dame  pert 
ke.    —  F  2  kavient  dame  kant  pserit. 

II.  Onques  de  li  nacompli  mon  voloir, 
se  ne  ma  pas  per  cou  encor  recreu ; 
ains  ferai  miex  por  samor  mon  pooir 
conkes  ne  fis  se  tout  ma  dccheu. 
car  ainc  noi  parier  dome  vencu 

ki  grant  honor  peust  apres  avoir: 
por  cou  voll  miex  morir  desous  lescu. 


1.  F2  orkes  damors.  —  2.  Bn  B5 
Bl  B2  D  mes.  B4  ne.  Baportotce, 
Bi  pour  ce  tout.  Bl  tot  por  ce.  D  ie 
ne  sui  pas  por  ce  recruz.  F  1  ne  seux  paix 
eincor  por  ceu  recreus.  F2  ne  jai  por- 
teu  nan  serai  recreus.  B2  retenu,  B4 
detenu,  AI  j-ecreu.  —  3.  B4  si.  F2 
servirai  ma  dame  an  bonne  foyt.  B  2  ferai 
plus  tout  por  samor  avoir.  D  por  faire 
mon  pooir.  B  4  de  samor.  —  4.  B«  B5 
quainz  mes,  B 1  quant  mes,  B  2  que 
onques.  A  1  fist.  B  4  ce  quor  ma  deceu, 
F  1  ki  tant  seux  deeus,  F  2  plux  loial- 
ment  conkes  ne  feist  nuls.  —  ö.  B  ö  B  1 
D  F  1  F  2  conque.s,  B  a  onques,  B  4  non- 
ques,  B2  ainz.  B4  paller.  —  6.  Fl  F2 
ke.  F 1  pues  peust  mult  grant  honour 
avoir.  B  4  D  qui  apres  ce  puist.  B  2 
puis  recevoir.  —  7.  D  vaut.  F2  aius 
(=  amo).  F  1  valt.  B  1  desor,  B  4  deseur. 

ni.  Morir  voil  bien   quant  damors 
Ie  requier; 
puis  kele  ma  deus  fois  ou  trois  menti, 
ne  promesse  ne  mi  puet  preu  aidier 
ne  desormais  ni  valent  riens  chasti, 
et  mult  me  doc  ke  nait  fait  autre  ami. 
bien  vausisse  por  issir  de  dangier 
estre  sans  iex  quant  ie  premiers  la  vi. 

1 .  D  or  ne  viauge.  F  2  Bien  doi  morir. 
F  1  morir  cuit  bien.  B  2  melz.  B  «  B  i 
ie,  gie.  Ba  Bb  Bl  B4  D  Fl  F2  da- 
mors, AI  B  2  danier.  A  1  Ie  requier, 
D  F  2  la  requis,  BrtB6BlB2DFl 
la  requier.  —  2.  D  et  ele  ma.  F 1  celi 
ki  mait.  F  2  dous  fois  ou  trois  et  eile 
mait  mantit.  —  3.  B2  promesses,  puent. 
F  2  hials  parleirs,  F  1  prometres.  B  6  B  1 
B2  Fl  F2  riens,  B«  mes.  B4  volut 
aidier.  D  F  2  valoir.  —  4.  B 1  ne  de- 
sormais ....  B2  de  ces  maus.  Fl  vaut 
nians  chaisti.  B  4  mi  chasti.  —  5.  B« 
BZ»  B  1  D  inl't  sui  dotant  (D  douteus). 
B  2  mont  me  dout.  B  4  F 1  kar  trop 
(F  1  tant)  redout.  Ba  Bb  B  1  D  qele 
nait  autre  ami.  —  G.  D  ie  vosisse.  B4 
miex  amasse.  Fl  dongier.  —  7.  B6  Bl 
B  2  primes. 

Statt    der   letzten  vier  Verse  hat  F  2 : 
car  trop  redous  lou  felon  euer  de  li; 
riches  est  asseis  mais  poc  ait  demeircit, 
et  non  por  kant  bien  mi  puet  revaloir 
plus  an  un  iour  comne  puest  deservir. 

IV.   Porquoi    me     fist    onques    au 
comenchier 
samblant  damors  quant  orniocliistainsi; 
t 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 


169 


chil  cui  ie  loi  chascun  ior  tant  proisier, 
ne  saivent  pas  le  felon  euer  de  li. 
large  davoir  et  tenans  de  merchi, 
par  qiiel  raison  me  faites  repairier 
ia  dont  ieuc  pres  mon  coraige  parti. 

1 .  B  2  donques  me  fist.  Fla  comen- 
cier.  2  B6  Bl  damer.  B2  puls  que. 
AI  ocist.  3.  AI  eil  qui.  B4  ceus  que 
ie  voi.  B6  El  D  Fl  lo.  Bl  B2  B& 
prisier.  BaD  Fl  prisier.  B4  prier.  D 
tant    forment     (fehlen    zwei    Silben).    ■ — 

4.  A  1    sevent.     Ba  Bö  Bl    iugent.    — 

5.  Bb  larges.  Ba  Bl  B4  D  Fl  tenant. 
B2  tant.  B2  mercis.  —  6.  B«BöBl 
D  porquel  forfet  me  fet  la  (B«  el)  re- 
perier.  F 1  ne  faites  avancier.  —  7.  B2 
ce  dont.  D  dont  ie  ai  primes.  Ba  Bb 
B 1  B  2  iai.  B  4  iai  ia.  F  1  ceu  dont 
ne  puis  mon  coraige  partir. 

Va.  Puis  ke  ie  sui  de  li  veoir  eskis 
ne  ie  ni  puis  droite  ocoison  trover 
par  quoi  ie  puisse  raler  en  son  pais 
ne  son  gent  cors  veoir  ne  esgarder, 

b.  se  li  pleust  ke  iosaisse  parier 
de  mes  dolors  a  un  de  mes  amis, 
che  mi  peust  aucun  consell  doner. 

1.  AI  suis.  Bö  de  li  veoir  sui  sou- 
vent  esbahis.  D  de  voir.  —  2.  Ba  D 
ne  (für  ni).  AI  autre  (F 1  nulle)  ocoi- 
son. Bi  Bl  reson,  B2  voie.  —  3.  B  a 
B 6  B  1  por,  F 1  per.  AI  Ba  Bb  B 2 
Fl  aler.  Bl  en  son  pais  aler.  —  4.  B  1 
nesgarder,  B2  ni  esgarder,  D  eschever, 
Fl  remireir.  —  5.  B«  sele  vousist,  D 
sele  voloit,  Fl  sele  plaisoit.  B2  alaisse, 
A  1  iosasse.  —  6.  Ba  de  raa  dolor  aucun. 
D  a  nus.  —  7.  Ba  D  qui.  F 1  se  me 
poroit  de  mes  mals  conforteir.  B  a  E  2  D 
confort. 

Via.  Abi  plaisans,  ne  vos  puis  oblier, 
ains  i  morrai,  ia  nen  aurai  mercbis, 
cou  ke  ni  est,  ne  puet  on  pas  trover. 

b.  iamais  raerchi  ne  vos  cuidai  crier, 
mais  or  la  cri  a  guise  dorne  pris 
ki  ne  se  puet  par  forcbe  delivrer. 

1.  B2  D  hai,  F 1  ai  B2  plaisant. 
AI  oublier.  —  2.  AI  tos  i  morrai,  ia 
ni  venra  m.  B2  me  mourrai,  ia  ni  verrai 
merci.  Ba  D  por  vos  morrai.  D  ni 
aurai.  F  1  aureis.  —  3.  B  2  ce  quil  ni  a. 
Ba  D  ce  qui  ni  est.  Fl  Ion.  —  4.  D 
cuidais.  F 1  roveir.  —  5  D  mais  ie. 
AI  proi,  Fl  quier.  —  7.  F 1  per.  AI 
force. 


Vlla.    Quant  ie  cuic   tout   vers    li 
avoir  conquis 
et  ie  sui  la  ou  ie  fui  des  lautrier, 
ainsi  noe  maine  amors  de  mal  en  pis, 
car  ie  retour  quant  cuic  avant  aller, 
b.    tant    ai    chachie,     bien    deusse 
achever, 
mais  ainsi  niest  destine  et  promis 
ke  ia  nus  biens  ne  me  venra  damer. 

1.  D  cuit.  —  3.  D  ainsis.  —  4.  D 
cuit.  —  5.  D  bien  cuit  avant  aller,  cba- 
cie.  —  6.  D  ainsis.  Bl  Bb  issis.  — 
7.   D  ventra.    Bl    sera.     D  nul  biens. 

F  2,  ein  handlicher  Liederband,  wahr- 
scheinlich Eigentum  eines  Jongleurs, 
enthält  folgende  zugedichtete  achte 
Strophe,  deren  liederlicher  Bau  auf 
spätere  Abfassung  schliefsen  läfst: 

Li  ians  ne  puet  trop  bien  son  cors 
gardeir, 
grans  perils  est  daleir  pair  le  pays 
sil  nait  un  chant  cant  il  vient  a  losteil, 
faillis  li  est  et  li  pains  et  li  foins. 
lors  li  covient  grans   mesaixes   sofrir 
par  ospitals   par   fornaxes   gehet  be- 

zoigne  avoir 
et  griefs  mals  andureir. 

1.  Lücke  ians.  —  3.  nait  u,  jant  cant 
il.  —  4.  et  li  oins  (soins  ?). 

Nr.  4. 

L  Sonkes  nus  hom  por  dure  departie 
ot  euer  dolant,  dont  Iai  jou  par  raison, 
conkes  torte  ki  pert  son  compaignon, 
ne  fu  un  ior  de  moi  plus  esbahie. 
chascuns  plore  sa  terre  et  som  pais 
quant  il  se  part  de  ses  coriaus  amis. 
mais  il  nest  nus  congies  quoi  ke  nus  die 
si  dolerex  com  dami  ne  daniie. 

1.  F2  nuns.  —  2.  B 1  out,  AI  A2 
eut.  Ba  Bl  B3a  B3J  ie  laurai.  Fl 
F2  pout  (pot)  estre  saus  ieu  (io)  serai 
per  raixon.  —  3.  B«B1  B2  B3«  B4 
onques  tuertre  (tourtre,  tortre,  turtre). 
Fl  F2  B3  6  torterelle  ke  (qui).  —  4.  F  1 
F2  B2  ne  fut  onkes.  Ba  B2  B3«  ne 
remest  ior  (B  3  6  remet),  B  4  ne  remaiut 
iour.  —  5.  A2  cascuns,  tere.  —  6.  A  1 
A2  se  depart  (ohne  pron.  subj.).  AI  A2 
carnex  (carnels),  B2B4  coreus.  Fl  ces 
coraus  amins.  —  7.  BoBl  B3«B3ö 
B4  mes  nus  partirs  (B 1  B3a  partir) 
sachiez  que  que  nus  die.  —   8.  Ba  Bl 


170 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 


B3a  B36  B4  nest    dolcreus.    F2    dele- 
rous,  F  1   tandelereus.    F  1   F  2   damin. 

II.  Li  reveoirs  ma  mis  ens  la  folie 
dont  ie  me  fui  gardes  mainte  saison; 
daler  a  li  or  ai  quis  ocoison 

dont  ie  morrai  et  se  ie  vif,  ma  vie 
vaura  bien  mort;    car  cbil  ki  a  apris 
estre  envoisies  et  cantans  et  iolis 
a  pis  asses  quant  sa  ioie  est  fenie 
ke  cbil  ki  mueit  tot  a  uue  foie. 

1 .  A  2  recenoirs,  B  1  revenir,  B  a  re- 
voier.  Fl  en.  —  2  AI  ie  ne,  A  2  sui, 
Ba  El  B3aB3&  niiere  gardei;  (B  l 
garde),  B  2  mestoie,  F 1  estoie,  F  2  mas- 
toie,  B  4  iavoie  garde.  Fl  B  2  longue 
saixon.  —  3.  Fl  F2  de  li  veoir  ai  quise 
(F"2  or  ai  quis)  lochoison  (F  2  ochoison), 
AI  A2  et  (A2  ni  (luise  aquoison),  Bl 
B3a  lacheson,  B3i  la  chaison,  B«B4 
lachoison.  —  4.  Ba  B3a  B3i  se  ne 
muir,  B2  se  ie  muir.  —  5.  Fl  varait, 
F2  varai.  Fl  F2  ke  eil.  A  1  a  (  r-  il  a) 
fehlt.  B36  apris  a.  —  6.  BaBlB3« 
B4  a  estre  liez  renvoisiez.  B2  B3& 
liez  et  renvoisiez.  A  1  chantans.  —  7.  F  1 
F  2  vault  ( vautl.  B  «  B  1  B  2  B  3  «  B  3  & 
a  assez  pis.  B4  assez  a  pis.  AI  et  sa 
ioie.  A2  Bffl  Bl  B2  B3«  B3Ö  B4  F2 
faillie.  —  8.  Ba  B2  B3«  B3i  Fl  F2 
que  sil  (Fl  F2  eil)  muroit  (B3  6  mor- 
ruit,  Fl  moraitj,  Bl  que  eil  morist,  B4 
que  sil  niorust.  A  1  tote,  B  2  toufe.  A  2 
feie,  F2  foiee.  Ba  Bl  B2  B3«  B3i 
haschie. 

III.  Se  iou  seusse  autre  tant  a  len- 

prendre 
ke  li  congies  me  tormentast  ainsi, 
ie  laissaisse  lame  en  vostre  merclii, 
salaisse  adieu  gras.sesetmercbisrendre 
de  cou  conkes  consentistes  nul  ior 
ke  ie  fuisse  baans  a  vostre  amor. 
Mais  ie  nie  tieng  a  paiie  dcl  atcndre 
puis  ke  chascuns  vos  aime  ainsi  sans 

prendre. 

1.  lAa  B3«  ie  fehlt.  B«  de  premiers. 
AI  a  reprendie.  Fl  F  2  a  tant  a  la 
creux  (crex)  prendre  (prandre).  — 2.  F2 
jci.  —  3.  Ba  Bl  B3rt  B3  6  3  2  3  4 
jeusse  (B2  seusse)  mis  (B«  mise)  niame 
(B4  ma  vie).  Fl  F2  ie  meisse  (muixe) 
ma  vie  en  vo  (vos)  nierci.  —  ö.  Ba  31 
B  2  3  3  «  B  3  i  ainz  (3  2  ainc,  3  3  6  ains), 
a  nul  4or.  A2  3  4  deignastes.  Fl  F2  ne 
li   deservi    ior    (F2  nul  ior  ohne  li).  — 


6.  3«  32  34  Fl  F2  beans  (3«  3  4 
beanz).  —  7.  3«  Bl  B3a  BBb  34 
men  (34  me)  tieng  bien  (fehlt  3a)  paiez 
(3  4  poiez)  a  latendre.  AI  F2  paiet. 
A2  tiens.  32  a  lentendre.  Fla  paies 
a  latandre.  —  8.  BaBl  33a33634 
si  Sans.    3  2   F^  1   F2   sans  mesprendre. 

IV.  Mout    a    croissies    amorous    a 

contendre 
daler  a  dieu  ou  de  remanoir  chi ; 
car  nesuns  houi  puis  kamors  la  saisi, 
ne  devroit  ia  si  grief  fais  entreprendre. 
on  ne  puet  pas  servir  atant  signor 
por  cou  ke  fins  cuers  ki  bet  a  haute 

honor 
ne  sc  porroit  de  tel  cose  deffendre. 
por  (.ou,  dame,  ne  men  devez  reprendre. 

1.  A  2  Tout  a  croissies.  —  6.  A2  proet 
que.    AI    por  ke.   —   7.   A2   desfendre. 

V.  Ahi,  dame,  tos  sui  hois  de  ba- 

lanche: 
partir  mestuet  de  vos  sans  recovrier, 
tant  en  ai  fait  ke  ie  nel  puis  laissier; 
mais  sil  ne  Tust  de  remanoir  viltanche 
ou  reproviers,  iaiaisse  demandier 
a  vos,  dame,  congie  de  demorier. 
uiais  vos  estes  de  si  tres  grant  vail- 

lanche 
ke  vostre  amis  ni  feroit  ia  faillanche. 

1.  Ba  Bl  32  33«  B3ö  34  par  dieu 
amors  (3  2  3  4  amours).  Fl  F2  douce 
dame.    A  1  A  2    tot  (tout)  est.    A2  fors. 

31  B3a  33  6  B4  tot  (touti  sui.  Fl 
tout  tens  fors  de  beance.  F2  tout  ai 
fors  de  beance.  AI  balance.  —  2.  Fl 
de  vos  partir  etc.  3a3lB2  33aB36 
3  4  F' 2  demorer.  —  3.  AI  ie  ne  puis. 
3  1  ne  puis  plus  demorer.  34  que  ne  puis 
demorer.  Ba  B2  3  3a  336  ni  (Ba  ne)puis 
plus  arrester.  Fl  F' 2  ke  nel  puis  maix 
laissier.  —  4.  3«  Bl  32  B3a  336 
3  4  F  2  et,  F 1  se.  3  1  del  demorer,  3  2 
33a  336  seiorner,  3  4  du  retorner,  Fl 
dou  demoreir,  F  2  de  demorer.  A 1  vil- 
tance,  A  2  vieutance,  F  1  F  2  vitance.  — 
b.  A2  u  repruvier.  3a  31  33  a  33  6 
et  reproche,  3  4  fehlt  et  reproche,  3  2 
rcprochie.  F"'  1  F^  2  et  reprochiers.  A 1 
demander,  fehlt  Bl.  —  6.  A2  cowgie 
demourer   (eine  Silbe  zu  wenig).    BaBl 

32  33a  336  34  a  madame.  Fl  F2 
as  (a)  tins  amans.  F' 2  congiet.  BaBl 
32  33a  336  B4  du  (Ba  B3«  B36 
de)  retorner.    A  1   demorer.  —  7.  A  1  A  2 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 


171 


car.  Bl  B2  mes  ma  dame  est  de  si 
grant  (B3rt  B3ö  B4  de  si  tres  grant) 
vaillance.  B«  ele  est  voir  Fl  dame, 
de  teil  vaillance.  A  1  vaillance.  —  8.Ba 
BlB2B3aB36B4  qua  son  ami  ne  doit 
fere  faillance  (B2  grevance).  A2  fera. 
F  1  P'  2  amins  ne  doit  faire.    A  1  faillance. 

VI.  Un  confort  voi   en    vostre   de- 
sevranche. 
cou  ke  naurai   a  dieu  ke  reprochiej^ 
niais  quantjporliruecovientvoslaissier, 
oiikes  ne  vi  gi  dure  desevranche. 
car  chils  ki  voit  tele  amor  desevrier 
et  na  pooir  kil  puisse  recovrier 
a  Msses  plus  de  duel  et  de  pesancbe 
ke  nauroit  ia  li  rois  sil  perdoit  franche. 

Nach  Bo.  1.  B4  noftre.  —  2.  B« 
B  1  B  2  B  3  «  que  ie,  B  3  6  que  ia.  — 
4.  B«  dessevrance.  —  5  B4  eil  qui, 
Bl  ke  eil,  B2  ke  cilz.  B«  B3«  B3  6 
car  eil.  Ba  dessevrer.  —  6.  Ba  que 
puisse.  —  7.  B  3  6  vitance,  B«  pesance.  — 
8.  B  4  naroit.    B  a  france. 

'  VII.  A  1.  Mervelles  moi  coment  puet 
cuers  durer 
kl  prent  congie  a  sa  dame  a  laier; 
niais  mandaist  li  de  lombardie  en  france. 
car  Ions  consirs  doble  Ia  desevrance. 

Zwischen  v.  3  u.  4  ist  die  Lücke  an- 
zusetzen. Der  vierte  Kieuzzug  führte 
den  Dichter  nacli   der  Lombardei. 


Nr.  5. 

Ia.  Sonc  tans  ai  servi  em  balanche 
ke  ne  mi  fu  guerredone, 
ains  ai  tout  perdu  par  soff'rancbe 
quant  ma  dame  ne  vient  en  gre. 

b.  or  ni  ai  mais  nule  atendanche. 
ains  en  ai  si  mon  euer  oste 
ke  faire  em  puis  ma  volente. 

1.  A  1  emballance.  —  2.  F  1  F2  kains 
ne  me.  —  3.  A 1  sofFrance.  —  4.  F 1 
F2  kains,  vint.  F2  au  greit.  —  5.  Fl 
poent  datendence.    A 1    atendance. 

IIa.  Ele  est  de  si  haute  vaillancbe 
et  de  si  tres  fine  biaute 
ke  ie  fis  folie  et  enfanche 
quant  li  descovri  mon  pense. 

b.  mais  ses  clers  vis  et  sa  samblanche 
morent  si  damors  embrase 
ke  tot  cuiüai  avoir  trove. 


1.   A  1   vaillance.  —  2.  Fl   grande. — 

3.  AI.   enfance.  —  .5.  F  1   F2  gens  cors. 
A  1   samblance. 

III.  Ens  li  nai  point  desperanche, 
trop  ia  orguell  et  fierte 

et  si  sai  de  voir  sans  faillanche, 
trop  se  fie  en  sa  grant  i)iaute 
et  en  sa  simple  contenanche 
et  tot  son  euer  et  son  pense 
a  encor  en  sa  poeste. 

1.  Fl  maix  poent  de  fiance.  AI  des- 
perance.  —  2.  A3  quar  trop  a.  —  3.  F  l 
de  voir  sans  doutence.  A  1  faillance.  — 
5.  A  1   contenance,  encoir. 

IV.  A  mout  petit  de  sostenanche 
mauroit  ele  resconforte 

et  gete  dire  et  de  pensanche 
DU  jai  si  longuement  este. 
or  me  pert  ma  fole  esperanche, 
ke  cou  ke  iai  tant  desire 
ma  de  tote  ioie  gete. 

Fl:  1.  mult,  soustenence.  ^  2.  eile, 
resconforteit.    —    3.    giteit,    pesence.    — 

4.  esteit.    —    5-    peirt,     esperance.    — 
(j.  ceu,   desirreit.  —  7.  mait,  toute,   giteit. 

Die  fünfte  Slrophe  in  F  1  ist  ver- 
däclitig  durch  den  falschen  Reim  ameir : 

Onkes  amor  ni  out  poussance. 
cest  bien  seu  et  esprovei. 
en  son  gent  cors  sens  mesestance 
ke  tous  li  mons  doit  tant  ameir, 
not  onkes  vilainne  acoentance. 
ains  len  ait  deus  si  bien  gairdei 
ke  mainte  gens  lont  compaire. 

Nr.  6. 

I.  Quant  voi  Ie  tans  felon  rasoagier 
et  lerbre  vert  contre  solell  resplendre, 
lors  canterai  kil  mout  mauroit  mestier 
ke  ma  dame  daignast  son  home  prendre, 
si  mait  diex,  plus  de  richor  ne  quier 
ke  tot  li  bien  del  mont  seroient  mendre 
ke  li  mien  voir. 

ne  ie  ne  puis,  se  ne  mi.veut  entendre, 
grant  ioie  avoir. 

1.  AI  rasoagier  fehlt.  B6  assoagier.  — 
2.  B«B6B3aB3&Fl  lerbe  vert.  AI 
verde.  —  3.  A  1  chanterai.  B6B3«me 
seroit  mestier,  Ba  B35  seroit  mestiers. 
Fl  mauroit  aidiet.  —  4.  BaBiB3a 
B3  6  vousist.    —    5.  B«B&B3«B3& 


172 


Die  Lieder  des  Ilugues  de  Bregi. 


(juen  tout  le  mont.  F  1  plux  richour  ne 
lou  quier.  —  6.  Fl  car.  B  a  B  i  ß  3  a 
B3  6  car  tuit  li  bien  qui  sont.  —  7.  B« 
de  ]\.  —  8.  Bi  B3rt  B3&  je  ne  puis. 
Ba  B  &  B  3  a  sei  ne  me  veut  atendre, 
B  3  6  cele  ne  veut  atendre.    F  1  me  veut 

II.   Las   ie  ne  puis    mon  fin   euer 

Ccistoier 
nen  vers  cheli    nel   puis  daniors  des- 

fendre. 
ke  tous  les  maus   del   mont   nie    fait 

cargier, 
ne  nus  sans  li  nem  porroit  un  descendre. 
si  cruelment  nii  puet  ele  asaier 
kapres    ma  mort    mestuet   les   biens 

atendre 
de  samor  voir, 

ne  ie  ne  puis  se  ne  mi  veut  entendre 
grant  ioie  avoir. 

1.  AI  chastoier.  —  2.  A  1  celi,  nen 
vers  celi  irrtümlich  wiederholt,  Ba  Bb 
B  3 «  B  3  ö  ne  vers  celui  ne  puis.  — 
3.  B3«  B3  6  ki.  AI  del  mont  fehlt. 
B «  ma  fait.  —  4.  Ba  Bb  Bda  BS  l>  ne 
nus  sans  li  ne  men  porroit  defFendre.  — 
5.  Bb  B3a  B36  me  puet.  —  6.  A  1 
F  1   seroit  ma  ioie  mendre.  —  7.  fehlt  A  1. 

V.  Et  eheste  amors  ki  si  fort  me 
confont 
par  mon  voloir  ma  si  pris  sans  faintise 
ke  ien  oubli  totes  cheles  ki  sont 
ne  ia  por  moi  nen  iert  nule  requise. 
diex,  ne  sai  ke  chist  autre  amant  fönt, 
mais  iaim  chesti  ades  par  tel  devise 
si  loiaument 

Sele  mait,  ainc  ne  soc  en  quele  guise 
on  sen  repent. 

1.  A  1  ceste.  Fl  cest,  ke,  onfont.  Bn 
Bb  B3a  B'd  b  iceste,  grief  me  respont. 
B  a  amors,  AI  Fl  Bb  B3«B3i  amor. — 
2.  Ba  Bb  B3b  de  mon  voloir,  B  3 «  de 
son  voloir.  —  3.  B«  Bb  B3a  B36  que 
gen  aim  tant.  —  4.  Ba  Bb  BSa  BSb 
que,  une  requise.  —  5.  B«BiB3«  B36 
las  ie  ne,  eil  autre.  —  6.  B«  Bb  Boa 
B3b  car  iaim  ades  cestui.  B&  par  grant 
devise.  —  8.  F 1  sele  mait,  sou.  BaBb 
B  3  a  B  3  ö  que  je  ne  sai.  —  d.  Ba  Bb 
B3a  B3&  Ien. 

Anm.  Die  Reihenfolge  der  Strophen 
in  der  B-Gruppe  scheint  die  richtige  zu 
sein.  Je  zwei  haben  denselben  Refrain, 
die  letzte  einen  anderen  und  unregel- 
mäfsigen. 


in.  Je  ne  me  seuc  onkes  amesun'r 
damer  cbeli  ou  tos  mes  cuers  sestuie 
nen  vers  autre  ne  vauroie  penser. 
car  ehest  la  riens  ou   li  miens   cuers 

sapuie, 
si  mait  diex;  ia  ne  le  quier  fauser, 
ains  lamerai  coment  ke  me  destruie. 
par  la  merchi 

ke  ien  atent,  ie  naim  rien  tant, 
se  de  moi  ne  senfuie. 

I.Fl  sou.  Ba  Bi  B3a  B3J  poi.  — 
2.  AI  celi.  Ba  B6  B3«  B3  6  a  qui 
mes  cuers  sapuie.  F 1  tous  mes  ieus 
festiue.  —  3.  BaB6B3rtB3ine  vers, 
voudroie.  —  4.  B«B6B3aB3&  a  qui 
mes  cuers  sestuie.  AI  cest.  —  .5.  Fl 
B  «  BbB'3aB3b  la.  —  6.  B  a  B  6  B  3  a 
B3b  comment  kel.  —  7.  AI  Fl  si 
loiaulment.  Ba  merci  —  8.  A  1  F  1  celle 
mait  ainc  ne  sou  .  en  keil  guisse.  — 
9.  AI  Fl  on  se  repent.  BbBSaB3b 
riens. 

IV.  Je  ne  pris  pas  la  ioie  de  ehest 
mont, 
se  ma  dame  ne  piaist  par  sa  franchise 
ke  son  ami  celui  kele  confont 
vousist  un  poi  merir  son  biau  servise. 
lors  averoie  plus  ke  tot  chil  ki  sont, 
car  la  doucors  sen  est  ens  mon  euer 

mise 
si  boinement. 

Sele  ne  mait,  ainc  ne  soc  en  quel  guise 
on  sen  repent. 

1.  Fl  puis  Brt  BbB3aB3b  toute 
la  riens  (B  a  rien)  du  mont.  A  1  cest.  — 
2.  Fl  lou  piaist.  —  3.  F 1  amin.  — 
4.  AI  Fl  doignaist  un  pouc  aligier  son 
martyre.  —  6.  Ba  Bb  B3a  B36  men 
est  (B3b  au,  Ba  ou)  el  cors  entree.  Fl 
B3  a  dousor.  —  7  .Bb  loiaument.  —  8.  Ba 
Bb  B3«  B36  sele  mait.  F  1  fehlt  sou. 
BSb  que  ne  sai  et  coment.  —  9.  Ba 
Bb  B3n   B36  Ien  se. 

Nr.  7. 
I.  En  a venture  ai  cante, 
si  ne  sai  sil  maidera, 
qui  mestier  a  de  sante, 
querre  le  doit  chi  et  la. 
sai  un  novel  cant  trove 
por  asaier  sil  plaira 
ma  dame  ou  on  ma  melle. 
mais  ma  cauchons  li  dira 
la  verite. 
bien  ait  ki  li  cantera. 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregi. 


173 


1.  A3  n  aventure.  AI  chante.  — 
2.  BrtFl  se  maidera.  —  3.  Fl  ke. — 
4.  A3  Ba  Fl  F2  la  doit,  A3  Ba  ca 
et  la.  Fl  sai  et  lai.  —  5.  A  1  nouvel 
chant.  —  6.  AI  essaier.  —  7.  Fl  a 
ma  dame  ou  mont  raelle.  A3  len,  Bn 
en  ma.  ■ —  8.  AI  chancons.  —  9.  B« 
vertey.  —  10.  BaFl   la.    AI   chantera. 

II.  Pechie  fist  et  grant  vilte 
qui  mesdire  acostuma, 

dame,  eil  ait  mal  deslie 
ki  lor  costume  tenra. 
travellie  mont  et  pene, 
mais  ia  riens  ne  lor  vaura 
sil  ont  fait  lor  cruaute, 
ma  grans  loiautes  vaintra 
lor  fausete 
kainc  nus  plus  loiaus  nama. 

1.  A3  viute.  —  2.  Fl  ke,  comen- 
sait.  —  3.  Ba  et  eil  si  ait  mal  dahe, 
Fl  dame  et  eil  ait.  —  4.  Fl  F2  ki 
la  costume  en  tenrait.  —  (3.  A 1  lour. 
Fl  varait.  F2  rien.  —  7.  AI  lour. — 
8.  Fl  grant  leiautes  vaincra.  —  9.  A  1 
fause  (Raum  für  eine  Silbe).  —  10.  B« 
conques  plus.    F 1   car  ains. 

III.  Bien  conut  ma  loiaute 
ki  si  grief  fais  me  carga, 
amors  ki  ma  assene 

el  plus  bei  kele  trova. 

trop  a  bautement  pense 

mes  fins  cuers  si  comparra 

sa  hardie  volente. 

ses  outraiges  li  parra, 

trop  ma  greve 

ki  tel  consell  li  dona. 

1.  A3  n  connut.  Ba  conoist.  — 
2.  A3  grief,  e  charga.  Ba  grant  fes. 
F  2  mancharia.  —  3.  A  3  asse — .  —  4.  A  3 
fehlt  el.  Ba  a  la  plus  bele  quele  a. 
Fl  el  plux  haut  leu  ke  trovait.  F2  ou 
plus  haut  leu  ke  trovait.  —  5.  A3  a 
ment  pense.  B  a  trop  ai  hautement 
pense.  —  6.  B  a  mes  fins  cuers.  A 1 
B  a  F  2  qui  comperra.  A  3  qui  con—  .  — 
7.  F2  sa  tres  haute.  —  8.  Ba  Fl  F2 
locirra.  Fl  ces  outraiges.  —  10.  AI 
A3  qui  si  grief  fais  li  carga.  Fl  ke. 
Ba  me  dona. 

IV.  A  tort  ai  mon  euer  blasme 
de  cou  ke  si  haut  pensa 


kamors  li  a  comande 
cui  hons  il  est  et  sera, 
kil  garde  sa  feute 
et  cou  kele  li  carga 
et  samors  lavoit  fieve 
dun  den  ke  pramis  li  a. 
sauroit  done 
le  plus  bei  tresor  ke  ele  a. 

1.  A3  -  ort.  — 2.  A3  fehlt  si  haut.  — 
3.  Ba  amors  li  a.  —  4.  A  3  fehlt  a  cui. 
Ba  cui  hons,  Fl  cui  hom.  AI  A3  a 
cui  il.  —  5.  Ba  si  gart  bien  sa  leaute. — 
6.  Ba  Fl  et  ceu  ke  promis  li  ait.  AI 
lavoit.  A3  la.  —  7.  Ba  mavoit  sievey.  — 
8.  Ba  qua  me  promist  ia.  —  9.  A3 
uroit.  Ba  si  mauroit  doney.  —  10. "AS 
Ba  kele. 

V.  En  espoir  de  tel  honte 
mes  cuers  tos  iors  servira 

et  ki  ke  len  ait  blasme, 

ia  ne  sen  repentira. 

che  men  a  mout  conforte 

conques  amors  nesgarda 

droit  ne  raison  ne  beaute. 

sespoir  ke  pities  me  venra 

dumilite 

ki  me  guerredonera. 

1.  AI  A3  sour  lespoir.  Fl  dauoir 
bonteit.  —  2.  Ba  Fl  tousiors  mes  cuers. 
A  1  A  3  ades.  —  S.Fl  ki  ke  len  doie 
blameir.  —  5.  Ba  mes  ce  ma.  F 1  ke 
ceu  mait.  AI  ce.  —  6,  7.  Ba  conques 
amor  point  de  raison  ne  garder  ne  beaute. 
F 1  poent  ne  raison  ne  biauUeit.  — 
8.  Ba  cest  par  que  pitiez  naistra.  Fl 
espoir  se  pities  uandrait.  A 1  A  3  ses- 
poir ke  pities  naistra.  —  9,  10.  Fl  per 
quoi  pitiet  me  uandrait.  Ba  par  que 
merciz  me  vendra. 

VI.  Bele  sil  vos  vient  en  gre 
ma  canchonete,  on  lorra. 

trop  ma  merchis  oblie, 
lues  ke  chis  mirres  venra 
saurai  sante, 
dame  eiert  quant  vos  plaira. 

1.  Ba  Dame.  —  2.  Ba  raa  chancon 
par  tans  orra.  AI  canconete.  —  3.6« 
demorey.  —  4.  Ba  lorsque.  A3  maiz 
quant  eil.  Ba  eist.  —  6.  A3  Ba  eiert. 
AI  cert. 


174  Die  Lieder  des  Ilugues  de  Bregi. 

Bemerkungen. 

Zu  Nr.  1.  I2.  F2.  V'gl.  den  Reim  anemins  :  espris  :  avis  :  amis  mit 
Nr.  4  I,  F  1  paix  :  amins.  Das  durch  Nominativ-s  erzeugte  (bürg.  u.  pik.)  n 
(vgl.  Förster,  Chev.  as  deus  esp.  p.  L;  St.  Leodegar  ed.  G.  Paris  38  f.  u.a.) 
hat  sich  in  die  cas.  obl,  übertragen:  aniin  Nr.  4  I8,   1   III  6. 

I4.  la  plus  sui  dire  espris  =  ou  plus  sui  dire  espris  (A3),  la  und  ou 
stehen  beide  für  la  ou.  Förster,  Zeitschr.  für  österr.  Gymn.  1874,  IS.  143 
macht  darauf  aufmerksam,  dafs  la  sowohl  wie  u  häufig  für  la  u  stellen,  dafs 
aber,  wo  beide  zusammen  erscheinen,  oft  eine  Silbe  zu  viel  im  Verse  ist. 
Aber  eigentlich  ist  keine  Silbe  überzählig ;  man  verschmolz  höchst  wahr- 
scheinlich den  Vokal  u  so  sehr  mit  la,  dafs  man  beide  Worte  zusammen 
wie  einen  fallenden  DiphthonLi;  aussprach  (lau).  Dafs  dies  tonlose  u  ge- 
legenUich  ganz  verschwand,  kann  dann  nicht  wunder  nehmen.  Stengels 
Abwerfung  von  la  im  Durmart  le  Galois,  wo  ihm  die  Silbe  überzählig  schien, 
ist  mit  Recht  gerügt. 

1 6.  estance.  Die  Belegstellen  bei  Godefroy  und  St.  Palaye  zeigen, 
dafs  dies  Wort  in  übertragener  Bedeutung  hauptsächlich  nur  in  der  Ver- 
bindung mit  hone  vorkam;  daneben  das  Kompositum  mesestance.  Als  er- 
starrte Phrase  starb  es  darum  bald  aus.     \'gl.  quoi  qu'on  die. 

II 2.  A 1  ki  r=  kil  (d.  i.  qu'ils),  Verstummung  des  1  bei  folgendem 
konsonantisch  anlautenden  Worte.  Vgl.  vitance  Nr.  l  l3  (F2);  de  tot 
Nr.  1  II 5  (AI);  il  i  =  il  li  Nr.  1  V2  (Al);  nuls  (:  recreus)  Nr.  8  Il4 
(F2).  Diese  Verstummung  des  1  zeigt  sich  vor  allem  im  heutigen  Pariser 
Dialekt. 

V  2.  Lesart  Al  ist  der  von  Fl  und  Ba  vorzuziehen.  Der  Wirt 
schenkt  dem  Gaste  ein  und  schiebt  ihm  die  Zeche  zurück  (rent  ce  qu'il  li 
doit),  um  ihn  so  zum  Trinken  anzustacheln  und  ihn  schliefslich  desto  gründ- 
licher zu  rupfen.  Dafs  ein  Wirt  seinem  Gaste  noch  von  seinem  eigenen 
(lelde  zugiebt,  wie  Fl  vmd  B«  wollen,  wäre  nicht  nur  unnatürlich,  sondern 
auch  eine  zu  plumpe  Falle,  um  nicht  den  \'erdacht  des  Gastes  zu  erwecken. 
Es  ist  um  so  ratsamer,  AI  den  Vorzug  zugeben,  weil  Fl  und  B&  im  Aus- 
druck stark  variieren  und  unter  den  Schreibern  sicherlich  schon  Schwanken 
und   Unsicherkeit  herrschte. 

Zu  Nr.  2.  II  5.  em  poi,  vgl.  nemporroit  Nr.  6  II 4,  emballance  Nr.  5  1 1, 
som  pais  Nr.  4  l5,  empuis.  Dies  em  für  en  mufs  doch  zu  einer  Zeit 
entstanden  sein,  als  der  Vokal  noch  nicht  nasal  war;  dann  entstand  es 
analog  dem  mhd.  embor  statt  enbor  (empor),  Naumburg  statt  Naunburg, 
d.  i.  Neuenburg;  wie  verwandt  sich  m  und  b  (p)  waren,  zeigt  die  unorga- 
nische Anbildung  eines  b  (p)  an  m;  vgl.  engl,  lamb  (statt  lam,  Lamm), 
deutsch,  mhd.  erlempt  von  erlernen  (erlähmen)  Otte  mit  dem  Barte  p.  251 
(Lambel).  Sobald  die  Nasalierung  eintrat,  wurde  diese  Orthographie  eine 
rein  traditionelle  und  darum  oft  auf  den  Kopf  gestellt:  F2  (bürg.)  an  bai- 
lance,  anbrazeit,  sanblant,  sanblance  —  Joinville:  decenbre,  enpeschement  — 
dagegen  cimquante.  Merkwürdigerweise  hat  sich  em-p  =  en  p  bis  in  die 
heutige  Rechtschreibung  gerettet  und  mit  Konsequenz.  Man  schreibt  em- 
pörter (früher  il  en  a  porte ;  die  Schreibung  em  wird  dazu  beigetragen 
haben,  das  m  als  zu  porter  stammhaft  gehörig  erscheinen  zu  lassen),  em- 
prunter  —  aber  s'envoler,  s'enfuir,  enlever  —  empailler,  empaqueter,  aber 
enlaidir,  engraisser  u.  s.  w. 

III  5.  üb  der  Dichter  me  covient  estre  sauvaiges  et  eschis  oder  me 
covient  estre  et  sauvaiges  et  eschis  gesagt  hat,  das  e  in  sauvaiges  mufste 
elidiert  sein,  wenn  die  richtige  Silbenzahl  da  sein  soll.  Das  s  hinderte  die 
Elision  nicht.  Vgl.  Tobler,  Verslehre  p.  61;  Boucherie,  Revue  des  langues 
romanes  1877,  p.  216,  1878,  XIV,  p.  203.  Kopisten,  denen  diese  Elision 
vyeniger  geläufig  sein  mochte,  zogen   es   vor,   das   s  in   sauvaiges   fallen   zu 


Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregl.  175 

lassen,  während  sich  eschis  :  vis  hielt.  Nur  B  1  tbat  noch  den  letzten 
Schritt  und  machte  die  Adjektive  grammatisch  gleich,  indem  es  eschit  setzte. 
IV.  Derselbe  Gedanke  von  der  veredelnden  Wirkung  der  Liebe  findet 
sich  ausgedrückt  in  Strophe  I  eines  anonymen  Gedichts  der  Handschrift  846, 
Bibl.  nat.  Paris  mss.  fr.  fol.   131  d: 

Se  valors  vient  de  mener  bone  vie, 
ie  devroie  bien  valoir  par  raison ; 
car  iai  amor  qui  me  fait  grant  ahie 
et  mest  avis  que  tote  lachoison 
preigne  damors  qui  que  vuille  valoir. 

V8.  Vgl.  bien  seroit  droiz  Nr.  2  II 1,  molt  par  est  faus  Nr.  1  IV  1, 
mult  est  eil  folz  ib.,  tot  voi  le  monde  Nr.  2  III 3,  je  sui  si  de  li  perdre 
doutans  Nr.  2  VI  5,  assez  a  pis  Nr.  4  II 7  (B4),  ai  si  mon  euer  oste  Nr.  5 
I6,  116. 

Es  läfst  sich  in  der  afrz  Sprache  wie  auch  in  der  alten  deutschen  die 
Tendenz  verfolgen,  das  hervorhebende  Wort  von  dem  zugehörigen  zu  tren- 
nen, als  ob  man  die  Anstrengung  scheute,  die  beiden  A\  örter  so  unmittel- 
bar hintereinander  auszusprechen.  So  hat  das  Nibelungenlied :  Do  besande 
ouch  sich  von  Sahsen  der  künec  Liudeger,  170;  ebenso  170,  4;  182,  1 
(Bartsch);  wo  ouch  zu  von  Sahsen  gehört.  Das  Niederdeutsche  hat  diese 
Eigentümlichkeit  noch  am  schroffsten  bewahrt;  denn  das  lioclideutsche  „Auch 
er  gab  ihm  ein  Stück  Brot"  kann  ndd.  nur  beifsen:  he  gev  em  lik  en 
Stück  etc. 

Zu  Nr.  3.  I2.  de  ci  adonc  ke=:jusqu'a  ce  que.  deci  heilst  natürlich 
nicht  alleinstehend  „bis",  wie  Bartsch  im  Glossar  zu  seiner  afrz.  Chresto- 
mathie (187.Ö)  s.  v.  deci  angiebt.  Auch  in  seinen  beiden  Belegstellen  (deci 
en  duresle,  deci  al  esclairier  „bis  in  Ewigkeit",  „bis  zum  Tagesanbruch") 
erhält  es  diese  Bedeutung  erst,  wenn  die  folgende  Zeitbestimmung  dazu  kommt. 

II 5.  Die  auch  sonst  in  diesen  Gedichten  häufige  Verwechselung  von 
ainc  und  ains  (ainz)  sowie  Försters  Bemerkung,  dafs  die  Handschrift  des 
Kich.  li  biaus  ohne  Unterschied  ainc  und  ains  biete,  könnte  vielleicht  ge- 
eignet sein,  einiges  Licht  auf  die  viel  besprochene  Aussprache  des  End-c 
zu  werfen.  Die  N'erwechselung,  so  sehr  die  Bedeutung  der  Wörter  sich 
manchmal  nähern  mag,  wird  seinen  Grund  wohl  in  der  palatalen  Natur 
des  c  haben. 

Uli.  Ie  requier  =  la  requier  (F2  deutlicher  la  requis)  in  den  an- 
deren Mss.,  wird  aus  einem  aus  morir  abstrahierten  Subst.  mort  zu  er- 
klären sein. 

VIL  Dafs  VII  den  Schein  der  P^chtheit  für  sich  hat,  zeigt  die  Wieder- 
holung des  Gedankens:  nus  bien  ne  me  venra  damer,  aus  Strophe  VI 2. 

Zu  Nr.  4.  I6.  Mätzner,  Afrz.  Lieder  p.  144  will  carnels  lesen;  abge- 
sehen davon,  dafs  nur  A 1  A  3  diese  Lesart  haben,  scheint  die  andere  auch 
angemessener.  Das  von  ihm  angeführte  carnales  fratres,  parentes  (amici?) 
hat  doch  eine  entschieden  abweichende  Bedeutung,  und  in  gewissen  Ver- 
bindungen hat  es  ja  seine  Berechtigung,  wie  des  amis  charnez  qui  Deu  ser- 
vent,  Komania  VI,  p.  28.  Hier  aber  soll  es  sicherlich  unserem  „Herzens-, 
Busenfreund"  entsprechen. 

II  7.  Quoique  nus  die  hat  sich  als  stehende  Redensart  bis  ins  klas- 
sische Zeitalter  erhalten.  Racine  hat  es  zweimal,  Corneille  wiederholt.  Erst 
das  Ridikül,  das  Moliere  in  seinen  Femmes  savantes  darüber  ausgofs,  wird 
bedeutend  eingewirkt  haben,  den  archaistischen  Konjunktiv  gänzlich  in  Mifs- 
kredit  zu  bringen. 

IIl.  Vgl.  Mätzner  p.  145.  Die  Abschrift  von  A2  im  Arsenal  hat 
schon  revenoir;  revenir  (B  1)  oder  revoier  (Bö)    sind  vielleicht  vorzuziehen. 


176  Die  Lieder  des  Hugues  de  Bregl. 

Das  La  Bordesche  remenoir  findet  sich  in  keiner  Handschrift  und  giebt 
absolut  keinen  Sinn. 

III 1.  Über  die  plusquamperf.  Bedeutung  von  seusce  vgl.  Diez,  Gramm. 
33,  356;  Tobler,  Darstellung  der  lat.  Konjugation  in  ihrer  roman.  Gestal- 
tung S.  25  und  Foth,  Böhmers  rem.  Studien  Bd,  II.  Dieselbe  Bedeutung 
hat  der  Konj.  imp.  auch  in  laissaisse  v.  3,  alaisse  v.  4;  chascaisse  IV  3  „wenn 
ich  gejagt  hätte";  bien  vausisse  „es  wäre  sehr  gut  gewesen"  Nr.  3  III 6, 
amasse  ib.  (B4),  deusse  Nr.  3  V  5. 

Ich  glaube  nicht,  dafs  man  hierin  eine  Altertümlichkeit  zu  sehen  hat. 
Den  alten  Dichtern  war  die  peinliche  consecutio  temporum  durchaus  etwas 
Unbekanntes,  es  genügt  ihnen,  überhaupt  einen  Konj.  der  Vergangenheit  zu 
setzen,  das  Unkorrekte  läfst  sie  ihr  grammatisch  wenig  geübter  Verstand 
nicht  fühlen,  oder  die  Phantasie  kam  zu  Hilfe,  wo  die  Grammatik  hinkte. 
Dasselbe  haben  wir  im  Nibelungenhede: 

Er  sach  so  vil  gesteines,  so  wir  beeren  sagen, 

hundert  kranzwägene  ez  möhten  niht  getragen.     III,  92  (Bartsch). 

Ebenso  wenig  ist  daran  zu  denken,  in  dem  i  der  Formen  laissaisse,  chas- 
caisse, alaisse,  cantaisse  eine  altertümliche.  Reminiscenz  des  lat.  Plusquam- 
perf. Könj.  auf  issent  zu  sehen,  wie  G.  Paris  thut,  Romania  VI,  p.  619. 
Warum  haben  wir  denn  kein  seuisse,  peuisse  u.  s.  w.  ?  Warum  hat  denn 
die  3.  Pers.  Sing,  nie  das  i?  Es  heifst  immer  tormentast,  daignast  —  pleust, 
peust.  Die  frz.  Formen  entstanden  ja  überiiaupt  gar  nicht  aus  den  vollen 
Konjunktivformen,  sondern  aus  den  schon  lat.  so  ungemein  gebräuchlichen 
kontrahierten  Formen  cantassent,  amassent.  Das  i  ist,  wie  G.  Raynaud  be- 
merkt, Etüde  sur  le  dial.  ponthieu  etc.,  parasitisch  und  entsteht  nur  nach  a 
vor  Doppel-s. 

Zu  Nr.  7.  IV  8.  pramis.  Die  Verwandlung  des  e  (o)  vor  r  und  1  in  a 
ist  ein  gemeinfranzösischer  Zug,  der  sich  im  Dialekt  von  Paris  noch  be- 
merklich macht.  Piarrot,  renvarses,  la  mar,  le  varre,  envars,  parsonne,  alle 
für  eile  u.  s.  w.  Don  Juan  II,  vart,  parroquet,  charcher,  libarte  etc. 
Medecin  malgre  lui. 

Vgl.  St.  Leod.  25  e  quäl  (=  quel).  Darum  enden  die  lat.  Wörter 
auf  ellus  (illus)  französisch  vielfach  auf  eau,  eine  Endung,  die  durch  eallus 
möglich  wurde,  bellus  —  biau  —  beau,  pik.  ciaus  —  ceaus  d.  i.  ecce  illos, 
frz.  ceux. 

Rostock.  Dr.  Karl  Engelcke. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 


J.  Fölsing,  Elementarbuch  der  englischen  Sprache,  in  zweiund- 
zwanzigster Auflage  neu  bearbeitet  von  Dr.  John  Koch. 
Berlin,  Th.  Chr.  Fr.  Enslin,  1885. 
In  dem  von  Dr.  Koch  bearbeiteten  Elementarbuch  der  englischen 
Sprache  des  verstorbenen  Prof.  Dr.  Fölsing  liegt  insofern  ein  neues  Lehr- 
buch vor,  als  darin  aufser  mehrfachen  wesentlichen  Änderungen  und  Er- 
weiterungen eine  Darstellung  der  Aussprache  auf  lautphysiologischer  Grund- 
lage geboten  wird,  die  den  Schüler  leichter  und  sicherer  als  bisher  in  den 
Stand  setzen  soll,  sich  eine  korrekte  Aussprache  anzueignen.  Der  Verfasser 
geht  von  der  richtigen,  durch  eigene  Beobachtungen  gestützten  Ansicht  aus, 
dafs  allein  durch  Vorsprechen  des  Lehrers  und  Nachsprechen  des  Schülers 
eine  genaue  Aussprache  nicht  zu  erzielen  sei,  dafs  die  Einübung  der  letz- 
teren vielmehr  durch  Hinweis  auf  die  Entstehung  der  Laute  unterstützt 
werden  müsse.  Sind  die  Bemühungen  der  Grammatiker,  durch  eine  sorg- 
fältige Darstellung  der  Aussprache  und  eine  möglichst  einfache  Bezeichnung 
derselben  die  Schwierigkeit  der  Einübung  zu  erleichtern,  auch  nicht  neu 
und  nicht  erfolglos  gewesen  (cf.  die  Grammatiken  von  B.  Schmitz,  Imm. 
Schmidt,  Gesenius  u.  a.;  im  Franz.  die  bez.  Arbeiten  von  Sachs),  so  hatte 
doch  fast  jeder  bisher  seine  eigene  Bezeichnung,  und  mancher  hat  von 
deutschen  Lauten  ausgehend  und  daher  verleitet  durch  seine  vom  Dialekt 
sinner  Heimat  beeinflufste  und  mehr  oder  weniger  getrübte  Aussprache  eine 
nicht  allen  Deutschen  verständliche  Darstellung  der  Laute  gegeben.  (Vor- 
übergehend erwähne  ich,  wie  in  dem  sonst  so  vorzüglichen  franz.  Wörter- 
buch von  Sachs  unter  Erläuterung  der  Aussprache-Zeichen  im  franz. -deut- 
schen Teile  frz.  peine  und  reine  zu  deutschem  Ehre,  (Gewehre,  im  deutsch- 
franz.  Teile  deutsches  wen,  Thee,  See  mit  gleichwertigem  e  zu  eloigne  ge- 
stellt werden.)  Deninach  hatte  man  sich  bisher  bei  der  Darstellung  der 
Aussprache  immer  erst  mit  dem  Verfasser  über  den  Dialekt  abzufinden, 
aus  dem  er  seine  Belege  für  den  fremden  Laut  genommen.  Das  wird  mehr 
und  melir  authören,  nachdem  uns  durch  wissenschaftliche  Untersuchungen 
die  genaue  Stellung  der  Sprechwerkzeuge  überliefert  worden  ist,  wie  sie  zur 
Hervorbringung  der  einzelnen  Laute  nicht  der  Deutsche,  sondern  der,  dessen 
Sprache  wir  lernen  wollen,  in  Anwendung  bringt.  Besonders  englische  Laute 
sind  in  den  seltensten  Fällen  durch  entsprechende  deutsche  zu  belegen,  da, 
wie  Trautmann,  Die  Sprachlaute  I,  p.  143,  richtig  bemerkt,  eine  durchgrei- 
fende Eigentümlichkeit  der  englischen  Artikulation  ja  in  der  unüberwind- 
lichen Neigung  des  englischen  Mundes  liegt,   die  Zungenspitze  von  den  un- 

Arrhiv  f.  n.  .«!pi-nohrTi.    LXXV.  ]  2 


178  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

teren  Schneidezähnen  abzuhalten  und  nach  oben  zu  richten.  Der  Unter- 
kiefer wird  dabei  unter  dem  Überkiefer  vorgeschoben. 

Es  ist  didier  mit  Dank  anzuerkennen,  wenn  neuere  Grammatiker  danach 
streben,  eine  korrekte  und  einheitliche  Darstellung  der  Sprachlaute  in  jenem 
Sinne  zu  gewinnen  und  den  Ergebnissen  wissenschaftlicher  Beobachtungen 
bei  der  Abfassung  ihrer  Lehrbücher  so  weit  Rechnung  tragen,  wie  es  den 
Bedürfnissen  der  Lehrpraxis  entspricht.  Auch  dem  Verfasser  vorliegenden 
Werkes  gebührt  Dank  für  den  Kleifs  und  die  Sorgfalt,  welche  er  im  ganzen 
Buche  der  Aussprache  zugewandt  hat.  Wenn  er  es  in  der  Vorrede  selbst 
als  eine  Ungenauigkeit  bezeichnet,  von  der  deutschen  Aussprache  ausge- 
gangen zu  sein,  so  zieht  er  <loch  mit  richtigem  Gefühl  deutsche  Laute  nur 
in  wenigen  Fällen  zur  Unterstützung  seiner  Darstellung  heran.  Zur  wei- 
teren Belehrung  über  die  Sache  verweist  der  Verfasser  auf  das  oben  ange- 
führte Werk  von  Trautmann  und  auf  Victor,  Elemente  der  Phonetik  etc. 
Ich  bemerke  indes,  dafs  der  das  englische  Lantsystem  behandelnde  Teil  von 
Trautmanns  Werk  dem  Verfasser  bei  der  Bearbeitung  des  vorliegenden 
Lehrbuches  wenig  Hilfe  bieten  konnte,  da  er  noch  nicht  ganz  erschienen  war. 

Ln  einzelnen  habe  ich  zur  Lautlehre  des  Elementarbuches  folgende 
Bemerkungen  zu  machen.  Da  es  sich  hier  um  eine  Darstellung  englischer 
Laute,  nicht  deutscher  handelt,  so  würde  die  Belehrung  über  die  Zeichen  e 
und  a  dahin  gehören,  wo  sie  Laute  bezeichnen,  die  im  Englischen  vorhanden 
sind,  ebenso  die  Beschreibung  des  o-Lautes. 

Wir  pflegen  mit  dem  Haken  über  einem  Vokal  die  Kürze  desselben  zu 
bezeichnen,  es  ist  daher  ä  etwas  verwirrend,  wenn  hinzugefügt  wird :  beide 
sind  jedoch  lang.  Trautmann  giebt  dieses  a  mit  a'.  Das  a  in  letzter  Silbe 
von  animal  und  ou  in  hideous  durch  das  gleiche  Zeichen  darzustellen,  ist 
gewagt,  a  in  al  ist  das  von  Trautmann  (p.  169)  mit  ae  bezeichnete  flücii- 
tige  a.  Man  vergleiche  es  nach  ihm  mit  dem  entsprechenden  a  in  human, 
Frenchraan,  liberal  u.  ä.  So  flüchtig  es  auch  ist,  bei  genauer  Aussprache 
merkt  man  doch,  dafs  es  sich  mehr  dem  deutschen  ä- Laute  nähert  als  dem 
ö-Laute,  während  ou  in  der  Endung  ous  dem  deutschen  ö-Laute  nahe  kommt. 
Dieser  Laut  wird  von  Trautmann  mit  f,>  bezeichnet  und  ist  gleich  dem  o  in 
kingdom,  handsome  etc.     Cf.  Trautmarm  p.   176  u.   177. 

Es  ist  mir  nicht  gelungen,  den  stimmhaften  Laut,  für  den  das  Zeichen  w 
stehen  soll,  nach  des  Verfassers  Darstellung  hervorzubringen.  Der  Verf. 
sagt:  „Der  betreffende  Laut  wird  hervorgebracht,  indem  man  die  aufein- 
ander geprefsten  Lippen  durch  einen  Atemstofs  trermt,  wobei  sie  eine  ü- 
Kundung  bilden,  z.  ß.  in  we."  Man  versuche  danach  den  Laut  herauszu- 
bringen. Es  gelingt  nicht,  es  wird  immer  ein  b-Laut  zum  Vorschein  kom- 
men, kein  vokalisch  anhebender  w-Laut,  kein  konsonantisches  u.  wie  Traut- 
mann es  nennt.  Trautmann  stellt  die  dem  w  zukommenden  Laute  p.  201 
durch  y  und  q  dar,  ersteres  als  stimmhaft,  letzteres  als  stimmlos,  und  bietet 
p.  77,  §  182  eine  klare  Beschreibung  der  Entstehung  derselben,  wo  er  sagt: 
„Verengen  wir  beim  Sprechen  eines  u  die  I^ippenölfnung  bis  zu  dem  Grade, 
dafs  das  u  nicht  mehr  klar  und  deutlich,  sondern  von  einem  Reibegeräuscli 
begleitet  und  überdeckt  herauskommt,  so  erhalten  wir  den  Konsonanten, 
welchen  wir  unter  y  verstehen:  Es  ist  derselbe,  den  wir  im  ital.  guarda, 
guerra  nach  dem  g  hören  und  der  etwas  höher  im  englischen  wood,  well 
gesprochen  wird.  Bei  y  ist  die  Mundhöhle,  wie  man  durch  Flüstern  des  y 
leicht  feststellen  kann,  auf  g,  gestimmt  wie  bei  u.  Daneben  erklingt  ein  Ge- 
räusch, das  eine  Terze  höher  liegt.  Lassen  wir  die  Stimme  weg,  so  er- 
halten wir  q,  das  z.  B.  im  ital.  (juanto,  quäle  und  etwas  höher  im  engl. 
(|uite,  quarrel  gehört  wird.  Die  Einstellung  des  Giels  (cf.  p.  17)  ist  bei  y, 
abgesehen  von  der  engeren  Lippenöflnung,  ganz  wie  bei  u,  also  kleinster 
Kieferwinkel,  Zungenspitze  zurückgezogen,  Gaumensegel  gegen  die  Rachen- 
wand gedrückt,  Stimmritze  zum  Tönen  verengt.  Bei  q  ist  die  Stinnnritze 
weit  geöHhet.     Die  Tonhöhe  von  y  und  \\  ist  dieselbe  wie  die  des  u."    Ich 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  179 

liabe  die  Stelle  ganz  iinführen  zu  müssen  geglaubt,  um  zu  zeigen,  wie  über- 
aus klar  Trautmann  den  Vorgang  darzustellen  versteht.  Die  Lippen  dürfen 
also  nicht  aufeinandergeprefst,  sondern  müssen  einander  gerade  so  genähert 
werden,  wie  es  bei  der  Bildung  des  u-Lautes  geschieht. 

Abgesehen  von  diesen  Ausstellungen  ist  mir  in  der  Lautlehre  nichts 
aufgefallen.  Der  Verfasser  befleifsigt  sich  sonst  darin  der  für  den  Unter- 
richt gebotenen  Kürze  und  bietet  die  dem  Anfänger  nötigen  Belehrungen 
klar  und  verständlich. 

Gleiche  Anerkennung  verdient  die  Sorgfalt,  welche  der  Verfasser  auf 
die  Bearbeitung  der  Grammatik  selbst  verwandt  hat. 

Der  Lesestoff'  hat  im  Fölsing  teilweise  vorgelegen,  ist  aber  in  der  neuen 
Auflage  anders  gruppiert  und  erweitert  worden.  Die  schon  im  zweiten 
Kapitel  beginnenden  kleinen  Lesestücke,  von  denen  möglichst  viele  memo- 
riert werden  sollen,  entsprechen  nach  Inhalt  und  Form  dem  Standpunkte 
der  in  Betracht  kommenden  Schüler,  und  die  nach  denselben  vom  Verfasser 
neu  und  in  gutem  Deutsch  (nur  ist  mir  p.  106  aufgefallen:  Seid  gütig  zu 
dem  armen  Älanne)  ausgearbeiteten  Übungssätze  sind  geeignet,  den  Schüler 
von  Anfang  an  zu  einem  verständigen  Übersetzen  in  die  fremde  Sprache 
anzuleiten  und  ihn  zu  zwingen,  die  gelernten  Vokabeln  und  Regeln  fort- 
während in  gutem  Englisch  zu  üben.  Bei  konsequenter  Arbeit  wird  der 
Schüler  auf  diesem  Wege  bald  dahin  kommen,  an  seinem  Lernen  Freude 
zu  gewinnen  und  die  Schwierigkeiten  mit  gröfserer  Bereitwilligkeit  zu  über- 
winden, als  wenn  ihm  wochenlang  unzusammenhängende  Vokabeln  und  aus 
diesen  beliebig  zusammengestellte  Sätzchen  geboten  werden.  Freilich  setzt 
diese  Art  des  Unterrichts,  bei  welcher  der  l^ektüre  von  vornherein  eine 
hervorragende  Stelle  neben  den  grammatischen  Übungen  zugewiesen  wird, 
bei  Lehrer  und  Schüler  die  gröl'ste  Aufmerksamkeit  voraus  und  mutet  beiden 
besonders  im  Anfang  viel  Anstrengung  zu;  denn  als  häusliche  Arbeit  können 
dem  Schüler  monatelang  nur  leichtere  Repetitlonen  gegeben  werden,  da 
Vokabeln  und  Sätze  an  der  Hand  der  Lautlehre  anfangs  doch  nur  in  der 
Schule  korrekt  eingeprägt  werden.  Dann  ist  durch  häufige  Repetitionen 
das  Gelernte  unter  genauer  Korrektur  der  Sprechfehler  zu  befestigen, 
wobei  zunächst  deutsch  nach  dem  Inhalte  der  Lesestücke  gefragt  und  dieser 
im  Zusammenhange  deutsch  von  dem  Schüler  erzählt  wird.  Dann  werden 
auf  kurze  deutsche  Fragen  vom  Schüler  kurze,  aber  zusammenhängende 
englische  Antworten  aus  dem  Lesestücke  gegeben;  zuletzt  stellt  auch  der 
Lehrer  seine  Fragen  englisch.  Ahnlich  wird  sich  auch  der  Verfasser  den 
Unterricht  denken;  denn  er  hat  p.  200  ff',  den  zusammenhängenden  Lese- 
stücken englische  P^ragen  nach  dem  Inhalte  beigegeben. 

In  dem  auf  17  Kapitel  geschickt  verteilten  grammatischen  Stoff"  hat 
der  Verfasser  in  mafsvoller  Beschränkung  das  Notwendigste  geboten.  Die 
Regein  sind  kurz  und  klar  und  mit  passenden  Beispielen  belegt,  welche 
der  Verfasser  aus  dem  vorher  geübten  Lesestoff"  nimmt;  auch  sonst  sieht 
man,  wie  derselbe  bemüht  ist,  das  Neue  an  Bekanntes  anzulehnen  und  durch 
dieses  zu  erklären.  Mit  Recht  wird  p.  41  vor  dem  Gebrauch  von  that  ge- 
warnt, das  in  seiner  Anwendung  dem  Anfänger  noch  zu  schwierig  ist.  Ana- 
logien bei  der  Deklination,  Konjugation  und  Komparation  werden  richtig 
zusammengestellt,  so  Kap.  XI  in  betreff  der  Flexion.  Aus  ähnlichem  Grunde 
würde  ich  auch  das  dem  Englischen  so  geläufige  there  is  etc.  aus  Kap.  XVII,  10 
schon  in  Kap.  V  bei  to  be  aufgeführt  und  von  da  ab  geübt  haben,  und  die 
Belehrung  über  den  richtigen  Gebrauch  des  Komma  vor  Relativsätzen,  auf 
welchen  der  X'erfasser  von  vornherein  die  Aufmerksamkeit  des  Schülers 
lenkt,  zum  Relativpronomen,  Kap.  VIII,  setzen. 

Zu  Kap.  VIII.  Das  adjektivische  what  fragt  nicht  nach  Personen  und 
Sachen,  sondern  nach  der  Gattung  oder  Art,  welcher  die  Personen  oder  Sachen 
angehören.  Auch  müfste  hier  darauf  hingewiesen  werden,  dafs  what  in  der 
Frage  ohne  Artikel,  im  Ausrufe  mit  dem  unbestimmten  Artikel  steht. 

12* 


Ü8Ö  Beurteilungen    und  kurze  Anzeigen. 

Zur  Komparation,  Kap.  X,  bemerke  ich,  dal'ri  ioh  doch  eine  Andeutung 
über  die  geschichtliche  Entstehung  der  beiden  Komparationsarten  im  Eng- 
lischen ausdrücklich  hinzugefügt  und  nicht,  wie  es  der  Verfasser  wohl  be- 
absichtigt hat,  nur  der  mündlichen  Belehrung  überlassen  haben  würde. 
Durch  den  ausdrücklichen  Hinweis  auf  die  ihm  bekannten  \  orgänge  im 
Deutschen  und  Französischen  wird  dem  Schüler  besonders  bei  Repetitionen 
das  Verständnis  und  Behalten  der  Aufgabe  erleichtert.  Aber  auch  sonst 
ist  die  Kegel  nicht  richtig  gefHfst.  Happy  (in  den  Beispielen  p.  49:  happier) 
würde  nach  des  Verfassers  Regel  nicht  auf  die  dem  Deutschen  folgende 
Weise  koinpariert  werden  können^  da  es  auf  der  ersten  Silbe  betont  ist. 
Die  Sache  verhält  sich  doch  so,  dafs  aufser  den  einsilbigen  Adjektiven,  zu 
denen  auch  die  auf  le  ausgehenden,  wie  noble,  hinzugerechnet  werden 
mögen,  von  den  mehrsilbigen  nur  solche  zweisilbige  in  Frage  kommen,   die 

1)  den  Accent  auf  der  zweiten  Silbe  haben,  wie  polite,  exact  u.  a.,  oder  die 

2)  auf  y  endigen,  wie  happy  u.  a.  Das  ist  die  Regel.  Dafs  diese  Adjektive 
unter  Umständen  auch  der  französischen  Komparationsweise  folgen  können, 
ist  für  den  Anfänger  ohne  Bedeutung. 

In  demselben  Kapitel  heifst  es  ferner:  „Das  Adverb  dient,  wie  im  Latei- 
nischen und  Französischen,  zur  näheren  Bestimmung  eines  Verbs  etc." 
Warum  ist  hier  da<*  Deutsche  ausgelassen,  wenn  überhaupt  andere  Sprachen 
zur  Vergleichung  heiangezogen  wurden?  Der  Verfasser  hat  wohl  Schider 
im  Auge  gehabt,  die  Latein  oder  Französisch,  oder  beides  treiben,  aber 
selbst  da  halte  ich  es  für  geboten,  im  Unterrichte  überall  auf  die  dem 
Schüler  zunächst  liegende  Muttersprache  hinzuweisen,  wenn  aus  ihr  ein  Vor- 
gang in  der  fremden  Sprache  et  klärt  werden  kann.  Den  Ausdruck:  das 
Adverb  ist  eine  „nähere  Bestimmung",  halte  ich,  obwohl  er  seiir  gebräuch- 
lich ist,  nicht  für  gut,  weil  er  zu  unbestimmt,  ist.  Wir^l  dem  Schüler  nicht 
mit  viel  klarerem  Verständnis  die  Bedeutung  dieser  Wörterklässe  nahe  tre- 
ten, wenn  er  hört,  dafs,  wie  das  Adjektiv  eine  Eigenschaft  an  einer  Person 
oder  einem  Gegenstande  hervorhebt,  so  das  Adverb  in  derselben  Weise  bei 
einem  Verbum  eine  Eigenschaft  an  einer  Thätigkeit.  beim  Adjektiv  aber 
und  Adverb  einen  Grad  der  durch  diese  Wörter  ausgedrückten  Eigenschaft 
anzeigt?  Bei  der  Erörterung  des  Gebrauches  von  very  und  much,  p.  50, 
mufste  hinzugefügt  werden,  dafs  das  Part.  Perf  auch  als  Adjektiv  gehraucht 
immer  durch  much,  nie  durch  very  verstärkt  wird,  also  seine  verbale  Kraft 
behält.  Hier  werden  vom  Schüler  recht  häufig  Fehler  gemacht,  auch  später 
noch.  Bei  Adverb  und  Präposition  auf  derselben  Seite  ist  die  Bemerkung 
am  Platze,  dafs  die  dem  Verbum  nachgestellten  Präpositionen  zu  Adverbien 
werden. 

Der  Ausdruck  in  der  F'ufsnote  p.  50  ist  nicht  korrekt,  le  kann  wohl 
nicht  gut  in  ly  verwandelt  werden,  sondern  durch  allmähliches  Schwinden 
des  e  von  le  in  der  adverbialen  Form  ist  das  1  schliefslich  überflüssig  ge- 
worden und  vor  dem  folgenden  ly  ausgefallen;  in  Wörtern  wie  fertilely  ist 
es  geblieben,  im  Me.  steht  es  auch  noch  in  anderen.  Cf.  Sprüche  Saloni. 
2,  7  :   He  schal  defende  the  goende  symplely. 

Wie  schon  hervorgehoben,  drückt  sich  der  Verfasser  in  gutem  Deutsch 
aus,  dennoch  möchte  ich  ihm  einige  Kleinigkeiten,  die  mir  bei  der  Durch- 
sicht aufgefallen  sind,  zur  Erwägung  verstellen. 

Zu  Kap.  XL  Man  vermeidet  es,  eine  Überschrift  im  Anfang  des  Te.\tes 
durch  ein  blofses  Demonstrativum  wieder  aufzunehmen.  Entweder  es  mufste 
die  Überschrift  wiederholt  werden:  die  Besonderheiten  etc.,  oder  etwa 
heifsen :  Abweichungen  von  der  regelmäfsigen  Flexion  zeigen  sich  in  For- 
men etc.  Ebenso  möchte  sich  p.  54  für:  „das  y  bleibt  auch  unverändert 
bei  allen  Wörtern,  die  davor  einen  Vokal  haben"  als  kürzer  em[)fehlen: 
y  mit  vorhergehendem  Vokal  bleibt  unverändert. 

Die  in  der  Mitte  p.  55  erwähnte  Orthographie  von  begs  und  hotly  folgt 
aus  den  oben  auf  derselben  Seite  angeführten  Worten,  sobald  eine  vokalisch 


ßeurteilungeti  und  kurze  Anzeigen.  181 

anlautende  Flexionssilbc  hinzutritt.     Es  wird  daher  richtiger  hcil'sen :  „Man 
beachte  also"  für:  „Man  beachte  jedoch". 

In  betreff'  dieses  jedoch  scheint  es  mir,  als  ob  der  N'erfasser  es  etwas 
zu  häufio;  anwendet,  auf  der  folgenden  Seite  steht  es  dreimal.  Es  kann 
leicht  mit  einem  anderen  Wörtchen  wechseln  oder  an  anderen  Stellen  ganz 
wegbleiben  (p.  74),  was  im  Interesse  der  Kürze  des  Ausdrucks  einer  V'er- 
bes!<erung  gleich  käme.  Aus  demselben  Grunde  wüi'de  ich  p.  41  in:  das 
deutsche  einfache  was  —  einfache  fallen  lassen.  Man  sagt  Einer  unil  Zeh- 
ner, aber  Hunderte  und  Tausende  p.  79.  Es  sind  das  an  sich  Kleinigkeiten, 
aber  in  einer  Grammatik  sind  auch  solche  Kleinigkeiten  nicht  unwichtig, 
wie  mir  der  Verfasser  zugeben  wird. 

Zu  Kap.  XVII,  5.  Man  mufs  sagen:  The  Emperor  William.  Zugleich 
würde  ich  hier  die  gebräuchlichsten  Ausnahmen  lernen  lassen ;  denn  be- 
kanntlich wird  gegen  diese  Regel  von  den  Schülern  sehr  häufig  verstofsen. 
Also:  Czar,  emperor,  empress,  archduke,  archduchess,  princess  und  elector 
haben  den  Artikel.  Nr.  7  würde  ich  so  fassen:  Wird  ein  attributives  Ad- 
jektiv durch  eins  der  Adverbien  as,  so,  too,  how,  however  hervorgehoben, 
so  behält  der  unbestimmte  Artikel  seine  Stelle  vor  dem  Substantiv :  so  small  a 
house.  Ahnlich  sagt  man :  such  a  place,  half  a  dozen,  many  a  man  (kommt  an 
anderer  Stelle  vor),  auch  mit  bestimmtem  Artikel :  all  the  town.  In  betreff" 
der  im  vorliegenden  Buche  angewandten  Terminologie  erlaubt  sich  Recen- 
sent  dem  Verfasser  den  \'orschlag  zu  machen,  in  der  folgenden  Auflage 
die  auch  in  den  englischen  Lehrbüchern  immer  mehr  bevorzugte  lateinische 
Terminologie  anzuwenden.  Es  geschieht  dies  nicht  aus  Mifsachtung  gegen 
den  deutschen  Ausdruck,  sondern  wegen  des  V^orteils,  den  eine  gröfsere 
Übereinstimmung  in  den  grammatischen  Benennungen  bei  dem  Betriebe 
mehrerer  Sprachen  nebeneinander  dem  Lernenden  gewahrt.  Auf  den  Schulen 
mit  lateinischem  Unterricht  wird  der  Schüler  bald  in  der  lat.  Terminologie 
so  sicher,  dafs  er  sie  leicht  auf  die  anderen  Sprachen  übertiägt.  Ich  meine, 
der  Verfasser  wird  den  \'orschlag  um  so  mehr  billigen,  als  er  in  der  vor- 
liegenden Grammatik  die  deutsche  Terminologie  keineswegs  konsequent 
durchgeführt  hat.  So  stehen  Kap.  VIII  und  IX  neben  zurückbezüglichen, 
also  relativen  Fürwörtern  reflexive  in  der  Überschrift,  während  sie  im  Text 
meist  Fronomina  heifsen.  Als  Überschrift  steht  ferner:  bestinunende  Für- 
wörter, im  Text  aber  pronomen  determinativum,  p.  139  unter  den  N'okabelu 
one,  Zahlwort  und  pron.  indef.  u.  ä.  Fürchtet  der  Verfasser,  dafs  die  lat. 
Ausdrücke  nicht  von  allen  Schülern,  für  die  er  seine  Grammatik  bestimmt 
wissen  will,  verstanden  werden,  so  kann  er  ja  die  deutschen  Benennungen 
in  den  Kapitelüberschriften  in  Klammern  hinzufügen. 

Der  sorgsamen  Korrektur  des  Buches  ist  nur  eine  geringe  Anzahl 
Druckfehler  entgangen:  p.  7,  wo  h  ausgefallen  ist  in:  der  Kürze  halber, 
p.  31  oben  mufs  es  heifsen  unperceived  für  uuper — .  p.  56  unten  fif  tin 
für  fiftin'.  Kap.  XV  sind  die  Kardinalzahlen  21  bis  25  und  die  Ordinal- 
zahl 21.  konsequent  verkehrt  accentuiert.  Das  Accentzeichen  gehört  hinter 
die  Einer,  p.  71  Äodin,  während  p.  19  Kolin  und  ^clin  steht,  p.  84  unten 
in  der  Klammer  mufs  es  heifsen  not  any  für  notany. 

Schliefslich  erwähne  ich  noch,  dafs  der  Verfasser  sieh  durch  Fort- 
lassung der  nicht  fettgedruckten  Ziffern  im  deutsch-englischen  Wörterbuche 
p.  259  ff.  eine  grofse  Arbeit  erspart  haben  würde,  ohne  Schaden  für  den 
Schüler,  der  eine  Vokabel  leicht  in  dem  sehr  deutlich  gedruckten  \'okabel- 
verzeichnis  durch  den  gegebenen  Hinweis  auf  das  betreffende  Kapitel  finden 
wird.     Die  vielen  Ziffern  erschweren  oft  das  Suchen. 

Eine  eingehende  Vergleichung  des  vorliegenden  Lehrbuches  mit  dem 
Fölsing  hat  Recensent  deshalb  nicht  beabsichtigt,  da  es  des  Neuen  so  viel 
bietet,  dafs  ein  selbständiges  Lehrbuch  daraus  geworden  ist. 

Die  Mängel,  welche  ich  im  Vorhergehenden  zur  Sprache  gebracht  habe, 
tliun  der  Brauchbakeit   des   Buches    ebenso   wenig    Abbruch,   wie  sie  meine 


182  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

volle  Anerkennung  des  Fleifses,  den  der  Verfasser  besonders  auf  die  Aus- 
sprache und  die  Übungsbeispiele  verwandt  hat,  beeinträchtigen  sollen.  Der 
gute  Ruf,  der  die  Grammatik  von  Fölsing  bis  zur  21.  Auflage  begleitet  hat, 
wird  auch  auf  die  neue  Bearbeitung  des  Dr.  Koch  übertragen  werden,  die 
ich  unbedenklich  den  Fachkollegen  als  ein  recht  brauchbares  Lehrbuch 
empfehlen  kann. 

Stade.  Lenk. 


J.  Verne,  Le  Tour  du  Monde  en  Quatre-vingts  Jours.  Zum 
Schulgebrauch  bearbeitet  von  Dir.  Prof.  Dr.  K.  Bandow. 
Bielefeld  und  Leipzig,   Velhagen  &  Klasing. 

Die  bekannte  geistreiche  Erzählung  J.  Vernes  liegt  jetzt  in  einer  ver- 
kürzten, für  Schulen  berechneten  Ausgabe  vor.  Die  fliefsende,  selbst  von 
der  Akademie  als  mustergültig  bezeichnete  Sprache,  der  belehrende  Inhalt, 
der  interessante,  frische  Gang  der  Erzählung  lassen  die  Werke  J.  Vernes 
als  besonders  zur  Privatlektüre  in  oberen  Klassen  geeignet  erscheinen,  zumal 
wenn  alle  Schwierigkeiten  sprachlichen  und  sachlichen  Verhältnis.ses  so  ge- 
ebnet werden,  wie  dies  in  der  Bandowschen  Ausgabe  geschleiit.  Der  Schüler 
findet  in  denselben  ausreichende  geographische,  naturwissenschaftliche  etc. 
Erläuterungen,  sowie  solche  der  technischen  Ausdrücke;  die  speciell  auf  die 
Sprache  sich  beziehenden  Noten  sind  meist  präcis  und  treffend  und  suchen 
—  was  bei  dem  überreichen  phraseologischen  Material  in  Vernes  Schriften 
besondere  Anerkennung  verdient  —  eine  ebenso  korrekte  wie  geschmack- 
volle Übersetzung  zu  fördern.  Es  mögen  nur  einige  wenige  Desiderata  zur 
Berücksichtigung  bei  einer  etwaigen  neuen  Auflage  Erwähnung  finden. 
S.  9,  A.  3:  „redresser  un  propos,  eine  Ansicht  berichtigen".  Propos  ge- 
nauer =  geäufserte  Ansicht,  Aufserung.  —  S.  10,  A.  4.  Zu  extraordinaire 
könnte  die  jetzt  gewöhnlichste  Aussprache  mit  stummem  a  in  der  zweiten 
Silbe  hinzugefügt  werden.  —  S.  11,  A.  2.  Bei  der  Angabe  der  .Aussprache 
von  aiguille  ist  die  erste  Silbe  mit  e  statt  mit  e  bezeichnet.  Dagegen  ist 
S.  64,  A.  6  quai  =::  ke  als  Ausnahme  anzugeben.  S.  14,  A  baut  de  taille. 
Der  Gen.  de  taille  ist  nicht  Gen.  des  VN'ertes  oder  Mafses  (wie  in  un  mur 
haut  de  sept  pieds),  sondern  Gen.  limitationis  (cf.  die  folgende  Anni.  der- 
selben Seite  zu  blond  de  cheveux).  Deutsch:  „in  Bezug  auf,  an".  —  S.  15, 
A.  5:  on  ne  Je  verrait  qii'h,  l'user.  User  ist  hier  Substantiv  (wie  auch  im 
Wörterverzeichnis  richtig  angegeben),  nicht  Infinitiv.  —  S.  41,  A.  6:  „ne 
im  zweiten  Gliede  einer  Vergleichung";  genauer:  „einer  komparativisohen 
Vergleichung".  —  S.  42,  A.  7.  In  der  Redensart  mettre  pied  ä  terre  ist 
das  d  von  pied  ausnahmsweise  zu  binden.  —  S.  46,  A.  3:  il  a  l'air  d'un 
parfait  honnete  homme.  Bandow  erklärt  dies  durch  parfaitement  h.  h.  und 
sagt,  die  beiden  Adjektive  bildeten  gewissennafsen  ein  zusammengesetztes 
Adjektiv  wie  aigre-doux.  A'ielmehr  bilden  hoimete  und  homme  einen  ein- 
zigen Begriff",  zu  dem  dann  parfait  als  adjektivische  Bestimmung  hinzutritt: 
p,  -\-  (h.  -|-  h.),  nicht:  (p. -j- h.) -(- h.  —  S.  55,  A.  5.  Zu  bayadcre  konnte 
die  abweichende  Aussprache  (ba-i)  hinzugefügt  werden.  —  S.  59,  A.  5. 
Proprement  dit  war  schon  bei  S.  52,  A.  3  zu  erwähnen.  —  S.  91,  A.  2. 
Restait  la  question  de  savoir  si  . . .  De  savoir  hier  nicht  =  nämlich;  nach 
question  ist  die  (für  das  Deutsche  pleonastische)  Hinzufügung  von  de  savoir 
notwendig,  wenn  eine  indirekte  Frage  folgt.  —  S.  114,  A.  2:  jaugeant  brut; 
in  brut  ist  das  t  zu  sprechen.  —  S.  135,  A.  6:  allons  donc  =  ich  dächte 
gar!  —  S.  161,  A.  2:  Ne  pouvoir  que  faire  qc.  =r  nicht  undiin  können  etw. 
zu  thun  (==  ne  pouvoir  s'empecher  [se  dispenser]  de  faire  qc).  —  S.  172, 
A.  7:  ce  coquin  a  tout  l'air  de  revenir  dans  sa  patrie;  nicht:  stellt  sich, 
als  wolle  er  ...,   sondern:    es   hat   ganz   den  Anscliein,   als   wolle  er  .  .  .   — 


ßeurleilungen  und  kurze  Anzeigen.  183 

S.  178,  A.  3.  In  poignard  ist  ol  besser  regelniäfsig  aiisziispix'clien. — S.  230, 
A.  5:  plus  qu'une  niinute,  et  le  pari  etait  gagne.  Bandow  erklärt:  „noeh 
eine  Minute  mehr".  Plus  bezeichnet  liier  niclit  die  Quantität,  sondern  ist  die 
absolut  gebrauchte  Negation  ne  —  plus  que  =  nicht  mehr  als,  nur  noch. 
Plus  qu'une  niinute  steht  also  elliptisch  für  etwa:  il  ne  fallait,  plus  qu'une 
niinule. 

An  Druckfehlern  finden  sich:  S.  20,  Z.  2  v.  o.  de  vol  (statt  du).  S.  31, 
Z.  6  V.  o.  Mr.  Fogg.  etait  (st.  Fogg  etait).  S.  31,  Anm.  1  Bradhaws  fst. 
Bradshaws).  S.  9.'i,  Z.  11  v.  u.  se  (st.  ce).  S.  96,  Z.  5  v.  u.  n'etait  moins 
(st.  n'etait  pas  moins).  S.  148,  Z.  3  v.  u.  ile  Formose  (st.  ile  de  F.).  S.  178, 
Anm.  3  revolvcr-poignards  (st.  poignard).  S.  180,  Anm.  2  train  forme  (st. 
deux  trains  fornies).  S.  186.  Z.  [)  v.  o.  jusqu'a  (st.  a).  S.  194,  Z.  2  v.  u. 
et  doiit  (st.  dont).     S.  233,  Z.  3  v.  u.  soixante-dix  neuf  (st.  dix-neuf). 

Zittau.  R.  Scherffig. 


Grainatica    sucinta   de-  la   langua  inglesa,    per  G.  C.  Kardgien, 
Heidelberg,  J.  Groos. 

Dieses  Werk  ist  eine  Elementar-Grammatik  für  Spanier,  welche  die 
englische  Sprache  studieren  wollen.  Aufser  den  Grundsätzen  der  englischen 
Aussprache  enthält  es  die  gewöhnlichen  und  einfachsten  grammatischen 
Kegeln,  zahlreiche  Übungen,  ein  Vokabularium,  ein  paar  Seiten  Redens- 
arten und  einige  leichte  Lesestücke.  Wie  man  sieht,  führt  das  kleine  Buch 
nicht  sehr  weit,  doch  ist  es  sehr  zweckmäfsig  eingerichtet,  „as  far  as  it  goes". 
Wir  finden  nur,  dafs  etwas  mehr  Klarheit  über  den  weichen  und  den  scharfen 
Laut  des  th  wünschen.swert  wäre.  Wenn  man  sagt,  dafs  das  th  in  father, 
wither,  that,  thing,  with  dem  Laute  des  spanischen  z  nahe  stehe  (tiene  un 
sonido  especial  algo  semejante  ä  la  z  espanola),  gilt  zwar  diese  Bemerkung 
für  das  tli  in  Ihlruj,  aber  das  t%  in  mother  scheint  uns  mit  dem  (/  in  amistud 
mehr  Ähnlichkeit  zu  haben.  Auch  zweifeln  wir  sehr  daran,  dafs  das  eng- 
lische V  ebenso  wie  das  spanische  ausgesprochen  wird  (se  pronuncia  conio 
la  V  espanola).  In  der  zehnten  Ausgabe  des  Diccionario  Nacional  (1852) 
macht  die  Akademie  keinen  Unterschied  zwischen  h  und  c  (canfundese  ea 
Espana  con  la  v):  in  seiner  Gronimaire  de  la  Langue  eapagnole  sagt  Domingo 
Gildo  von  dem  v,  niSine  prononciation  que  le  h  espagnol ;  und  wenn  auch 
Salvä  einen  Unterschied  zwischen  b  und  v  macht,  gesteht  er:  la  b  y  la  v 
son  confundU/as  por  generaUdad  de  las  castellanos.  Daraus  ei-hellt  es,  dafs 
der  Unterschied  zwischen  dem  englischen  v  und  b  wenigstens  viel  schärfer 
ist  als  im  Spanischen.  Das  kleine  Werk  ist  jedoch  sehr  empfehlenswert. 
Das  Englisch  ist  richtig,  was  wir  bei  so  vielen  Schul-Grammatiken  vermissen. 
Ein  paar  Druckfehler  haben  wir  gefunden,  meistens  im  letzten  Bogen,  wie 
z.  B.  halado  statt  helado;  zui  desea  U.V  für  zue  desea  U.?  aber  in  einer 
ersten  Auflage  ist  dies  unvermeidlich. 

Materials  for  translating  English  into  German.    First  Part.    By 
Dr.   Emil  Otto.     Heidelberg,  J.  Groos. 

Dies  ist  eine  Auswahl  von  Anekdoten,  Erzählungen,  Briefen  und  ge- 
schichtlichen Auszügen,  aus  englischen  Schriftstellern  entlehnt,  zum  Über- 
setzen ins  Deutsche.  Die  Sammlung  ist  für  Engländer  und  Amerikaner  be- 
stimmt, die  sich  die  deutsche  Sprache  aneignen  möchten.  Im  ganzen  sind 
die  Stücke  aus  guten  Quellen  geschöpft.  Schade  ist  es  nur,  dafs  so  viele 
darunter  so  zu  sagen  uralt  und  in  so  vielen  verschiedenen  Büchern  schon 
gedruckt  vorhanden  sind.  Es  ist  doch  langweilig,  Sachen  zu  lesen  und 
durchzuarbeiten,    die    man    schon   in    der    ersten    Kindheit   durchbuchstabiert 


184  Beurteilungen  und  kurze  Anzt.'igen. 

bat.  Nur  auf  den  letzten  Seiten  finden  wir  den  ersten  Akt  einer  historischen 
Komödie  von  Mr.  Planche.  Das  Stück,  das  wir  in  England  auf  der  Kiihnc 
gesehen  haben,  ist  wirklich  ausgezeichnet;  aber  da  es  überhaupt  nur  aus 
zwei  Akten  besteht,  so  ist  es  schwer  zu  begreifen,  wie  man  nicht  Platz 
gefunden  hat,  um  es  ungeteilt  anzubringen.  Auf  jeder  Seile  des  Werkes 
findet  man  zahlreiche  zweckmäfsige  Anmerkungen,  ilie  das  Übersetzen  be- 
deutend erleichtern.  G.  Kovle. 


Lazarus  Geiger,  Seine  Lehre  vom  Ursprünge  der  Sprache  und 
Vernunft  und  sein  Leben  dargestellt  von  L.  A.  Rosenthal. 
Stuttgart  1884.     XII  u.  156  S. 

Das  vorliegende  Buch  zerfällt  in  zwei  Teile:  der  erste  handelt  von 
Lazarus  Geigers  Lehre  vom  Ursprünge  der  Sprache  und  Vernunft,  der 
zweite  enthält  seine  Biographie.  Der  erste  Teil  bildet  im  wesentlichen  eine 
übersichtlicher  als  im  Original  zusammengedrängte  populäre  Wiedergabe  der 
Geigerschen  Schriften:  „Der  Ursprung  der  Sprache.  Stuttgart  18G9"  und 
„Ursprung  und  Entwickelung  der  menschlichen  Sprache  und  Vernunft.  .Erster 
Band,  Stuttgart  1868.  Zweiter  Band  (aus  dem  Nachlafs  des  Verfassers), 
Stuttgart  1872."  Hier  hatte  der  Darsteller  die  in  orakelhaften  Satzgefügen 
ausgesprochenen  Ansichten  Geigers  gleichwie  ein  Übersetzer  aus  der  philo- 
sophischen Sprache  in  die  V^olkssprache  zu  übersetztn,  ohne  die  eigene 
Individualität  hervortreten  zu  lassen,  was  hier  jedoch  nicht  zu  umgehen  war, 
wenn  nicht  die  gesamten  Originalschriften  wieder  abgedruckt  werden  sollten. 
Deshalb  ist  der  Vergleich  in  der  Vorrede  (p.  X),  dafs  die  vorliegende  zu- 
sammenhängende Darstellung  der  Ansichten  Geigers  sich  zu  dessen  Schriften 
verhalte  wie  eine  kleine  Landkarte  zu  einer  riesengrofsen,  nicht  unpassend. 
In  dem  ersten,  sieben  Abschnitte  bildenden  Teile  über  den  Ursprung  der 
Spraciie  und  Vernunft  sind  Geigers  Gedanken  unverändert  in  knappster 
Form  wiedergegeben,  nur  sind  die  griechischen  Beispiele  der  Original- 
schriften durch  deutsche  Transskription  ersetzt.  Einzelne  dunkle  Stellen 
fallen  wohl  dem  Original  zur  Last;  so  läfst  der  letzte  Satz  p.  7,  in  dem 
etwas  fehlt,  das  Richtige  nur  erraten.  \\'enn  sich  in  einigen  Beisyjielea 
Unkorrektheiten  finden,  z.  B.  odyssamenos  (p.  2)  st.  odyssamenos,  edidon 
an  (p.  34)  st.  edi'dün  an,  was  mit  „gab  ich  es"  übersetzt  ist,  oder  melanos 
(p.  6ü)  st.  melas,  so  fallen  diese  in  einer  populär  gehaltenen  Schrift  nicht 
ins  Gewicht;  ein  Sprachforscher  wird  immer  Geigers  eigene  Werke  zu  Rate 
ziehen  müssen,  in  denen  er  sich  allerdings  ohne  einen  Imlex  nicht  so  schnell 
orientiert  wie  in  der  obigen  Übersicht.  Die  Ansichten  Geigers  können  hier 
nicht  erörtert  werden,  da  das  Rätsel  vom  Ursprünge  der  Sprache  eine  Reihe 
anderer  Fragen  (vgl.  A.  Mahn,  Über  das  Wesen  und  den  Ursprung  der 
Sprache,  sowie  auch  über  den  Ursprung  des  Menschengeschlechts.  Berlin 
1881)  —  in  sich  schliefst,  deren  Lösung  in  genügender  Weise  exakter  For- 
schung bisher  noch  nicht  gelungen  ist.  Im  zweiten  Teile  wird  an  der  Hand 
glaubwürdiger  Quellen  der  Lebensgang  Geigers  (1829 — 1870),  insbesondere 
seine  Kindheit  in  Frankfurt  a,  M.,  seine  Stellung  als  Buchhändler,  seine 
Studien  und  seine  Wirksamkeit  als  Lehrer  und  Schriftsteller  in  seiner  Hei- 
mat bis  zu  seinem  Tode  geschildert.  Diese  Schilderung  konnte  noch  nicht 
abschliefsend  sein,  da  Geigers  Nachlafs  zum  Teil  noch  der  Veröffentlichung 
harrt.  Die  Lebensschicksale  sind  vom  Verfasser  absichtlich  erst  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Buches  dargestellt  worden,  weil  nach  seiner  Ansicht  bei 
einem  Geisteshehlen  nicht  diese,  sondern  seine  Vermächtnisse  an  die  Naih- 
welt  von  Bedeutung  sind.  Kurz,  die  obige  Schrift,  welche  dazu  beitragen 
will,  einen  noch  wenig  gekannten  Denker  bekannter  zu  machen    und  in   der 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  185 

Gescliie'hte  der  ^^'issens(;haf't  zur  gebührenden  Anerkennung  zu  bringen,  er- 
l'uUt  ihren  Zweck  und  kann  als  populäre  DarsteUung  der  Geigerschen  Lehre 
empfohlen  werden. 

Keadings  still  to  be  elucidated  in  the  Text  of  Shakespeare. 
A  List  of  „Cruces"  compiled  by  F.  A.  Leo.  Reprint  froni 
the  Shakespeare-Jahrbuch,  vol.  XX.     25  p. 

Eine  Konkprdanz  der  erklärten  und  noch  zu  erklärenden  Text-Lesarten 
in  Shakespeares  Dramen  ist  schon  lange  ein  Wunsch  des  Herausgebers 
obigen  Verzeichnisses  der  cruces  gewesen.  Derselbe  hat  sich  durch  dieses 
zuerst  im  Jahrbuch  (1885)  XX,  p.  149  — 171  erschienene  Verzeichnis  der 
Stellen,  deren  Erklärung  noch  nicht  gelungen  oder  noch  streitig  ist,  ein 
neues  N'erdienst  um  die  Shakespeare-Forschung  erworben.  Bei  jedem  Citat 
ist  Akt,  Scene  und  Zeile  des  Stückes  genau  nach  der  Globe  Edition  und 
Folio  I,  ausgenommen  Pericles  und  teilweise  flandet,  angegeben.  Die  An- 
ordnung der  Stücke  ist  wie  in  den  Shakespeare-Notes,  nur  dafs  hier  The 
Merchant  of  Venice,  As  you  like  it,  Twelfth  Night,  Winter's  Tale,  King 
John.  K.Richard  IL,  I— 11*  K.  Henry  IV.,  K.  Henry  V.,  11-HI  K.  Henry  VL, 
K.  Richard  HI.,  K.  Henry  VIIL,  Troilus  and  Cressida,  Titus  Andronicus, 
Cymbeline  und  Pericles  hinzugekommen  sind.  Das  Ganze  ist  zum  Zweck 
von  Bemerkungen  und  ^Ergänzungen  der  möglichst  vollständigen  Sammlung 
mit  weifsem  Papier  durchschossen;  hier  lassen  sich  auch  zerstreut  erschei- 
nende Emendationon  wie  in  Kölbings  Studien  VIH,  3,  p.  495,  K.  Elzes 
Notiz  zu  fast  last  I  King  Henry  IV.  III,  1,  l.ö8  oder  ebenda  p.  496  G.  Sarra- 
zins durch  gute  Gründe  gestützte  Besserung  bleare  oder  blear  the  raven's 
eye  für  das  sinnlose  bare  in  Cymbeline  H,  2,  49  unterbringen,  zu  welcher 
Lesart  jetzt  vielleicht  auch  Elze,  A  Letter  to  C.  M.  Ingleby,  containing 
Notes  and  conjectural  Emendations  on  Shakespeare's  Cymbeline  (Halle  1885) 
gelangt  ist.  Das  genannte  Verzeichnis  aus  kundigster  Hand  sollte  in  der 
Bibliothek  keines  Shakespeare-Forschers  fehlen. 

Joost  van  den  Vondel,  sein  Leben  und  seine  Werke.  Ein  Bild 
aus  der  niederländischen  Litteraturgeschichte.  Von  Alexander 
Baumgartner,  S.  J.  Mit  Vondels  Bildnis.  Freiburg  i.  B., 
Herdersche  Verlagsbuchhandlung,   1882.     XIII  u.  379  S. 

In  der  vorliegenden  Schrift  hat  der  Jesuit  Baumgartner  den  gröfsten 
Dichter  der  Holländer  zum  Gegenstand  seiner  Darstellung  gewählt  und  hat 
die  ursprünglich  gleich  seinen  Arbeiten  über  Lessing,  Goethe  und  Long- 
fellow  in  den  Ergänzungsheften  zu  den  „Stimmen  aus  Maria-Laach"  erschie- 
nenen Aufsätze  über  Vondel  zu  einem  stattlichen  Bande  vereinigt.  Aus- 
führlicher als  im  ersten  Entwürfe  bringt  dieses  Buch  zum  erstenmal  in 
Deutschland  eine  übersichtliche,  wenn  auch  nicht  vollständige  Biographie 
Vondels  mit  eingestreuten  Übersetzungsproben  aus  seinen  Werken,  die  hier 
in  chronologischer  Reihenfolge  unter  Verwertung  der  wichtigeren  litterari- 
schen Erscheinungen  einzeln  analysiert  werden.  Mit  Hingebung  hat  sich 
der  Verfasser  in  Holland  in  seinen  Gegenstand  veitieft  und  die  Hauptergeb- 
nisse aus  den  reichlich  fliefsenden  holländischen  Quellen  zu  einem  einheit- 
lichen Bilde  gruppiert.  Die  in  gewandtem  Stil  und  in  gemeinverständlicher 
Sprache  geschriebene  Darstellung  des  Lebens  und  der  dichterischen  Ent- 
wickelung  V^ondels  enthält  siebzehn  einzelne  Abschnitte,  deren  letzter  die 
Vondel-Litteratur  bis  zur  Gegenwart  in  möglichster  Vollständigkeit  behandelt. 
Hieran  schlii  fsen  sich  drei  Beilagen,  deren  erste  Vondels  nächsten  Familienkreis 
übersichtlich  darstellt,  während  in  der-  zweiten  die  Werke  des  Dithters  in 
chronologischer    Reihenfolge    geordnet    sind    und    in    der    dritten    ein   Ver- 


18G  Beurteilungen  uiul  kurze  Anzeigen. 

zeiclinis  der  auf  der  Amsterdamer  Bühne  aufgeführten  Stücke  von  163K  bis 
1678  gegeben  ist.  Ein  am  SeliUifs  beigefügtes  Personenregister  erleichtert 
die  Benutzung  des  Buches,  dessen  geschmackvolle  Ausstattung  und  sorgfal- 
tiger Druck  anerkannt  werden  mufs.  Dagegen  wiril  der  Eindruck  des 
Buches  dadurch  abgeschwächt,  dafs  es  vom  einseitigen  katholischen  Stand- 
punkte aus  geschrieben  ist,  den  zu  zeigen  \'ondels  Konversion  dem  Ver- 
fasser willkommenen  Anlafs  bot.  Auch  die  Sprache  ist  zuweilen  etwas  zu 
familiär,  z.  B.  wenn  es  (p.  108)  von  Vondel  heifst,  dafs  „die  Keiferei  der 
protestantischen  Pre<liger  und  ihr  zi-lotisches  Ankämpfen  gegen  freiere  Dich- 
tung und  Kunst  ihn  mit  \\  iderwillen  erfüllten",  oder  wenn  (p.  307)  bei 
Vondels  biblischen  Dramen  vom  heutigen  „Veilchenfresser-Publikum"  ge- 
sprochen wird.  Ferner  sind  Unkorrektheiten  im  Sprachgebrauch  zu  mo- 
nieren, die  auf  das  Holländische  zurückzuführen  sind:  z.  B.  Angenehmheit 
=  hoU.  aengenaemheit  (p.  303),  oder  Kerk  (p.  71)  statt  Kirche,  was  aus  Keim- 
mangel herübergenommen  ist,  ebenso  (p.  303)  der  Dingen,  oder  (p.  73)  schla'n 
für  schlagen,  oder  (p.  53)  gen'  dich  statt  gegen  dich  u.  a.  Nicht  immer  ist 
bei  Wie<lergabe  des  Holländischen  der  richtige  Aus<lruck  getrolfen,  z.  B. 
in  der  poetischen  Beschreibung  des  idyllischen  Landlebens  in  dem  Chor  der 
Euböer  aus  Palaniedes,  wo  die  unnachahmliche  Schönheit  der  Vondelschen 
Sprache  in  der  Übersetzung  sich  nicht  so  leicht  wiedergeben  läfst;  da  die 
Stelle  von  \V.  Berg  und  auch  von  E.  Martin  in  Schnorrs  Archiv  reprodu- 
ziert war,  so  war  hier  eine  geglättetere  Form  zu  erwarten;  so  wird  „belaeght 
de  vooglen  met  sijn  nef  etc.  mit  „belagert  die  N'ögel  mit  seinem  Netze", 
nachher  „belagert  das  \\"\h\  mit  seinen  Hunden"  unpassend  statt  „beschleicht" 
wiedergegeben.  Andere  Stellen  sind  in  der  Übersetzung  wohl  gelungen. 
Störend  im  Zusammenhange  wirkt  auch  der  pädagogische  Exkurs  (p.  26), 
wo  von  Vondel  <iie  Rede  ist,  der  sich  die  Mythen  des  Altertums  rasch  an- 
eignete; da  heifst  es,  dafs  „iler  Gyninasialjugend  diese  dichterischen  Mythen 
zur  Übung  im  Konjunktiv,  in  Bedingungssätzen  und  Partikeln  qualvoll  ein- 
getrichtert werden".  Kurz,  um  nicht  weitläufig  zu  werden,  von  genannten 
Mängeln  abgesehen,  ist  das  obige  Werk  immerhin  als  die  einen  anerken- 
nenswerten Fortschritt  zu  Jonckbloets  schiefer  Auffassung  enthaltende  brauch- 
bare Darstellung  des  Lebens  und  der  \Verke  Vondels  zu  bezeichnen.  Möge 
es  dazu  beitragen,  den  seiner  Herkunft  und  seinem  inneren  Kerne  nach 
deutschen  Dichter  in  Deutschland  weiteren  Kreisen  bekannt  zu  machen. 

Altenglische  Bibliothek.  Hrsgb,  von  E.  Kölbing.  Dritter  Band: 
Octavian.  —  Zwei  niittelenglische  Bearbeitungen  der  Sage. 
Hrösb.  von  Gregor  Sarrazin.  Heilbronn  1885.  XLV  und 
191  S. 

Im  Mittelenglischen  sind  zwei«  Bearbeitungen  der  Sage  von  Octavian 
vorhanden:  A.  das  südenglische,  poetisch  unbedeutende,  aber  sprachlich 
interessante  Gedicht;  B.  das  nordenglische  Gedicht,  eine  Perle  der  vor- 
chaucerschen  Zeit.  Als  Quelle  beider  Dichtungen  wird  der  von  Vollmöller 
1883  im  IlL  Bande  der  Altfranzösischen  Bibliothek  herausgegebene  altfran- 
zösische Ronian  von  Octavian  angenommen.  A  ist  schon  1810  nach  der 
einzigen  Londoner  Handschrift  des  \b.  Jahrb.  von  H.  Weber  in  seinen  fast 
unzugänglichen  Metrical  Romances  abgedruckt  worden,  aber  unkritisch.  Aus 
der  metrischen  Form,  einer  Art  Schweifreimstrophe,  und  aus  dem  im  An- 
fange des  14.  Jahrb.  verfafsten  Romane  von  Richard  Löwenherz  schliefst 
der  neue  Herausgeber,  dafs  das  in  Kent  oder  Essex  in  gemischtem  Dialekt 
geschriebene  Gedicht  bald  nach  der  Mitte  des  14.  Jahrh.  entstanden  ist. 
In  der  Annahme  des  afrz.  Romans  als  der  Quelle  zu  A  hat  der  Heraus- 
geber, von  welchem  jüngst  in  Braiuies  Beiträgen  (188j)  XI,  1,  p.  Iö9  — 183 
ein  beachtenswerter  Aufsalz   üinr  den  Schauplatz   des    ersten  Beowulfliedes 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  187 

und  die  lleinmt  des  Dichters  erschienen  ist,  eine  parallele  Analyse  beider 
Gedichte  veranstaltet;  aber  nicht  alle  Züge  lassen  sich  in  der  Quelle  nach- 
weisen. Da  nun  der  englische  Dichter  sich  an  zwei  Stellen  auf  das  Latei- 
nische beruft,  so  ist  eine  lateinische  Legende  von  Octavian  anzunehmen, 
die  sich  noch  wird  ausfindig  machen  lassen.  Den  Verfasser  der  Spielmanns- 
dichtung glaubt  der  Herausgeber  mit  dem  Dichter  des  Ritterromans  Lybeaus 
Disconnus  und  sogar  des  von  L.  Erling  1883  herausgegebenen  Launlal  iden- 
tifizieren zu  können,  in  welchem  sich  Thomas  Chestre  selbst  genannt  hat. 
Die  Gründe,  die  zu  dieser  Annahme  beigebracht  werden,  scheinen  zwar  an- 
nehmbar, sind  jedoch  nicht  zwingend.  Die  nordenglische  N'ersion  der 
Octaviansage  (B)  ist  in  zwei  lückenhaften  Handschriften  des  15.  Jahrh.  er- 
halten, deren  eine  von  Halliwell,  The  Komance  ol'  the  Eraperor  Octavian, 
London  1844,  abgedruckt  ist.  Da  sich  beide  Handschriften  ergänzen,  so 
ist  der  Text  beider  in  der  neuen  vorliegenden  Ausgabe  nebeneinander  zum 
Abdruck  gelangt.  Eine  gröfsere  Lücke  der  zweiten  (Lincolner)  Hs.  ist  in- 
folge eines  halben  ausgerissenen  Blattes  auf  fol.  108,  wo  über  70  Zeilen 
fehlen,  während  die  erste  (Cambridger)  Hs.  in  einer  Strophe  1669—1683 
zu  viel  Zeilen  enthält,  woran  der  Herausgeber  nichts  geändert  hat.  Aus 
der  metrischen  Form,  der  Schweifreimstrophe,  und  den  Reimen  wird  als  die 
Heimat  des  Gedichtes  Nordenglan<l  festgestellt  und  als  Entstehungszeit  un- 
gefähr 1350  angenommen.  Da  die  nordenglische  Version  von  der  süd- 
englischen abhängig  ist  und  in  der  nordenglischen  auf  eine  lateinische  Quelle 
nicht  Bezug  genommen  wird  —  die  Angabe  \)e  bukes  of  Rome  wird  für  ein 
Mifsverständnis  von  romance  gehalten  — ,  so  macht  der  Herausgeber  aus 
den  gemeinsamen  Zügen  und  dem  Gange  der  Handlung  als  Quelle  das  alt- 
französische Gedicht  von  Octavian  wahrscheinlich.  Vielleicht  führen  jedoch 
weitere  Recherchen  zu  einem  anderen  Resultat.  Verfasser  des  vortrefflichen 
Gedichtes  war  wahrscheinlich  kein  Spielmann,  sondern  ein  Geistlicher,  der 
seine  Kenntnis  der  Umgegend  von  Paris  aus  seiner  Vorlage  schöpfte;  mit 
Wahrscheinlichkeit  wird  demselben  noch  —  in  der  Verteilung  der  Autor- 
schaft anonymer  Werke  an  diesen  oder  jenen  Dichter  scheint  der  Heraus- 
geber nicht  gerade  jungfräulich  zaghaft  —  die  von  Halliwell  herausgegebene 
Legende  von  Sir  Isumbras  zugeschrieben.  Dem  Texte  hat  der  Herausgeber 
noch  Anmerkungen  und  Namensverzeichnisse  zu  beiden  Versionen  hinzu- 
gefügt. Alle  einschlägigen  Fragen  hat  der  Herausgeber  in  der  ausführ- 
lichen und  übersichtlichen  Einleitung  erörtert.  Für  diese  Untersuchung  wie 
für  die  sorgfältige  Ausgabe  der  beiden  mittelenglischen  Versionen  der  in 
ihrer  Verbreitung  noch  nicht  durchforschten  Octaviansage  gebührt  ihm  die 
verdiente  Anerkennung. 

Englische  Sprach-  und  Litteraturdenkmale  des  16.,  17.  und 
18.  Jahrhunderts.  Hrsgb.  von  K.  Vollmöller.  2)  Mar- 
lowes  Werke.  Historisch-kritische  Ausgabe  von  Hermann 
Breymann  und  Albrecht  Wagner.  I  Tamburlaine.  Hrsgb. 
von  Albrecht   Wagner.     Heilbronn  1885.    XL  u.  211  S. 

Dem  ersten  den  Gorboduc  enthaltenden  Bändchen  der  von  Vollmöller 
herausgegebenen  „Englischen  Sprach-  und  Litteraturdenkmale"  ist  nunmehr 
als  zweiter  Band  eine  stattliche  Ausgabe  des  Tamburlaine  Marlowes,  des 
Vaters  des  englischen  Dramas  und  bedeutendsten  Vorläufers  Shakespeares, 
gefolgt.  Dieselbe  übertrifft  alle  früheren  Ausgaben  dieses  anonym  über- 
lieferten Doppeldramas,  in  welchem  Marlowe  vor  1587  zuerst  den  blank- 
verse  auf  der  Bühne  mit  Erfolg  zur  Anwendung  brachte,  dadurch,  dafs  von 
dem  Herausgeber  (jetzt  ao.  Professor  in  Göttingen)  der  älteste  Text  unter 
Benutzung  des  ifcsamten  vorhandenen  Materials  in  unmodernisierter  Gestalt 


188  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

abgedruckt  worden  ist.  In  einer  längeren,  nicht  in  Abschnitte  eingeteilten 
Einleitung  zur  vorliegenden  Ausgabe  werden  die  einschlägigen  Fragen  be- 
treffs des  mit  ungewöhnlichem  Erfolg  aufgeführten  Stiackes  besprochen,  un<l 
zum  erstenmal  in  Deutschland  wird  hier  vom  Herausgeber  eine  eingehende 
Quellenuntersuchung  des  von  Marlowe  zuerst  für  die  Bühne  bearbeiteten 
■Stoffes  angestellt.  Das  Ergebnis  ist,  dafs  des  Dichters  Hauptquelle  die 
Silva  de  varia  lecion  des  Spaniers  Pedro  Mexia,  die  1571  von  Thomas 
Fortescue  ins  Englische  übersetzt  ist,  und  die  Vita  magni  Tamerlanis  des 
Latein  schreibenden  Italieners  Petius  Perondinus  war,  indem  im  ersten  Teile 
des  Tamerlan  die  Darstellung  wesentliche  Übereinstimmungen  mit  der  Er- 
zählung bei  Mexia  Perondinus  aufweist,  wie  aus  den  vom  Herausgeber  zum 
\  ergleich  mitgeteilten  Proben  der  englischen  Übersetzung  und  zweier  Stellen 
des  Lateinischen  hervorgeht.  Tamburlaine,  das  \\'erk  des  kaum  •23jährlgen 
Dichters,  der  nachdem  nur  noch  sechs  Jahre  gelebt  hat,  wurde  ungefähr 
drei  Jahre  nach  seiner  Entstehung,  1590  (A)  zum  erstenmal,  dann  1592  (B) 
und  1605  —  6  (C)  gedruckt.  Erst  1826  erschien  das  Stück  wieder  im  Druck 
in  der  mit  Fehlern  gespickten  ersten  anonym  erschienenen  Gesamtausgabe 
Marlowes,  dann  1828  —  'id  in  einer  zweiten  ungenügenden  Gesamtausgabe, 
1850  in  Alexander  Dyces  mit  Anmerkungen  verselienen  Works  of  Christopher 
Marlowe,  wo  jedoch  der  älteste  Drück  nicht  benutzt  ist,  1870  in  Francis 
Cunninghams  fehlerhafter,  einen  Rückschritt  bildender  Ausgabe,  endlich 
1885  in  Band  I  von  H.  Bullens  The  Works  of  Christopher  Marlowe  und 
zuletzt  Wagners  Abdruck  der  ältesten  Ausgabe  Octavo,  London  1590,  deren 
einziges  Exemplar  die  Bodleianische  Bibliothek  in  Oxford  besitzt.  Von  allen 
fünf  Ausgaben  unseres  Jahrhunderts,  vielleicht  mit  Ausnahme  der  von  Bullen 
veranstalteten,  die  dem  Ref.  erst  unvollständig  bekannt  ist,  ist  die  zuletzt 
und  zuerst  in  Deutschland  erschienene  als  die  beste  zu  bezeichnen,  nicht 
allein  weil  A  dem  Abdruck  zu  Grunde  gelegt  ist,  sondern  auch  weil  der 
Herausgeber  unter  Schonung  der  vorshakespeareschen  Orthographie  und  der 
sprachlichen  Eigentümlichkeiten  den  Variantenapparat  der  beiden  übrigen  älte- 
sten Ausgaben  zu  den  zehn  Akten  unterhalb  des  Textes  von  A  mitgeteilt  hat. 
Die  Arbeiten  der  früheren  Herausgeber  Marlowes  und  seiner  Emendatoren 
sind  in  den  reichhaltigen  ttxtkritischen  und  lexikographischen  Anmerkungen 
gebührend  berücksichtigt;  dafs  der  Herausgeber  hier  zwölfmal  auf  die  alte 
Orthographie  renowmed  hinweist,  zeigt  seine  Genauigkeit  im  Einzelnen.  Die 
Erklärung  3780,  wo  der  Jaxartes  zu  suchen,  war  überflüssig.  Ungern  ver- 
mifst  man  in  den  Anmerkungen,  die  viel  trefl'liche  Belege  aus  Shakespeare 
beibringen,  an  einzelnen  Stellen  ein  kurzes  Eingehen  auf  die  Quellen ;  so 
weifs  man  nicht,  ob  die  wunderlichen  geographischen  Vorstellungen,  wonach 
z.  B.  die  Donau  in  das  Tyrrhenische  Meer  fliefst,  oder  Sansibar  an  der 
Westküste  von  Afrika  oder  das  Salzmeer  (Limnasphaltis)  am  westlichen 
Thore  von  Babylon  Hegt  oder  sich  um  die  Stadt  hin  erstreckt,  vom 
Dichter  oder  seinen  Vorlagen  herrühren;  auch  Nigra  Silva  where  the  Deuils 
dance  u.  a.  dürfte  sich  in  den  Quellen  nachweisen  lassen.  Ein  Namens- 
verzeichnis wäre  behufs  Nachschlagens  sehr  erwünscht  gewesen,  besonders 
wegen  der  zahlreichen  klassischen  Anspielungen.  Die  Technik  des  im  Titel 
mit  „Two  tragicall  Discourses"  bezeichneten  Dramas  und  die  Fertigkeit 
des  Dichters  in  der  poetischen  Darstellung  wird  nicht  näher  besprochen. 
Dies  und  eine  Reihe  anderer  Fragen  haben  in  der  Einleitung,  wo  u.  a.  der 
Wunsch  einer  neuen  Darstellung  der  metrischen  Verhältnisse  bei  Marlowe 
trotz  Schippers  Dissertation  ausgedrückt  wird,  bei  dem  reichlich  fliefsenden 
Stoff'  nicht  alle  erörtert  werden  können.  Kurz,  möge  die  sorgfältige  Aus- 
gabe des  wichtigsten  Marloweschen  Trauerspiels,  über  dessen  grofsartigen 
Erfolg  auf  der  Bühne  man  sich  bei  der  gewaltigen  Sprache  nicht  zu  wun- 
dern braucht,  Anregung  zu  wi'iterer  Forschung  geben,  und  die  so  gut 
inaugiu'ierte  historisch-krilisclie  Ausgabe  der  Werke  des  Dichters  einen  raschen 
Fortgang  nehmen. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  ISO 

Germanisches  E.  Erster  Teil:  Die  lautgesetzliche  Entwicke- 
lung  des  indogerm.  e  in  den  ältesten  germanischen  Sprachen. 
Leipziger   Dissertation    von    Otto    Bremer.      Halle  a.  d.  S. 

1885.     41  S. 

Der  Verfasser  der  vorliegenden  Dissertation  bebandelt  in  diesem  ersten 
Teile  seiner  Abhandlung  über  „die  lautgesetzliche  Entwickelung  des  indo- 
germanischen e  in  den  ältesten  germanischen  Sprachen"  den  spontanen 
Lautwandel  des  einen  germanischen  e-Lautes  in  betonter  und  nicht  betonter 
Silbe  in  den  ältesten  Sprachstufen,  speciell  dem  Gotischen,  Altnordischen, 
Angelsächsischen,  Altfriesischen,  Altsächsischen  und  Althochdeutschen,  wobei 
er  seinen  Ausgangspunkt  vom  Urgermanischen  nimmt.  In  gründlicher  Weise 
wird  das  vorhandene  Material,  insbesondere  die  germanischen  Eigennamen 
aus  dem  ersten  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung,  die  gotischen  Namen 
vom  Ende  des  vierten  Jahrhunderts  an,  die  schon  zahlreicheren  fränkischen 
aus  den  Geschichtschreibern  gesammelten  Namen  bis  zu  der  Zeit  der  litte- 
rarischen Denkmäler  untersucht.  Da  der  Verf.  p.  2  sich  auf  S.  b\  fl'.  bezieht, 
dieser  Teil  seiner  41  Seiten  enthaltenden  Arbeit  jedoch  noch  nicht  vorliegt, 
so  wird  sich  ein  definitives  Urteil  über  das  Ganze  erst  nach  Erscheinen  der 
vollständigen  Abhandlung  abgeben  lassen.  Indes  kann  nach  obigem  ersten 
Teile  sclion  jetzt  erklärt  werden,  dafs  die  noch  mehr  wichtige  Ilesnltale  für  die 
Lautlehre  der  altgermanischen  Sprachen  versprechende  Untersuchung  der 
Schule  würdig  ist,  aus  der  sie  hervorgegangen  ist  und  uneingeschränktes  Lob 
verdient.  Bemerkt  sei  hier  nur  eins  zu  S.  16,  wo  der  Verf  nachweist,  dafs 
wir  a  für  ae  vielleicht  schon  zu  Anfang  des  1.  Jahrh.  n.  Chr.  in  dem  Worte 
für  „Glas"  finden;  aus  Plinius'  Berichten  über  die  friesische  berristeinreiche 
Insel  Glaesaria  und  aus  dem  germanischen  Worte  mit  lat.  Endung  oicsum 
(für  Bernstein)  in  Tacitus'  Germania  macht  \'erf.  die  Tonlosigkeit  des  s 
in  dem  germanischen  Worte  wahrscheinlicher  als  die  Annahme  eines  tönen- 
den z  durch  Müllenhoff.  Gegen  Grimm  I,  58  jedoch,  der  engl,  glair  mit 
ags.  glsere  identifiziert,  nimmt  Mahn  in  seinen  Etymologischen  Unter- 
suchungen celtischen  Ursprung  (bret,  glaour,  kymr.  glyfoer)  an.  —  Inzwi- 
schen ist  die  vollständigere,  einen  Separatabdruck  verdienende  Arbeit  Bre- 
mers über  „Germanisches  e.  I.  Die  lautgesetzliche  Entwickelung  des  indo- 
germ, e"  in  Braunes  Beiträgen  XI,  1   (1885)  p.   1 — ^76  erschienen. 

Die  Sprachforschimg  der  Gegenwart  mit  Bezug  auf  die  fran- 
zösische Litteratur  im  Mittelalter.  Von  Ferd.  Brunetiere. 
Mit  Genehmigung  des  Verfassers  übersetzt  von  E.  Laur. 
Heidelberg. 

Vor  mehreren  Jahren  erregten  in  der  Revue  des  deux  mondes  die 
Erstlingsarbeiten  F.  Brunetieres  durch  ihren  polemischen  und  satirischen 
Ton  nicht  geringes  Aufsehen,  jedoch  wurden  seine  Ansichten  über  die  fran- 
zösische Litteratur  und  Sprache  des  Mittelalters  bald  von  kompetenter  Seite 
zurückgewiesen.  Zwar  ist  es  nicht  unnütz,  wenn  zuweilen  eine  Stimme 
gegen  den  alten  Schlendrian  des  philologischen  Pedantismus  und  gegen 
Verknöcherung  in  Specialwissenschaften  laut  wird  :  aber  die  Verunglimpfung(>n 
des  Altfranzösisehen  als  einer  höchst  barbarischen  Sprache,  die  roh  wäre 
wie  die  Sitten  des  alten  Frankreich  und  gemein  wie  die  Neigungen  seiner 
Bewohner,  der  Spott  über  das  eintönige  V'ersmafs,  d^n  schlechten  Klang 
und  die  nicht  einheitliche  Orthographie  der  alten  Sprache,  deren  Erforschung 
er  lächerlich  zu  machen  bestrebt  war,  ruhten  auf  einer  zu  oberflächlichen, 
aus  zweiter  Hand  geschöpften  Kenntnis  von  ein  paar  schlechten,  von  ihm 
für  buchstäblicii  unlesbar  gehaltenen  Fabliaux  und  Chansons  de  geste. 
Brunetiere,    einer   der   eifrigsten   Mitarbeiter  der  Revue   des    deux    mondes, 


1!)0  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

der  nicht  nur  die  \'ergangenheit  seiner  Nation  zu  kennen  meint,  sondern 
auch  seine  Forschungen  auf  die  Gegenwart  ausdelint,  wie  sein  zuletzt 
(1.  Oktbr.  1885)  in  seinem  Lfiborgan  veröflentlichter  Aufsatz  „Les  cafes- 
concerts  et  la  chanson  fran9aise"  beweist,  ist  in  obigem  Buche  die  zweifel- 
hafte Ehre  einer  Übersetzung  seiner  epochemachenden  Entdeckungen  ins 
Deutsche  zu  teil  geworden;  aber  trotzdem  werden  die  Gelehrten  seinen 
Mahnungen  entgegen  sich  weiter  das  Augenlicht  und  den  Geschmack  an 
dem  Studium  mittelalterlicher  Dokumente  verderben  und  in  Barbarei  ver- 
sinken !  Doch  hier  haben  wir  es  nur  mit  der  deutschen  Übersetzung  zu 
tliun.  Der  Übersetzer  hat  jede  Angabe  unterlassen,  woher  er  seine  Über- 
setzerweisheit entnommen  hat,  und  scheint  den  irreführenden  Titel  zu  dem 
Buche  selbst  gewählt  zu  haben;  von  Spracliforschung  der  Gegenwart  ist 
blutwenig  die  Rede.  Wir  brauchen  uns  wohl  ebenso  wenig  wie  mit  der 
Widerlegung  des  Inhaltes  des  Buches  mit  dem  Sündenregister  der  Über- 
setzung aufzuhalten,  in  weicher  z.  B.  Minnesängerund  Fabliaudichter  (p.  31 ; 
p.  20  steht  Aöde  für  Sänger  neben  9ta^^öote  statt  9it)a^lobe)  vermengt 
wird,  und  (p.  62)  „von  jenseit  dem  Rheine"  oder  (p.  5)  „einen  Mann  von 
Welt"  u.  s.w.  Deutsch  sein  soll,  zumal  ein  Bedürfnis  nach  solchen  Arbeiten 
in  Deutschland  nicht  vorhanden  ist. 

L'instruction  primaire  et  ses  efFets  sur  la  civllisation  d'iine  na- 
tion.  Conferences  d'hiver  de  la  Philosophical  Institution 
d'Ecosse.  Discours  prononce  ä  Edinbourg  le  7  novembre 
1884  par  M.  Aug.  Couvreur,  (Traduit  du  Scotsman.) 
Bruxelles  1885.     21  p. 

Der  berühmte  Ausspruch  Macaulays,  dafs,  wer  das  Recht  zu  hängen 
hat,  die  Pflicht  hat  zu  unterrichten,  findet  in  dem  vorliegenden  Vortrage 
auf  Belgien  passemle  Anwendung,  wo  der  Kampf  zwischen  Staat  und  Kirche 
um  den  öffentlichen  Unterricht  noch  weiter  tobt.  Der  ausgezeichnete  Redner 
entwirft  vor  seinen  Zuhörern  ein  anschauliches  Bild  des  Widerstandes  seitens 
der  klerikalen  Partei  gegen  die  Bestrebungen  des  Staates  zur  Hebung  des 
Volksschulunterrichts,  schildert  die  Ereignisse  von  1830  bis  zur  Gegenwart, 
bringt  als  Wirkungen  der  klerikalen  Herrschaft  Proben  der  krassesten  Un- 
wissenheit des  Volkes  bei  (so  dafs  die  Bezeichnung  Ministre  de  l'ignorance 
publique  für  Belgien  sehr  gut  pafst),  bespricht  den  Widerstand  der  katho- 
lischen Bischöfe  gegen  das  Gesetz  von  1»79,  das  Streben  des  Klerus,  einen 
Staat  im  Staate  zu  schaffen,  und  schliefst  mit  einem  Hinweis  auf  die  gegen- 
wärtige Haltung  der  belgischen  liberalen  Partei.  Wer  die  Resultate  des 
klerikalen  Unterrichts  in  Belgien  und  pfäflische  V^erdummung  kennen  lernen 
will,  möge  obige  kleine  Broschüre,  insbesondere  S.   10 — 14,  selbst  lesen! 


Z  e  i  t  s  c  h  r  i  f  t  e  n  s  c  h  a  u. 

l^nglische  Studien.     Herausggb.   von  E.  Kölbing.     VIII.  Band. 
2.  u.  3.  Heft.     Heilbronn  1885.     S.  209—511. 

209 — 254.  A.  Hoofe,  Lautuntersuchungen  zu  Osbern  Bokenams  Legen- 
den. —  Die  von  C.  Horstmann  1883  in  Kölbings  Altengl.  Bibliothek  Bd.  I 
neu  herausgegebenen  Legenden  Osbern  Bokenams,  die  1443 — 47  im  Suffolk- 
Dialekt  geschrieben  sind,  werden  in  dieser  Abhandlung  auf  Grund  der  vor- 
angegangenen Forschungen  des  Herausgebers  ihrem  Lautbestande  nach  ein- 
Seliend  untersucht.     Nach  dieser  Laut-   imd  Flexionslehre  verdient  die  Aus- 


Beurteilunfren  und  kurze  Anzeigen.  191 

spräche  in  ihrem  Verhältnis  zu  den  Schriftzeiehen  sowie  der  Sull'olk-Dialckt 
in  seiner  Entwickelung  vom  15.  J;U:rh.  bis  zur  Gegenwart  besonders  be- 
handelt zu  werden.  —  254—287.  C.  Horstmann,  Mitteilungen  aus  Ms.  Vernon. 
Drei  Gedichte  dieser  Hs.  finden  hier  zum  erstenmal  Veröffentlichung:  1)  La 
estorie  del  Euangelie:  Dies  Fragment  enthält  nur  392  Verse,  welche,  wäh- 
rend im  vollständigen  Gedicht  das  ganze  Leben  Jesu  bis  zur  Himmelfahrt 
und  zum  jüngsten  Gericht  enthalten  gewesen  ist,  nur  die  Zeit  bis  zu  .Jesu 
Geburt  nebst  der  Geburtsgeschichte  des  Johannes  nach  der  Bibel  und  homi- 
letischen Berichten  im  südöstlichen  Dialekt  darstellen.  Die  metrische  Form 
(vierzeilige  einreimige  Strophen)  wird  vom  Herausgeber,  der  das  (icdicht 
noch  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrh.  zuweist,  besonders  hervorgehoben. 
Das  zweite  Gedicht,  das  um  die  Mitte  des  14.  Jahrh.  in  ostmittelländischem 
Dialekt  abgefafst  ist,  fulirt  den  Titel:  A  dispitison  bitwene  a  god  man  and 
\ie  deuel,  und  behandelt  dialogisch  in  kurzen  mit  Langzeilen  wechselnden 
Keimpaaren  vom  AVorte  Gottes,  wie  es  gepredigt  wird,  von  den  siel»en  Tod- 
sünden und  von  den  Thorheiten  der  Zt;it.  Das  als  solches  vom  Heraus- 
geber charakterisierte  Streitgedicht  ist  vollständig  erhalten  und  bildet  ziem- 
lich 1000  Zeilen,  die  eine  Durchforschung  im  Einzelnen  veidienen.  Das 
dritte  Gedicht,  jie  pope  Trental  betitelt,  das  200  Zeilen  in  Reimpaaren  ent- 
hält, wird,  obschon  es  zweimal  nach  drei  anderen  Handschriften  heraus- 
gegeben war,  hier  nach  dem  doppelten  Texte  des  Ms.  Vernon  verölfent- 
licbt.  Den  Stoff  bildet  die  Legende  vom  heiligen  Gregor.  —  Diesen  Dich- 
tungen schliefsen  sich  zwei  Prosate.xte  an;  der  erste  ist  vom  Herausgeber 
betitelt:  „Ratschläge  für  eine  Orientreise",  und  ist  aus  einer  Cotton-Hs. 
entnommen.  Der  ungenannte  \'erf;isser  beschreibt  darin  nicht  nur  die  Reise 
selbst,  sondern  giebt  auch  hygieinische  Verhaltungsmafsregeln.  Das  kleine 
Stück  ans  der  Zeit  vor  John  Mandeville  gewährt  einen  Einblick  in  die 
geographischen  Vorstellungen  des  14.  Jahrh.  —  Endlich  folgen  noch  nach 
einer  Londoner  Hs.  Zwiegespräche  unter  dem  Titel:  Qiiestions  by-twene 
the  Maister  of  O.xenford  and  his  Clerke.  Diese  höchst  naiven  Fragen  und 
Antworten  erscheinen  hier  ausführlicher  als  in  der  von  Wülker,  Altengl. 
Ivesebuch  H,  191  — 194  aus  Ms.  Landsowne  abgedruckten  Version,  in  wel- 
cher sechs  Fragen  weniger  beantwortet  sind.  Die  Frage  nach  dem  ersten 
Stä'itegründer  steht  bei  Horstmann  zweimal,  docii  mit  verschiedener  Ant- 
wort. —  287  — S23.  H.  Klinghardt,  Die  Lautphysiologie  in  der  Schule.  — 
Der  sachkundige  Verfasser  dieser  orientierenden  Abhandlung,  welcher  die 
Lauiphysiologie  nicht  für  eine  Modelaune  der  Wissenschaft  betrachtet  wissen 
will,  giebt  erst  einen  Überblick  über  die  Ziele  und  die  historische  Ent- 
.wickelung  der  Lwutphysiologie,  behandelt  d.'inn  die  \'erwertung  der  physio- 
logischen Resultate  lur  den  Sprachunterricht  auf  Grund  der  für  die  Dessauer 
l''hilologenversammlung  entworfenen  Thesen  und  sucht  unter  Hinweis  auf 
die  neuesten  Erscheinungen  auf  phonetischem  Gebiet  von  Western.  Schröer, 
Breymann,  Victor  und  Trautmann  das  Interesse  weiterer  Fachkreise  an  der 
noch  unfertigen  Wissenschaft  zu  wecken.  —  324 — 378.  Litteratur.  H.  \'arn- 
hagen,  Longfellow's  Tales  of  a  Wayside  Inn  und  ihre  Quellen  nebst  Nach- 
weisen und  Untersuchungen  über  die  vom  Dichter  bearbeiteten  Stoffe. 
Berlin  1884  (F.  Liebrecht).  Zu  dieser  giündlichen  Arbeit  wie  zu  desselben 
Verfassers  Buche  über  Ein  indisches  Märchen  in  den  europäischen  Littera- 
turen  werden  hier  einige  ergänzende  Zusätze  beigebracht.  —  H.  Druskowitz, 
Bercy  Hysshe  Slielley.  Kerlin  1884.  —  Der  Recensent,  der  einige  Mängel 
des  Buches  tadelt,  demselben  jedoch  seine  Anerkennung  zollt,  üliersieht, 
dafs  die  Arbeit  von  einer  promovierten  Dame  herrührt.  —  K.  W'arnke  imd 
L.  Pröscholdt,  Pseudo-Shakespearian  Plays.  II  The  merry  devil  of  Ed- 
monton. Revised  and  edited  with  introduction  and  notes.  Halle  18S4 
(M.  Koch).  Diese  sorgfältige  Ausgabe  wird  warm  begrüfst  mv\  eine  rasche 
Fortsetzung  der  Sammlung  gewünscht.  —  M.  Vietor,  Elemente  der  Pho- 
netik und  Orthoepie  des  D<  utsclx-n,  Englischen  und  Französischen  mit  Rück- 


192  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

sieht  auf  die  Bedürfnisse  der  Lehrpraxis.  Heilhronn  1884  (F.  Franke).  Das 
hier  ausführlich  besprochene  Buch  mit  den  Hauptresultaten  der  Laiitfor.schung 
wird  allen  Jüngern  der  modernen  Philologie  empfohlen.  —  M.  Trautmann, 
Die  Sprachlaute  im  allgemeinen  und  die  Laute  des  Englischen,  Franzö- 
sischen und  Deutschen  im  besonderen.  L  Leipzig  1874  (E.  Förster).  Auch 
dies  Werk  wird  dringlichst  empfohlen.  —  J.  Hoff'ory,  Professor  Sievers  und 
die  Principien  der  Sprachphysiologie.  Eine  Streitschrift.  Berlin  1884; 
H.  Breymann,  Über  Lautphysiologie  und  deren  Bedeutung  für  den  Unter- 
richt. München,  Leipzig  1884;  A.  Schröer,  Über  den  Unterricht  in  der 
Aussprache  des  Englischen.  Berlin  1884;  A.  Western,  Engelsk  Lydlaere 
for  studerende  og  laerere.  Kristiania  1882  (H.  Klinghardt).  Die  ein- 
gehende Besprechung  dieser  sachkundigen  vier  Schriften  über  Lautphysio- 
logie bildet  eine  willkommene  Ergänzung  zu  Klinghardts  obiger  Abhand- 
lung. —  Jane  Austen's  Novels,  by  G.  Pellew.  Boston  1883.  (F.  Bobertag.) 
Diese  Charakteristik  Jane  Austens  wird  lobend  empfohlen.  —  G.  Jansen, 
Beiträge  zur  Synonymik  und  Poetik  der  allgemein  als  echt  anerkannten 
Dichtungen  Cynewulfs.  Münster.  Das  Thema  dieser  Dissertation  wird  nicht 
für  musterhaft  behandelt  erklärt,  indem  der  Verf.  statt  einer  Synonymik 
lind  Poetik  in  vielen  Paragraphen  eine  gelehrt  aussehende  Nomenklatur  ge- 
liefert hat.  Es  ist  die  alte  Klage  über  die  mechanischen  und  geistlosen 
in  Münster  gefertigten  Dissertationen  —  Jos.  Schürmann,  Darstellung  der 
Syntax  in  Cynewulfs  Elene.  Paderborn  (H.  Klinghardt).  Trotz  der  Be- 
schränktheit und  der  Weitschichtigkeit  des  Themas  wird  diese  mit  Fleifs 
und  Verständnis  gefertigte  Dissertation  anerkannt.  —  354 — 378.  Lehr-  und 
Übungsbücher  für  die  englische  Sprache.  XV'.  English  Vofabulary.  Metho- 
dische Anleitung  zum  Englischsprechen.  Mit  durchgehender  Bezeichnung 
der  Aussprache,  von  G.  Plötz.  II.  Aufl.  Berlin  1883 ;  Englisches  Voka- 
bularium und  Einführung  in  die  Konversation.  Mit  kurzen  Ausspraclie- 
bezeichnungen  und  synonymen  Anmerkungen  und  mit  Berücksichtigung  des 
Französischen.  Ausgabe  A.  Für  die  mittleren  und  oberen  Klassen  höherer 
Lehranstalten  und  für  den  Selbstunterricht,  von  K.  Meurer.  Köln  1883: 
i^nglisches  Vokabulai'ium  mit  kurzen  Aussprachebezeichnungen.  Ausgabe  B. 
Für  die  drei  unteren  Jahresknrse,  von  K.  Meurer.  Köln;  Anglo-American 
Progressive  Reader.  Englisch-amerikanisches,  vom  Leichten  zum  Schweren 
fortschreitendes  Lesebuch.  \'on  K.  Munde.  Dritte  Ausgabe.  Leipzig  1883 
(.].  Kochi.  Trotzdem  Koch  die  Vokabularien  für  den  Schulunterricht  min- 
destens für  überflüssig  hält,  widmet  er  der  Besprechung  dieser  vier  Bücher 
mehr  als  13  Seiten.  G.  Plötz'  Vocahulary  wird  für  Vorgeschrittenere,  nicht 
für  Anfänger,  unter  Hinweis  auf  einige  Ünvolikommenheiten,  für  ein  gutes 
Hilfsmittel  erklärt.  An  Meurers  Büchern  wird  die  geschickte  Zusammen- 
stellung und  Einrichtung  gelobt,  aber  die  grammatischen  Noten  werden  für 
überflüssig  erklärt  und  in  Bezug  auf  Synonymik  wird  gröfsere  Beschränkung 
empfohlen.  Auch  hier  wird  eine  Anzahl  Fehler  berichtigt.  Mundes  Buch, 
d;is  vom  Satze  und  von  zusammenhängenden  Gesprächen  ausgeht  und  frisch 
geschriebene  Stücke  enthält,  wird  für  praktische  Zwecke  in  Amerika  warm 
empföhlen,  nicht  für  die  Schule  und  England.  —  Materialien  zu  englischen 
Klassenarbeiten  sowie  zu  häuslichen  schriftlichen  Arbeiten  und  mündlichen 
Ühungim.  Für  obere  Klassen.  Von  B.  Peters.  Leipzig  1883  (Willenberg). 
Das  Buch  wird  in  jeder  Hinsicht  günstig  beurteilt.  —  Englische  Briefe  zum 
liückübersetzen  aus  dem  Deutschen  ins  Englische,  bearbeitet  von  H.  Brei- 
tingcr.  Zürich  1883  (Willenberg).  Diese  Sammlung  interessanter  Briefe 
wird  Lehrern,  nicht  Schülern  empföhlen;  der  Stil  wird  getadelt.  —  Theo- 
retisch-praktischer Lehrgang  der  englischen  Spraclie  mit  genügender  Be- 
rüttksichtigung  der  Aussprache  für  höhere  Schulen,  von  K.  Deutschbein. 
Achte  verbesserte  Doppelauflage.  Köthen  1884.  (jlrofse  Ausgabe  (Willen- 
berg). Diese  verdienstvolle  umgestaltete  Grammatik  wird  unter  llinzufügiuig 
von  Bemerkungen  für  eine  neue  Auflage  warna  empfohlen.  —  English  litera- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen,  193 

ture  in  tlie  eighfeenth  Century  by  Th.  Sergeant  Perry.  New-York  1883 
(F.  Bobertag).  Trotz  Ungleichmäfsigkeit  wird  das  aus  Vorlesungen  ent- 
standene geistvolle  Buch  angelegentlich  empfohlen.  —  Evangeline,  a  Tale 
of  Acadie  by  H.  W.  Longfellovv.  17.  Bändchen  der  „Sammlung  gediegener 
und  interessanter  Werke  der  englischen  Litteratur  von  Schmick".  Leipzig 
(G.  Weiidt).  Diese  Ausgabe,  die  nicht  zu  näherer  Besprechung  Anlafs 
giebt,  wird,  weil  Evangeline  unerträglicli  langweilig  und  wegen  der  oft  häfs- 
liehen  Bilder  und  des  schwerfälligen  \'ersmafses  nicht  als  geeignete  Schul- 
lektüre erklärt,  sondern  wegen  der  Einfachheit  des  Idylls  reiferen  Schülern 
und  Mädchen  als  Privatlektüre  empfohlen.  —  The  Lady  of  the  Lake,  by 
Sir  Walter  Scott,  Bart.  Mit  Anmerkungen,  einer  Karte  und  einem  Wörter- 
verzeichnis, hrsgb.  von  M.  Krummacher.  Berlin  1884  (R.  Thum).  Diese 
Ausgabe  wird  kurz  als  eine  sehr  fleifsige  und  sorgfältige  Arbeit  gelobt.  — 
378 — 393.  Programmenschau.  Li  Lais  de  Lanval.  Altfranzösisehes  Ge- 
dicht der  Marie  de  France,  nebst  Thomas  Chestre's  „Launfal".  Neu  hrsgb. 
von  L.  Erling.  Kempten  1883  (A.  Rhode).  In  dieser  Anzeige  wird  der 
Wunsch  nach  einer  ausführlicheren  Darlegung  der  Quelle  zu  dem  englischen 
Gedicht  ausgesprochen  und  dem  Verf.  empfohlen,  eine  kritische  Ausgabe 
nicht  nur  des  Lanval,  sondern  der  ganzen  Werke  der  Marie  zu  veranstalten. 
Inzwischen  ist  von  Suchiers  Bibliotheca  Normannica  Bd.  3  mit  den  Lais 
der  Marie  de  France,  hrsgb.  von  K.  Warnke,  erschienen.  —  R.  Boyle,  Über 
die  Echtheit  Heinrichs  VIII.  von  Shakespeare.  Separatabdruck  der  Pro- 
grammschrift  der  St.  .-^nnenschule.  St.  Petersburg  1884.  Boyle  hält  Fletcher 
und  Massinger  für  Verfasser  Heinrichs  VIII.  in  seiner  jetzigen  Gestalt  und 
glaubt,  dafs  kaum  etwas  übrig  geblieben  ist  von  Shakespeares  Stück.  Die 
geliarnischte,  höchst  beachtenswerte  Anzeige  findet  im  IX.  Bande  von  Köl- 
bings  Studien  ihren  Nachhall.  —  Pudmenzky,  Shakespeares  Perikles  und 
der  ApoUonius  des  Heinrich  von  Neustadt.  Detmold  1884.  Nach  Skizzie- 
rung des  Inhalts  der  Abhandlung  tritt  der  Ref.  der  „Legende"  von  der  Auf- 
führung des  Perikles  in  München  entgegen,  die  mit  Shakespeare  blutwenig 
zu  thun  habe.  —  G.  E  Penning,  Ducis  als  Nachahmer  Shakespeares.  Bre- 
men 1884  (M.  Koch).  Die  Arbeit,  deren  Stoß"  schon  öfter  behandelt  ist, 
wird  trotz  höherer  Forderungen  als  ein  Beitrag  zur  Geschichte  Shakespeares 
auf  dem  Kontinente  begrüfst.  —  K.  Seitz,  Zur  AUitteration  im  Neuenglischen. 
Itzehoe  1883/84  (E.  Regel).  Nach  Zeuners  N'organge  wird  in  dieser  Schrift 
die  AUitteration  im  Neuenglischen  in  gründlicher,  umfassender  und  äufserst 
lehrreicher  Weise  behandelt.  —  M.  Wagner,  The  English  dramatic  blank- 
verse  before  Marlowe.  IL  Osterode  i.  O.  1882  (J.  Schipper).  Dieser  Teil 
enthält  die  von  Schipper  Bd.  V  der  Engl.  Studien  besprochenen  N'orzüge 
und  Schwächen  des  ersten.  —  394 — 426.  Miscellen.  Bemerkungen  zum 
„Lob  der  Frauen"  (J.  Zupitza).  Die  mittelengl.  Destruction  of  Troy  und 
ihre  Quelle  (H.  Brandes).  Zu  Byrons  Childe  Harold  (M.  Krummacher). 
Über  die  attributive  Konstruktion  eines  sächsischen  Genitivs  oder  substan- 
tivischen Possessivpronomens  mit  of  (E.  Beckmann).  H.  F.  Stratmann  (E.  K.\ 
Bemerkungen  zu  der  in  VII!,  1  der  E.  St.  enthaltenen  Anzeige  der  Schrift 
„Poesie  und  Moral  im  Wortschatze"  von  Kares  (O.  Kares).  Erwiderung 
(E.  Eisenlohr).  (TCgenäufserung  des  Recensenten  (G.  Sarrazin).  Zu  E.  St. 
VIII,  66  (J.  M.  Hart).  Eine  Korrespondenz  zwischen  Herrn  Dr.  E.  Engel 
und  den  Verlegern  der  Engl.  Studien.  —  427—464.  M.  Schwarz,  Kleine 
Publikationen  aus  der  Auchin!eck-Hs.  IV.  Die  Assumptio  Marife  in  der 
Schweifreimstrophe.  Die  älteste  mittelengl.  Version  der  Himmelfahrt  Marias 
war  von  (iierth  im  siebenten  Bande  der  Engl.  Studien  untersucht  worden. 
Die  vorliegende  Arbeit  behandelt  die  zweite  Version,  die  nicht  wie  jene  in 
kurzen  Reimpaaren,  sondern  in  der  sechszeiligen  Schweifreimstrophe  ge- 
dichtet ist.  Schwarz  erörtert  nach  kurzer  Einleitung  das  Verhältnis  dieser 
zwei  Übertragungen  in  eingehender  Weise,  handelt  über  die  Form  und  den 
Stil  des  Gedichts,  sucht  den  Dialekt  des  Dichters  zu  bestimmen  und  ver- 
.\rcliiv  f.  n.  Sprachen     LXXV.  13 


194  Beurteilungen  um!  kurze  Anzeigen. 

örtenllicht  dann  den  Text  der  Hs.  nach  einer  Aliscbrift  Kölbings.  Zu- 
letzt wiri]  anhant;sweise  eine  spatere  in  einer  Hs.  der  Chetam  Library  zu 
Manchester  erhaltene  Fassung  der  ältesten  Version  und  als  dritte  Bearbei- 
tung die  mittt'lengl.  Assumptio  des  Ms.  Bodl.  779  nach  einer  Abschrift 
Horstmanns  kurz  besprochen.  Zur  Vergleichung  mit  dem  ziemlich  dürf- 
tigen Gediclit  ist  aufser  dem  lat.  Text  der  Legenda  aurea  und  der  franzö- 
sischen Bearbeitung  Waces  (des  Konrad  von  Heimesfurt  ist  nur  einmal  ge- 
dacht) keine  weitere  Version  herbeigezogen  worden.  —  465  —  472.  J.  Zu- 
pitza,  Zur  Etymologie  von  mittelengl.  merry.  Dies  Wort  wird,  der  bis- 
herigen Herltitung  aus  dem  Keltischen  entgegen,  zu  dem  got.  gamaiirgian  = 
kürzen  (ahd.  murg  =  kurz)  gestellt  und  als  Beleg  für  einen  ähnlichen  Be- 
deutungsübergang das  Shakespearesche  abridgment  =  Kurzweil,  Zeitvertreib 
aufgeführt.  —  472—479.  F.  Kluge,  Zu  altenglischen  Dichtungen.  2)  Noch- 
mals der  Seefahrer.  3)  Zum  Phönix.  Die  Schlufsverse  im  Seefahrer  werden 
in  Homilien  als  Reminiscenzen  nachgewiesen,  unter  Mitteilung  einer  Stelle 
aus  Co'i.  Tiber.  A  III  und  Cod.  Reg.  7  C  IV.  Noch  wertvoller  sind  die 
zwei  prosaisch-metrischen  Betrachtungen  über  Johannes  und  den  Phönix, 
die  der  Herausgeber  der  zweiten  Hälfte  des  11.  Jahrh.  zuweist.  Schliefs- 
lich  giebt  Kluge  noch  zwei  Etymologien :  ags.  swätan,  scbott.  swats  =  Bier : 
ags.  solmond,  von  sol  =:  Kuchen  ;  Sonne.  —  480 — 494.  Litteratur.  R.  Merbot, 
Ästhetische  Studien  zur  ags.  Poesie.  Breslau  1883  (F.  Kluge).  Dieser  Erst- 
lingsarbeit über  ags.  Dichter,  Arten,  Stil  und  Stoffe  der  Dichtungen  wird 
eine  Anerkennung  nicht  versagt,  trotz  mangelhafter  Vorbildung  des  Verf, 
der  für  tüchtiger  erklärt  wird  als  „die  Autoren  Münsterscher  Doktor-Disser- 
tationen, an  denen  wir  meist  nur  den  Umfang  der  Arbeit  mit  Interesse  be- 
trachten". Einem  späteren  Bearbeiter  dieses  Themas  giebt  Kluge  einige 
Fingerzeige  und  wünscht  gleichzeitig  Berücksichtigung  des  Skandinavischen. 
William  Shakespeare.  Sämtliche  Werke  in  englisch -deutscher  Parallel- 
ausgabe.  Nr.  1.  Julius  Cäsar,  übersetzt  von  W.  v.  Schlegel.  Bevorwortet 
und  eingeleitet  von  K.  Sachs.  Leipzig  1884  (M.  Koch).  Ein  Bedürfnis 
von  Parallelausgahen  wird,  für  Deutschland  wenigstens,  als  kaum  vorhanden 
bezeichnet.  Die  Einleitung  mit  den  aufgezählten  Arbeiten  über  Julius  Cäsar 
sowie  über  Shakespeares  \'erhältnis  zu  Frankreich  und  Deutschland  erhält 
hier  mehrere  wertvolle  Ergänzungen.  —  Lehr-  und  Übungsbücher  für  die 
englische  Sprache.  XVI.  J.  Fölsing,  Elenientarbuch  der  englischen  Sprache, 
22.  Auflage,  neu  bearbeitet  von  John  Koch.  Berlin  188.3  (H.  Fernow). 
Gerühmt  wird  an  dieser  Neubearbeitung  «ile  Verwertung  der  Ergebnisse  der 
Lautphysiologie  für  die  Schule.  Die  Auswahl  der  Lesestücke,  die  Zusammen- 
.stellung  der  Übungssätze  und  die  Fassung  der  grammatischen  durch  Koch 
wird  gelobt,  die  Art  der  Verwertung  der  Phonetik  jedoch  bezweifelt.  — 
Schlüssel  zu  Deutschbeins  theoretisch-praktischem  Lehrgänge  der  englischen 
Sprache  nebst  methodischer  Anleitung  zum  Gebrauche  des  letzteren.  Zweite 
verbesserte  .4ufl.,  hrsgb.  vom  Verfasser  des  Lehrganges.  Als  Manuskript 
t^edruckt.  Köthen  1884  (Willenberg).  Die  Erweiterungen  und  Änderungen 
in  der  neuen  Ausgabe  des  „Schlüssels"  zu  Deutschbeins  in  achter  Auflage 
erschienenem  Lehrgange  werden  in  einigen  Bemerkungen  kurz  besprochen.  — 
Progrannnschau.  Übersetzungen  aus  GoMsmitli.  Von  M.  Krummacher. 
Neunter  Bericht  der  städt.  höheren  Töchterschule  zu  Kassel.  Kassel  1884 
(M.  Koch).  Die  Fortsetzung  der  Übersetzung  des  Traveller  wird  als  eine 
philologisch  und  poetisch  tüchtige  Leistung  gelobt  und  auf  eine  Reminiscenz 
an  Goldsmith  in  (ioethes  Faust  hingewiesen.  —  Alois  Hruschka,  Zur  ags. 
Namensforschung.  Prag  1884  (F.  Kluge).  Unter  verschiedenen  Ausstel- 
lungen an  dem  Progranun  wünscht  Kluge  ein  vollständiges,  das  vorhandene 
ags.  Material  erschöpfendes  Namensverzeichnis.  —  J.  Gutersohn,  Beiträge 
zur  phonetischen  Vokallehre.  Programmabhandlung  der  Realschule  zu 
Karlsruhe  vom  Jahre  1882  und  1884  (K.  Deutschbein).  Wie  schon  in 
einem   Vortr;i";e    auf    der   Dessauer   Pliilolnoenversammlunjr,    so    wird    diese 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  19;> 

Abhandlung  hier  nochmals  unter  ausführlicher  Inhaltsangabe  von  Deutsch- 
bein angelegentlichst  empfohlen.  —  495-511.  Miscellen.  Zu  1  King 
Henry  IV.  III,  1,  158  (K.  Elze).  Zu  Cymbeüne  II,  2,  49  (G.  Sarrazin). 
Bemerkungen  zu:  A  Peniworj)  of  Witte  (J.  Zupitza).  Vokalverkürzung  in 
englischen  Wörtern  germanischen  Ursprungs  (W.  Fick).  Zu  Laurence  INIinot 
(Ed.  Schröder). 

Französische  Studien.  Hrsgb.  von  G.  Körting  und  E.  Kosch- 
witz.  V.  Band,  1.  Heft.  Zur  Syntax  Robert  Garniers 
von  A.  Haase.     Heilbronn  1885.     100  S. 

Nachdem  1882/83  in  Wendelin  Försters  Abdruck  der  ersten  Gesamt- 
ausgabe der  Tragödien  Garniers  ein  so  bequemes  Hilfsmittel  erschienen 
war,  konnte  es  nicht  ausbleiben,  dafs  ein  tieferes  Studium  des  Dichters 
Platz  greifen  würde  als  nisher.  Deshalb  ist  es  nicht  zu  verwundern,  dafs 
jetzt  gleichzeitig  von  zwei  Seiten*  eine  Untersuchung  der  Syntax  Garniers 
unternommen  worden  ist,  nachdem  in  früheren  Arbeiten  (von  Püttmann  über 
Garnier  als  Dichter  und  als  Nachahmer  der  Alten,  Bonner  Dissertation  1865; 
von  Bernage,  Etüde  sur  Garnier  1880;  von  L.  Faguet,  La  tragedie  fran- 
(jaise  au  seizieme  sietle.  Paris  1883)  dies  Thema  unerörtert  gelassen  vyorden 
war.  Durch  seine  Vorarbeiten,  „Syntaktische  Studien  zu  Villehardouin  und 
Joinville"  wie  durch  die  Untersuclmng  der  Syntax  Pascals  und  des  Kon- 
junktiv bei  Joinville  war  A.  Haase  zu  der  Aufgabe  am  geeignetsten,  die 
Stellung  Garniers  zum  Alt-  resp.  Mittel-  und  Neufranzösischen  zu  unter- 
suchen. Gerade  in  der  Behandlung  dieses  heiklen,  zum  Studium  reizenden 
Grenzgebietes  der  alten  und  neuen  Sprache  lag  die  Schwierigkeit  der  Auf- 
gabe, deren  Lösung  jedoch  dem  Verfasser  obiger  Abhandlung  wohl  ge- 
lungen ist.  Die  methodisch  angelegte  und  verständig  durchgeführte  Arbeit 
erstreckt  sich  in  sieben  Abschnitten  auf  die  Kasus,  Pronomina,  das  Verbum, 
die  Adverbien,  Präpositionen,  Konjunktionen,  koordinierte  Satzglieder  und 
Sätze.  Am  ausführlichsten  behandelt  ist  das  Verbum  und  die  Pronomina.** 
Überall,  wo  die  Grammatiken  und  Darmesteters  Histoire  de  la  litterature 
fran9Hise  au  seizieme  siecle  über  den  Sprachgebrauch  im  16.  Jahrhundert 
im  Stich  lassen,  findet  man  hier  bei  Haase  in  ausführlichen  Belegen  zu 
(iarniers  Syntax  die  gewünschte  Auskunft.  Mögen  sich  hier  auch  einige 
syntaktische  Einzelheiten  nicht  vorfinden,  die  den  Umwandlungsprozefs  in 
der  Sprache  charakterisieren,  möge  sich  auch  an  wenigen  Stellen  der  Arbeit 
etwas  aussetzen  lassen,  immerhin  bleibt  das  Urteil  bestehen,  dafs  durch 
diese  ziemUch  erschöpfende,  verdienstvolle  Untersuchung  Haases  eine  nutz- 
bare Vorarbeit  für  eine  künftige  historische  Syntax  der  mittleren  franzö- 
sischen Sprachperiode  geschaffen  worden  ist. 

Revue  des  Langues  Romanes  publice  par  la  soci^te  pour  l'etude 
des  langues  romanes.  HI  serie.  Tome  XHI.  Janvier — 
Mai  1885.     Montpellier.     Paris  1885. 

5  —  42.  F.  Castets,  ßecherches  sur  les  rapports  des  chansons  de  geste 
et  de  r^popee  chevaleresque  italienne.  Schon  G.  Paris  in  der  Histoire 
poetique  de  Charlemagne  hatte  den  Übergang   und  die   Metamorphose  der 


*  Die  Abhandlung   von  „A.   Jensen,    Syntaktische    Studien    zu   Kobert    Garnier. 
Kiel,  Lipsius  &  Tischer,   1885"   ist  dem  Ref.  nur  dem  Titel  nach  bekannt. 

**  Die  Abliandlung  von  „Gefsner,  Zur  Lehre  vom  französischen  Pronomen.  Berlin 
1873,  1874"  liegt  jetzt  in  zweiter  Auflage  vor,  die  Haase  p.  2  noch  nicht  kennen 
konnte. 

13* 


196  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Chanson  de  Roland  zum  Orlando  furioso,  eine  nielirfacli  berührte  Frage, 
behandelt.  Castets  handelt  hier  über  den  Renaud  de  Montauban,  dessen 
Herausgeber  Michelant  auf  eine  unvollständige  Hs.  in  Montpellier  hinge- 
wiesen hatte.  Aus  dieser  pikanlischen  Hs.  des  14.  Jahrh.  wird  im  Anschluls 
an  die  Inhaltsübersicht  beider  Versionen  eine  im  Texte  mehrfiich  lückenhafte 
für  die  Legende  der  Quatre  fils  Aimon  wichtige  Episode  mrtgeteilt.  — 
43-46.  C.  C(habaneau),  Siir  quelques  mss.  proven9;iux  perdus  ou  egares. 
Suite  et  fin.  Additioiis  et  corrections.  —  47.  Varietes.  One  troisieme  Imi- 
tation du  sonnet  de  P^izes  contre  l'abbe  Plomet  (A.  Roque-P'errier).  — 
48 — .51.  Bibliographie.  Essai  sur  l'histoire  administrative  du  Languedoc 
pendant  Tintendance  de  Basville  (1685—1719)  par  M.  Monin.  Paris  18S4 
(P.  Gachon).  —  51.  Chronique.  Additions  et  corrections.  —  53  —  84.  Th. 
Cavalier,  L'Eneide  de  Virgile,  traduite  en  vers  burlesques  languedociens. 
Suite  et  fin.  —  85 — 92.  P.  Durand  (de  Gros),  Notes  de  philologie  rouergate. 
Suite.  XIIL  Alte,  gröfstenteils  französierte  Namen  des  südlichen  Frank- 
reichs werden  hier  untersucht.  —  93  — 100.  Varietes.  Etymologies  latines 
et  franc^aises  (L.  Marcel  Devic).  Ador,  das  aus  dem  Phönicischen  stamme, 
soll  nicht  Getreide,  sondern  eine  Art  Hirse  bedeuten;  Loriot  wird  nicht 
vom  lat.  aureolus  abgeleitet,  sondern  für  ein  onomatopoeticon  erklärt; 
Rasade,  zuerst  im  17.  Jahrh  nachweisbar,  stammt  aus  Südfrankreich.  — 
101 — 103.  Poesies.  Subre  Jordi  Sand:  AI  paire  Moureu  de  Gargilesso,  pes- 
caire  de  trouitos.     Paisaitge  d'Agoust  (A    Foures).  —  104.  Chronique. 

105 — 120.  C.  Chabaneau,  Sainte  Marie  Madelaine  dans  la  litterature 
provencjale.  Suite.  IV.  Cantique  proven^al  en  l'honneur  de  sainte  Marie 
Maiieleine.  Die  zuletzt  von  Bory  (Marseille  1801)  herausgegebene  und  zu 
lioch  ins  11.  statt  ins  13.  Jahrh.  gesetzte  Cantinella,  die  23  Strophen  ent- 
hält, erscheint  hier  in  gereinigtem  Text  auf  Grund  der  Ausgabe  von  1773 
und  einer  Pariser  Hs.  des  17.  Jahrh  nebst  den  Variauten  der  vier  ersten 
Strophen  nach  Torres-Amats  Diccionario  de  los  escritores  catalanes  und  den 
Lesarten  einer  Hs.  des  18.  Jahrh.  nach  Borys  Ausgabe.  —  121  —  140.  G.  De- 
curtins,  Un  drame  haut-engadinois.  Der  Gegenstand  dieser  Publikation  ist 
das  nach  einem  italienischen  Muster  gearbeitete  ladinische  Drama  (Tragi- 
comedia)  L'Amur  et  Moardt  Desperattium  dalg  Cunt  Othavo  vom  Kapit. 
Fr.  Viezel  aus  Zuotz,  wo  es  1673  aufgeführt  ist.  Schon  A.  de  Flugi  hatte 
in  Gröbers  Zeitschrift  für  roman.  Philologie  IV  in  seiner  Abhandlung  über 
Zwei  weltliche  ladinische  Dramen  des  17.  Jahrh.  aufmerksam  gemacht.  Von 
der,  wie  es  scheint,  lückenhaften  Hs.  wird  hier  erst  der  Anfang,  616  paar- 
weise reimende  Achtsilbler,  diplomatisch  getreu  abgedruckt.  —  141  —  144. 
Poesies.  A  M^e  S.  Mulsant  a  St.  H^teve  de  Fourez  (A.  de  Gagnaud). 
A.  G.  Azais,  l'autour  octagenäri  döu  Reprin  (B.  Gault).  A  moun  amic 
Paul  Chassary,  en  aprenant  la  mort  de  soun  Pereit  (A.  Foures).  —  145  — 146. 
Varietds.  Un  denouement  „moral"  de  la  fable  du  Loup  et  de  l'Agneau 
(E.  R.).  —  147 — 151.  Bibliographie.  Fragment  d'une  chanson  d'Antioche 
en  proven9al,  publie  et  traduit  par  P.  Meyer.  Paris  1881  (C.  C  ).  Chaba- 
neau bringt  eine  Reihe  Verbesserungen  zu  Meyers  Text  bei  und  weist  dem 
Herausgeber  zahllose  Fehler  nach.  —  151  — 154.  Periodiques  (C.  C),  (L.  Con- 
stans).  —  155—156.  Chronique.  —  157  —  162.  C.  Chabaneau,  Poesies  in- 
edites  dt^s  troubadours  du  Perigord.  Additions  et  corrections.  In  einem 
Nachwort  mit  dem  Verzeichnis  der  Perigord  angehörenden  Troubadours  — 
darunter  die  von  Dante  gefeierten  Namen  Arnaut  Daniel,  Bertran  de  Born 
unii  Girant  de  Borneil  —  plädiert  Chabaneau  für  Errichtung  einer  Statue 
Bertrans  de  Born  mit  den  Reliefs  anderer  Troubadours  in  Perigueux.  — 
16:5 — 183.  Decurtins,  Tragicomedia  Am  Schlufs  dieses  letzten  Teiles  des 
lailinischen  Dramas,  das  im  ganzen  1209  Zeilen  enthält,  nennt  sich  der 
Schreiber  Guadench  (i.  Köedel.  —  184 — 193.  L.  Lambert,  Contes  populaires 
du  Languedoc.  I)ie  volkstümliche  Erzählung  Lou  Filhol  de  la  Mort  ist 
von  französischer  Übersetzung  begleitet.  —   191  —  202.  G.   Azais,    ön  prezen 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  197 

de  rei.  Der  greise  Azais  verölTentlicht  hier  ein  kleines  Gc(3Icht  nebst  fran- 
zösisclier  Übersetzung.  —  203.  \  arietes.  Dotz;  Arriver  (C.  C).  —  z04  — 208. 
Bibliographie.  Orthographia  gaUica.  Ältester  Ti-aktat  über  französische 
Aussprache  und  Ortiiographie,  nach  vier  Hss.  zum  erstenmal  hr.-^gb.  von 
J.  Stürzinger.  Heilbronn  1884  (C.  C).  Das  Buch  und  sein  Inhalt  wird 
kurz  und  lobend  besprochen.  —  Altfranzösisches  Übungsbuch  zum  Gebrauch 
hei  Vorlesungen  und  Seniinarübungen,  hrsgb.  von  W.  Förster  und  E.  Kosch- 
witz.  I.  Heilbronn  1884  (C.  C).  Der  Inhalt  wird  kurz  skizziert  und  die 
Sammlung  fiar  die  beste  und  vollständigste  erklärt,  die  bis  jetzt  erschienen. — 
Encyklopädie  und  Methodologie  der  romanischen  Philologie  mit  besonderer 
Berücksichtigung  des  Französischen  und  Italienischen  von  G.  Körting.  I — II. 
IJeilbronn  (C.  C.).  Unter  Darlegung  des  Inhalts  wird  das  wichtige  Werk 
empfohlen.  —  Rhätoromanische  Grammatik  von  Th.  Gärtner.  Heilbronn  1883. 
Das  zum  Studium  der  romanischen  Idiome  Rhätiens  nötige  Buth  wird  an- 
erkannt. —  Amis  und  Amiloun,  zugleich  mit  der  altfranzösischen  Quelle 
hrsgb.  von  E,  Kölbing.  Heilbronn  1885  (C.  C).  Der  Inhalt  wird  kurz 
dargelegt  und  die  sehr  ausführliche  und  sorgfältige  Einleitung  gelobt.  — 
A.  Savine,  L'Atlantide,  poeme  traduit  du  catalande,  Messen  Jacintbo  Ver- 
daguer,  augmente  d'une  introduction  et  d'appendices.  Paris  1884  (C.  C.). 
Die  verdienstvolle  Arbeit  ist  begleitet  von  einer  Studie  über  die  Renaissance 
der  katalanischen  Poesie.  —  Cansons  y  Follies  populars  inedites  recullidea 
al  peu  de  Montserrat  per  Pau  Bertran  y  Bros.  Barcelone  1885  (C.  C.). 
Geistliche  und  weltliche  Lieder  katalanischer  Poesie  sind  hier  veröfientlicht.  — 
Folk-lore  catala.  Cuentos  populars  catalans,  per  lo  Dr  Francisco  de  S.  Mar- 
pons  y  Labros.  Barcelona  1885  (C.  C).  In  dieser  Sammlung  sind  20  kata- 
lanische Erzählungen  mit  Bemerkungen  mitgeteilt.  —  Garbera  catalana,  per 
lo  Pastorellet  de  la  \'all  d'Arles.  Perpinya  1884  (C.  C).  Neuere  kata- 
lanische und  Roussilloner  Dichtungen  sind  in  diesem  Bande  vereinigt.  — 
208.  Chronique.  —  209 — 236.  Ph.  Tamizey  de  Larroque,  Lettres  inedites 
ecrites  ä  Peiresc  par  Guillaume  d'Abbatia,  capitoul  de  Toulouse.  Durch 
diese  acht  Briefe  werden  über  den  wenig  bekannten  Advokaten  G.  d'Abbatia 
aus  dem  Ende  des  16.  und  dem  Anfange  des  17.  Jahrh.  und  über  seine 
Stellung  einige  Daten  bekannt.  —  237 — 249.  Poesies.  A'N  Mancini  (L.  Savie 
de  Ricard).  La  grando  espigo  sus  la  mort  de  Vitor  Ugo  (A.  Foures). 
A-n-uno  maire  (A  Foures).  A'n  Pastour  (A.  F.).  L'alumaire  de  gaztA.  F.). 
250 — 251.  Varietes.  Sur  la  date  du  Vers  del  lavador  de  Marcabrun  (C.  C.). 
Auch  hier  werden  P.  Meyers  N'ersehen  gerügt.  —  251—252.  Bertran  Al- 
baric  (C.  C).  Diesen  Troubadour  weist  Chabaueau  in  einer  Urkunde  aus 
Arles  von  1346  nach.  —  252—253.  Ad  radium  tinsB  (L.  Marcel  Devic).  — 
253—259.  Periodiques  (L.  Constans) ;  (C.  C.j.  —  259—260.  Chronique. 

Revue  de  l'enseignement  des  langues  Vivantes.    2®  annee.    No.  1 : 
15  mars  1885— No.  4:  15  juin  1885.    Paris.    Havre  1885. 

1 — 2.  A.  K.,  Schilderung  des  Walliser  Oberlandes.  —  Zu  diesem  Ver- 
such, die  gigantische  Natur  des  VVaUiser  Überlandes  poetisch  zu  verherr- 
lichen, sei  nur  bemerkt,  dafs  selbst  dichterische  Licenz  sich  nicht  gestatten 
darf,  zu  sagen : 

Bald  mit  Nebel  und  Dunst  hoch  überschwemmte  des   Bachs 

Mich  laut  tönender  Sturz. 

2—13.  A  Biard,  Shall  et  will.  Betreffs  des  modernen  Gebrauches  von 
shall  und  will  ist  vom  Verfasser  des  Artikels  die  Auffassung  der  deutschen 
Grammatiker  nicht  genügend  berücksichtigt  worden.  Die  Fortsetzung  folgt 
weiter  unten.  —  13 — 16.  J.  Forscher,  Notes  grammaticales.  Hier  wird  der 
Gebrauch  des  deutschen  all  ohne  den  Artikel  behandelt.  Non  liquet.  — 
16-21.  E.  Bailly,  Un  roman  pedagogique  et  humoristique  La  eure  de  petit- 


198  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

lait  et  les  noces  de  Susette  par  Ulrich  Hegner.  Unter  allgemeinen  Be- 
trachtungen über  den  Roman  in  Deutschland  wird  der  Inhalt  des  franzö- 
sischen Lesern  so  gut  wie  unbekannten  Romans  Hegners  angegeben.  — 
23—25.  Concours  de  1884.  Certificat  d'aptitude.  —  25—28.  Revue  des 
cours  et  Conferences,  sujets  et  devoirs.  —  29 — 32.  Bibliographie.  Enseigne- 
ment  des  jeunes  filles.  Longfellow,  Evangeiine  et  poemes  choisis  par 
A.  Malfroy  (A.  B.),  (A.  W.).     Nominations. 

33 — 42.  E.  Bailly,  ün  roman  pedagogique  et  humoristic[ue  etc.  Suite 
et  fin.  Hier  wird  das  eigentlich  Pädagogische  in  Hegners  Roman  erörtert 
und  die  lesenswerten  Stellen  werden  in  französischer  Übersetzung  mitge- 
teilt. —  42 — 44.  De  rhexametre  dactylique  dans  la  poesie  anglaise  (A.  Biard). 
Der  Erfolg  der  Evangeiine  Longfellows  wird  mit  Recht  nicht  dem  Versmafs, 
sondern  der  Anmut  in  der  Erzählung  zugeschrieben.  —  45 — 46.  J.  Forscher, 
Note  sur  une  poesie  de  Bürger.  „Das  vergnügte  Leben"  von  Bürger  wird 
auf  Grecourts  (1684 — 1743)  La  vie  heureuse  als  Quelle  zurückgeführt.  — 
46—47.  Varia.  Reformes  concernant  les  agregalions  et  certificats  d'aptitude 
(A.  W.).  —  47  —  49.  Le  baccalaureat  (A.  Lange).  —  50—53.  Revue  des 
.cours  et  Conferences.  Agregation  d'allcmand.  Abrege  d'une  le9on.  Züge 
der  lyrischen  Gedichte  Heines  (A.  K.).  —  .t3 — 57.  Certificat  d'aptitude. 
Conseils  aux  candidats.  La  lo9on  (A.  O.).  —  57—58.  Traduction  du  theme 
anglais.  La  Bruyere.  Chap.  XI  De  l'homme.  —  58  -60.  Agregation  d'alle- 
mand.  Dissertations  etc.  —  60—64.  Bibliographie.  Geschichte  der  deut- 
schen Litteratur  von  W.  Scherer.  Zweite  Ausgabe.  Berlin  1884  (AI.  B). 
Gab.  Sarrazin,  Poetes  modernes  de  l'Angleterre.  Paris  1885  (AI.  B.).  Cours 
de  langue  allemande  ä  l'usage  des  institutions,  cours,  lycees  etc.  par  A.  Pey. 
HI  annee.  1  vol.  Paris  (J.  Parmentier).  Die  französische  Volksdichtung 
und  Sage.  Ein  Beitrag  zur  Geistes-  und  Sittengeschichte  Frankreichs  von 
W.  Scheff'ler.  Leipzig  1884.  1  (A.  Girot).  Alle  die  genannten  Bücher 
werden  empfehlend  besprochen. 

65 — 78.  A.  Biard,  Shall  et  will  et  les  grammairiens  anglais.  In  diesem 
Entwurf  zu  einem  Buche  werden  die  Ansichten  Goulde  Browns,  Bains, 
Heads  und  Mätzners  diskutiert,  der  eher  ein  Linguist  als  Grammatiker 
wäre  und  nur  den  jetzigen  und  früheren  Sprachgebrauch  konstatiere.  — 
78 — 84.  Perrenot,  Classification  des  langues.  Leur  parente.  Les  langues 
indo-europeennes.  Langues  primitives  et  langues  ilerivees.  Diese  Übersicht 
über  die  Entwickelung  der  Sprachwissenschaft  in  Deutschland  seit  dem 
19.  Jahrh.  enthält  nur  die  Hauptergebnisse  der  Forschung.  —  85  — 86.  Varia. 
A  propos  des  20  heures  de  Service.  ^  86-92.  Revue  des  cours  etc.  Grim- 
raelshausen,  Simplicissimus.  Traduction  (F.  Antoine).  Dissertations  etc. 
Influence  de  la  Bible  sur  la  langue  et  la  litterature  anglaise  (\.  de  Tre- 
verret)  etc.  —  93 — 95.  On  the  Structure  of  English  Verse,  by  C.  Witcomb. 
Paris  (J.  Mothere).  Dies  zum  Gebrauch  in  der  Schule  bestimmte  Buch 
wird  als  selbständige  Leistung  gewürdigt.  —  95—96.  Die  Jugenddramen 
des  Pierre  Corneille.  Ein  Beitrag  zur  Würdigung  des  Dichters.  Zur  Er- 
innerung an  den  200jährigen  Todestag  desselben  (1.  Okt.  1684),  von  Dr.  P. 
Langenseheidt.  Berlin  1885  (F.).  Der  Recensent  meint,  man  könne  den 
Titel  dieser  Arbeit  mit  La  statistique  des  premieres  oeuvres  de  Corneille 
übersetzen,  erkennt  sie  jedoch  als  travail  tres  serieux  mit  vielem  Material 
an  und  fragt,  wie  dies  alles  zu  einer  besseren  Kenntnis  des  Dichters  bei- 
tragen könne  etc.  —  96.  Agregation  des  lycees.     Certificat  d'aptitude. 

97 — 98.  E.  Legouis,  Les  Asphodeles.  Traduit  de  Wonlsworth.  Der  fran- 
zösische Text  ist  mit  dem  englischen  zusammen  abgedruckt.  —  99  —  111. 
A  short  History  of  the  English  Language  and  Litcrature.  A.  Wolfromm 
giebt  nach  einem  kurzen  Vorwort  eine  erste  Probe  aus  J  Parmcntiers  im 
Druck  befindlicher  Short  History  of  the  English  Language  and  Literature. 
Als  Pendant  hierzu  soll  eine  Kurze  Geschichte  der  deutschen  S[)ractie  und 
Litteratur  erscheinen.    Diese  Mitteilungen  vers^prechen  einen  für  französische 


Buuiteiluiigen  und  kurze  Auzeij^en.  199 

Lfser  brauchbaren  Leitfa'len  der  englischen  Litteraturgeschichte.  -  1 1 •2—117. 
Perrenot,  Classification  des  langues.  Suite.  —  117 — 120.  A.  Biard,  Du 
subjonctif  et  de  ses  transformations  en  anglais.  Die  schiilerniäfsigen  Er- 
örterungen mit  den  Verkehrtheiten  französischer  Grammatiker  können  hier 
nicht  weiter  berücksichtigt  werden.  —  120  —  121.  Revue  des  cours  etc. 
Simplicissimus  (F.  Antoine).  —  121 — 123.  Traduction  de  la  Version:  Lessing, 
Laocoon  IV.  Traduction  du  Theme:  Das  Lob  der  Komödie  (A.  K.).  — 
123 — 124.  Dissertations.  Agregation  d'anglais  (A.  de  Treverret). —  125 — 126. 
Certificat  d'aptitude.  Traduction  de  la  Version  (A.  K.).  —  126  —  128.  Tra- 
duction du  Theme  etc.  Die  Fehler  in  der  Übersetzung  können  hier  nicht 
korrigiert  werden. 

Germania.  Vierteljahrsschrift  für  deutsche  Altertumskunde. 
Hrsgb.  von  K.  Bartsch.  30.  Jahrgang.  N.  R.  18.  Jahr- 
gang.   3.     Wien  1885. 

257 — 284.  F.  Bech,  Zu  Lamprechts  Alexander.  Eine  grofse  Zahl  un- 
berechtigter Textänderungen  wird  hier  zusammengestellt,  die  sich  K.  Kinzel 
in  der  neuen  Ausgabe  von  Lamprechts  Alexander  (Halle  1884)  erlaubt  hat. 
Vgl.  Rödiger  im  Anzeiger  der  Zeitschrift  für  deutsches  Altertum,  Berlin 
1885,  p.  257—281  und  Zachers  Zeitschrift  für  deutsche  Philologie  1885, 
17.  Bd.,  4.  Heft,  p.  487 — 490.  —  284—287.  G.  Ehrismann,  Bruchstück  eines 
Facetus.  Diese  fragmentarischen  Zeilen,  deren  Verhältnis  zu  der  Gothaer 
Hs.  und  zu  Lafsbergs  Liedersaal  gezeigt  wird,  stammen  aus  einer  Würz- 
burger Hs  —  287—306.  Fr.  Losch,  Die  Berner  Runenalphabete.  Dr.  Losch 
veröffentlicht  hier  die  in  Abbildungen  beigefügten  eigentümlichen  Berner 
Runen  nach  Hs.  207  und  der  Inkunabel  615  der  ßongarsschen  Bibliothek, 
vergleicht  die  Zeichen  mit  denen  der  Alphabete,  untersucht  die  etwaigen 
Vorlagen,  giebt  zur  \'ergleichung  mit  den  bisher  bekannton  Runen  eine 
tabellarische  Übersicht,  untersucht  die  Namen  u.  s.  w.  An  diese  wichtige 
inhaltsreiche  Publikation  schliefst  sich  ein  Nachwort  des  Prof.  Hagen  über 
Alter,  Herkunft  und  Inhalt  der  benutzten  Handschriften,  von  denen  die  aus 
dem  Kloster  Fleury  bei  Orleans  stammende  Nr.  207  in  das  9.  oder  9  —  10. 
Jahrhundert  gesetzt  wird  und  in  Schottland  oder  Irland  geschrieben  sein 
soll,  während  die  Blätter  der  Luthersche  Schriften  enthaltenden  Inkunabel 
dem  15.  Jahrh.  zugewiesen  werden.  —  306  —  310.  P.  Walther,  Der  Name 
Germanus.  Die  vielbestrittene  Herleitung  des  Namens  Germanus  aus  dem 
Lateinischen  wird  hier  durch  Gründe  zu  stützen  versucht.  Die  Ableitung 
F.  Mahns  (Über  den  Ursprung  und  die  Bedeutung  des  Namens  Germanen. 
Berlin  1864)  aus  dem  Keltischen  =  Nachbarn  wird  dadurch  nicht  umgestofsen. 
311—314.  P.  VValther,  Zu  Walther  von  der  Vogelweide.  Auch  hier  will 
der  Verf.  nur  die  Lösung  der  Frage  nach  der  Person  des  wilden  Kindes 
anregen,  das  Walther  von  der  Vogelweide  in  einem  Spruche  anredet,  be- 
weist jedoch  der  Stellung  und  der  Sprache  des  Dichters  entsprechend,  dafs 
damit  die  ganze  verwilderte  Jugend  gemeint  ist.  —  314  —  315.  J.  Peters, 
Die  Zahl  der  Blätter  des  Codex  Argenteus.  Die  Angabe  der  Blätterzahl 
in  Uppströms  Ausgabe  des  Cod.  Arg.,  187  von  den  ursprünglichen  330, 
wird  als  richtig  bestätigt.  —  315 — 316.  J.  Trötscher,  Zum  mhd.  Wörter- 
buch. Mhd.  mosanze  =:  mazance  soll  nicht  ,jüdischer  Osterkuchen"  oder 
„Matzen",  sondern  cechoslavischem  mazaner  entsprechend  ein  mit  Eiern 
und  Gewürz  bereiteter  Osterkuchen  heifsen ;  mosanze  mit  dem  hebräischen 
mazzäh  identifiziert,  beruhe  nur  auf  Volksetymologie.  —  317—323.  J.  Bäch- 
told,  Züricher  Parzival-Bruchstück.  Der  Text  enthält  im  ganzen  556  un- 
verändert abgedruckte  Verse  untergeordneten  Wertes.  —  323—324.  A.  Jeitte- 
les,  Ljed  vom  Ursprung  der  Eidgenossenschaft.  Zu  diesem  in  Lilienorons 
historischen  Volksliedern  abgedruckten  Liede  werden  nach  Pfeilfers  Abschrift 


200  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

des  Cod.  Emmeranus  von  1499  die  wichtigsten  Abweichungen  mitgeteilt. 
325  -.350.  R.  ßrandstetter,  Die  Luzerner  Bühnen-Rodel  (Schlufs).  — 
.350 — 355.  Litteratur.  KovnrdSia.  Recueil  de  documents  pour  servir  a 
l'etude  des  traditions  populaires.  I  — IL  Heilbronn  18H3,  1884  (F.  Lieb- 
recht). Der  schon  durch  drei  Zeitschriften  (1.  G.  Pitres  Archivio  per  lo 
studio  delle  Tradizioni  Popolari.  Rivista  trimestrale.  IV.  Palermo  1885; 
2.  Melusine.  Revue  de  uivthologie,  litterature  populaire,  traiiitions  etc. 
publice  par  Gaidoz  et  Sebillot;  3.  Boletino  Folklorico  Espaüol)  angebaute 
neue  Zweig  der  Wissenschaft  der  Volkskunde  (folk-lore)  erhält  auch  hier 
wieder  eine  Bereicherung  durch  Erzählungen  und  Schwanke  aus  verschie- 
denen Litteraturen  seitens  seines  eifrigsten  deutschen  Anhängers.  —  355 — 384. 
Miscellen.  A.  Hazelius  und  das  Nordische  Museum  in  Stockholm  (F.  Lieb- 
recht). Briefe  von  Meusebach  an  Gl.  A.  Schlüter  (Schlufs).  (^uomodo 
crocuscoli  debeat  (Alois  Müller).  Zu  Simrocks  Mythologie  (Th.  Gelbej. 
Handschriften  und  seltene  Drucke.  Nachträge  und  Berichtigungen  (A.  Bir- 
linger;  M.  Blaas).  38.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner. 
Motizen. 

Strafsburger  Studien.  Zeitschrift  für  Geschichte,  Sprache  und 
Litteratur  des  Elsasses.  Hrsgb.  von  Ernst  Martin  und 
Wilhelm  Wiegand.     II.  Band.     4.  Heft.     Strafsburg  1884. 

305—402,  A.  Schricker,  Älteste  Grenzen  und  Gaue  im  Elsafs.  Ein 
Beitrag  zur  Urgeschichte  des  Landes  Diese  gründliche  Arbeit,  der  vier 
Karten  mit  den  alten  Grenzen  der  Bistümer  Strafsbnrg  und  Basel,  dem 
Valium  Gallicum  nebst  den  Römerstrafsen,  den  Grenzim  der  Gaue  und  der 
\  ölkerschafteu  beigegeben  sind,  bringt  neue  Ergebnisse  für  die  älteste  (je- 
schichte  und  Geographie  des  Elsasses,  dessen  Name  (im  6.  und  7.  Jahrh. 
Alsatius  :=  Unter-Elsafs)  sich  erst  seit  Anfang  des  8.  Jahrh.  auf  das  Ober- 
Elsafs  ausgedehnt  hat.  Dieser  Name  ist  angeblich  durch  die  Alemannen 
entstanden,  die  ihre  linksrheinischen  Stammesgenossen  Alisazen  =  fremde 
Sassen  (got.  ali  =  ander;  ahd.  säzo  =:  Sasse)  nannten.  Ohne  auf  den 
reichen  Inhalt  einzugehen,  sei  hier  nur  noch  bemerkt,  dafs  aus  dem  Nach- 
lasse des  Altmeisters  auf  dem  Gebiete  der  Elsafskunde  (A.  Stöber,  f  1884) 
seine  50  Jahre  lang  fortgesetzten  Arbeiten  als  Schlufsband  der  Alsatia  er- 
schienen sind  u.  d.  T. :  Neue  Alsatia.  Beiträge  zur  Landeskunde,  Geschichte, 
Sitten-  und  Rechtskundc  des  Elsasses.     Mülhausen  1885. 

403—430.  H.  Finke,  der  Strafsburger  Elektenprozefs  vor  dem  Kon- 
stanzer Konzil.  III.  Der  Artikel  bildet  den  Scblufs  der  beiden  früheren.  — 
431— 43D.  G.  Knod,  Zur  Schlettstadter  Schulgeschichte.  Der  Biograph 
Jac.  Spiegels  bringt  hier  auf  Grund  neuen  Materials  einen  neuen  Bi-itrag 
zur  Geschichte  des  elsässischen  Humanismus.  —  440-498.  Joh.  Crueger, 
Briife  von  Schöpflin  und  anderen  Strafsburger  Gelehrten  an  Bodmer  und 
Breitinger.  Den  hier  abgedruckten,  für  die  Geschichte  der  Germanistik 
wichtigen  39  Briefen  voraus  geht  eine  Einleitung,  die  sich  über  die  in 
Zürich  aufbewahrten  Originale,  über  die  Bestrebungen  der  Schweizer  zur 
Belebung  der  altdeutschen  Studien  und  über  Schöpflin  verbreitet.  Betont 
werden  besonders  die  Anregungen,  die  durch  El.  Stöber  von  Strafsburg  zur 
Wiedererweckung  der  DIclitungen  der  Minnesänger  ausgingen.  Die  \'cr- 
öff'entlichung  ist  sehr  verdienstlich.  —  499 — 500.  Kuppert,  Strafsburger 
Adel  in  der  Murtenau  (Fortsetzung).  2)  Die  Liebenzeller.  —  501—504. 
E.  M.,  Zum  heiligen  Namenbuch  von  Konrad  Dangkrotzlieim.  Martin  giebt 
zu  der  als  I.  Band  der  Elsässischen  Litteraturdenkmälfr  aus  dem  14. — 17. 
Jahrhundert  erschienenen  Ausgabe  des  188".i  verstorbenen  Pickel  nach  einem 
Göttinger  Druck  einige  Abweichungen  an.  —  Eine  Erklärung  der  Heraus- 
iieber  beschliefst  das  Heft. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  201 

Taalstudle.  Tvveemaandelijksch  Tijdschrift  voor  de  Studie  der 
Nieuvve  Talen,  onder  redactie  van  L.  M.  Haale,  K,  Ten 
Bruggencate  en  J.  Leopold  Hzn.  Zesde  Jaarganij.  No.  4. 
Te  Kuilenburg  1885. 

193—199.  H.  F.  V.  M.,  Le  savetier  et  le  financier.  II.  Die  Bemer- 
kungen zu  Lafontaines  Fabel  „Der  Schuhflicker  und  der  Reiche"  beziehen 
sich  auf  d;is  Gebiet  der  Lexikographie,  der  Synonymik,  der  Etymologie  und 
der  Aussprache;  bringen  sie  auch  Bekanntes,  so  sind  sie  doch  hübsch  zu- 
sammengestellt. Nicht  alle  Angaben  erweisen  sich  als  stichhaltig;  so  heifst 
es,  tröne  habe  einen  aocent  circonÖexe,  weil  es  vom  lat.  thronus,  griech. 
thronos  komme,  dessen  o  lang  sei.  Dies  ist  jedoch  nicht  der  Fall,  da  es 
&QÖvoe  heifst ;  tröne  hat  einen  circonflexe,  weil  es  afrz.  throsne  lautet.  Die 
Zusammenstellung  des  Wortes  mit  chömer,  das  vom  ndat.  cauma  Igr.  y.nvfia) 
abgeleitet  wird,  pafst  also  nicht  wegen  des  verschiedenen  Ursprunges  von  6. 
200 — 202.  A.  van  der  Ent,  L'etude  des  mots  et  de  leur  signitication  (Suite). 
In  diesem  alphabetischen  Wörterverzeichnis  wird  die  Etymologie,  Zusammen- 
setzung und  Bedeutung  der  Worte  möglichst  kurz  angegeben.  —  202 — 203. 
Questiuns  et  reponses  (L.  M.  B.).  —  204—212.  Bulletin  bibliographique 
(L.  M.  Baale).  Li  Romans  de  Carito  et  Miserere  du  Kenclus  de  Moiliens, 
poemes  de  la  fin  du  douzieme  siecle.  Edition  critique  accompagnee  d'une 
introduction,  de  notes,  d'un  glossaire  et  d'une  liste  des  rimes  par  A.  G.  Van 
Hamel.  Deux  tomes.  Paris  1885.  Der  Herausgeber  bat  zur  Herstellung 
des  l'extes  öO  vollständige  Handschriften,  5  fragmentarische  Kopien  und 
die  Übersetzung  eines  Bruckstückes  benutzt.  Der  Dichter,  Klausner  von 
Älolüens-Vidame  bei  Amiens,  also  ein  Pikarde,  gehört  noch  dem  Ende 
des  12.  Jalirh.  an.  Unter  Darlegung  des  Inh;dts  obiger  Publikation  wird 
der  Gelelirsanikeit  und  der  Methode  des  ersten  holländischen  Romanisten 
gebührende  Anerkennung  gezollt.  —  Anthologie  des  auteurs  dramatiques  fran- 
^ais  par  J.  Balland.  Tome  II:  Racine.  Zuiphen.  Bruxelles  1&8d.  Nach 
mehreren  Exkursen  wird  die  Ausgabe  schliefslich  empfohlen.  — ■  Zur  Syntax 
Robert  Garniers  von  A.  Haase.  P'ranzösische  Studien,  hrsgb.  von  Körting 
und  Koschwitz.  Heilbronn  18S5  (L.  M.  Baale).  Der  Ref.  meint,  dafs  mit 
Haases  Syntax  nun  alles  vorhanden  wäre,  was  zu  einem  gründlichen  Studium 
Garniers  nötig  sei.  —  213—222.  Doublets  in  English  (C.  Grondhoud).  V. 
Die  Fortsetzung  enthält  Doppelformen  wie  ship  —  skiff,  book  —  beech, 
bank  —  bench,  kirk  —  church,  dann  die  Worte  mit  wechselndem  Acceute 
und  die  orthographischen  doublets  wie  draught  —  draft,  queen  —  quean, 
gate  —  gaite  nebst  den  Etymologien  und  Bedeutungen  in  bunter  Reihen- 
folge. —  223—232.  A  new  Edition  of  Amis  and  Amiloun  (C.  Stoflel).  Be- 
sprochen wird  hier  Kölbings  Ausgabe  von  Amis  und  Amiloun  (Altengl. 
Bibliothek  II). 

233-244.  Erklärung  eines  mittelhochdeutschen  Gedichtes.  Hartmanns 
Armer  Heinrich  (H.  Seipgens).  Nach  einer  kurzen  Übersicht  der  mhd. 
Aussprache  und  Metrik  beginnt  die  für  Anfänger  bestimmte  Texterklärung 
unter  stetem  Hinweis  auf  H.  Pauls  mhd.  Grammatik.  Zu  Grunde  liegt: 
Hartmanns  Armer  Heinrich.  Mit  Anmerkungen  und  Abhandlungen  von 
W.  Wackernagel.  Hrsgb.  von  W.  Toischer.  Basel  1885.  —  24ö— 250. 
Miscellen.  Die  Frau  in  dem  Nibelungenliede  und  der  Kudrun  (J.  Leo- 
pold Hz ).  Hier  wird  aus  der  lehrreichen  Abhandlung  von  M.  Schwarze 
im  XVI.  Bande  von  Zachers  Zeitschrift  für  deutsche  Philologie,  Heft  4, 
der  Abschnitt  über  die  Namen  verkürzt  mitgeteilt,  wahrend  die  Abschnitte 
über  Tracht,  häusliches  Leben,  Liebe  und  Ehe,  Chaiakterzüge  ausführlicher 
wiedergegeben  werien.  Das  ^Vel•k  von  C.  Weinhold,  Die  deutschen  Frauen 
in  dem  Mittelalter,  II.  Auflage,  findet  sieb  hier  nicht  erwähnt.  Bei  der 
Ableitung    des    \\  ortes    frouwe    (S.    245,    3)    von    ahd.    lio    =    Herr    wird 


■_0-'  Ljeui'teilungon  und  kurze  Auzoigen. 

J.  Kluges  Bemerkung  citiert,  dafs  man  im  Mhd.  frouwe  „mit  scliönei-  volks- 
tündicher  Deutung"  zu  freuen  zog,  wobei  derselbe  an  Freidanks  trefflichen 
Spruch  erinnert.     Zu  diesem   stimmen  auffallend  Rückerts  Worte: 

Frauen  sind  genannt  von  freuen, 
Weil  sich  freuen  kann  kein  Mann 
Ohn'  ein  Weib,   das  stets  von  neuem 
Seel  und  Leib  erfreuen  kann. 
Ungefraut  ist  ungefreut; 
Wer  der  Frauen  Auge  scheut, 
Hat  die  Freude  nie  geschaut. 

250 — 256.  Korrespondenz  (J.  Leopold  Hz.).  Bei  der  Erklärung  von  Redens- 
arten wie  „der  Bien  mufs"  u.  a.  finden  sich  G.  Büchmanns  „Geflügelte 
"W^orte"  nicht  erwähnt. 


Programmenschau. 


Tristan-Studien.  Von  Oberlehrer  Dr.  Fr.  Bahnsch.  Programm 
des  königl.  Gymnasiums  zu  Danzig  1885.     20  S.  4. 

Die  Abhandluug  hat  den  Zweck,  gewisse  übertriebene  Vorstellungen, 
welche  über  Gottfried  verbreitet  sind,  auf  das  rechte  Mafs  zurückzuführen. 
So  hatte  zwar  Gottfried  mehr  Fühlung  mit  dem  klassischen  Altertum  als 
die  anderen  zeitgenössischen  Dichter;  er  verstand  wirklich  Latein,  er  war 
mit  lateinischer  Spruchdichtung  bekannt,  aber,  wie  hier  vielfache  Beweise 
gegeben  werden,  er  hatte  von  der  alten  Mythologie  verworrene  Vorstellun- 
gen, so  vom  Vulkan,  vom  Cithäron  u.  a.,  und  <lie  altklassischen  Reminiscen- 
zen  im  Tristan  sind  Gemeingut  der  höfisch  Gebildeten,  seine  Kenntnisse 
von  der  lateinischen  Litteratur  sind  grofsenteils  aus  abgeleiteten  Quellen 
geschöpft.  Sein  Ruhm  besteht  in  schöner  Wiedererzählung  und  in  einge- 
schobenen gedankenreichen  Retrachtungen.  Indem  er  weiter  von  seiner 
Vorlage  sich  ganz  abhängig  gemacht  hat,  so  ist  er  dadurch  zu  vielen  Wider- 
sprüchen und  Unklarheit  gebracht.  In  den  geographischen  Notizen  zeigt 
sich  eine  merkwürdige  Verwirrung ;  so  ist  Britannien  bald  England,  bald  die 
Bretagne,  und  so  manche  andere  \  orstellungen,  die  sich  gar  nicht  miteinan- 
der vereinen  lassen.  So  sehen  wir  ferner,  dafs  die  sklavische  Abhängigkeit 
von  der  Vorlage  schuld  ist.  dafs  einzelne  Episoden  sich  nicht  dem  Gesamt- 
kolorit der  Darstellung  fügen,  dafs  die  Charakterzeichnung  Öfters  ver- 
schwommen ist,  dafs  z.  B.  einzelne  Züge  im  Bilde  Isoldens  durchaus  ande- 
ren widersprechen,  dafs  über  die  Gründe  mancher  Reden  und  Thatsachen 
wir  gar  nicht  belehrt  werden,  dnfs  dann  zwischen  einzelnen  Begebenheiten 
kein  Zusammenhang  ist,  kurz,  dafs  die  innere  Wahrheit  des  Berichts  Gott- 
fried keine  Sorge  macht.  Alle  diese  Punkte  erläutert  der  Verfasser  durch 
reiche  Beispiele;  sie  sind  wohl  geeignet,  einer  blinden  Vergötterung  Gott- 
frieds entgegenzutreten. 

Andreas  Gryphius  als  Lustspieldichter.  Von  Dr.  Heinr.  Hitzig- 
rath.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Wittenberg  1885. 
20  S.  4. 

Bei  der  angeführten  Litteratur  fehlt  das  Werk  von  Prutz,  ferner  das 
Programm  von  Klopp:  Andreas  Gryphius  als  Dramatiker  (Osnabrück  1851); 
über  die  Dornrose  handelt  besonders  Koldewijn  im  Archiv  für  Litteratur- 
geschichte  9,  56—63.  Der  ^'erfasse^  giebt  von  den  Stücken  <len  Inhalt 
kurz  an.     Er  behandelt  1)  die  Übersetzungen  d.i.  der  schwärmerische  Schä- 


204  Programmeiiscbau. 

fer,  aus  ilem  Französischen  übertragen,  in  schwerfälliger  Sprechweise,  und 
die  Säugaiume,  aus  dem  Italienischen,  in  fliefsender  Diktion.  2)  Original- 
arbeiten. Gelegenheitsstüeke  sind  das  Freudenspiel  Majuma,  von  wenig 
Inhalt,  mit  reichem  mythologischen  Apparat;  Piastus  oder  die  Sage  von  der 
P>rhebung  des  Landmsmnes  Piast  auf  den  polnischen  Thron;  das  verliebte 
Gespenst;  die  geliebte  Dornrose;  diese  beiden  suchen  besonders  durch  den 
scharfen  Kontrast  der  Hauptpersonen  E^indruck  zu  machen.  Von  diesen 
(iclegenheitsstücken  sehr  verschieden  sind  die  beiden  besten  Lustspiele  Hor- 
ribilicribrifax  und  Peter  Squentz.  Uie  Abhängigkeit  des  ersteren  vom  Ita- 
lienisclien  des  Franc.  Andrieni  scheint  dem  Verfasser'  erwiesen;  der  Zusam- 
menhang zwischen  den  Akten  und  öcenen  ist  oft  wenig  erkennbar;  im  Ein- 
zelnen ist  viel  Witz;  als  Zeitbild  namentlich  hat  es  seinen  Wert.  In  Bezug 
auf  den  Peter  Squentz  teilt  der  Verfasser  die  Ansicht,  dafs  er  nach  einer 
Umarbeitung  des  Shakespeare  durch  die  englischen  Komödianten  gedichtet 
sei.  Im  Horribilicribrifax  findet  der  N'erfasser  manche  Anklänge  an  Shake- 
speare. Mit  der  italienischen  Litterat ur  war  Gryphius  bekannt.  Durch  sei- 
nen langen  Aufenthalt  in  den  Niederlanden  mit  der  holländischen  Poesie 
vertraut  geworden,  ist  er  in  seinen  Tragödien  von  ihr  stark  beeinflufst;  in 
der  Kcmiödie  ist  der  Einfiufs  nicht  abzuweisen ,  aber  sehr  beschränkt. 
Didaktische  Zwecke  hat  Gryphius  auch  in  der  Komödie  verfolgt,  aber  das 
ursfirüngliche  Behagen  am  Stoff'  ist  fühlbar.  Dafs  er  durch  Zankscenen 
gern  komische  Effekte  erzeugt,  bezeichnet  seinen  Zusammenhang  mit  der 
Volksbühne.  Die  Feinheit  der  Zeit  und  des  Ortes  hat  er  nicht  streng  be- 
obachtet.    Leider  hat  der  Lustspieldichter  keinen  Nachahmer  gefunden. 

Otto  von  Guericke.  Biographische  Ergänzungen.  I.  Otto  von 
Guerickes  Sammlung  lateinischer,  französischer,  italieni- 
scher, holländischer  und  deutscher  Sinnsprüche.  Nach 
einer  im  Stadtarchiv  zu  Magdeburg  aufgefundenen  Original- 
Aufzeichnuno;.  Geordnet  und  mit  einer  Übersetzuno:  her- 
ausgegeben  von  Direktor  Karl  Paulsiek.  Programm  der 
Guericke-Schule  (Ober-Realschule)  zu  Magdeburg  1885. 
51  S.  4. 

Der  in  der  politischen  und  der  Geschichte  der  Wissenschaft  hervor- 
ragende Mann  tritt  uns  hier  auf  einem  Felde  entgegen,  auf  dem  wir  ihm  zu 
begegnen  nicht  hatten  erwarten  können.  Otto  von  Guericke  ist  ein  bedeu- 
tender Mann  gewesen,  man  kennt  ihn  meist  nur  als  Erfin<]er,  als  Entdecker 
wissenschaftlicher  Wahrheiten;  er  hat  sich  aber  auch,  schon  ehe  er  Bürger- 
meister von  Magdeburg  wurde,  einen  Ruf  als  Diplomat  erworben,  um  seine 
Stadt  die  gröfsten  Verdienste;  er  nahm  aber  auch  an  allen  geistigen  Inter- 
essen, die  seine  Zeit  bewegten,  einen  lebhaften  Anteil.  Bei  der  Wieder- 
kehr seines  Todesfalles  11/2L  Mai  1686  werden  im  Jahre  1886  seine  Mit- 
bürger den  Grundstein  eines  öffentlichen  Denkmals  ihres  grofsen  Wohl- 
thäters  zu  legen  hoffentlich  nicht  versäumen.  Zu  einer  vollständigen  Bio- 
graphie Guerickes  hat  Herr  Direktor  Paulsiek  den  ersten  wertvollen  Beitrag 
im  obigen  Programm  geliefert ;  wir  hoffen,  dafs  demselben  noch  mehrere 
nachfolgen,  wie  er  uns  hoffen  läfst. 

Referent  übergeht  den  einleitenden  Lebensabrifs  Guerickes  und  seiner 
Familie.  Das  Leben  Guerickes  ist  sehr  bewegt  gewesen,  nicht  immer  war 
seine  amtliche  Thätigkeit  in  den  schweren  Zeiten  des  17,  Jahrhunderts  von 
beglückendem  Erfolge  gekrönt,  er  hat  viel  Trübsale  eifahien.  Um  so  be- 
wundernswerter erscheint  seine  umfassende  wissenschaftliche  Thätigkeit, 
unsterblich  sind  seine  Verdienste  um  die  Erweiterung  der  Physik,  jeder- 
mann   keimt    ihn    namentlich   als  Erfinder   der  Luftpumpe   und   der   magde- 


Prograninieiischau.  205 

burpisclien  Halbkiigeln ;  eine  Fulsnote  des  Verfassers  hat  Referent  Gelegen- 
heit zu  berichtigen.  Die  Erfindung  der  Luftpumpe  wird  um  1650  gesetzt  und 
es  soll  1651  Guericke  eine  solche  der  Stadt  Köln  zum  Geschenk  gemacht 
haben,  diese  aber  seit  1794,  dem  Jahre  des  Einriickens  der  Franzosen,  ver- 
schwunden und  seitdem  nichts  über  sie  btkannt  geworden  sein.  Wo  sie 
geblieben  sei,  ist  allerdings  unsicher;  Herr  Dr.  Berthold  in  Ronsdorf  hat 
aber  (s.  Annalen  der  Physik  und  Chemie  N.  F.  XX,  345  flgg.)  eine  ältere 
Nachricht  mitgeteilt,  wonach  Gueiickes  Luftpumpe  schon  1641  dem  Magi- 
strat von  Köln  zugeschickt  und  noch  1799  vorhanden  gewesen  sei.  Dies 
beiläufig.  —  Nun  fand  Verfasser  im  städtischen  Archiv  zu  Magdeburg  eine 
Handschrift  von  Guericke  von  33  Foiioseiten,  eine  Sammlung  von  Sinn- 
sprüchen, welche  uns  Guericke  von  einer  neuen  Seite  kennen  lehrt.  Er 
nimmt  davon  Veranlassung,  in  eingehender  geistvoller  \^'eise  die  litteratur- 
geschichtliche  Entwickelung  der  Sinnsprüche  im  allgemeinen  uns  vorzu- 
führen, den  Grund  ihrer  Entstehung,  (iie  wachsende  Tiefe  der  Beobachtung, 
ihre  Form;  von  ihrem  Ausgange  im  Orient  aus  verfolgt  er  den  Sinnspruch, 
den  Lehrspruch,  die  Gnome  bei  den  Griechen,  Römern,  bei  den  Kirchen- 
vätern, bei  den  Deutschen  von  Thomasin  von  Zirkläre  an,  bei  Freidank, 
den  Humanisten,  wie  denn  Erasmus  durch  seine  Adagie  Neubegründer  einer 
zahlreichen  Sprichwörterlitteratur  wurde.  Sachsen  und  insbesondere  die 
Stadt  Magdeburg  wurde  eine  fruchtbare  Pflegestätte  didaktischer  Litteratur; 
man  denke  an  Johann  Apricola,  die  beiden  Rollenhagen,  Johann  Sommer. 
In  Holland  wahrscheinlich  erwachte  Guerickes  Vorliebe  für  diese  Litteratur. 
Er  legte  sich  eine  umfangreiche  Bibliothek  didaktischer  Schriften  an  und 
excerpierte  sie  für  seinen  eigenen  Gebrauch;  er  führt  als  seine  Quellen 
biblische  Schriftsteller  an,  Griechen,  Römer,  neuere.  Die  Sammlung  ent- 
hält 637  Sprüche,  meist  in  Prosa,  der  Mehrzahl  nach  lateinische,  dann 
französische,  italienische,  holländische,  31  deutsche;  in  ihrer  Gesamtheit 
lassen  sie  uns  in  dem  Sammler  einen  tiefernsten,  an  Lebenserfahrung  und 
Urteil  reifen,  religiösen  Mann  erkennen.  Im  Original  fehlt  es  an  bestimm- 
ter Ordnung,  der  Herausgeber  hat  die  Sprüche  aber  nach  inneren  GesicJjts- 
punkten  geordnet,  so  dafs  wir  nur  ein  handliches  Buch  der  Lebensweisheit 
vor  uns  haben,  in  dem  man  sich  leicht  zurechtfindet.  Aber  der  Herauso-eber 
hat  mehr  gethan,  er  hat  allen  fremdsprachlichen  Sprüchen  eine  wohlgelun- 
gene Übersetzung  in  Versen  beigefügt.  Die  Hauptrubriken  sind:  inneres 
Leben,  menschliche  Rede,  menschliches  Handeln,  geselliger  Verkehr,  Fami- 
lienleben, öffentliches  Leben.  Als  Probe  und  als  Beweis,  wie  durch  diese 
Guerickesche  Sammlung  in  der  modernen  Bearbeitung  unsere  Spruchlittera- 
tur  eine  Bereicherung  erhalten  hat,  mögen  liier  schliefslich  einige  Sprüche 
in  Original  und  Übersetzung  mitgeteilt  werden.  Frömmigkeit:  Optinmm  via- 
ticum  pietas  =  der  beste  Schatz,  das  beste  Geleit  auf  dem  Lebensweg  ist 
Frömmigkeit.  Seelenruhe  und  Ernst:  J'^quus  animus  commendat  omnia  = 
Ein  billiger  Sinn  und  ruhig  V.'ägen  findet  Gutes  allerwegen.  Grenze  mensch- 
lichen Könnens:  Non  omnia  possumus  omnes  =  Wie  gut,  dafs  nicht  ein 
jeder  alles  kann  und  jede  Kunst  erfordert  ihren  Mann.  Selbstsucht:  Suse 
quisque  casaB  =  Jeder  sorgt  für  sein  Haus :  darauf  läuft  alles  hinaus.  Sorg- 
losigkeit: Periculum  venit,  quum  contenmitur  =  Wenn  du  verachtest  die 
Gefahr,  packt  sie  dich  bereits  am  Haar  Wirtschaftlichkeit:  Quod  non  opus  est, 
osse  carum  est  =  Was  dir  nicht  not,  dafür  ist  ein  Pfennig  zu  hohes  Gebot. 
Politik:  Perseverer  fait  empörter  =  Harre  aus,  so  gewinnst  du  den  Straufs. 

Der  Lausitzer  Dichter  Aug.  Ad.  von  Haugwitz.  Ein  Beitrag  zur 
Litteraturgesch.  des  XVII.  Jahrh.  Von  Oberl.  Dr.  Hiibner. 
Progr.  des  Progymn.  zu  Trarbach  1885.     26  S.  4. 

Von  Aug.  Ad.  von  Haugv/ltz  hat   von  den  Litterarhistorikern   nur  Ger- 
vinus  Genaut-res  berichtet,  aber  auch  seine  Bemerkungen  sind  nicht  umfang- 


'J06  Programnienschau. 

reich  unil  öfters  zu  verbessern.  Unter  seinen  Zeitgenossen  hat  Ilaugwitz 
nicht  nur  als  gelehrter  Schriftsteller  auf  juristischem  und  historischem  Ge- 
l'iet,  sondern  auch  als  Dichter  sich  Lob  erworben.  Der  Verfasser  vorliegen- 
der Abhandlung  hat  daher  sich  keine  Mühe  verdriefsen  lassen,  den  Lebens- 
umständen und  Produktionen  des  Mannes  aufs  sorgfiiltigste  nachzuforschen 
und  somit  einen  sehr  beachtenswerten  Beitrag  zur  Litteratur-  und  Kultur- 
geschichte des  17.  Jahrhunderts  geliefert.  —  Wenn  Gervinus  Haugwitz  mit 
dem  Schlesier  Joh.  Christ.  Hallmann  auf  gleiche  Linie  stellt,  so  weist  der 
Verfasser  nach,  wie  er  durchaus  von  demselben  verschieden  ist  und  ihn 
überragt,  dafs  er  namentlich  nicht  wie  jener  der  laxen  Moral  seiner  Zeit 
irgend  welche  Konzession  macht.  Hat  er  sich  auch  von  seiner  Zeit  nicht 
losreifsen  können,  ist  er  auch  nicht  in  dem  Sinne  der  Gegenwart  Dichter, 
so  zeigt  er  doch  oft  seinen  Widerspruch  gegen  die  Gebrechen  seiner  Zeit- 
genossen und  überhaupt  einen  eigentümlichen  Charakter.  Seine  wissenschaft- 
lichen Werke  sind:  Prodromus  Lusaticus  d.  i.  Topographie,  Geschiebte,  In- 
stitutionen, ein  Auszug  aus  einem  gröfseren  Werke,  das  nicht  veröffentlicht, 
aber  unvollständig  handschriftlich  erhalten  ist;  sodann  der  tractatus  de  regni 
et  aulaj  Marschaliorum  nomine  1690,  698  S.  4.  —  Die  poetischen  Werke 
sind  zusammengestellt  im  Prodromus  poeticus  «der  poetischer  Vortrab  iu 
Trauer-  und  Lustspielen,  Sonetten,  Oden,  Elegien,  Bey-  und  Unterschriften 
1684.  Darin:  a)  Schuldige  UnschuM  oder  Maria  Stuarda  1683,  in  Versen, 
nicht  in  Prosa,  wie  Koberstein  meint,  b)  Obsiegende  Tugend  oder  der  ße- 
thörte  doch  wieder  Bekehrte  Soliman,  Misch-Spiel  in  gebundener  Rede 
1684.  c)  R.  C.  D.  Flora,  Lustspiel,  d)  Auf  die  Dramen  folgen  Sonette, 
Elegien,  Bey-  oder  Uber-Schriften.  Ein  viertes  genanntes  Drama  Wallen- 
stein ist  nicht  veröffentlicht,  aber  wirklich  vollendet  und  aufgeführt.  — 
Haugwitz  wurde  1645  in  der  Überlausitz  auf  Ubigau  geboren  und  ent- 
stammte einem  noch  blljhenden  Adelgeschleclite.  Er  bezog,  zwanzig  Jahre 
alt,  die  Universität  Wittenberg  zu  juristischen  und  historischen  Studien. 
Nach  gutem  Erfolge  unternahm  er  die  übliche  Reise,  deren  Eindrücke  er 
ausführlich  geschildert  hat,  nach  Amsterdam,  London,  Paris.  Zurückgekehrt 
zog  er  sich  in  die  .Stille  des  väterlichen  Erbgutes  zurück.  Obgleich  er  nur 
rüv  seine  Standesgenossen  schrieb,  hielt  er  sich  vom  Hofe  fern  und  geifselte 
scharf  den  Luxus  der  Höflinge.  \  olle  Befriedigung  dagegen  fand  er  in 
der  Wissenschaft  Seine  Arbeiten  fanden  unter  einem  Teile  des  Adels  Zu- 
stimmung, besonders  bei  seinem  Oheim,  dem  Oberhofmarschall  Fr.  A.  von 
Haugwitz,  einem  feingebildcten  hochangesehenen  Hofmanne,  der  nach  dem 
Übertritte  Augusts  H.  zum  Katholicismus  in  bran  lenburgische  Dienste  trat. 
Seine  Werke  hat  er  nach  der  Sitte  der  Zeit  angesehenen  Persönlichkeiten 
gewidmet,  nicht  aus  Verlangen  nach  Belohnung,  sondern  um  dadurch  die 
Poesie  überhaupt  zu  empfehlen.  Die  Wissenschaft  blieb  ihm  der  eigentliche 
Beruf;  bescheiden  stellt  er  sich  unter  Gryphius,  Hofmann  und  Lohenstein, 
aber  er  steht  höher  als  andere  ihrer  Zeit  gefeierte  Versemacher.  Er  ist 
allerdings  nur  ein  formales  Talent  und  scheiterte  daran,  dafs  er  sich  an  das 
Schwierigste,  an  das  Drama  machte.  Der  Geschmack  der  höheren  Lebens- 
kreise war  dazu  dem  ernsten  Drama  entfremdet,  daher  wurde  er  weniger 
hochgestellt.  Er  starb  am  21.  September  1706.  Seine  Oden  und  Sonette 
sind  Kinder  des  Verstandes,  seine  Dramen  ohne  dramatisches  Leben,  er  ist 
ein  Sohn  seiner  Zeit,  auch  in  seinen  wissenscliaftlichen  Werken ;  aber  er  hat 
das  Beste  gewollt. 

Cober,  ein  Moralprediger  aus  dem  vorigen  Jahrhundert.  Von 
Dr.  Moritz  Geyer.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Alten- 
burg 1885.     28  8.  4. 

Jean  Paul  sagt:  „Das  vergnügte  Schulmeisterlein  Maria  Wuz  in  Auen- 
thal schrieb  in  seiner  Kindheit  Bibelverse  ab,  heftete  sie  und  sagte  zu  sich : 


Progranmieiisc'liaii.  207 

Abermals  einen  recht  hübschen  Koher  ficniacht  !"  Dazu  merkt  Jean  PhuI 
an:  „Kobers  Kabinetsprediger,  in  dem  mehr  Geist  steckt  (oft  ein  närrischer) 
als  in  zwanzig  jetzigen  ausgelaugten  Predigthaufen." 

Wer  dieser  Cober  gewesen,  darüber  waren  schon  manche  erfolgreiche 
Untersuchungen  angestellt,  aber  auch  der  neueste  Artikel  in  der  Allgem. 
deutschen  Biographie  enthält  nur  wenige  Notizen.  Dem  grrfsen  Fleifse  des 
Verfassers  ist  es  gelungen,  alles  was  sich  über  Cober  noch  finden  läfst,  zu- 
sammenzubringen und  damit  über  sein  Leben  und  seine  Schriften  Licht  zu 
verbreiten.  Die  wichtigsten  Ergebnisse  sind:  Gottlieb  Cobers  Schriften 
haben  zu  ihrer  Zeit  und  noch  lange  nachher  eine  aufserordentliche  Ver- 
breitung gefunden.  Er  war  am  10.  oder  11.  Juni  1682  in  Altenburg  ge- 
boren. Nachdem  er  lange  Jahre  vergebens  auf  Anstellung  gehofft  hatte, 
liefs  er  1710  das  „Epistolisch-evangelische  Präservativ"  erscheinen,  eine 
Sammlung  von  Andachten  über  die  Episteln  und  Evangelien,  welche  später 
unter  dem  Titel  „Moralprediger  im  Kabinet"  herausgegeben  wurde.  Be- 
rühmt wurde  Cober  1711  (iurch  das  Erbauungsbuch  ,,  r)e.r  aufrichtige  Ka- 
hinetprediger",  eine  ernste  Aufdeckung  der  verschiedenen  Fehler  und  Thor- 
heiten,  deretwegen  er  Gefängnisstrafe  zu  erdulden  hatte;  nach  dreiviertel- 
jäbriger  Haft  entfloh  er  nach  Leipzig,  dort  setzte  er  seine  schriftstellerische 
Thntigkeit  rastlos  fort.  Der  erste  Teil  des  Kabinetspredigers  wurde  in  vier 
Jahren  in  20  000  Exemplaren  verbreitet.  Manche  Gegenschriften  erschienen. 
Das  letzte  Werk,  welches  Cober  schrieb,  war  1717  sein  „Passionsprediger 
im  Kabinet".  Er  starb  am  12.  April  1717.  Er  gehörte  zu  denen,  die,  wie 
er  selbst  sagt,  ihr  Brot  mit  Weinen  essen  und  ihr  Bett  mit  Thränen  netzen 
mufsten  die  ganze  Nacht.  —  Eigenartig  ist  allen  seinen  Schriften  eine  un- 
bestechliche Schonungslosigkeit;  ähnlich  wie  Abraham  a  St.  Clara  greift  er 
besonders  das  Hofleben  an.  Er  ist  sehr  scharf,  aber  die  Zustände,  gegen 
welche  er  eifert,  sind  vorhanden  gewesen.  Sein  Stil  ist  knapp,  langatmige 
Sätze,  schwülstige  Perioden,  wie  sie  seiner  Zeit  üblich  waren,  hat  er  nicht, 
aber,  wie  seine  Zeitgenossen,  schmückt  er  seine  Predigten  mit  allerlei  Ge- 
schichten, immer  aber  zum  Zwecke,  nicht  zu  unterhalten,  sondern  zur  Um- 
kehr zu  mahnen.  Kunstvolle  Komposition  kennt  er  nicht.  Seine  Schriften 
sind  eine  Fundgrube  drastischer  Sprichwörter  und  für  eine  solche  Samm- 
lung noch  sehr  zu  verwerten.  Er  strebt  danach,  abstrakte  Begriffe  sinn- 
lich anschaulich  zu  machen.  Das  Buch  aller  Bücher  ist  ihm  die  Bibel,  aus 
ihr  schöpft  er  den  meisten  Stoff.  Je  länger  er  lebte,  desto  trüber  wurde 
seine  Lebensanschauung,  aber  in  dem  Ernste  und  der  Energie  seiner  Ge- 
sinnung steht  er  hoch  über  Abraham  a  St.  Clara,  den  er  freilich  an  Be- 
herrschung des  Sprachmaterials  nicht  erreicht.  Der  hier  nur  in  gedrängtem 
Auszug  wiedergegebenen  Übersicht  über  das  Leben  Cobers  läfst  der  Ver- 
fasser noch  drei  Nachträge  folgen :  zuerst  eine  alphabetische  Zusammenstel- 
lung eigentümlicher  oder  in  unbekannter  Weise  gebrauchter  Wörter  aus 
Cobers  Schriften,  eine  sehr  wertvolle  Bereicherung  der  Wörterbücher;  es 
sei  nur  erwähnt,  dafs  zu  den  45  im  deutschen  Wörterbuch  angeführten  Ver- 
bindungen mit  „Hans"  kommen:  „Hanfs  Ohnbedacht  wird  ausgelacht;  weifst 
du  aber  auch,  dafs  dein  Nachbar  Flanfs  Schwelger  geheifsen"  ;  —  sodann 
genaue  bibliographische  Nachrichten  über  alle  Ausgaben  der  Coberschen 
Schriften;  —  endlich  eine  Stilprobe  aus  dem  zweiten  Teile  des  Kabinets- 
Predigers :  Der  getröstete  Land-Mann. 

Lessings  Ansichten  über  das  Verhältnis  der  Tragödie  zur  Ge- 
schichte. Kritisch  dargestellt  von  G.  A.  Lambeck.  Pro- 
gramm der  Ober-Realschule  zu  Koblenz  1885.     34  S.  4. 

Die  Schwierigkeit  der  Frage  nach  dem  Verhältnis  der  Tragödie  zur  Ge- 
schichte ist  so  grofs,  dafs  Lessing  dreimal  in  der  Dramaturgie  darauf  ein- 
gegangen ist,  St.   19,   23  und  24,  87  bis  9ö.      Diese   Ansichten   prüft    obige 


208  Programmenschau. 

umfiingreiclie  Abhandlung,  auch  auf  die  Urti-ile  anderer  über  dieselben  sorg- 
fältig eingehend.  In  St.  19  giebt  Lessing  den  Unterschied  von  Geschichte  und 
Tragödie  an  ;  sein  Gewährsmann  if-t  ihm  Aristoteles  in  der  Poetik  Kap.  8  und  9. 
Aristoteles  hat  von  der  Geschichte  (Kap.  23)  eine  geringe  Vorstellung,  ihm  ist 
sie  gleich  Chronik,  der  Historiker  aber  will  erklären,  er  begründet  eine 
Ordnung,  Und  doch  ist  diese  Ordnung  keine  vollkommene,  solange  meh- 
rere Ereignisse  sich  treffen,  ohne  dafs  wir  begreifen  warum;  das  wirklich 
Geschehene  ermangelt  für  uns  fast  immer  der  Eigenschaften,  die  allein  es 
befähigten  für  dichterische  Darstellung,  der  Einheitlichkeit  und  Ganzheit. 
In  dem  dramatischen  Kunstwerk  aber  ist  jedes  Folgende  aus  dem  Vorher- 
gehenden nach  den  Gesetzen  der  Wahrscheinlichkeit  oder  Notwendigkeit 
hcj'geleitet,  daher  als  möglich  hingestellt,  der  dramatische  Dichter  entwickelt 
jede  Begebenheit  aus  dem  Charakter  seiner  Helden;  hier  setzt  der  Verfasser 
aber  hinzu,  die  Begebenheiten  sind  nicht  aus  einer  Besonderheit  der  Hel- 
den, sondern  aus  (ier  allgemein  menschlichen  Natur  iierzuleiten;  der  un- 
menschliche Hafs  der  Euripideischen  Elektra  gegen  die  Mutler  scheint  ihm 
unmöglich.  Indes  er  ist  doch  motiviert  genug.  Die  Geschichte  zeigt  im 
Gegensatz  zur  Poesie  mehr  das  Einzelne;  auch  der  Zufall  ist  ein  Einzelnes. 
Kann  auch  mitunter  der  Historiker  die  einzelne  Begebenheit  so  motivieren, 
dafs  der  Zufall  verschwindet,  so  bleibt  doch  zwischen  Poesie  und  Ge- 
schichte ein  grofser  Unterschied ;  dem  Dramatiker  kann  nicht  die  Aufgabe 
gestellt  werden,  die  Grofsthaten  der  Geschichte  zu  verewigen. 

Es  ist  in  alle  dem  die  Einheit  der  Handlung  für  das  Drama  voraus- 
gesetzt. Indes  das  moderne  Drama  beobachtet  die  Einheit  in  dem  Sinne 
des  Aristoteles  vielfach  nicht,  es  liebt  die  Mannigfaltigkeit.  Ist  nun  doch 
die  Geschichte  darstellbar?  Aber  die  moderne  Auffassung  des  Dramas  ist 
tiefer  als  die  Aristotelische,  die  göttliche  Gerechtigkeit  als  höchstes  Forum 
soll  in)  modernen  Drama  mehr  betont  werden,  in  ein  helleres  Licht  treten  ; 
diese  Rücksicht  auf  das  sittliche  Gefühl  der  Hörer  trennt  noch  viel  weiter 
ilie  Poesie  von  der  (beschichte.  Im  23.  St.  der  Dram.  ist  nun  Lessing  von 
Aristoteles  abgegangen  und  erlaubt  dem  Dichter  historische  Stoffe,  aber 
formuliert  das  Verhältnis  der  Tragödie  zur  Geschichte  so,  dals  der  Dichter 
in  allem,  was  die  Charaktere  nicht,  betreffe,  von  der  geschichtlichen  Wahr- 
heit abgehen  dürfe  soweit  er  wolle,  nur  die  Charaktere  ihm  heilig  seien, 
oder  genauer  St.  .33,  dafs  er  mit  den  Thatsachen  beliebig  verfahren  dürfe, 
solange  er  sie  nur  nicht  mit  dem  Charakter  in  AViderspruch  setze.  Aber 
dafs  die  vier  Gründe,  welche  Lessing  St.  23  und  3;3  für  seine  Theorie  an- 
führt, nicht  stichhaltig  sind,  beweist  der  Verfasser  gut.  In  der  Tragödie 
ist  die  Handlung  die  Hauptsache;  die  geschichtlichen  Thatsachen  verdienen 
mindestens  ebensoviel  Respekt  wie  die  geschichtlichen  Charaktere.  —  Spä- 
ter St.  87  bis  91  behandelt  Lessing  dasselbe  Thema.  Dort  verlangt  er,  dafs 
die  Charaktere  etwas  Allgemeines  darstellen,  weil  sonst  sich  niemand  in  den 
Charakter  des  Helden  ver.?etzeu  könne,  wie  z.  B  der  Aristophanische  So- 
krates  nicht  der  einzelne  Sokrates  sei.  Er  meint  dabei  aber  keine  Abstrak- 
tion einer  einzelnen  Sinnesrichtung  für  sich,  sondern  so,  dafs  neben  dem 
Hauptcharakterzug  alle  die  Eigenschaften  dem  Helden  bleiben,  welche  die 
Geschichte  ihm  beilegt  und  welche  jenem  Hauptcharakterzug  nicht  wider- 
sprechen, diejenigen  aber,  welche  diesem  widersprechen,  durch  andere  er- 
setzt werden  (vgl.  Goethes  Egmont).  Lessing  sagt  weiter,  der  Dichter 
dürfe  die  Thatsachen  in  einem  sehr  weiten  Umfange  verändern,  werde  aber 
immer  noch  den  Personen  ihre  geschichtlichen  Namen  lassen.  Dagegen 
läfst  sich  einwenden,  dafs,  wenn  gleich  mit  der  Nennung  eines  geschicht- 
lichen Helden  der  Zuschauer  eine  allgemeine  Vorstellung  verbindet,  der 
Reiz  der  Spannung  für  ihn  abgeschwächt  wird.  Er  meint  feiner,  dafs,  wenn 
den  geschichtlichen  Namen  auch  frei  erfundene  Begeberdieiten  angehängt 
würden,  diese  glaubwürdiger  erschienen.  Indessen  das  erste,  was  uns  eine 
Historie  glaubwürdig  macht,  ist  doch  ihre  innere  Wahrscheinlichkeit.     Doch 


ProgrammenscLau.  209 

(las  b!eil)t  bestehen,  dafs  dem  historischen  Namen  der  Zuschauer  gröl'seres 
Interesse  entgegenbringt.  —  Man  hat  geschlossen,  Lessing  habe  es  an  einem 
tieferen  Verständnis  des  geschichtlichen  Prozesses  gefehlt.  Gegen  einen 
solchen  Vorwurf  spricht  schon,  dafs  Lessing  der  Verfasser  der  Erziehung 
des  Menschengeschlechtes  ist,  überdem  ausdrücklich  eine  Stelle  im  79.  St. 
der  Dramaturgie. 

„Was  wir  in  einem  Kunstwerke  schön  finden,  das  findet  nicht 
unser  Auge,  sondern  die  Einbildungskraft  durch  das  Auge 
schön."  Lessing,  Laokoon  Kap.  VI.  Materiahen  lÜr  die 
Erklärung  der  Stelle  in  der  Prima,  zusammengestellt  von 
Baranek.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Gleiwitz  1885. 
20  S.  4. 

Der  Verfasser  ist  ein  entschiedener  Verteidiger  der  Besprechung  des 
Laokoon  in  der  Schule;  er  hebt  als  Muster  mit  Recht  das  Kölner  Pro- 
gramm von  Brencker  hervor.  Ob  aber  Themen  aus  dem  Laokoon  auszu- 
wählen seien,  darüber  schwankt  er  noch;  die  Bedenken  gehen  zu  weit. 
Wenn  die  Lessingschen  Sätze  dem  Schüler  so  ins  Bewufstsein  übergegangen 
sind,  dafs  er  Längere  Partien  in  einem  Referat  zusammenfassen  kann,  so 
ist  das  doch  etwas  ganz  anderes  als  die  Umwandlung  von  Poesie  in  Prosa, 
und  sodann  wenn  er  nach  den  Lessingschen  Sätzen  Kunstwerke  zu  beurteilen 
vermag,  so  ist  der  Gewinn  nicht  hoch  genug  anzuschlagen,  vor  einem  ober- 
flächlichen Absprechen  giebt  es  keinen  besseren  Schutz.  Davon  abgesehen 
ist  auf  diese  eingehende  Besprechung  des  in  der  Überschrift  genannten 
Satzes  der  Deutschlehrer  recht  aufmerksam  zu  machen,  sie  giebt  eine  sehr 
eindringende  Erörterung  der  hier  zusammengefafsten  Begriffe,  sie  will  den 
Schüler  anleiten,  überall  eine  behutsame  Kritik  anzuwenden,  ihn  mit  Les- 
singschem  Geiste  erfüllen,  sie  zieht  Parallelen  vielfach  heran,  nicht  von 
rechts  und  links,  sondern  aus  Lessingschen  Stellen,  sie  bietet  also  wertvolle 
Materialien  zur  Erläuterung  des  obigen,  doch  nicht  ohne  weiteres  jedem 
verständlichen  Satzes.  Aus  der  Praxis  ist  die  Abhandlung  hervorgegangen 
und  dient  trefflich  der  Praxis.  —  Zunächst  werden  die  Begriffe  einzeln  be- 
trachtet, ihr  Sinn  bei  Lessing  festgestellt,  dann  ihre  Synthesis  ins  Auge  ge- 
fafst.  Kunst  also  zuerst  ist  Nachahmung,  die  des  Malers  insbesondere 
Nachahmung  schöner  Körper  durch  Umrifs  und  Farbe;  die  Nachahmung  ist 
aber  nicht  sklavisch.  Das  wahre  Kunstwerk  wirkt  illusorisch  auf  den  Be- 
trachtenden, er  vergifst  den  Unterschied  zwischen  sich  und  dem  (Gegen- 
stände, und  diese  Täuschung  gefällt;  untergeordnet  ist  das  Vergnügen  über 
die  Geschicklichkeit  des  Künstlers.  In  dieser  Wirkung  auf  das  Gemüt  liegt 
der  Einflufs  der  Kunst  auf  den  Volkscharakter,  also  ihre  sittliche  Bedeu- 
tung. Es  folgt  eine  Besprechung  des  Schönheitsbegriffes,  von  dem  eine 
volle  Definition  sich  bei  Lessing  nicht  findet,  dabei  Erläuterung  von  Aus- 
druck und  Wahrheit  und  der  Frape,  wie  der  Künstler  die  Natur  nachzu- 
ahmen hat.  Das  Kunstwerk  soll  Wahrheit  besitzen,  deshrdb  darf  es  nicht 
sklavische  Nachahmung  der  Wirklichkeit  sein.  Um  zur  Bildung  des  sich 
mit  der  Entwickelung  dos  Geschmackes  gestaltenden  Ideals  zu  gelangen, 
hat  der  Künstler  die  schöne  Naturform  von  den  zufälligen  störenden  Be- 
standteilen zu  reinigen.  Die  Form  aber  ist  für  den  Künstler  nur  ein  Mittel 
für  den  höheren  seelischen  Ausdruck.  Der  Gegenstand  der  höchsten  Schön- 
heit ist  der  menschliche  Leib.  Weiter:  Einbildungskraft  (Phantasie)  ist  die 
Fähigkeit  des  Erkenntnisvermögens,  Wahrnehmungsbilder  von  Gegenständen, 
die  nicht  vor  uns  stehen,  im  Bewufstsein  wieder  zu  erwecken,  sodann  aber 
auch  die  mannigfachsten  Verbindungen  mit  ihnen  vorzunehmen.  Da  nun  die 
Seele  keine  Vorstellung  ohne  Erregung  eines  Gefühls  oder  einer  Stimmung 
aufnimmt,  so  fügt  die  Phantasie  nicht  blofs  Bild  an  Bild,  sondern  verbindet 

Ai-clnv  f.  n.  Sina^-liPii.    LX.W.  14 


'210  Programmenschau. 

auch  Bilder  mit  Ideen  und  Stimmungen  und  wirkt  somit  auch  auf  ^\'isspn- 
schaft  und  diis  praktische  Leben ;  sie  ist  also  vorzugsweise  eine  schöpf'i'rische 
Kraft.  Im  Gebiete  der  Kunst  ist  sie  die  schaffende  Kraft  im  Künstler  und 
die  nachschaßende  im  Beschauer.  Da  nun  das  Kriterium  der  Kunst- 
schöpfung nicht  im  Auge  liegt,  weil  die  Nachahmung  der  Natur  nicht  die 
Aufgabe  der  Kunst  erschöpft,  so  ist  der  Hauptsatz  bewiesen,  das  Zeitwort 
finden  aber  umfafst  sowohl  die  objektive  Seite  des  Schönen  als  auch  die  er- 
weckte Thiiti^keit  der  Seele,  schliefst  also  das  Empfinden  in  sich.  Das 
Auge  liefert  das  liohmaterial  für  die  Phantasie  und  den  Verstand  les  kann 
aber  dann  nicht,  wie  der  Verfasser  S.  IG  irrig  sagt,  von  einem  Handlanger- 
dienst der  Phantasie  die  Rede  sein,  diesen  verrichtete  ja  das  Auge),  es 
weckt  nur  die  ästhetischen  Eltmentargcfühle.  In  dem  Beschauer  wirkt  das 
Kunstwerk  ein  geistiges  Nachschaffen;  und  noch  über  den  Augenblick  hin- 
aus soll  die  Einbildungskraft  weiter  schaffen. 

Sophie  von  La  Roche  in  Schönebeck.  Von  Dr.  Steiner,  Pro- 
gramm der  Realschule  in   Schönebeck  18ö5.     14  S.  4. 

Sophie  von  La  Eoche  hielt  sich  im  Sommer  1799  längere  Zeit  in 
Schönebeck  bei  ihrem  dort  beim  Salzwerk  angestellten  verheirateten  Sohne' 
auf.  Schreibselig  wie  sie  war  und  nach  (iem  Tode  ihres  Mannes  sein 
mufste,  hat  sie  die  Reise  von  Off'enbach  nach  Weimar  und  Schönebeck  1799 
geschildert,  auch  unter  dem  Titel:  Schattenrisse  abgeschiedener  Stunden  in 
Off'enbach,  Weimar  und  Schönebeck.  Der  Erfolg,  den  sie  mit  ihrem  ersten 
Werke,  Die  Geschichte  des  Fräuleins  von  Sternheim  1771  erzielt  hatte,  er- 
mutigte sie,  denselben  sentimentalen  Ton  in  den  folgenden  Werken  festzu- 
halten; dem  Gedächtnis  der  Gegenwart  sind  sie  entschwunden.  Sie  nahm 
ihren  Weg  über  Weimar,  um  den  alten  Jugendfreund  Wieland  zu  besuchen, 
nach  Schönebeck.  Aus  dieser  Reisebeschreibung  teilt  nun  der  Verfasser 
vorliegender  Abhandlung,  dem  sonstige  Quellen  nicht  zu  Gebote  standen, 
den  auf  Schönebeck  bezüglichen  Abschnitt  dem  Inhalte  nach  mit,  der  also 
besonders  die  gegenwärtigen  Einwohner  von  Schönebeck  interessieren  mufs. 
Da  aber  Sophie  auch  noch  Ausflüge  nach  Gnadau  und  Magdeburg  machte 
und  von  dem  Leben  dort  allerlei  erzählt,  so  ist  das  Ganze  ein  hübsches 
Kulturbild.  Aus  dem  Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  Schiller  hebt  der 
Verfasser  noch  einige  köstliche  Stellen  hervor,  welche  uns  die  Angst  der 
Dichterheroen  schildern,  als  Sophie  herannahte.  Von  Schönebeck  reiste  sie 
über  Leipzig  zurück,  und  ihr  Reisegefährte  von  Leipzig  bis  Weimar  war 
Ernst  Moritz  Arndt,  der  gerade  aus  Italien  zurückkam  und  Wieland  in 
Osmansteilt  besuchen  wollte. 

Beiträge  zur  Metrik  Goethes.  Zweiter  Teil.  Von  Dr.  Ed.  Bel- 
ling.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Bromberg  1885. 
18  S.  4. 

Das  Programm  behandelt  die  metrischen  Eigentümlichkeiten  der  ersten 
Periode.  Schon  in  seinen  ersten  Dichtungen  zeigt,  im  Gegensatze  zu  Schil- 
ler, Goethe  eine  ungemeine  Leichtigkeit  in  der  Behandlung  der  metrischen 
Formen,  und  nach  der  Periode  der  Gärung  in  den  Erzeugnissen  des  reifen 
Mannesalters  Ähnlichkeit  mit  denen  der  Jugendzeit,  nur  dafs  die  Feinheit 
und  Mannigfaltigkeit  der  metrischen  Formen  zugenommen  hat.  Auf  die  ein- 
zelnen Gedichte  der  ersten  Periode  übergehend  weist  nun  der  Verfasser 
mit  zahlreiclien  Beleg.stellen  nach,  dafs  die  Hebung  tonloser  Silben  nicht 
häufig  ist.  Die  Strophenformen  sind  zahlreich  und  zerfallen  in  jambische, 
janibisch-anapästischc,  trochäische  und  freie  Kompositionen.  Am  zahlreich- 
sten sind  die  jambischen,  Zwei-,  Drei-,  Vier-,  Fünf-  und  Sechsfüfsler.  Zu- 
erst werden  die  jambischen  Strophen   nach   ihren    verschiedenen  Unterabtei- 


Programmen«cliau.  211 

langen  durch  Beispiele  erläutert,  dann  ebenso  die  jambisch-anapästischen, 
die  trocliäischen,  endlich  die  mannigfaltigen  freien  Kompositionen.  Die 
Reime  sind,  auch  anders  als  in  den  Jugendgedichten  Schillers,  wohllautend 
und  meist  rein  ,  am  häufigsten  finden  sich  noch  die  unreinen  Reime  i  und  ü, 
seltener  ä  und  e,  ö  und  e,  ei  und  eu,  sowie  ein  in  Konsonanten  unrichtiger 
Reim.  Welches  ist  der  Ursprung  der  Goetheschen  Strophenform?  Gewifs 
wurde  Goethe  durch  seinen  angeborenen  Sinn  für  Rhythmus  instinktiv  ge- 
leitet; aber  er  hat  auch  die  Produktionen  anderer  Dichter  auf  sich  wirken 
lassen.  Mit  dem  subtilsten  Fleifs  weist  der  Verfasser  nach,  wie  alle  die 
verschiedenen  Goetheschen  Stropl)enformen  sich  schon  vor  Goethe  vorfinden, 
sei  es  bei  Geliert,  Gleim,  Hagedorn,  Götz,  sei  es  bei  Paul  Gerhard,  Simon 
Dach,  Haller,  sei  es  im  Volksliede,  nur  dafs  Goethe  kleine  Modifikationen 
eintreten  läfst.  Grofs  ist  schon  in  dieser  Periode  die  Mannigfaltigkeit  der 
Goetheschen  Rhythmen,  18  jambische,  12  trochäische,  2  jambisch-anapästi- 
schp,  dazu  die  freien  Kompositionen,  die  Gesamtzahl  beträgt  40.  An  den 
einzelnen  Liedern  zeigt  endlich  der  Verfasser,  wie  vortrefflich  das  gewählte 
Rhythmengeschlecht  zum  Inhalt  pafst.  Die  Abhandlung  ist  ein  sehr  be- 
achtenswerter Beitrag  zur  Goethe-Litteratur,  sie  führt  zu  einem  tieferen 
Verständnis  der  Goetheschen  Poesie;  wir  wünschen,  dafs  die  versprochene 
Fortsetzung  bald  erscheinen  möge. 

Das  Goethesche  Gleichnis.  II.  Von  Direktor  H.  Henkel.  Pro- 
gramm des  Gymnasiums  zu  Seehausen ^1885.     24  S.  4. 

Wie  der  erste  Teil  (1883)  der  Abhandlung,  so  zeichnet  sich  auch  dieser 
zweite  Teil  durch  feinsinnige  Bemerkungen  und  grofse  Belesenheit  aus. 
Der  \'erfasser  hat  nicht  blofs  die  eigentlichen  schriftstellerischen  Werke  des 
Dichters  benutzt,  sondern  auch  die  verschiedenen  Briefwechsel  und  die  Ge- 
spräche. Er  hebt  zuerst  die  eigentümliche  natursymbolische  Lyrik  Goethes 
hervor,  indem  in  den  Dichtun<,'en  die  Natur  nirgends  Gegenstand  selbstän- 
diger DetailschilderuDg  ist.  Diese  Eigentümlichkeit  tritt  schon  in  den  Lie- 
dern der  ersten  Schweizerreise  hervor.  Dann  läfst  der  \'erfasser  uns  „das 
Weltbild  im  Spiegel  des  Goetheschen  Gleichnisses"  entgegentreten ;  man 
kann  wohl  sagen,  dafs  in  diesen  Gleichnissen  sich  die  Herrschaft  ausspricht, 
welche  der  Goethesche  Geist  über  alle  Gebiete  des  Weltwesens  ausübt.  So 
werden  nun  die  Gleichnisse  aufgeführt,  welche  hergeleitet  sind  von  den  Ge- 
stirnen (Sonne,  Mond,  Sterne,  Planet),  von  Licht  (Schatten,  Wolke,  Far- 
ben, Tropfen,  Smaragd,  Spiegel,  Zauberlaterne,  Tubus,  Doppel'^path),  vom 
Feuer  (Funke,  Flamme,  Kolde,  Feuerwerk,  Lava;,  vom  Wasser  (Urne,  Quelle, 
Kaskade,  Bach,  Strom,  Damm),  von  Schifiahrt  (Kahn,  Nachen.  Flotte, 
Ruder,  Kompafs),  von  Luft  (Ostwiml,  Barometer,  Thermometer,  Luftballon), 
von  Erde  (Landschaft,  Berg),  von  Mineralien  (Perle,  Gold,  Silber,  Magnet, 
(Quecksilber,  Pulver),  von  der  Pflanzenwelt  (Keim,  Blatt,  Knospe,  Blume, 
Straufs,  Baum,  Frucht,  Beere,  Wurzel,  Samen,  Pflugschar,  Saatfeld,  Spreu, 
Stroh),  von  der  Tierwelt,  vom  menschlichen  Organismus,  von  Gesundheit 
und  Krankheit  (Diät,  Wunde  u.  a.),  von  Alter  und  Geschlecht  (Wiegenlied, 
Schaukelpferd,  Grabstein),  von  Speise  und  Trank.  Ein  dritter  Artikel  soll 
noch  achtzehn  Gruppen  von  Gleichnissen  bringen. 

Schiller  in  seinen  Beziehungen  zur  Musik.  Von  Oberlehrer 
Klötzer.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Zittau  1885. 
24  S.  4. 

Schiller  war  ohne  musikalische  Kenntnisse,  aber  nicht  ohne  gutes  musi- 
kalisches Gefühl  und  Urteil  und  ist  durch  seine  Dichtungen  mit  der  Musik 
in  Verbindung  getreten.  Was  sich  daher  über  diese  Beziehungen  zur  Musik 
aus  Schillers  Werken  und  den  auf  ihn  bezüglichen  Schriftwerken  zusammen- 

14* 


:il2  Prograimiienscliaii. 

fincJen  liefs,  hat  der  Verfasser  übersichtlich  dargestellt,  wobei  noch  manches, 
was  nicht  illrtkt  das  Thema  berührt,  vi^ele  wohl  in  einer  Biographie  Schil- 
lers passenden  Ausführungen,  ganze  Inhaltsangabe  der  Semele  u.  s.  w.  aus- 
gelassen werden  konnte.  Der  Inhalt  ist  eingeteilt  in:  1)  EinHuf»  der  Musik 
auf  Schiller;  Aufserungen  aus  der  Jugendzeit;  musikalische  Übungen  Char- 
lottes  unil  mehr  Karolinens  von  Wolzogen.  2)  Seine  Thiitigkeit  für  die 
Musik,  a)  Oper:  die  musikalischen  Aufführungen  auf  der  Karlsschule;  die 
Operette  Semele.  Dann  schrieb  er  zwei  Arien  und  ein  Terzett  für  eine 
Oper  von  Holzbauer.  In  Weimar  dachte  er  erst  an  Bearbeitung  des  Obe- 
ron  von  Wieland  für  die  Oper.  Der  Plan  trat  zurück.  Auch  aus  dem  Vor- 
schlage des  Kapellmeisters  Naumann,  ihm  den  Text  für  eine  Nationaloper 
1788  zu  schreiben,  wurde  nichts.  Seit  der  Übersiedelung  nach  Weimar 
hatte  er  von  der  Oper  eine  gute  Vorstellung;  er  hoffte,  dafs  aus  ihr  die 
Tragödie  in  eiilerer  Gestalt  sich  entwickeln  werde.  Von  Glucks  Ipliigenie 
auf  Tauris  war  er  begeistert  und  hat  für  Goethe  einige  Proben  im  Theater 
geleitet,  b)  Drama:  Fast  in  allen  Dramen  Schillers  spielt  die  Musik  eine 
Rolle.  Durch  die  Räuber  wurde  er  mit  Körner  bekannt,  dieser  schickte 
ihm  nach  Mannheim  die  Komposition  des  Liedes  Analus  zu,  deren  Original 
sich  im  Körner-Museum  befindet.  Die  Kompositionen,  welche  der  gedruck- 
ten Auflage  beiliegen,  sind  von  Zumsteeg;  das  Lied  Theklas,  des  Mädchens 
Klage,  dichtete  er  für  Karoline  Jagemann,  die  auch  Sängerin  war.  Für 
Wallensteins  Lager  verlangte  er  eine  reiche  musikalische  Ausstattung; 
Goethe  half  thätig  dabei;  das  Reiterlied,  zuerst  von  Körner,  aber  in  einer 
Schiller  nicht  befriedigenden  Weise,  dann  oft  komponiert,  erwarb  sich  immer 
viele  begeisterte  Freunde.  Dafs  das  Chorlied  der  barmherzigen  Brüder  im 
Teil  nicht  gesungen  wurde,  war  durchaus  gegen  Schillers  Absicht,  c)  Ge- 
dichte: \  iele  Briefstellen  zeigen,  wie  sehr  Schiller  eine  gute  Komposition 
seiner  Gedichte  am  Herzen  lag.  Vf)m  Liede  an  die  Freude  gefiel  ihm  Kör- 
ners Behandlung  des  Chores,  sonst  auch  Naumanns  Komposition.  Die 
musikalisch-theatralische  Darstellung,  welche  das  Lied  von  der  Glocke  in 
Dresden  auf  Veranlassung  des  Intendanten  Baron  Rackenitz  erfuhr,  war 
weder  nach  Körners  noch  nach  Schillers  Geschmack.  Die  Art,  wie  der 
Taucher  von  Zelter  musikalisch  bearbeitet  war,  fand  Schillers  vollen  Bei- 
i'all.  Von  den  Gesellschaftsliedern  liefs  er  das  Lied  Jtn  die  Freunde  und  die 
Vier  Weltdlter  von  Körner,  das  Punschlied  und  Siegesfest  von  Zelter  kom- 
ponieren. 3)  Schillers  Aufserungen  über  die  Musik  als  Kunst.  Zu  dem 
Gespräch  Koilins  oder  über  die  Schönheit  ersuchte  Schiller  Körner  um  Mit- 
teilung seiner  Gedanken  über  die  Musik.  Das  Buch  ist  nicht  erschienen; 
an  seine  Stelle  traten  die  Briefe  über  die  ästhetische  Erziehung;  seine  An- 
sichten und  Urteile  über  die  Musik  lernen  wir  aber  am  besten  aus  seinen 
Briefen  an  Körner  kennen. 

V'orarbeiten  und  Beitrage  zti  einer  kritischen  Ausgabe  Holder- 
lins.  Von  Dr.  Robert  Wirth.  Programm  des  Gymnasiums 
zu  Plauen  i.  V.  1885.     30  8.  4. 

Die  grofse  Bedeutung  Hölderlins  ist  in  neuerer  Zeit  mehr  und  mehr 
anerkannt  worden ;  in  seinen  Oden  erhebt  er  sich  nach  Iidialt  und  Form 
über  Klopstock  und  alle  späteren  Odendichter.  Von  allen  Klassikern  ver- 
langen wir  jetzt  kritische  Ausgaben.  Bei  Hölderlin  bestehen  die  Schwierig- 
keiten einer  solchen  darin,  dafs  nicht  wenige  seiner  Dichtungen  aus  schwer 
lesbaren  und  mit  Varianten  angefüllten  Manuskripten  gedruckt  werden  mufs- 
ten,  weshalb  eine  neue  sorgfältige  Durchsicht  des  Stuttgarter  Nachlasses 
nötig  ist.  Aber  nicht  das  allein:  es  sind  sämtliche  Zeitschriften,  in  denen 
Gedichte  Ilöderlins  stehen,  sämtliche  Ausgaben  sorgfältig  nachzusehen  und 
zu  prüfen.  Wie  nötig  das  ist,  lehrt  vorüegende  Arbeit.  Dem  Verfasser  lag 
d  is  g;iiize  Material,  widches  sich  auftreiben  liefs,  vor;    er   behandelt   danach 


Progranmienschau.  21  o 

nun  kritisch  eine  Reihe  von  (TCilichten  mit  der  siibtilslen  Gonnnigkeit  und 
h'hrl  was  zu  thun  ist,  um  nicht  einen  verständlichen,  sondern  den  richtigen 
Text  zu  jievvinnen.  Kein  Herausgeber  Höderlins,  wer  es  auch  sein  mag, 
wenn  auch  nach  dieser  Vorarbeit  der  Verfasser  selbst  der  geeignetste  schei- 
nen möchte,  darf  diese  vortreffliche  Abhandlung  übersehen.  Bei  der  be- 
wundernswerten Sorgfalt,  welche  der  Verfasser  seiner  Aufgabe  gewidmet 
hat.  darf  man  sich  nicht  wundern,  dafs  mancher  Herausgeber  und  mancher 
vielgeriihmte  Erklärer  herben  Tadel  erfährt. 

Zur  Feier  deutscher  Dichter.  17.  Abend:  Kopisch  und  HofF- 
inann  von  Fallersieben;  18.  Abend:  K.  Simrock  und  R. 
Eeinick.  Von  Direktor  K.  Strackerjan.  Programm  der 
Ober-Realechule  zu  Oldenburg  1885. 

Die  schöne  Sitte,  im  Winterhalbjahr  in  der  Aula  der  Ober-Realschule 
zu  Oldenburg  durch  die  Schüler  Gedichte  bestimmter  Dichter  durch  Dekla- 
mation und  Gesang  vor  einem  grofsen  Publikum  vortragen  zu  lassen,  wo- 
tlurch  nicht  blofs  die  Schüler  in  diese  Dichter  eingeführt,  sondern  auch  das 
grofse  Publikum  mit  Interesse  für  unsere  Poesie  mehr  als  durch  litterar- 
historische  Vorträge  erfüllt  wird,  besteht  von  Jahr  zu  Jahr  noch  fort  und 
legt  ein  erfreuliches  Zeugnis  für  die  Bildung  der  Heimat  Herbarts  ab.  Der 
Leiter  dieser  Festlichkeiten  verbreitet  diesen  (ienufs  in  weiteren  Kreisen, 
indem  er  in  den  Programmen  in  dem  Vorwort  eine  kurze  Charakteristik  der 
Dichter  mitteilt.  Auch  die  diesmaligen  Charakteristiken  sind  knapp',  aber 
treflend.  Mit  Reclit  wird  bei  Kopisch  eine  gewisse  Ähnlichkeit  in  dessen 
dichterischer  und  malerischer  Darstellung  gefunden;  Kopisch  malt  mit  Tönen, 
die  tonmalenden  Wortbildungen  und  Wortverbindungen  sind  unmittelbar 
dem  Volksmunde  entnommen;  er  ist  ein  echt  deutscher  Dichter;  es  ist  als 
ob  der  lange  Aufenthalt  in  Italien  den  angeborenen  Sinn  für  deutsche 
Volkstümlichkeit  entschieden  entwickelt  und  schärfer  ausgeprägt  habe.  Es 
giebt  wenige  Dichter,  die  so  volkstümlich  geworden  sind  wie  Hof!"mann.  Er 
ist  eine  durch  und  durch  deutsche  Natur.  Dafs  er  in  seinen  besten  Manneg- 
jahren  fast  heimatlos  ein  unstetes  Leben  führen  mufste,  davon  schreibt  der 
Verfasser  einen  Teil  der  Schuld  Hof!'mann  seihst  zu;  indessen  hat  er  zu- 
nächst Schuld  an  der  traurigen  Wendung  seiner  Lage?  Und  müssen  wir 
diese  Frage  verneinen,  ist  dann  nicht  die  Erbitterung  sehr  erklärlich?  Hoff- 
mann  ist  ein  Lyriker  ersten  Ranges;  in  wenigen  Zeilen  enthalten  seine 
Kinderlieder  einen  überströmenden  Reichtum  echter  Poesie.  Keiner  der 
neueren  Dichter  hat  den  herzigen  und  zugleich  munteren  Ton  des  Volks- 
liedes so  getroffen  wie  er;  er  mutet  uns  an  wie  ein  Walther  von  der  Vogel- 
weide; alles  ist  unmittelbar,  leicht,  fröhlich,  innig  und  sinnig,  ernst,  von 
Vaterlandsliebe  durchglüht,  alles  will  gesungen  sein.  Reinick  ist  der  Dich- 
ter für  die  Kinderwelt.  Seine  Gedichte  sind  singbar  wie  nur  irgend  welche, 
daher  so  oft  komponiert.  Simrock  ist  hauptsächlich  Epiker;  keiner  der 
Dichter  hat  sich  in  die  deutsche  Vergangenheit  mehr  hineingelebt  als  er. 
Seine  Übersetzungen  geben  nicht  blofs  die  Gedanken  des  Originals  wieder, 
sondern  auch  Ton  und  \'ersmafs;  der  Stoff  beherrscht  ihn  manchmal  zu 
sehr,  so  dafs  er  denselben  nicht  recht  plastisch  gestaltet;  am  meisten  leistet 
er,  wenn  er  alte  Stoffe  selbständig  in  alter  Form  verarbeitet.  Diesen  Cha- 
rakterbildern hat  der  Verfasser  eine  anziehende  germanistische  Studie  vor- 
ausgeschickt: Der  Mensch  im  Spiegel  der  Tierwelt,  worin  er  eingehend 
ausführt,  wie  in  den  drei  Erscheinungen,  der  Namengebung  nach  Tieren, 
der  Tiersage  und  Tierepos,  der  Tierfabel,  sich  drei  verschiedene,  aber  aus 
derselben  Grundwurzel  herausgewachsene  Bildungsstufen  der  deutschen  V^olks- 
seele  offenbaren;  auf  der  ersten  Stufe  sieht  der  Mensch  in  der  Tierwelt 
sein  Vorbild,  auf  der  zweiten  sein  Abbild,  auf  der  dritten  benutzt  er  sie  als 


214  Programmenscliau. 

Nachbild,    die   ältesten   Namen  sind   abgeleitet  von  Wolf,  Bär,  Eber,  Adler, 
Rabe,  Schlange,  Schwan. 

„Markgraf  Rüdeger  von  Bechelaren"  von  F.  Dahn  und  das 
Nibelungenlied.  Von  Emil  Plaumann.  Programm  des 
Gymnasiums  zu  Graudenz  1885.     25  8.  4. 

Schon  aus  der  kurzen  Inhaltsangabe  des  Dramas  Dahns,  mit  welcher  der 
Verfasser  anhebt,  erhellt  die  mehrfache  Abweichung  des  Dichters  von  dem 
Nibelungenliede  nach  Inhalt  und  Charakterauffassung,  namentlich  auch  in 
der  Aufstellung  einer  neuen  Grundidee.  Indem  der  Verfasser  dann  aber 
ausfuhrlicher  das  ganze  Drama  durchgeht,  treten  die  grofsen  Unterschiede 
deutlicher  hervor.  Da  ist  Rüdiger  nicht  blofs  derjenige,  der  um  KriemhiM 
geworben,  sondern  der  auch  auf  Kriemhildens  tTcheifs  die  Kurgunden  zum 
Feste  geladen  hat.  Eine  im  Liede  nicht  vorkommende  Persönlichkeit,  und 
zwar  nachher  von  Bedeutung,  ist  Dietlindons  Lehrer,  Meister  Konrad.  Neu 
ist  auch  das  innige  Freundschaftsverhältnis  zwischen  Rüctiger  und  Volker. 
Besonders  wichtig  ist  die  Gestaltung  des  Charakters  Dietrichs;  nicht  blofs 
ermaiint  er  Rüdiger  zum  Gehorsam  gegen  Kriemhild,  wie  auch  er  selbst 
die  Absicht  habe,  Siegfried  zu  rächen,  aber  über  diese  Rache  hinaus  will 
er  die  edleren  \'ölker  der  Herrschaft  des  Heidenkönigs  Etzel  entreifsen. 
Diese  Absicht  tritt  dann  weiter  noch  entschiedener  hervor;  die  eigentliche 
Rache  für  Siegfried  soll  darin  bestehen,  die  Unterthänigkeit  des  Germanen- 
tums zu  brechen,  auf  den  Trümmern  des  Hunnenroiches  ein  neues  Reich 
zu  errichten.  Von  den  Charakteren  ist  der  Rüdigers  mehr  vertieft,  und  wie 
nach  ihm  der  Dichter  sein  Dran.a  betitelt  hat,  so  iiat  er  ihn  mit  Vorliebe 
behandelt.  Rüdiger  ist  der  treue  Linterthan,  der  fürsorgende  Fürst,  der 
tapfere  Feldherr,  der  treue  Freund,  der  liebende  und  geliebte  Gatte,  der 
zärtliche  Vater,  der  für  alles  Gute  und  Schöne  begeisterte  Mann.  Als 
Dämon  der  Rache  erscheint  Kriemhild,  welche  die  Ehe  mit  Etzel.  der  ihr  ein 
(Gegenstand  des  Abscheues  war,  nur  zum  Zweck  der  Rache  geschlossen  hat. 
Auch  die  sprachliche  Schönheit  des  Dramas  Dahns  hebt  der  Verfasser  her- 
vor; wer  wird  nicht  von  der  schwungvollen  Rede  mit  fortgerissen?  Uml 
doch  klingt  sie  manchmal  uns  zu  modern,  etwas  sentimental.  Bei  der  Idee, 
für  welche  der  Dichter  den  Dietrich  kämpfen  läfst,  hat  ihm  offenbar  der 
historische  Theodorich  vorgeschwebt,  der  ja  gleich  hohe  Ziele  verfolgte; 
aber  was  der  grofse  Ostgotenkönig  als  Herr  von  Italien  planen  konnte, 
konnte  nicht  von  dem  Dietrich  an  Etzels  Hofe  gedacht  werden;  die  Situa- 
tionen sind  zu  verschieden. 

Herford.  _  Kölscher. 


Dr.  J.  ß.  Peters:  Einige  Kapitel  der  französischen  Grammatik 
in  tabellarischer  Übersicht.  Programm  der  höheren  Bürger- 
schule zu  Bochum  1885.     V  u.  25  S.  4. 

So  klein  und  anspruchslos  die  Programmabbandlung  auch  erscheint, 
dürfte  sie  doch  hier  besprochen  werden,  weil  der  \'erfasser  darin  einen  ^^'eli 
wandelt,  der  bis  jetzt  zwar  noch  wenig  betreten,  aber  dennoch  der  allt  in 
richtige  ist.  Nach  Peters  schreibt  der  Schüler  sich  selbst  eine  Granunatik, 
welche  vor  ihm  entsteht,  die  er  daher  lieb  hat  und  schnell  und  sicher  ge- 
brauchen kann.  Ob  aber  die  Regel  vorher  „an  so  und  so  viel  Einzelfällen 
zur  Anschauung  vorgeführt,  erklärt  luid  geübt  werden  soll"  —  oder  ob 
nicht  vielmehr  eine  Durchsieht  des  behaudellen  Lehrstolles  auf  bcstiuniite 
Ka|)itel  der  Grammatik  und  daraus  ein  Aufbau  der  Regeln  am  Platze  ist: 
darüber  wollen  wir  hier  nicht  streiten,  sondern  freuen  wollen  wir    uns,    dafs 


Programmenschau.  215 

Peters  auf  dem  Wege  zu  der  neuen  Weise  des  Spracliunterrichts  einen  er- 
heblichen Schritt  vorwärts  thut.  Ja,  nicht  blofs  vorwärts  thut  —  er  steht 
in  gewissem  Sinne  bereits  mitten  in  der  neuen  Methode :  er  giebt  uns  eine 
tabellarische  Übersicht  der  grammatischen  Regeln,  die  wir  notwendijr  ge- 
brauchen, wenn  die  Lektüre  einmal  nicht  blofs  im  \'ordergrunde  dos  Unter- 
richts steht,  sondern  der  alleinige  Unterrichtsgegenstand  ist,  um  den  sich 
alles  übrige  gruppiert.  Dehnt  der  Verfasser  demnächst,  wie  er  verspricht, 
seinen  Versuch  einer  tabellarischen  Übersicht  auf  das  ganze  Gebiet  der 
französischen  Grammatik  aus,  so  können  wir  getrost  mit  der  neuen  Art  des 
Unterrichts  beginnen;  wir  haben  dann  ein  Hilfsmittel.  Eins  ist  da  freilich 
zu  bemerken:  Die  Petersschen  Tabellen  sind  noch  nach  altem  Schnitt;  das 
phonetische  und  historische  Princip  kommen  in  ihnen  noch  nicht  zur  Gel- 
tung. Da  müfsten  vor  allem  die  Schriften  von  Kühn  und  Breymann  be- 
rücksichtigt werden.  Bezüglich  der  inneren  geistigen  Gestaltung  der  gram- 
matischen Kapitel  heben  wir  die  Einfachheit  und  Klarheit  der  Vorstellung 
hervor,  die  streng  schulmäfsige  Weise,  in  welcher  der  Verfasser  den  Stoß" 
bebandelt;  kritische  Bemerkungen  und  Ratschläge  gehören,  solange  das 
Werk  nicht  vollständig  vorliegt,  noch  vor  das  Forum  des  Autors  selbst. 
Aber  über  die  typographische  Gestaltung  der  grammatischen  Kapitel  mufs 
schon  jetzt  gesprochen  werden,  und  zwar  mit  dem  höchsten  Lobe.  Gerade 
flarin  liegt  die  Haupteigentümlichkeit  der  Petersschen  Arbeit.  Jede  Seite 
bringt  ein  abgerundetes  Kapitel  der  Grammatik,  bietet  etwas  Vollständiges. 
Ich  greife  ein  Beispiel  heraus:  Seite  6  behandelt  die  „Inversion  des  Sub- 
jekts in  der  direkten  Frage",  Seite  7  die  „Inversion  des  Subjekts  aufser 
der  Frage".  Indem  der  Verfasser  so  ein  Kapitel  auf  eine  Seite  beschränkt, 
zwingt  er  sich  ganz  von  selbst  zu  weisem  Mafshalten.  Daneben  steht  der 
andere  X'orteil,  dafs  die  übersichtliche  „äufsere  Erscheinung"  des  Kapitels 
das  Gedächtnis  stützt.  —  Der  Druckerei  ist  hohe  Anerkennung  zu  zollen, 
da  sie  die  TabtUen  mit  grofser  technischer  Vollkommenheit  gedruckt  hat 
und  so  dem  Verfasser  in  seinem  Streben  nach  Übersichtlichkeit  zu  Hilfe 
l^oinmt-  H.  P.  Junker. 

Die  Sage  vom  ewigen  Juden.  Von  Professor  Dr.  V.  Suchomel. 
Programm  der  IL  deutschen  Staats-Oberrealschuie  in  Prag 
1881  bis  1883. 

Sprichwort,  Dichtung  und  Forschung  sorgen  dafür,  dafs  der  ewige  Jude 
nicht  zur  Ruhe  kommt;  erst  in  jüngster  Zeit  publizierte  Koseggers  Heim- 
garten von  einem  jungen  Grazer  Dichter  ein  Poem,  welches  das  alte  Thema 
wieder  einmal  in  eine  neue  P'assung  brachte.  Auch  die  Litteratur  über  den 
ewigen  Juden  hat  in  neuester  Zeit  manche  dankenswerte  Arbeiten  aufzu- 
weisen, die  sich  ergänzend  und  klärend  an  die  älteren  bekannten  Arbeiten 
von  Gräfse  und  Schöbel  anschliefsen.  Zunächst  kann  in  dieser  Hinsicht  auf 
die  Monographie:  Le  juif  errant,  par  Gaston  Paris,  Extrait  de  TEncyclo- 
pe'die  des  sciences  religieuses  (Paris  1880)  verwiesen  werden,  in  welcher  das 
interessante  Thema   in  ausgedehnter   und  geistvoller  W^eise  behandelt  wird. 

Aber  nicht  nur  die  deutsche  und  französische,  auch  die  slavische  Litte- 
ratur wendet  sich  gegenwärtig  der  Sage  vom  ewigen  Juden  zu  und  weifs 
manches  bedeutungsvolle  Streiflicht  zu  derselben  herbeizuschaffen.  Eine 
kurze,  leider  nur  vier  Seiten  umfassende  Abhandlung  hierüber  findet  man 
im  fünften  Bande  von  V.  Jagic'  Archiv  für  slavische  Philologie  (Berlin, 
Weidmann  1881),  die  gewifs  mit  gröfstem  Interesse  von  jedem  gelesen  wird, 
der  sich  überhaupt  für  die  schöne  internationale  Sage  erwärmt.  Der  Ver- 
fasser, A.  Wesselofsky,  einer  der  geistvollsten  slavischen  Philologen,  hat 
auch  in  einer  slavischen  Zeitschrift  eine  längere  Besprechung  der  Schrift 
von  G.  Paris  veröffentliclit.     Einen   zusammenfassenden  Überblick   ülier   die 


21(J  Prograniuienscbau. 

Genesis  und  die  uianuigfaclien  Wandlungen  der  Sage  nebst  einem  Hinweis 
auf"  die  Gestaltung  derselben  in  der  Dichtung  der  Völker  bieten  die  oben 
angeführten  beiden  Programmarbeiten  des  Prof.  Dr.  Suchomel,  der  auch 
G.  Paris'  Schrift  noch  benutzte.  Der  kritische  Teil  der  Abhandlung  bringt 
freilich  nichts  Neues  und  erscheint  überhaupt  ziemlicli  matt  gehalten,  auch 
die  Litteraturnachweise  sind  nicht  nur  spärlich  vertreten,  sondern  es  ist  da 
ein  recht  sonilerbarer  Gleichmut  vorhanden.  So  hätte  es  sich  doch  wohl 
der  Mühe  gelohnt,  bezüglich  (ioetlies  Anteilnahme  an  der  Sage  genauui'e 
Daten  nachzuschlagen,  da  sie  ja  leicht  genug  zu  haben  sind. 

Herr  Prof.  Suchomel  sucht  auch  herauszuklügeln,  warum  Goethe,  dem 
die  Ahasversage  von  1769 — 1775  stark  im  Herzen  lag,  von  ihrer  dichte- 
rischen Behandlung  absah  und  uns  nur  ein  wenig  bedeutendes  Fragment 
hinterliefs,  und  kommt  dabei  zu  dem  doch  wohl  wunderlichen  Schlufs, 
Ahasver  sei  keine  epische  Persönlichkeit,  darum  sei  ihm  Goethe  untreu 
geworden.  Ich  denke,  der  Gegensatz  Goetlie-Fausl  und  Ahasver-Werther 
giebt  eine  bessere  Deutung  dieses  Grundes,  und  ganz  klar  hat  ihn  Goethe 
in  folgendem  Distichon  angegeben: 

Was  die  Epoche  besitzt,   verkünden   hundert  Talente, 
Aber  der  Genius  bringt  ahnend  hervor  was  ihr  fehlt. 

Darum  liefs  denn  auch  Goethe  den  Ahasver  liegen  und  schuf — den  Faust. 

Verdienstvoll  bleibt  Suchomels  Arbeit  aber  immer  und  interessant  für  den 
Forscher  wie  für  den  Laien,  jenem  bietet  sie  ein  dienliches  Substrat  für 
seine  Arbeit,  diesem  einen  vollen  Blick  in  ein  reizendes  Sagengewebe,  an 
dem  die  Phantasie  verschiedener  \  ölker  durch  Jahrhunderte  gearbeitet  und 
in  das  hervorragende  Denker  und  Dichter  der  Kulturnationen  reichliche 
Goldfäden  mit  verwoben  haben. 

Marburg  a.  d.  Drau.  Anton  Nagele. 

Französische  Einflüsse  bei  Schiller.  Von  Prof.  Otto  Schanzen- 
bach. Programm  des  Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums  in 
Stuttgart  1885. 

Diese  soeben  ausgegebene  Schrift  ist  allen,  die  sich  für  deutsche  und 
französische  Litteratur  interessieren,  angelegentlich  zu  empfehlen.  Der  Ver- 
fasser will,  wie  er  in  der  P^inleitung  sagt,  „nicht  etwa  zu  den  Bestrebungen 
vieler  Kleinmeister  der  Neuzeit,  die  selbst  an  dem  Klassiker  nichts  Eigenes 
und  Eigenartiges  mehr  finden,  einen  neuen  Beitrag  geben".  In  Bezug  auf 
Schiller  hält  er  fest  an  dem  stolzen  Wort:  „Er  war  unser."  Was  diese 
Studie  will,  ist:  „an  einem  bestimmten  Punkte  zeigen,  dafs  und  wie  ein 
grofser  Geist  das  Fremde,  das  Ausländische  aufnimmt,  auf  sich  wirken  läfst, 
beurteilt,  sich  aneignet  und  abstöfst,  dafs  und  wie  dieser  Einflufs  sich  auch 
in  seinen  Schriften  abgestaltet  nach  Form  und  Inhalt."  Es  soll  versucht 
werden,  dies  in  historischem  Zusammenhange  mit  Rücksicht  auf  Schillers 
französische  Lektüre  darzulegen.  Und  dieser  Versuch  ist  trefl'lich  gelungen. 
Als  Schiller  in  die  Militärpfl.mzschule  aufgenommen  wurde,  trat  er  in  eine 
ihm  vollständig  neue  Welt.  Alles  atmete  hier  französische  Luft;  denn  die 
Karlsscliule  war  ganz  nach  französischem  Beispiel  und  Muster  eingerichtet. 
Von  den  Sprachen,  die  an  der  Anstalt  untenichtet  wurden,  trat  das  Fran- 
zösische weit  mehr  in  den  Vordergrund,  als  bei  unseren  heutigen  Gymnasien 
oder  selbst  Realgymnasien  der  Fall  ist.  Deshalb  ist  das  Französische  zeit- 
lebens die  einzige  fremde  Sprache  geblieben,  die  er  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  besafs.  Von  französischen  Schriftstellern  übte  zuerst  Rousseau  Ein- 
ilufs  auf  den  Jüngling,  ist  doch  auch  eins  seiner  frühesten  Jugendgeilichte 
tJcm  „Riesen"  Rousseau  gewidmet.  Am  zündend.sten  und  gewaltigsten 
redet  der  rousseaubegeisterte  Dichter  in  den  Räubern.     Karl  und  Franz  ist 


Programnienschau.  217 

<]er  Gc^'Ciisatz  von  Natur  und  Kunst.  Auf"  Ficsko  ist  Schiller  in  seinem 
letzten  akadeuiisclicn  Semester  geradezu  durcli  die  Lektüre  von  Rousseaiis 
Denkwürdigkeiten  aufmerksam  geniaclit  wurden.  Die  Nouvelle  Heloise  hatte 
das  unveräufserliche  Naturrecht  des  Herzens  gegenüber  dem  Standesuiiter- 
schiede  verteidigt.  Dei'selbe  klafiende  Spalt  verschlingt  die  Liebenden  in 
Kabale  und  Liebe. 

Schiller  steht  in  seiner  Jugend  also  unter  dar  Herrschaft  jener  welt- 
bewegenden Ideen,  welche  von  Frankreich  aus  in  Umlauf  gesetzt  worden 
waren.  Sie  hat  der  Dichter  angenommen,  „aber  zum  Dichter  haben  sie  ihn 
nicht  gemacht ;  was  die  'jiou]ais  betrifit,  so  tritt  Schiller  von  Anfang  an 
selbständig  in  die  Bahn  und  verfolgt  als  ein  königlicher  Genius  mit  Sieger- 
schritt seinen   \A'eg". 

Dies  wird  des  weiteren  vom  Verfasser  in  klarer  und  geistreicher,  zu- 
gleich streng  philologischer  Weise  (im  Don  Carlos  sind  eine  Reihe  von 
(jallicismen  nachgewiesen)  an  den  späteren  Werken  Schillers  und  dem  Ein- 
flufs  Montesquieus,  Diderots  u.  a.  dargelegt:  „Nicht  immer,  wo  wir  eine 
P^ntlebnung  vermuten  oder  wo  wir  selbst  entlehnen  würden,  entlehnt  der 
Genius:  wo  er  entlehnt,  ist  er  so  grofs  im  Nehmen  wie  im  Entlehnen;  trotz 
des  Nehmens  und  in  der  Art  des  Nehmens  ist  er  originell;  bei  allen  fran- 
zösischen Einflüssen  ist  und  bleibt  Schiller  eben  —  Schiller." 

Iserlohn.  Dr.  Kosten 


M  i  s  c  e  1 1  e  n. 


li  o  s  e  n  k  r  a  n  z  -Predigt. 
Herausgegeben  von  Ludwig    Fafsbender. 

Folgendes  Stück  geistlicher  Beredsajnkeit  des  vorigen  Jahrhunderts  ist 
kulturhistorisch  und  litterarisch  nierkwüidig  an  sich  sowohl  als  auch  da- 
(luich,  dafs  es  zeigt,  dafs  »Schiller  wohl  einmal  Gelegenheit  gehaht  hat, 
Abraham  a  Sancta  Claras  Reiiestil  auch  von  der  Kanzel  herab  zu  hören, 
ehe  er  seinen  Kapuziner  auf  die  Bühne  brachte. 

Die  „Kosenkranz-Predigt"  wurde  wahrscheinlich  bei  Gelegenheit  einer 
Procession  unter  freiem  Himmel  an  das  „honete"  Landvolk  und,  wie  das 
Titelblatt  besagt  „allen  Ernstes  gehalten  zu  Bogenhausen  nächst  München, 
den  3.  Oktober  1771)  von  dem  sogenannten  Wiesenpater  aus  Ifsmaning" 
und  von  dem  Verfasser  gewidmet  „der  churfürstlich-baierischen  gelehrten 
Gesellschaft  zur  Beförderung  der  geistlichen  Beredsamkeit  und  Katechetik 
in  München." 

Die  vorliegende  dritte  Auflage  (1783.  München  bei  Johann  von  Crätz) 
beweist,  dafs  sie  nicht  allein  das  Bedürfnis  der  Hörer  befriedigt  hat,  son- 
dern auch  wohl,  dafs  sie  gebildeten  Katholiken  und  Protestanten  (mir  ist 
sie  aus  dem  Nachlafs  eines  evangelischen  Geistlichen  in  die  Hände  gefallen) 
„auferbaulich"  gewesen  ist.  Über  den  sogenannten  Wiesenpater  aus  Ifs- 
maning etwas  in  Erfahrung  zu  bringen  ist  mir  bis  jetzt  nicht  gelungen. 
Eine  Charakteristik  desselben  wie  auch  seiner  Zuhörerschaft  giebt  die  Predigt 
selbst  zur  Genüge. 

Vorspruch. 

Der  H.  Rosenkranz  überg'wältigt  d'Höllen-Schanz. 

Eingang. 

Ja,  ja,  es  ist  schon  so,  honetes  Landvolk,  liebe  Christen!  es  ist  schon 
so,  der  H.  Piosenkranz  überwältigt  die  Höllen-Schanz.  Der  H.  Rosenkranz 
ist  die  wahre  Teufelsgeissel,  der  H.  Rosenkranz  ist  die  scharfgeladue  Seelen- 
Pistolen  wider  alle  Afifechtungen,  der  H.  Rosenkranz  ist  der  sichere  Keder 
der  allerheiligsten  Mutter  Gottes,  mit  dem  Sie  die  Menschen,  welche  Sie 
damit  verehren,  aus  der  stinkenden  Pfitzen  des  Teufels  in  den  Himmel 
binaufangelt.  Er  ist  ihr  scharf-schneidend  damafzierter  Säbel,  mit  dem  sie 
der  höllischen  Schlang  den  Schweif  abgehauet  hat.  Schleift's  ihn  brav, 
schleift's  ihn  brav!  liebe  Christen!  haut's  zu  damit  auf  den  Teufel,  haut's 
zu  damit  in  eurer  Jugend,  dafs  er  euch  eure  Unschuld  nicht  nehmen  kann, 
haut's  zu  damit  in  eurem  ledigen  Stand,  dafs  er  euch  nicht,  als  wie'n  Davidl 


Miscellen.  219 

ziini  Ehebrecher  macht,  haut's  zu  damit  auf  eurem  Todt-Beth,  dann  da 
wird  er  puch  am  ärgsten  zuesetzen.  Merkt's  auf,  ich  will  euch  ein  Exempl, 
fjar  ein  schön's  Exempl  will  ich  euch  erzählen,  was  der  Teufel  auf  dem 
Todt-Beth,  sogar  bey  die  heiligen  Leuten  für  Spitzbuebereyen  treibt:  Einer 
11.  Äbtissin  von  der  H.  Clara  seind  bey  ihrem  Todt-Beth  so  viel  Teufel'n 
erschienen,  als  Bäum  im  nächsten  Wald  drausen  seind.  Was  thuet  die  H. 
Äbtissin?  <len  H.  Rosenkranz  hat's  in  die  Hand  g'nommen,  hat  die  Muetter- 
Gottes  ang'ruefen.  und  —  —  —  da  schaut's  her,  die  H.  Engel  seind  vom 
Himmel  kommen,  ein  jeder  'einen  H.  Rosenkranz  in  der  Hand.  Was  haben's 
gethan  damit?  auf  Teufel'n  haben's  damit  zueg'schlagen,  und  haben's  alle 
zum  Flunder  g'jagt.  Noch  eine  andere  H.  Äbtissin  hat  7  Ampeln  um  ihr 
Todt-Beth  herum  angezent,  um  von  teuflischen  Versuechungen  unangefocht- 
iier  zu  bleiben,  was  geschieht?  der  Teufel  löscht  ihr  alle  7  Ampeln  aus, 
die  H.  Äbtissin  aber  greift  nach  dem  H.  Rosenkranz,  schlagt'n  dem  Teufel 
in  d'Fressen  hinein,  und  jagt  ihn  zum  Loch  aus.  Liebe  Bauren!  liebe 
Christen!  So  merkt's  euch  also,  und  last's  euch  nicht  vom  H.  Rosenkranz, 
er  ist  unsre  beste  Haus-  und  ISeeTn  Arzteney,  es  wird  euch  wohl  thuen  auf 
der  Reifs  in  d'Ewigkeit,  wenn  ihr  euch,  als  wie  der  Fuhrmann  mit  der 
Geisel,  einen  offnen,  sichern  Weeg  vor'n  Teufel  damit  verschaffen  könnt, 
nur  diese  PL  Seel'nmedicin  lafs't  in  euren  Hausapadeckl  nicht  ausgehen, 
Frobatum  est,  es  helft,  es  reinigt  euch  von  euren  Sünden,  wie  das  beste 
Trankl  aus  der  himmlischen  Hofapadecken.  Aber,  meine  liebe  Christen ! 
auf  einmal  hilft  euch  diese  obwohl  köstliche  Medicin  nicht,  öfters,  alle  Tag 
müest  ihr's  brauchen,  ihr  müest  auch  unter  dieser  H.  Kuhrzeit  bisweilen 
ein  (iewissenslaxaliv,  eine  H.  Beicht  vornehmmen,  diese  kostbare  Goldtinc- 
tur  der  H.  Christ-Catholischen  Kirchen  müejit  ihr  nicht  verabsäumen^  wenn 
Spöttler  und  Frevler  sagen,  es  nutzt  euch  nichts,  kehrt's  euch  an  die  Spitz- 
bueben-G'sichter,  an  die  freigeisterische  Höllen-Hund  nicht!  hört  viehnelir 
den  H.  Augustin:  die  hellijie  Beicht,  sagt  er,  soll  man  mit  denen  Nägl'n 
aufkratzen,  und  wenn's  tausend  Klafter  tief  in  der  Erde  vergraben  war,  mit 
Fickel  und  Schaufeln,  sa<:t  er:  solls  man's  ausgraben,  und  wenn's  eine  ganze 
Meil  VVeegs  tief  eing'maurt  war.  O  heilige  Beicht!  o  heilige  Goldtinctur! 
o  heilige  Seelens-Reinigung !  du  bist  das  bewärteste  Hausmittel  wider  alle 
Nachstellungen  des  Teufels,  und  aller  seiner  Schelmer-schlachtiger  Anhänger, 
dan  dafs  solche  Menschen,  solches  Lumpeng'sind,  das  wider  die  heilige 
Beicht,  wider  diese  heilige  Arzteney  schmelt,  um  keinen  Schuehadern  besser 
seynd,  als  der  Teufel  selbst,  sagt  der  H.  Bernhard  «rar  schön :  Ex  patre  dia- 
bolo  estis,  sagt  er,  zu  teutseh :  ihr  seid  aus  dem  Teufel  eurem  Vater.  Die 
heilige  Beicht,  un<i  den  heiligen  Rosenkranz  last  euch  nicht  nehnnnen,  liebe 
Christen!  aber  ihr  habt  halt  niclit  alle  Tag  Zeit,  sagt  ihr?  nicht  Zeit?  aber 
Schniderhipfel,  aber  Sausangl  könnts  singen  auf  d'Naoht,  mein!  lasFs  den 
Pfiferling  seyn,  und  bett's  dafür  einen  Rosenkranz,  dan  der  überwältigt 
d'Höllen-Schanz.  Zum  Beweis  will  ich  euch  ein  gar  auferbauliches  Exem- 
pel  erzählen:  In  einem  gewisen  Frauenkloster  ist  einmal  eine  gewise  Kloster- 
frau gewesen,  und  die  ist  Portnerin  worden,  und  da  ist  alleweil  ein  junger 
Geistlicher  dazuekommen,  Sie  haben  von  Anfang  weiter  nichts  Böses  im 
Sinn  g'habt,  aber  wie's  halt  geht,  wenn  man's  Feuer  zum  Stroh  legt,  der 
Teufel  ist  halt  ein  Schölm,  man  darf  ihm  halt  nicht  trauen,  denn  schaut's, 
nachdem's  so  eine  Zeitlang  b"ständig  zusammen  kommen  sind,  verlieben  Sie 
sich  endlich  gar  ineinander,  und  was  g'schicht?  er  ist  jung  gewessen,  Sie 
ist  jung  gewessen,  Sie  entschliessen  sich  also  mit  einander  auf-  und  davon 
zu  gehen.  Das  ist  schön,  das  ist  brav!  ich  wünsch  Glück  auf  d'Reifs,  und 
ein  schön's  Wetter  auf'n  Puckel,  das  wird  ein  schönes  Leben  werden,  Sie 
eine  Klosterfrau,  er  ein  Geistlicher,  dafs  Gott  erbarm  war  das  ein  Geist- 
licher, war  das  ein  Klosterfrau!  und  wo  werden's  dan  hingehen,  ins  Luter- 
tlium  hrtlt,  was  Werdens  anfangen ■!*  dÖrft's  ia  nicht  zweifeln,  ein  Lueder- 
Leben  halt,    ia,  ia,  es   ist   schon  so,    Sie    seynd    würklich    miteinander    zum 


220  Miscellen. 

Klunder  gangen,  sieben  ganze  Jahr  seinds  miteinander  in  der  Welt  lierum- 
vagiert,  endlich  hat  der  geistlose  Geistliche  sein  saubere  Klosterfrau  (ver- 
zeih niirs  (iott !  ich  liätt's  lit'ber  einen  Sihlepsack  g'ncnnt)  sitzen  lassen, 
und  ist  ihr  auf  und  davon.  Bedank  niichs'  Truncks,  wie  wirds  ihr  ietz 
gangen  seyn?  Könnt's  euch's  wohl  einbilden,  wie  es  bey  einem  solchen 
Pack  gehet,  Sie  hat  halt  ihre  Fleisch-Bank  aufg'schlagen,  und  hat  von  ihrem 
Körper  g'lebt;  Pfui  der  Schand  !  ist  das  ein  ISauleben !  aber  wart's  nur  ein 
Bisel,  wir  müessen  uns  nicht  übereilen.  Merkt's  auf,  was  gscheihen  ist. 
Auf  d'letz  hat  Sie  sauber  gar  nichts  mehr  g'habt,  weil  Sie  ihr  mit  ihrem 
Sau- Hand  1  nichts  mehr  hat  verdienen  können,  dan  durch  ihr  Lueder-Leben 
krank  worden,  und  in  ihrer  Krankheit  ist's  endlich  zum  Kreuz  g'rochen. 
So  gehts,  wenn  man  nicht  mehr  biedern  kann,  fangt  man  s'betten  an.  In 
Gott's  Nahm,  wenn's  nur  nicht  bisweilen  schon  z'spatt  war.  Aber  die  An- 
dacht der  H.  Rosenkranz  lüegt  halt  selten,  und  dieser  Andacht  ist  die  gute 
Beatrix  (so  hat  diese  Klosterfrau  geheissen)  alleweil  ergeben  gewessen,  und 
sogar  wi's  durchgangen  ist,  so  hnt's  ihre  Schlüssel  der  Mutter  Gottes  un- 
ter'n  Kreuz  ang'henkt,  und  g'sagt:  Meine  liebe  Muetter  Gottes,  ich  hab  dir 
bis  dato  treulich  gedient,  aber  ietzt,  kann  ich  nicht  mehr,  versieh  du  meine 
Portner-Dienst,  ich  kan's  einmal  nicht  mehr  versehen.  Und  die  Muetter- 
Gottes  ist  ihrem  Begehren  auch  getreulich  wilfahren,  hat  die  Portner-Dienst 
die  ganze  Zeit,  die  unsere  Beatrix  ausgewessen  ist,  fleisig  versehen,  dan 
nachdem  unsre  Land-Streicherin  wieder  g'sund  worden  ist,  hat  Sie  sich  ent- 
schlossen, wieder  in  ihr  Kloster  zurückz'kehren,  und  wie's  beym  Kloster 
ang'langt  ist,  geht's  zu  der  Porten  hin,  in  Willens,  sich  durch  Portnerin 
bey  der  gnädigen  Frau  melden  z'lassen,  und  um  eine  heilsame  Straf  zu 
bitten,  und  Besserung  ihres  Lebens  zu  versprechen.  Aber  o  Wunder  über 
Wunder,  wie  die  Portnerin  die  Thür  aufmacht,  überfahlt  unsre  Büesserin 
ein  Schrecken,  und  ein  Schauder,  dafs  Sie  nicht  mehr  g'wust  hat  wo  Sie 
ist,  die  Portnerin  aber  geht  auf  Sie  zue,  und  sagt:  meine  liebe  Schwester, 
meine  liebe  Beatrix,  sey  ohne  Sorgen,  es  weifs  im  ganzen  Kloster  kein 
Mensch,  dafs  du  so  lang  ausg'wessen  bist,  ich  hab  unterdessen  dein  G'stalt 
angenohmmen,  hab  deinen  Habit  angelegt,  und  deine  Dienst  versehen,  nihm 
jetzt  deine  Schüssel  wieder  zu  dir,  leg  deinen  Habit  an,  es  wird  dir  kein 
Mensch  kein  Haar  krümmen,  sey  künftighin  frömmer,  bett'  fleisig  deinen 
H.  Rosenkranz,  und  sey  wieder  meine  Dienerin  wie  zuvor.  Beatrix  ist  über 
diese  Reden  voller  Erstaunen  g'wessen,  hat  der  Muetter  Gottes  alles  ver- 
sprochen, und  auch  fleisig  g'halten,  und  ist  endlich  im  Ruhm  der  Heiligkeit, 
als  eine  strenge  Büesserin  gestorben,  und  hätt  von  der  ganzen  Sach  kein 
Mensch  nichts  g'wust,  wenn  Sie  es  nicht  selbst  auf  ihrem  Todt-Beth  ihrem 
Beichtvater  einem  heiligmässigen  Dominicaner  eröffnet,  und  ihm  gebetten 
hätt,  er  soll  es  kunnt,  und  offenbar  machen.  Meine  liebe  Bauren!  wie 
g'fahlt  euch  dieses  Exempl?  Müest  ihr  nicht  blind  seyn?  wenn  ibrs  noch 
nicht  einsehet,  wenn  ihr  noch  nicht  überzeigt  seyd,  dafs  der  heilige  Rosen- 
kranz überwältigt  d'HöUen-Schanz. 

Ich  beweise  es  euch  aber  weitläuftiger  in  denen  zwey  Theilen  meiner 
Predig,  und  siig,  ohne  Beicht,  und  Rosenkranz  giebts  kein  reines  G'wissen, 
das  werd  ich  euch  zeigen  in  dem  ersten  Theil. 

Ohne  reines  G'wissen  giebts  kein  Himmel  und  keine  Glückseeligkeit  ist 
mein  zweyter  Theil,  mit  Beystand  der  Muetter  Gottes  und  des  heiligen 
Rosenkranz  fang  ich  an.  Jetzt  setzt  eure  Hüett  auf,  dan  es  scheint  d'Sonn 
gar  stark,  ich  schwitz  selbst  rechtschafen,  und  mufs  mich  ein  bisl  abtrück- 
nen,  dan  es  ist  heut  g'waltig  warm. 


Erster    Theil. 

Mein!    sagt's    mir,    wenn    einer    von    euch    ein  neues  Haus    baut,    nicht 
wahr?  so  baut  er  eine  Küchel,  und  einen  Kamin  auch  drein,  der  Kamin  ist 


Miscellen.  221 

vom  Anfang  Schneeweis,  aber  wenn  man  ein  Feuer  aufmacht,  wenn  man 
Küechel,  und  Nudehi  kocht,  wenn  man  b'ständig  sied't,  und  brad't,  wie  lanc 
daurt's,  dafs  der  Kamin  weis  bleibt?  Wird  er  nicht  ruessig,  wird  er  nicht 
rauchig?  gelt's  ia?  braucht  man  also  kein  Kaminfeger?  ich  glaub  io. 
So  ist's  mit  dem  G'wissen  auch,  wenn  niemand  sündigt,  darf  niemand 
lieichten.  Man  braucht  keine  Beiclit,  sagen  die  jetzige  säubern  Modi- 
Pfaffen  (ich  hätl's  bald  luterische  Prädikanten  geheifsen)  ia  habt's  recht, 
ihr  super -g'scheide  Herrn,  habt's  recht,  man  braucht  keine  Beicht. 
Aber  s'Sündigen,  aber  d'Höll  müest  ihr  auch  abbringen,  dem  Teufel  müest 
ihr's  s'Sünden-Register  z'reissen,  damit  er's  auf  dem  jüngsten  Tag  nicht  zu 
eurer  eignen  Schand  aufzeigen  kann.  O  mein  Gott!  ich  kan  mir's  gar  nicht 
einbilden,  was  s'jetzt  für  aufgeklärte  Ochsenköpf  giebt,  wie  eselhaft  als  Sie 
daherreden,  das  Beichten  ist  nur  eine  aufgebrachte  Pfaffen-Histori,  ist  nur 
ein  Kuttenschwenk,  sagen's.  O  ihr  unverschämte  Stock-Fisch  1  Zungen  soll 
man  euch  rausreissen.  So  seind  also  alle  Mönchen,  alle  Gei^stliche  Spifz- 
bueben?  alle  .Jesuiter  Spitzbueben?  alle  Franciskaner  Spitzbueben?  alle 
Augustiner  Spitzbueben?  O!  ihr  Lästermäuler!  ihr  seyd  Spitzbueben,  ihr 
seyd  Teufels-Zungen,  ihr  wollt  die  heiligen  Orden  verachten,  die  die  heilig- 
sten, die  geiertesten  Männer  aufz'weisen  haben,  die  sich  an  allen  Enden  und 
Ecken  der  Welt  haben  martern  lassen  für  den  heiligen  Römischen,  Christlichen, 
Catholischen,  Apostolischen  alleinseligmachenden  Glauben,  die  schwitzen  und 
schwaisen  im  V^'einberg  des  Herrn,  die  alles  im  Weinberg  wieder  aufbauen, 
was  ihr  mit  euren  unreinen  Gosch'n  umwüehlt,  aber  wart's  nur,  es  wird 
einmal  eine  Zeit  kommen,  wo  ihr  froh  seyn  wurd,  wenn  ihr  nur  ein  solchen 
Spitzbueben  (wie  ihr's  jetzt  nehnt)  haben  könnt,  da  werd't  ihr  daliegn  auf'n 
Todt-Beth,  als  wie  Tropfen,  da  werd't  ihr  zitter'n,  als  wie  die  nassen  Budl- 
hund.  Wenn  man's  Sterben  halt  probieren  dürft,  so  wär's  noch  ein  leichts, 
aber  zwey  Seel'n  hab'n  wir  halt  nicht,  als  wie  zwey  Kugl  beym  Langaus- 
scheiben, da  schad'ts  freilich  nicht,  wenn  man  eine  an  d'VVand  würft,  man 
kann  auf  die  letz  auch  noch  schon  was  scheib'n,  wir  hab'n  aber  halt  nur 
ein  Seell,  ein  einzige  Seell  hab'n  wir,  ist  die  hin,  so  ist  das  ganze  Spiel 
verlohren,  und  nutzt  kein  Setzen  auf's  neu  auch  nimmer,  einmal  verspielt, 
ist  allemal  verspielt,  ich  bitt  euch  also,  seyd's  nicht  so  dum,  und  wider- 
strebt's der  erkannten  Wahrheit  nicht,  was  nutzt's  euch,  wenn's  euch  ein- 
mal reuen  thuet?  und  wenn's  darnach  z'spat  ist,  werft's  die  Teufelsbüecher 
weeg,  die  euch  der  Satan  selbst  aus  der  Höll  rauf  in  d'Händ  spielt,  bett's 
dafür  einen  H.  Rosenkranz,  damit  ihr  die  Gnad  der  H.  Beicht  erlangt, 
damit  ihr  euer  (»ewissen  reinigt,  dann  ihr  glaubts  nicht,  was  durch  den  PL 
Rosenkranz  schon  für  Wunderwerk  geschehen  seind.  Ich  hab  erst  vor- 
gestern ein  Exenipel  g'lessen,  ich  hab's  mit  Fleis  zweymal  g'lessen,  damit 
ich's  euch  recht  ordentlich  erzählen  kan,  das  Buch  m  dem  ich's  g'lessen 
hab,  hat  ein  gelehrter  Jesuiter  mit  Nahmen  Marquart  Otto  g'schrieben,  ich 
sag  halt  allemal,  wenn  man  ein  schön's,  ein  gelehrt's  Buech  lassen  will, 
muefs  man  halt  ein  Buech  von  einem  Jesuiter  lessen,  dan  die  seynd  die 
Männer,  denen  wir  die  Erhaltung  des  Christ-Catholischen  Glaubens  zu  dan- 
ken haben,  und  wir  därfen  betten,  was  kreuz  möglich  ist,  das  unser  Herr 
Gott  wider  herunter  regnen  last  mit  dem  Thau  des  Himmels,  und  das  er's 
aufwachsen  last,  als  wie  d'Schmalzbluemen  auf'n  Feld.  Aber  ich  hab  euch 
ein  Exerapl  versprochen,  so  gebt's  also  acht,  und  merkt's  wohl  auf:  Ao. 
1540  crad  um  die  selbe  Zeit,  wie  der  sauber  Martin  Luter  (Martin  Lueder 
soll  man  sagen)  mit  seiner  braven  Klosterfrau,  oder  Renn-Sau  seine  teuf- 
lische Lehren  um  und  um  ausgesprengt  hat,  grad  um  dieselbe  Zeit  ist's 
g'wessen,  dafs  sich  halt  alles  wider'n  Pabst  aufg'wickelt  hat,  und  hab'n  den 
heiligen  Stadt-Halter  Jesu  Christi  glatt  z'grund  richten  wollen,  dort  ist's 
halt  auch  so  sauber  zuegangen,  als  wie  jetzt,  denn  heut  zu  Tag  giebts 
gnueg,  die  den  Pabsten  schlechter,  als  einen  Kuchel-Bueben  halten,  Sie 
fressen    Frey  tag,    und  Sambstag    Fleisch,  wenn's    ein  Spanfackl    haben,  ha! 


222  Miscellen. 

fressen  wir's  halt  auf'n  Freytag  auf'n  Pab?ten  sein  G'sun<lheit,  Sie  fressen 
anthen,  und  Ganfs,  ilein  G'sundheit  Pabst!  ein  solches  Gebäck  hat's  halt 
selbenmals  auch  geben,  und  da  haben  die  grossen  Herrn  selber  dazue  g'hol- 
fen,  und  haben  eine  Macht  von  fünf-nial-hundert-tausend  Mann  zusamni 
bracht,  haben  sich  wider'n  Pabsten  gVicht,  der  Pal)st  hat  bey  allen  Christ- 
lichen Machten  Hilf  g'suecht,  aber  kein  Mensch  ist  ihm  beyg'^tanden,  er 
hat  seines  Leid's  kein  End  g'wust,  geht  endlich  in  sein  Schlafkavinet,  bett 
einen  H.  Rosenkranz,  und  bitt  d'Mutter-Gottes  um  Hilf,  und  Rath,  drauf 
gebt  er  in  die  Kirchen,  legt  sich  mit  dem  Kopf  auf'n  Altar,  und  fangt  zu 
schlafen  an,  und  da  traum't  ihn,  dafs  ihm  die  Türken,  und  Mohren  zu  Hilf 
gekommen  seind,  und  haben  seine  Feind  überwunden,  über  eine  kurze  Zeit 
ist  er  aufg' wacht,  und  hat  seinen  Traum  überlegt,  hat  an  den  König  der 
Saracener,  und  Abidiner  dem  Mohren-König,  geschrieben,  Sie  sollten  ihm 
zu  Hülf  kommen.  O!  mein  Gott!  O!  mein  Gott!  wie  schlecht  sieht's  mit 
dem  Christenthum  aus,  wenn  Türken,  und  Haiden  dem  Stadthalter  Jesu 
Christi  zu  Hilf  kommen  müessen,  da  ist's  aber  halt  doch  schon  so  g'wessen, 
der  Abidiner  ist  auf  einer  Seithen,  und  der  Saracener  auf  der  andern  mit 
seinem  Kriegsheer  herausgezogen,  und  der  Pabst  hat  eine  Proce>sion  ang'- 
stehlt,  und  hat  selbst  s'Kreuz  dabey  vorangetrasen,  und  so  seind  Sie  dem 
Feind  entgegen  gezogen,  und  haben  ihn  in  d'Flucht  g'jagt,  und  das  Feld 
erhalten,  die  ganze  Macht  der  Saracener,  und  des  Moliren-Königs,  sammt 
des  Pabstens  seiner  ist  nicht  der  lOte  Theil  von  denen  andern  ihren  Kriegs- 
heer g'wessen,  und  doch  hat  der  Pabst  mit  dem  heiligen  Rosenkranz  mehr 
ausgricht,  als  die  andern  mit  ihre  fünf-m;d-hundert-tausend  Mann.  Ist  das 
nicht  Sonnenklar?  ist  das  nicht  augenscheinlich?  kann  man  noch  mehr  Prob 
verlangen?  wie  nützlich  des  heiligen  Rosenkranz  ist?  aber  noch  nicht  genueg, 
die  Mohren  habens  selbst  g'sagt,  man  soll  ihnen  doch  sagen,  wer  denn  die 
fremde  Soldaten  g'west  seind?  die  wehrender  Batalie  durch  den  Luft  daher- 
g'flogen  seynd,  und  sich  zu  ihnen  g'schlagen  haben?  Diese  haben  Sie  g'sagt, 
haben  g'fochten,  als  wie  die  Riesen,  und  kaum  das  die  Schlacht  aus  ist 
g'wessen  hat  man  keinen  einzigen  mehr  davon  g'sechen.  Das  meyn'  ich 
war  so  ein  Mirackl,  dafs  der  Mühe  abthuet,  und  es  ist  halt  dennoch  so 
g'wessen,  dan  wenn's  d'Mohren  einmal  sagen,  so  meynete  ich  man  dörfts 
wohl  glauben.  Jetzt  könnt  iiir  euch  leicht  vorstellen,  was  der  Pabst  über 
diese  Nachricht  für  eine  Freud  wird  g'Labt  haben,  was  für  ein  Trost  es 
für  ihn  muefs  g'west  seyn,  dafs  ihm  die  Muetter  Gottes  so  augenscheintlich 
geholfen  hat.  er  war  aber  auch  ein  Mann,  der  es  verdient  hat,  er  ist  ein 
frommer,  geistreicher  heiliger  Mann  gewest,  und  ein  naher  Anverwandter 
von  dem  jetzigen  glorreich-regierenden  Pabst,  welcher  ein  Peregrinus  Apo- 
stolicus  ist,  und  Gott  sey  gedankt,  so  gern,  als  es  einige  sehnten,  und  troz 
allen  Lugen,  die  von  seinem  Tod  ausgesprengt  werden,  wider  g'sund  ist, 
und  wenn's  Gott's  Willen  ist,  noch  lang  gottseelig  und  Christlich  regieren 
wird.  Dan  ich  hab  selbst  die  Cntholische  Zeitung  von  Augsspurg  g"lessen, 
wo's  drin  stehet,  dafs  er,  Gott  Lob!  wieder  recht  frisch,  und  wohl  auf  ist. 
Da  kan  man's  gleich  sehen,  wie's  mit  dem  Christenthum  stehet,  vor  Zeiten, 
ich  denks  selbst  noch,  als  ein  kleiner  Bue,  wenn  man  nur  von  weitheu 
g'hört  hat,  dafs  der  heilige  Vater,  der  Pabst  nicht  recht  wohl  auf  ist,  hat 
man  in  allen  Haushaltungen  für  sein  lieben  G'sundheit  bett,  itzt,  ha!  was! 
was  ist  darnach?  heist's,  wenn  er  auch  stirbt  der  Pabst,  ist  grad  als  wenn 
man  eine  Fensterscheiben  naus  stöst,  da  giebt's  wieder  einen  Gregory  für 
Pfaßen  ab,  hab'n  Bettschwester  auch  ein  Freud,  wenn's  ein  neu's  Jubiläum 
abgiebt.  So!  ist's  nur  ein  Gregory  für  Pfail'en?  ist  nur  ein  G'spas  für 
Bettschwestern?  wenn  die  heilig  Römisch-Catiiolisch  Apostolisch  Kirch,  den 
Gnaden  Schatz  Jesu  Christi  eröffnet,  wenn  ein  jeder  Priester  die  hohe  Gnad 
erhalt  alle  Sünder,  und  Sünderinnen  von  dem  Gwalt  des  Teufels  zu  be- 
freycn,  und  ein  Kind  Gottes  daraus  z'machen?  Mein  !  sag  mir  einer,  als 
ilim  alles  eins  war,  wenn  er   einn  Schlange   bey   ihm   müest   im  Bett   liegen 


Miscellen.  223 

lassen,  oder  ein  Liini')!':'  n'iAn  wahr,  ein  jeder  wird  sagen,  ich  will  mich 
lieber  zum  LambI  als  zu  d'Schhingen  legen,  glaub  euchs  gern  auch,  mir 
war  auch  nicht  änderst,  aber,  was  ist  den  ein  Casus  Reservatus,  oder  eine 
solche  Sund,  die  nur  d'Pabst  allein  auflösen  kan?  ist's  ein  LambI,  oder  ein 
Schlangen?  Ich  glanb  halt  s'letzt.  Ist's  also  nur  ein  Gspas,  nur  ein  Gre- 
gory, wenn  man  von  einem  so  abscheulichen  Thier  befreyt  wird?  \A'as  mich 
aber  am  besten  ärgert,  das  ist,  dafs  grad  solche  Leut,  die's  am  notwendig- 
sten haben,  dafs's  aus  ihrem  Sünden\Vüest  rausz'ogen  werden,  und  die  fast 
alle  acht  Tag  ein  neues  Jubiläum  braucheten,  für  die  man  den  ganzen 
Gnaden-Schatz  allein  verschwenten  durFt,  dafs  grad  solche  seynd,  die  am 
verächtlichsten,  am  spöttlichsten  von  die  heiligsten  Sachen  reden,  aber  das 
ists  halt  ein  solches  Juden-Gepack,  von  dem  unser  Erlöser  am  Kreuz  noch 
ehe  er  g'storb'n  ist,  g'saot  hat,  Herr  verzeich  ihnen,  dan  Sie  wissen  nicht 
was  Sie  thuen,  wahrhaftig,  die  wissen  nicht,  was's  thuen,  aber  sehen  könn- 
ten Sie's,  dann  ihre  Laster  seynd  so  patzat,  dafs  man's  mit  Händen  grei- 
fen kan. 

Aber  was  soll  ich  mich  da  lang  mit  solche  Lumpen-Rerirn  aufhalten? 
die  Waar  ist  nicht  werth,  dafs  man  d'Zeit  damit  vertragt,  was  mich  nicht 
brennt,  das  blas  ich  nicht,  heist  das  alte  Sprich-\\  ort,  aber  auf  die  alten 
Sachen  halt  man  freylich  letzt  nichts  mehr,  ja  !  es  ist  mein  n'aid  so,  ich 
will  gleich  eine  Prob  mit  dem  Sprichwort,  was  dich  nicht  brennt,  blas  nicht, 
machen,  mein!  sagt's  mir,  was  wurdt'st  g'sagt  haben,  wenn's  zu  derselbigen 
Zeit  glebt  hätt,  wie  die  H.  Judith  ihr  lieb's  Vaterland  von  dem  grausamen 
Hollofernes  befreyt  hat?  ich  will  aber  d'Sach  euch  so  vorstellen,  wie's  in 
der  That  g'west  ist,  der  Hollofernes  ist  mit  seinem  Kriegshecr  für  d'Stadt- 
Mauren  g'rückt,  in  der  die  H.  Judith  (was  nutzt,  wenn  ich  euch  d'Stadt 
auch  nelm,  ihr  vergest's  so  gleich  wieder)  gleb't  hat,  und  weil  er  ein  schlauer 
Mann  g'west  ist,  so  hat  er  wohl  eing'sehen,  dafs  sich  d'Stadt  so  leicht  nicht 
ergeben  wird,  er  geht  also  her,  und  lafst  alle  Wasser-Teichen,  die  in  d'Stadt 
gangen  seynd,  abgraben,  dafs  in  der  Stadt  eine  solche  Wassers-Noth  ent- 
standen ist,  dafs  man  das  wenige  Wasser,  dös  man  bey  der  Stadt  g'hahit 
hat,  obrigkeitlich  s'Tags  zweymai  hat  austheilen  lassen,  und  das  ist  allezeit 
geschehen  in  der  Frühe  um  6  Uhr,  und  auf  d'Nacht  um  6  Uhr,  und  da  hat 
ein  jeder  nur  so  viel  griegt,  als  er  braucht  hat,  damit  man  die  armen  klei- 
nen Kindel'n  hat  ein  Müesl  kochen  können,  und  die  andern  Leut  haben 
schaugen  können,  wo's  gleichwohl  hab'n  etwas  z'trinken  griegt,  die  H.  Judith 
hat  das  Elend  der  armen  Burgerschaft,  und  anderer  armer  Leuten  nimmer- 
mehr ansehen  können,  und  hat  sich  destwegen  auf  ihre  Knie  niederg'worfen, 
hat  Gott  und  Muetter  Gottes  mit  einem  andächtigen  H.  Rosenkranz  ver- 
ehrt, und  hat  gebethen,  dafs  unser  Herr  Gott,  doch  eine  Aenderung  machen 
möcht,  darauf  fallt  ihr  ein,  Sie  will  selbst  ins  Lager  nausgehen,  und  will 
schaugen,  obs  n'  Hollofernes  nicht  persuadieren  kan,  dafs  er  von  der  Stadt 
abzieht.  Sie  ist  also  hergangen,  hat  sich  auf  3  Tag  mit  Proviant  versehen, 
und  ist  zum  Hollofernes  ins  Lager  n'aus,  der  Hollofernes,  wie  er  d'Judith 
hat  z'sehen  griegt,  hat  er  sich  gleich  in  Sie  verliebt,  dan  d'Judith  ist  gar 
eine  schöne  Frau  g'west,  und  der  Hollofernes  ist  ein  Erz-(iaisbock  g'west, 
wenn  er  ein  bisl  ein  sauber  Weibsbild  g'sehen  hat,  wie  halt  d'Soldaten  seynd, 
und  da  hat  er  glaubt,  es  braucht  weiter  nichts,  als  dafs  er's  zu  seiner 
Matres  macht,  aber  anpumt  Herr  Pfarrer,  es  ist  ganz  anders  gangen,  er 
hat's  gleich  zu  ihm  kommen  lassen,  und  da  ist  er  auf  einen  3  Stafl-hohen 
Thron  g'sessen,  und  um  und  um  seynd  Officier,  und  Soldaten  g'sessen,  und 
g'standen,  der  Judith  aber  hat  er  einen  Sessel  geben  lassen,  und  hat  ihr 
g'sagt  Sie  soll  sich  zu  ihm  hinsetzen,  mein!  dafs  wir  aufs  wenns  dich  nicht 
brennt,  so  blas  nit,  kommen,  was  hätt  ihr  dazu  g'sagt,  wenn  einer  von  euch 
mit  d'Pfeifen  im  Maul  einen  Soldaten  a  so  über  d'Axel  eineg'schaugt  hätt? 
nicht  wahr?  ihr  wurd  halt  g'sagt  hab'n,  das  ist  mir  auch  schon  die  Sauber, 
das  ist  auch  eine  rechte  Soldatenhuer,  aber  nein,  mein  lieber  Brueder!    das 


224  Miscellen. 

ist  kein  Lueder,  das  ist  kein  Wild-Sau,  es  ist  die  H.  Witiifrau,  es  ist  die 
H.  Judith,  Schau!  solche  Mäulcr  habt's,  gleich  über  d"Sacb  raisoniert  ohn 
allen  Grund,  Pfui,  Schaiuts  euch,  ihr  AJaul-Aufreisser,  und  überlegts  d'Sach 
zuvor,  ehe  ihr  gleich  drüber  s'schreyen  anfang,  ich  weis  wohl  dals's  letzt 
so  der  Braucht  ist,  aber  das  ist  ein  Sau  Brauch,  thuet  ihr  doch  sonst  nicht 
alles  was  der  Brauch  ist,  warum  dann  iJa  hernach?  letzt  will  ich  euch  aber 
d'Historie  gar  auserzählen,  der  Hollofernes  hat  mithin  die  H.  Judith  g'fragt, 
was  ihr  Begehren  ist,  dafs  Sie  sich  hat  ins  Lager  herausgewagt,  so  hat  ihm 
dann  die  H.  Judith  g'sagt,  Sie  hat  ihn  so  loben  g'hört,  dafs  er  ein  so 
braver  Herr  ist,  und  mitbin  hat's  ihm  bitten  wollen,  er  möcht  doch  der 
Stadt,  und  dem  Land  verschonnen,  der  Hollofernes  hat,  ihm  denckt,  da 
lafset's  sich  im  Trüeben  fischen,  und  hat  der  H.  Judith  g'sagt  Sie  soll  auf 
d'Nacbt  in  sein  Zel'n  zu  ihm  kommen,  er  will  sich  unterdessen  b'sinnen, 
was  er  thuen  will,  was  g'schicht?  die  H.  Judith  verspricht  ihm,  dafs  s'auf 
d'Nacbt  fleifsig  kommen  will.  Wann  mich  nicht  die  H.  Schrift  selber  be- 
lehrete,  was  vorgangen  ist,  so  schwindlete  mir  jetzt  selber  ein  bisl,  aber 
Bibel  hilft  mir  aus  dem  ganzen  Traum,  dan  da  steht  drin,  dafs  die  H.  Ju- 
dith zwar  die  ganze  Nacht,  bis  gegen  den  anbrechenden  Tag  beym  Hollo- 
fernes in  der  Zel'n  g'west  ist,  aber  dafs  man  weiter  nichts  Unrechtes  ver- 
muthen  darf,  indem  sich  die  ganz  Sach  dem  andern  Tag  Sonnenklar  gezeigt 
hat,  und  hat  sich  d'Sach  kürzlich  so  verhalten,  d'Judith  ist  in  der  Frühe 
gegen  3  oder  halbe  4  Uhr  aus  den  Hollofernes  seiner  Zel'n  rausgangen, 
kein  Soldat  hats  weiter  nicht  aufg'halten,  weil's  glaubt  haben,  Sie  ist  ihres 
Feldherrn  sein  Matres,  mithin  ist  Sie  unanfg'halten  in  (l'Stadt  hineingangen, 
hat  ihren  Ranzen,  in  den's  ihr  Proviant  g'habt  hat,  auf'n  ßuckl  mittragen, 
aber  wie's  in  der  Stadt  drin  ist  g'wessen,  hats  iliren  Ranzen  ausglart,  und 
was  meynts,  dafs  drin  hat  g'habt?  ich  will  eueh's  kurz  sagen,  s'Hollofernes 
sein  Kopf  hat's  drin  g'habt,  dan  bey  der  Nacht,  wie  er  g'schlafen  hat,  hat's 
ihn  den  Kopf  mit  seinen  eigenen  Schwerdt  abg'schnitten,  hat'n  mit  ihr  in 
d'Stadt  hinein  tragen,  an  ein  Stangen  ang'spiest,  und  auf  d'Stadtmauer 
g'steckt,  wie's  Tag  ist  worden,  haben  dSoldaten  alleweil  g'wart  bis  der 
Feldherr  aufsteht,  aber  da  mag  der  Teufel  aufstehen,  wenn  man  kein  Kopf 
hat,  endlich  seynd's  halt  in  d'Zell'n  hineingangen  und  haben  ihro  Excellenz 
Herrn  General  in  seinem  Hochgräflichen  Bluet  daliegen  sehen,  was  das  für 
Jammer,  und  Getöfs  g'wessen  ist,  könnt's  euch  schon  einbilden,  weil  alle 
so  confus  g'west  seyn,  dafs's  nicht  einmal  g'sehen  hab'n,  dafs  der  Feind 
einen  Ausfahl  aus  der  Stadt  macht,  und  ist  das  ganze  Kriegsheer  (dan  ein 
Kriegsheer  ohne  Comandanten  ist  grad,  als  wie  ein  Fuchs  ohne  Schwaif) 
dergestalten  ist  zusamg  haut  worden,  dafs  d'Inwohnner  löO  Tag  grad  gnueg 
z'tragen  haben  ghabt,  bis  d'Beut  von  Schlachtfeld  bracht  haben,  herengegeu 
haben's  uacher  auch  150  Tilg  öffentliche  Gastmal  g"halten,  und  hat  also  die 
ganze  Stadt  ihre  Befreyung  nach  Gott,  und  der  Mutter-Gottes  keinen  an- 
dern Menschen  z'danken  g'habt,  als  der  H.  Judith,  und  der  Andacht  des 
H.  Rosenkranzes.  Ich  bab  euch  also  im  ersten  Theil  zeigt,  dafs  ohne  Beicht 
und  Rosenkranz  kein  rein's  Gewissen  giebt,  letzt  will  ich  euch  auch  im 
zweyten  Theil  beweisen,  dafs  ohne  reinen  Gewissen  kein  Glückseeligkeit 
giebt,  merkt's  fleifsig  auf,  und  habt's  Geduld. 

Zvveyter    Theil. 

Kotz  Gwissen  und  kein  Ead,  was  der  Pfaf  für  ein  Gschrey  hat  da,  es 
meynt  einer,  es  wär'n  Himmel  der  Boden  ein,  G'wissen,  Beichten,  Bethen, 
Beichten,  Bethen,  G'wissen.  das  ist  die  alte  Leyr'n  in  einem  Trum,  es  ist 
grad,  als  wenn  kein  Mensch  kein  so  guets  G'wissen  nit  hätt,  als  wie  er. 
Ho!  ho!  seydt's  nur  wieder  guet,  und  macht's  mich  nit  u  so  aus,  man  wird 
ja  reden  dürfen  mit  euch,  kotz  Kreutz,  wenn  man  euch  d' Wahrheit  nimmer 
sagen  därft,  so  hätt  ich  bald  g'schagt,  was  ich  auf  mein  Predigen  nauf  tliät. 


Miscellen.  225 

Es  ist  freylich  b'ständig  die  alte  Leyr'n  aber  es  nutzt  halt  doch  nichts, 
wenn  man  euch  die  neniliehe  Wahrheit  sied't,  oder  brad't,  ihr  lafst  d'Wahr- 
heit,  Wahrheit  seyn,  und  thuet  doch,  was  euch  freut,  und  wenn  man's  euch 
sagt,  so  heist's  man  schreyt,  da  kunt  wahrhaftig  ein  Capnziner  scheltend 
werden,  aber  da  frag  ich  nichts  darnach,  ich  mach  meine  Schuldigkeit, 
exsplicier  euch  d'Sach,  ob  ihr's  hernach  thuet,  oder  nicht,  ist  mein  g'ring- 
ster  Kummer,  bey  euch  dürft  man  alleweil  schreyen  und  predigen,  es 
war  doch  alleweil  der  alte  Hadern,  her  und  gegen  därft's  euch  einmal 
nicht  aus  reden  auf  mich,  unser  Herr  Gott  wird  sagen  s'klein  Pfafl  hat 
euch's  redlich,  und  treulich  g'sagt,  aber  ihr  habt  ihm  nur  ausg'lacht, 
und  habt's  trieben,  was  euch  g'freud't  hat,  letzt  gebt's  Rechenschaft, 
Redde  ratione  vilicationis  tuae,  wird  er  sagen,  Bauer  gieb  Rechenschaft 
von  deinem  Hof,  es  mag  hernach  ein  ganzer,  ein  halber,  oder  ein  viertel 
Hof  seyn,  und  wenn's  auch  nur  ein  Söllner,  oder  ein  Häusler  ist,  Redde 
ratione,  gieb  Rechenschaft  wird  er  sagen,  da  werd  ihr  d'Augen  aufreisen 
als  wie  ein  abg'stochener  Gaisbock,  da  werd  ihr  zittern  und  schnaddern, 
als  wie  Kinder,  wenn's  den  Klaubauf  sehen,  aber  das  wird  alles  nichts 
nutzen,  hätt  ihr  zuvor  zittert,  wird's  heifsen,  hält  ihr  zuvor  dran  denkt, 
dafs  ohne  reines  Gwissen  keine  Seeligkeit  giebt,  hätt  ihr  dem  Prediger 
glaubt,  so  kunt's  letzt  Red,  und  Antwort  geben,  so  wurds  euch  nicht  gehen, 
wies  einmal  einem  g'wifsen  Kavalier  gegangen  ist:  der  Kavalier  hat  sich  in 
Sünden  und  Lastern  g'wältzt,  als  wie  ein  Schwein  in  der  Kottlacken,  und 
obwohl  ihui  seine  tugendsame  Frau  GemahHn  oft  ermahnt  hat,  er  soll  doch 
bisweilen  wenigstens  in  ein  Predig  gehen,  er  soll  beichten,  und  Buefs 
thuen,  so  hat  bey  ihm  doch  alles  nicht  g'frucht,  sondern  er  hat  allezeit 
g'sagt,  ich  kan,  ich  mag  nicht  beichten,  dan  der  Pfafl'  könnt  mich  etwan 
nicht  absolviren,  oder  er  möcht  mir  eine  gar  zu  grofse  Buefs  auf- 
geben. Seine  Ehegemahlin  aber  gab  ihm  allemal  darauf  zur  Antwort,  wie? 
haltet  ihr  dann  die  Peinen  der  HöU  für  leidentlicher  als  eine  geringe  Buefs 
von  eurem  Beicht- Vater?  der  Kavalier  sagte,  meinet  ihr  dan,  dafs  es  eine 
Höh,  einen  Teufel,  oder  ein  anderes  Leben  nach  diesem  giebt?  die  Pfaffen 
haben's  halt  so  erdichtet,  dafs  man  desto  mehrer  Respect  für  Sie  haben 
soll.  Weill  also  die  fromme  Dame  g'sehn  hat,  dals  ihre  Ermahnungen  bey 
ihrem  gottlosen  Gemahl  fruchtlofs  seyn,  so  hat  Sie  ihn  nach  seinen  eigenen 
Willen  fortleben  lassen.  Es  hat  sich  aber  bald  darnach  zuetragen,  dafs, 
als  er  ein.smals  in  einem  Beth  g'legen  ist,  die  Teufel'n  g'kommen  seynd, 
und  ihn  mit  sich  in  d'HöU  furtg'führt  haben,  seine  gottesfürchtige  Gemahlin 
aber  hat  dieses  ganze  grausame  Spectackel  im  Geist  g'sehen,  und  weil  Sie 
ein  fromme  gottliebende  Frau  gwest  ist,  so  hat  Sie  Gott  bltt',  er  möcht 
ihr  doch  offenbaren,  was  mit  ihren  unbuefsfertigen,  lasterhaften  Gemahl 
g'schehen  sey?  wie's  hernach  den  andern  Tag  in  der  Frühe  aufg'standin 
ist,  hat  Sie  den  ganzen  Leib  ihres  Mannes  schwarz  mit  einen  Feuerbrand 
aufn  Beth  liegen  g'sehen,  und  in  der  Hand  hat  er  einen  Brief  g'habt,  in 
dem  ist  drin  g'standen:  ich  hab  nicht  glaubt,  dafs's  ein  Gwissen,  einen 
Teufel,  oder  eine  HöU  giebt,  ich  hab  Predig,  und  Beicht  veracht,  und  das 
hat  mich  zum  Höllenbrand  g'macht.  Ich  wünsch  keinen  von  euch,  daf^i's 
ihm  auch  so  geht,  aber  keinen  Gspas  dörfts  deswegen  nit  machen,  dan  wer 
sich  an  dem  Prediger  nicht  kehrt,  wer  auf  keine  Beicht,  auf  kein  Gwissen 
nichts  halt,  bey  dem  sieht  schon  haarig  aus,  und  wir  haben  Beyspiel  gnueg, 
dafs  die  mehrsten  von  solchen  Leuten  sauber  s'Teufel  worden  seyn.  Ich 
will  euch  einen  Beweis  davon  aus  dem  berühmten  G'schichtschreiber  Michael 
Fux  von  Hernau  anführen,  dieser  erzählt  von  zweyen  jungen  Edelleuten, 
von  einem  tugendsamen,  und  einem  lasterhaften  folgendes.  Angelicus  hat 
Corvinum  vermahnet  von  seinen  Sünden,  und  Lastern  abzustehen,  eine  reu- 
müthige  Beicht  und  Buefs  verrichten,  aber  Corvinus  hat  nur  grofs  G'spött 
und  G'spafs  daraus  g'macht.  (Dann  wird  weiter  erzählt,  wie  Coi'vinus  plötz- 
lich krank  wird,  ihm  während   der  Krankheit  in  zwei  aufeinander  folgenden 

Avrliiv  f.   II.   S)n;i(:li..ii.    LXXV.  lö 


22G  Miscellen. 

Nächten  zuerst  Gott  der  Vater  und  dann  Gott  der  Sohn  ersclienien,  um 
ihm  seine  ewige  „Verdammnus"  anzukündigen.  Der  Letztere  wirft  ihm 
„zur  Bestättiguno;"  eine  Handvoll  Blut  ins  Gesicht.  Eiligst  läfst  sich  der 
Kranke  nun  am  dritten  Tage  mit  den  U.  Sakramenten  versehen,  da  der  heilige 
Geist  noch  „übrig"  ist.  Dieser  erscheint  auch  in  der  dritten  Nacht  und  ver- 
kündet ihm  Nachlals  seiner  Sünden,  so  dafs  er  selig  in  Gott  entschläft.) 
Seht's  letzt,  wie  naliend  als  es  dem  gueten  Corviims  g'standen  ist.  Weil  er 
die  Ermahnungen  des  frommen  Angelicus  so  verächtlich  autgn'ohmmen  hat, 
und  wenn  er's  s'letztnial  auch  so  g'niacht  hätt,  wie  zuvor,  so  ist  kein 
Zweifel,  dafs  er  nicht  iuuner,  und  ewig  brinnen  und  braden  müeset,  aber 
auf  das  därfts  euch  nicht  verlassen,  dafs  euch  die  3  göttlichen  Personen 
selbst  erscheinen  werden,  das  ist  nur  eine  sonderheitliche  Gnad  g'wessen, 
dan  einem  jeden  sitzen's  nicht  auf'n  stüelerl  da,  und  wenn's  allezeit  warten 
wollt,  bis  euch  unser  Herr  Gott,  oder  ein  Heiliger  erscheint,  so  könnt's 
unterdessen  zehnmal  s'Teufels  werden,  folgt's  dem  Beichtvater,  die  meynen's 
g'wifs  guet  mit  euch,  und  es  wird  euch  g'wifs  nit  fehlen,  wenn's  fleifsig 
thuet,  was  euch  die  sagen;  bis  aufs  Todtbeth  darf  man's  guet  thuen  halt 
nit  sparen,  dan  der  Poet  sagt,  qualis  vita,  mors  est  ita,  wie  man  lebt,  so 
stirbt  man,  oder  wie  man  Kueh  auf'n  Markt  treibt,  treibt  man's  wieder 
davon,  also  verlafst  eucli  nicht  drauf,  dann  wenn  sich  ein  grofser  Sünder 
aufm  Todtbeth  bekehrt,  so  ist's  grad  so  viel,  als  wenn  eine  blinde  Sau  eine 
Eichel  find't,  und  auf  einem  solchen  Zuefahl  möcht  ich  mich  weiter  nicht 
verlassen,  dan  man  tragt  halt  den  Krueg  so  lang  zum  Brunnen,  bis  man'n 
einmal  zamstöst,  nacher  hat  der  G'spafs  ein  End. 

B  e  s  c  h  1  u  f  s. 

So  seyd's  also  g'scheider  bett's  lleifsig  eurem  heiligen  Rosenkranz,  da- 
mit's  die  Gnad  der  heiligen  Beicht  erlangt,  damit's  euer  G'wissen  rein  erhalt, 
und  euch  der  ewigen  Glückseeligkeit  iheilhaftig  machen  könt,  ruefts  öfters 
d'Muetter  Gottes  an,  und  wenn's  halt  nicht  einen  ganzen  Rosenkranz  betten 
könnt's,  so  bett's  halt  1  oder  2  3  Ave  Maria,  oder  ein  anders  kurz  Gebe- 
thel,  ich  will  euch  eines  lehrnen,  das  kurz,  und  doch  anmüthig  zu  betten 
ist,  das  soUt's  aber  wenigsten  des  Tags  2  oder  3  mal  betten,  wir  wollen's 
zum  Beschlufs  mit  einander  das  erstemal  betten,  thuets  d'Hüed't  ab,  bebt's 
d'Händ  auf,  und  sprächt's  mir  fleifsig  nach: 

Heilige  Muetter  Gottes  mein ! 

Lafs  mich  doch  dein   Scliutzkind  seyn 

Steh  mir  bey  in  aller  Noth 

Sowohl  im  Leben,  als  im  Todt. 
Sey  du  mein  Hilf,  sey  du  mein  Schutz, 
So  bietil'  ich  Welt,  Fleisch,  und  Teufel  truz, 

Steh  mir  auf  meinem  Todt-Beth   bey! 

Mach  mich  von  allen  Sünden  frey. 
Führ  mich  in  d'himmlisch  Glory  eiu 
Und  lafs  mich  stets  dein  Diener  seyn. 

Amen. 


Salamander    reiben. 

Der  Studenten-Ausdruck  „Salamander  reihen"  ist  odenbar  einer  der 
vielen  Ausdrücke,  welche  im  Laufe  der  Zeit  zufällig  oder  absichtlich  bis 
zur  Unkenntlichkeit  verstümmelt  worden  sind.  Den  Eitidruck  mufs  man 
sofort  bekommen,  wenn  man  si>h  bestrebt,  auf  den  Ursprung  zurückzugehen, 
die  ersten  Anfänge  zu  ermitteln,  und  von  jeher  sind  die  verschiedenartig- 
sten Deutungversuche  beliebt  worden.  Aber  besonders  kam  die  Frage  des 
Salamandencibens  wieder   lebhaft   in  Flufs,   seitdem  Professor  Dr.  Uhrig  iu 


Miscellen.  227 

Miltenberg  im  Jahre  1884  einen  Aufruf  zur  Lösung  derselben  erliefs,  Eine 
Unmasse  Versuche  ging  binnen  Jahresfrist  ein,  und  Uhrig  veröffentlichte 
dieselben  gesichtet,  auszugs-  oder  andeutungsweise,  indem  er  sodann  seine 
eigene  Ansicht  als  „Lösung"  anschlofs.*  Diese  unterschied  sich  von  den 
meisten  früheren,  oft  sehr  flachen  Deutungen  wesentlich  dadurch,  dafs  nach 
Victor  von  Scheffels  Vorgange  bedeutsam  auf  die  altdeutsche  Zeit  zurück- 
gegriffen ward.  Besonderes  Gewicht  ward  hierbei  auf  das  „Reiben"  gelegt, 
indem  dies  auf  die  germanischen  Opferbräuche  und  die  Gewinnung  des  hei- 
ligen Reibfeuers  (Notfeuers)  zurückgeführt  ward.  Ob  die  Uhrigsche  „Lö- 
sung" thatsächlich  eine  gelungene,  andere  Ansichten  ausschliefsende  genannt 
werden  kann,  mufs  ich  dahin  gestellt  sein  lassen.  Mir  scheint  sie  das  Rich- 
tige berührt,  aber  nicht  vollständig  getroffen  zu  haben;  denn  nach  meinem 
Dafürhalten  ist  das  Bestreben,  eine  nähere  Verbindung  zwischen  dem  Reib- 
feuer und  dem  Rlinnetrunke  nachzuweisen,  und  vor  allem  der  Versuch,  den 
Ausdruck  „Salamander"  aus  persisch-arabischem  Einflüsse  zu  deuten,  als 
gescheitert  anzusehen.  Diese  ganz  objektiven  Erwägungen  haben  mich  be- 
stimmt, vorläufig  bei  meiner  bisherigen  Ansicht,  von  ührig  „Minnesalz- 
Theorie"  getauft,  stehen  zu  bleiben.  Schon  1882  gab  ich  in  den  St.  Galler 
Blättern**  (S.  31)  diefem  meinem  Gedanken  Ausdruck  in  einem  Aufsatze, 
welcher  viel  Anklang  fand  und  jetzt  unter  bedeutender  Umarbeitung  und 
teilweiser  Anknüpfung  an  Uhrigs  Abhandlung  der  vorliegenden  Arbeit  als 
Grundlage  gedient  hat. 

Victor  von  Scheffel  spricht  in  seinem  „Ekkehard"  (Anmerkungen)  die 
Vermutung  aus,  dafs  das  „Salamander-Reiben"  einen  Anldaiuj  an  altheulni- 
.sche  Tj-anJiopfer  enthalte,  und  weil  die  Entstehung  jener  einzig  in  der 
Burschenschaft  haften  gebliebenen  Sitte  nicht  erst  in  diesem  Jahrhundert 
denkbar  zu  sein,  sondern  viel  eher  in  unbekannter,  sogar  fei-nster  Zeit  zu- 
rückzuliegen scheint,  so  könnte  Scheffel  in  der  That  das  Richtige  getroffen 
haben.  Dies  führte  mich  zu  einer  näheren  Betrachtung  der  alten  Weih- 
(Opfer-)Bräuche,  und  schliefslich  reifte  der  Gedanke  in  mir,  dafs  „Salaman- 
der" leichtlich  aus  „sal  amandi"  —  d.  i.  wörtlich  „Liebesalz",  besser  wohl 
ursprünglich  „Minne(Gedächtnis-)Salz  —  zu  deuten  sei,  wozu  dann  auch 
das  „Reiben"  sich  gut  eignen  würde;  der  lateinische  Ausdruck  für  die 
deutsche  Studentensitte  düifte  dabei  nicht  befremden.  Leider  sind  die  alten 
Salzgebräuche  zu  wenig  bekannt  geworden,  um  völlige  Gewifsheit  erlangen 
zu  können.  Das  wenige  mir  N'orliegende  sei  zusammengestellt,  vielleicht 
dafs  es  Anlafs  zu  näherer  Beobachtung  manches  bisher  unbeachtet  Geblie- 
benen werde. 


In  schroffem  Gegensatze  zu  dem  Seesalze  galt  das  der  Erde  entquel- 
lende Salz  unseren  Altvordern  für  äufserst  heilig,  wie  schon  die  ältesten 
Nachrichten  besagen.  Die  Germanen  wähnten  es  —  laut  Tacitus  —  mit  der 
Gottheit  Willen  durch  die  Gegenwirkung  von  Wasser  und  Feuer  oder  — 
nach  der  Edda  —  aus  der  Zusammenwirkung  von  Eis  und  Feuer,  Frost  und 
Hitze  entstanden.  Von  der  Urweltkuh  Audhumla  (d.  i.  die  Saftreiche), 
welche  die  Regenwolke  versinnlicht,  und  deren  rote  Zunge  als  die  das  Ge- 
wölk durchdringende  Sonne  —  letztere  als  himmlisches  Feuer  aufgefafst  — 
zu  denken  ist,  ward  aus  salzigem  Eishlocke  der  Urgott  Buri  (Poro)  hervor- 
geleckt, der  Stammvater  der  Äsen  (Ansen),  der  den  stofflichen  Riesengöttern 
gegenüberstehenden  neuen  geistigen  Götter;  dieser  Buri  ist  der  Grofsvater 
Odhinns  (VVuotaris),  des  obersten  Germanengottes. 

*  De  exercitio  salamandri.      Von  Dr.  Adam  Jos.  Uhrig,  Professor.     Würzburg, 
1885,   Georg  Hertz,   Kommissionsverlag.     Mk.    1,30.     Das    fleilsig   zusammengestellte 
lehrreiche  Büchleia  mufs  allen  Salamander-Freunden  empfohlen   werden. 
**  Zollikofersche   Buchdruckerei,   St.   Gallen. 

15* 


228  Miscelleli. 

Sinirock  sagt  mit  Recht  vom  Salze:  „Es  dient  'überall  zum  Bilde  gei- 
sii()er  Kraft  und  Nalivung .^''  Üo  war  es  denn  bei  den  Weilibietunfjen  ein 
wesentliches  Erfordernis;  wahrscheinlich  ward  davon  in  die  Oplerijgur  ge- 
streut.* Daher  kommt  auch  noch  heutzutage  die  Heiligkeit  des  vSaizgef'äfses, 
welches  früher  unter  der  feststehenden  Benennung  „väterliches  Salzfafs"  als 
kostbares  Stück  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  vererbt  warcJ.  „Heiliges 
.Salz''  wird  zum  Teil  noch  jetzt  vom  Volke  zur  Weissagung  benutzt.  So 
auch  ward  das  Salz  zur  Bekräftigung  von  Liebe-  und  Freundschaftsbänden, 
zur  Weihung  der  Eheschliefsungen,  sowie  zur  liechtskräftigmacliung  von 
Besitzergreifungen  gebraucht.  Bei  Eidesleistungen  tauchte  man  zur  Erhär- 
tung der  Wahrheit  den  angefeuchteten  Finger  in  Salz.  Auch  bei  der  heid- 
nischen Taufe  scheint  Salz  oder  Salzwasser  angewandt  worden  zu  sein,  wie 
noch  lange  Zeit  bei  der  katholischen  Taufe  das  Salz  seine  Rolle  spielte : 
Den  Kindern  ward  nämlich  etwas  geweihtes  Salz  in  den  Mund  geschoben 
mit  den  Worten:  „Empfang  das  Salz  der  Weisheit  zum  ewigen  Leben I"  — 
Im  allgemeinen  glaubte  man,"dafs  das  Salz  gegen  biise  Geister  sichere  und 
Glücl:  schaffe;  hingegen  bedeutet  z.B.  noch  heutigen  Tages  ein  umgestürz- 
tes Salzfafs  Unglück  und  Unfrieden,  wobei  man  ursprünglich  wähnen  mochte, 
dafs  durch  die  Entweihung  des  zauberkräftigen  Gewürzes  die  Unholde  die 
vorher  fern  gehaltene  Macht  des  Schadens  zurückerlangen. 

Aber  das  Salz  war  nicht  nur  den  Deutschen  und  Germanen  heilig,  son- 
<lern  die  hohe  Auflassung  desselben  ist  mindestens  indogermanisch,  wenn 
nicht  noch  allgemeiner  oder  gar  ganz  allgemein.  Die  Heiligkeit  des  Salzes 
erhellt  auch  schon  aus  den  Benennungen.  Das  lateinische  ^Vort  sal, 
aus  welchem  unser  Wort  Salz  entstanden  ist,  scheint  einer  Wurzel  mit 
salus,  d.  i.  Heil  (Glück)  zu  sein.  Eine  seltsame  Erscheinung  ist,  dafs 
in  Deutschland,  während  mehrere  Flufs-  und  Ortsnamen  mit  der  fremden 
oder  halbfremden  F^orm  sal,  salz  gebildet  sind,  wie  Saale,  Salza,  Salzwedel, 
Salzungen,  Salzburg,  anderseits  häufig  in  Ortsnamen  der  Ausdruck  häl 
(hall),  entsprechend  dem  griechischen  hals  (gen.  halos),  in  demselben  Sinne 
begegnet,  wie  die  Ortsnamen  Hall,  Halle,  Hallein,  Hallstadt,  Keichenhall 
bekunden.  Dies  häl  scheint  in  der  That  die  volkstümlich  deutsche  Benen- 
nung für  Salz  gewesen  zu  sein,  hal  wie  sal  bedeuten  beide  (nach  J.  Grimm) 
ursprünglich  ganz  allgemein  den  „heiligen  Stoß'"',  und  unser  Wort  „Heil"' 
berührt  sich  mit  dem  alten  hal  ebenso  eng  wie  das  lateinische  salus  mit  sal. 

Die  grofse  Heilighaltung  des  Salzes  entstand  wohl  anfänglich  aus  der 
richtigen  Würdigung  von  dessen  Nutzen.  Der  Ort,  wo  die  Salzquellen,  die 
salzhaltigen  Flüsse,  aus  der  Erde  quollen,  war  ein  Hal  oder  Halidom  (Salz- 
stätte, Heiligtum).  „Man  betrachtete  —  (mit  Grimm  zu  reden)  —  ihren 
Ertrag  als  der  nahen  Gottheit  unmittelbare  Gabe;  Besitz  der  Stätte  schien 
blutigen  Krieges  wert."  So  kämpften  Chatten  und  Hermunduren,  sowie 
später  Burgunden  und  Alamannen  um  Salzquellen.  „Gewinnung  und  Aus- 
teilung des  Salzes  (war)  ein  heiliges  Geschäft;  wahrscheinlich  waren  Opfer 
und  Volksfeste  mit  dem  Salzsieden  verbunden."  Das  Sieden  geschah  an 
geweihten  Orten  ursprünglich  mittels  Aufgusses  des  Salzwassers  avf  glü- 
henden Brand ;  so  ward  also  die  Gewinnung  des  Salzes  nach  alter  Glaubens- 
ansicht fortgesetzt,  wenn  nicht  geradezu  diese  in  Übereinstimmung  mit  jener 
sich  herausbildete.  Die  Hausfrauen  (für  die  Sippe)  und  die  Priesteriunen 
(für  die  Gemeine  oder  den  Gau)  verwalteten  —  nach  Grimm  —   die  Berei- 


*  Nach  Mannhardt  (Baumkultus)  hat  sich  eine  Erinnerung  an  Salzgebraueh 
bei  Opfern  in  Vienne  (Frankreich),  vielleicht  aus  burgundischem  Ursprünge,  erhal- 
ten :  Dort  besprengt  der  Hausvater  zu  Weihnachten  inmitten  eines  grofsen,  in  tie- 
iem  Scliweigen  versammelten  Zuscliauerkreises  einen  Holzklotz,  den  „tison  de  Noöl" 
mit  Salz  mid  Wasser,  zündet  ihn  während  der  drei  Feste  an  und  bewahrt  ein 
kSlückcheu,  um  es  als  Mittel  der  Abwehr  beim  Gewitter  anzuzünden. 


Miscellen.  229 

tnng  des  Salze?,  und  der  Salzkessel  „stand  unter  ihrer  Aufsicht  und  Sorge"; 
bei  Einführung  des  Christentums  ward  das  heidnisch-iieilige  Amt  der  Salz- 
bereitung auf  Hexen,  böse  weibliche  Wesen,  übertragen,  und  der  altheilige 
Salzkessel  ward  zum  Hexenkessel. 

Hier  mufs  der  alten  Namenbildung  Salida,  Saide  gedacht  werden,  unter 
welcher  man,  namentlich  im  13.  Jahrhundert,  aber  auch  schon  weit  früher, 
eine  weibliche  Verleiblicbung  oder,  wenn  man  so  sagen  darf,  Göttin  <les 
Glückes  verstand,  sei  es  nun,  dafs  das  Wort  mit  sal  oder  salus,  Salz  oder 
Glück,  oder  beiden  zusammenhängt.  Der  sagenhafte  Süldenberg  ist  der 
„Ber(j  des  Heiles*",  das  Paradies;  wenn  in  „Etzels  Hofhaltung"  der  Wun- 
derer die  Königstochter  Saide  verfolgt,  so  bedeutet  dies  einfach  die  Jagd 
noch  dem  Glücke,  und  mannigfache  alte  Redensarten  weisen  auf  die  hohe 
Glückträgerin  hin.  Grimm  hat  eine  Menge  Bezüge  von  „Frau  Sülde"  zu- 
sammengestellt. Sie  erscheint,  begegnet,  neigt  sich  ihren  Günstlingen  mit 
dem  Antlitz,  hört  sie  an,  lacht  ihnen  zu,  ist  hold  und  bereit,  aber  auch 
gram  ;  wen  sie  nicht  mag,  den  meidet  und  flieht  sie,  dem  entrinnt  sie,  dem 
kehrt  sie  den  Kücken  zu  u.  s.  w.  Die  Saide  eignet  sich  bestimmten  Men- 
.«chen,  schirmt  und  beglückt  sie,  ivacJit  für  sie,  icährend  sie  schlafen,  wie 
man  sagt:  „Das  Glück  ist  mir  im  Schlafe  gekommen."  Dem  Worte 
,,Glückskind,  Schofskind  des  Glückes"  entspricht  schon  frühe  „der  Saide 
Kind".  Man  sollte  einen  Hezug  der  Glücksgöttin  Salida  auf  das  Salz  er- 
warten; aber  leider  ist  ein  solcher  nicht  übermittelt,  so  sehr  er  vermutet 
werden  darf.  In  den  Gedichten  unseres  Mittelalters  wird  auch  oft  von  der 
Scheibe  oder  dem  Bade  der  Saide,  des  Glückes,  geredet,  woraus  sich  sodann 
der  Begrifl'  eines  Mühlrades  oder  Mühlsteines  und  in  der  Folge  ein  sich  an- 
knüpfendes bedeutendes  Sagengebiet  entwickelte. 

Es  giebt  eine  merkwürdige  altgermanische,  dänische  Sage,  welche  dem 
obigen  Salzsieden  das  Salzmahlen  zur  Seite  stellt:  Der  dänische  Sagenkönig 
Prodi  (Fruote)  hatte  zween  Mühlsteine  als  Geschenk  erhalten,  welchen  die 
zauberische  Eigtenschaft  innewohnte,  dafs  sie  alles  mahlten,  was  man  wünschte; 
die  Mühle  hiefs  Grotti.  Weil  die  Steine  aber  so  grofs  und  schwer  waren, 
dafs  in  ganz  Dänemark  niemand  sie  umzudrehen  vermochte,  so  hefs  Frodi 
in  Swithiod  (Schweden)  zwei  Riesenniädchen  kaufen,  welche  Fenja  und 
Menja  (Fania  und  Mania)  biefsen.  König  Frodi  liefs  sie  in  die  Mühle  füh- 
ren und  gebot  ihnen,  Reichtum  (Gold),  Frieden  und  Glück  zu  mahlen.  Da 
legten  die  riesigen  Mädchen  Hand  an,  setzten  die  Felsen  in  drehende  Be- 
wegung und  mahlten  emsig,  indem  sie  ihr  Zauberlied  dazu  sangen.  Sic 
mahlten  dem  König  Reiciitum  in  solcher  Fülle,  dafs  er  weithin  deshalb  be- 
rühmt ward;  sie  mahlten  ihm  Frieden,  welcher  als  Frodis  Friede  sprich- 
wörtlich ward;  sie  mahlten  ihm  auch  Glück,  so  dafs  dem  Frodi  alle  Unter- 
nehmungen gelangen.  Endlich  trugen  die  Mahlmägde  ermüdet  den  Herr- 
scher, ob  sie  rasten  dürften;  dieser  aber  gönnte  ihnen  keine  Kühe,  sondern 
hiefs  sie  immer  noch  mehr  „Frodis  Glück"  mahlen.  Da  zürnten  die  starken 
Jungfrauen  auf  den  Unersättlichen,  und  sie  mahlten  dem  verblendeten  König 
statt  des  Glückes  Unglück:  Das  Unglück  nahte  schnell.  Ein  feindliches 
Heer,  von  Mysingr  geführt,  kam  über  See,  —  Frodi  ward  getötet,  und 
reiche  Beute,  darunter  auch  die  Wundermühle  nebst  den  beiden  Riesinnen, 
ward  zu  Schilfe  geführt.  M_vsingr,  der  neue  Herr,  befahl  nun  Fenja  und 
Menja,  Sah  zu  mahlen.  Um  Mittnacht  frugen  sie  Mysingr,  ob  er  Salz  genug 
habe;  er  aber  befahl  ihnen  fortzumahlen.  Da  mahlten  sie  in  Zorn  noch 
eine  kurze  Frist,  da  fuhr  der  eine  Mühlstein  mitten  entzwei,  und  das  Schili" 
sank  unter  der  Last  des  Salzes.  In  der  See  al)er  entstand  nun  ein  Schlund- 
wirbel, wo  das  Wasser  durch  das  eine  Mühlsteinloch  fällt,  und  dieser  Wir- 
bel, welcher  bis  zum  heutigen  Tage  sichtbar  ist,  heilst  Mahlstrom. 

Erinnerung  an  die  alte  Zaubermühle  Grotti  findet  in  Deutschland  sich 
vielfach  in  Geister  und  Teufelsmiihien,  sowie  in  der  scherzhaften  „.^Iten 
Weibermühle",    welche    noch   jetzt    zu    Kasnachtzeit   an    vielen    Orten    auf- 


230  Miscellen. 

getührt  wird.  Audi  der  Name  ]\Ienja,  Mania  hat  sich  erhalten,  nämlich  in 
dem  Pflanzennamen  Manigold,  Mangold.  Alles  dies  dient  als  Beweis,  dafs 
die  Sage  nicht  nur  in  Nordland,  sondern  auch  in  Deutschland  heimisch  ge- 
wesen ist,  vielleicht  gleich  so  vielen  anderen  Sagen  hier  iliren  Ursprung 
hat.  Die  Mühle  wird  ursprünglich  die  Sonne  bedeutet  haben,  welche  als 
feuriges  Rad  oder  feurige  Scheibe  gedacht,  zur  himmlischen  Mühle,  Glücks- 
mühle  ward,  weil  der  Sonne  im  allgemeinsten  Sinne  die  Fülle  der  ir^Hschen 
Güter  zu  verdanken  ist.  Daher  auch  führt  die  Milch^trafse  den  Beinamen 
„Mühlenweg".  —  Das  G/ück,  welches  von  den  Mägden  dem  Frodi  zu  mahlen 
war,  scheint  sich  mit  dem  Salze  des  Mysingr  zu  decken,  und  durch  unsere 
liishenge  Betrachtung  ist  diesem  Gedanken  eine  feste  Grundlage  gegeben. 
Das  Übermafs  des  Glückes  schlägt  in  den  Sagen  meist  in  das  Gegenteil 
um,  und  so  bewirkt  das  geheischte  mafslose  Weitermahlen  des  Salzes  oder 
Glückes  von  selber  Frodis  und  Mysingi'S  Unglück;  die  nähere  Ausführung 
ist  hiercei  nebensächlich  und  unwesentlich. 

Sehr  vorteilhaft  läfst  sich  der  Sage  von  der  altdeutschen  Zaubermühle 
eine  altindische  Sage  als  Seitenstück  vergleichen.  *  Als  es  sich  darum  han- 
delte, den  Unsterhlidtkeitstrank  (Amerta,  Amrita)  zu  bereiten,  setzten  di<5 
Götter  den  Berg  Mandara  in  die  See  und  begannen  ihn  heftig  zu  drehen; 
gleichsam  als  Seil  diente  ihnen  eine  grofse,  um  den  Berg  sich  windende 
Schlange.  Nach  langem,  heftigem  Reiben^  wobei  Gott  Wischnu  in  Gestalt 
einer  Schildkröte  den  Berg  aus  dem  Wasser  emporhielt,  der  Berg  aber  zu- 
letzt mit  seinen  Bäumen  in  Brand  geriet,  geschah  es  dann,  dafs  aus  dem 
Satte  der  in  die  See  stürzenden  Bäume  in  Verbindung  mit  dem  zu  butter- 
artigem Schaume  geriebenen  Seewasser  der  ersehnte  Trank  zu  Tage  kam. 
—  Der  in  die  See  gesetzte  Berg  Mandara  ist  selbstverständlich  die  Erde, 
die  den  Berg  oder  die  Erde  umgürtende  Schlange  ist  eigentlich  schon  ein 
Sinnbild  der  See,  wie  auch  im  Germanischen  genau  ebenso  der  grofse 
Mittingart-Wurm  Jörmungandr,  oder  richtiger:  Fenrir,  begegnet. 

Das  &&\zmaTilen  der  obigen  germanischen  Sage  mufs  unwillkürlich  an 
das  „Salamander-/?ez7ven",  das  „Tleiben"'  des  snl  cnnandi,  des  Minnesalzes 
erinnern.  Ich  vermute,  dafs  bei  VVeihmahlen**  das  durch  Sieden  gewonnene 
heilige  Salz,  gemahlen  oder  zerrieben,  den  Trankopfern,  Minnetränken  zu- 
gefügt ward,  was  demjenigen,  welchem  man  den  Trunk  zubrachte.  Glück 
bringen  sollte,  und  ich  glaube  bestimmt,  dafs  das  studentische  Salamander- 
reibcn  ein  Bleibsel  der  alten  Sitte  ist.  Ich  würde  mich  freuen,  durch 
weitere  Ermittelungen  Bestätigung  meines  Gedankens  zu  finden. 


*'Auf  diese  stützt  Dr.  Macke  eine  eigene  geistreiche  Deutung  des  Salamander- 
reibens. Die  Heranziehung  der  indischen  Sage  ist  gewifs  lobenswert  und  wirft  ein 
ganz  neues  Licht  auf  die  Sage  von  der  Zaubermühle.  Aber  wenn  Dr.  Macke  nun 
aus  jener  weitere  Folgen  zieht,  indem  er  meint,  dafs  „Salamander"  aus  dem  Berg- 
namen Mandara  und  dem  Sanskrit-Worte  sala,  was  „drehen"  bedeutet,  entstanden 
sei,  und  der  den  Berg  im  Kreise  drehenden  Schlange  den  Namen  Salamandara  bei- 
legt, so  ist  das  eine  sehr  gewandte,  aber  ebenso  willkürliche  Annahme.  So  kann 
ich  auch  das  Wort  von  Macke  nicht  gelten  lassen:  „In  Nachahmung  dessen  (des 
Werkes  der  Götter)  reiben  unsere  Musensöhne  von  der  Zeit  an,  wo  in  Europa  durch 
das  Sanskrit-Studium  die  altindische  Mythologie  bekannt  wurde,  in  dem  SalamiUider- 
brauche  den  Trank  Amerta,  auf  dafs  der  Gefeierte  ewig  lebe!"  So  bestechend  schön 
alles  dies  klingen  mag,  so  gezwungen  erscheint  es  mir.  Der  Salamanderbrauch 
wäre  danach  nur  ein  gekünstelter  Brauch  der  Neuzeit,  und  dagegen  mochte  ich  an- 
streben. 

**  Ob  das  Wort  „Mahlzeit"  nicht  auch  daliin  zu  deuten  ist  —  die  heilige 
„Zeit  zum  Mahlen,  Salzmahlen"?!  Man  denke  desgleichen  an  „Gesegnete  Mahl- 
zeit". 


Miscelkn.  231 

IL 

Zum  Schlüsse  imifs  ich  noch  die  Aufmerksamkeit  auf  die  altdeutsclie 
Sidz-  lind  Studentenskult  Halle  (m  der  Saale*  lenken,  deren  ^Salzquellen 
sclioii  in  ältesten  Zeiten  bekannt  waren.  Auf  der  sogenannten  „Halle", 
einem  bisher  wüst  „im  Tbale"  gelegenen  Grund  und  Buden  innerhalb  der 
iStadt  (lalle  (unmittelbar  neben  dem  Marktplatze),  befindet  sich  der  „Gut- 
jalirsl)runnen",  jene  Salzquelle,  welche  nach  der  Chronik  bereits  im  Jahre 
<ier  Geburt  des  Heilanties  fast  oflen  zu  Tage  trat  und  dann  blofsgegraben 
ward;  um  ihn  gruppierten  sich  nach  und  nach  drei  andere  Brunnen,  welche 
aber  im  Laufe  der  Zeit  wieder  verschwanden.  Allbekannt  ist  die  uralte, 
stolze  Stammverbrüderung  der  Arbeiter  beim  Salzwerke  in  Halle,  die  Hallo- 
ren, von  welchen  nicht  festgestellt  ist,  ob  sie  ihren  Namen  von  der  Stadt 
abgeleitet  haben  oder  umgekehrt.  Sie  selber  nennen  sich  gern  „Salzwirker- 
brüderschaft  im  Thale  zu  Halle"  oder  kurz  „Thalbrüderschaft".  Sie  hatten 
bis  vor  wenigen  Jahren  noch  ihr  besonderes  Amthaus,  genannt  das  „Thal- 
haus", welches  erst  neuei-dings  dem  verflachenden  Einflüsse  der  Zeit  weichen 
mufste.  Jahrliunderte  hindurch  bildete  das  Gebiet  der  „Halle"  eine  Art 
Freistatt;  wer  sich  auf  ihm  befand,  war  für  die  staatliche  Gewalt  unerreich- 
bar. Wenn  auch  dies  sondeibare  Verhältnis  des  kleinen  Völkchens  nicht 
mehr  besteht,  und  die  Zahl  desselben  durch  die  Beeinträchtigung  der  aus- 
schiiefslichen  Stammesinzucht  allmählich  abgenommen  hat,  so  sind  die  Hal- 
loren doch  von  den  übrigen  Bewohnern  der  Stadt  und  Umgegend  durch 
Mundart  und  Tracht,  sowie  durch  Sitten  nnd  Gebräuche  bis  auf  die  neueste 
Zeit  streng  geschieden,  uml  stolze  Überlieferungen  und  Vorrechte  haben  sie 
sich  zu  bewahren  und  zu  behaupten  verstanden.  Dazu  gehört  vor  allem, 
dafs  die  Halloren  als  solche  dem  Landesherrn  seit  Urgedenken  feierlich 
huldigen  und  ihre  alten  Vorrechte  sich  bestätigen  lassen;  der  König  ent- 
bietet sie  zur  Huldigung  und  sendet  ihnen  nach  Halle  eine  neue  Fahne, 
sowie  aus  seinem  Marstalle  einen  Schinnnel,  auf  welchem  nach  uralter  Sitte 
die  Salzbrunnen  umritten  werden.  Auf  weitere  und  eingehendere  Erörterun- 
gen müssen  wir  Verzicht  leisten. 

Wunderbar:  Man  weifs  bis  heutigen  Tages  nicht  bestimmt,  welchen 
Ursprunges  und  Stammes  dies  kräftige  Geschlecht  ist,  ob  keltisch,  germa- 
nisch oder  slavisch.  Sehr  vieles  spricht  lür  das  Germanentum,  nur  wenige 
Bedenken  lassen  sich  dagegen  vorbringen.  Ich  bin  geneigt,  auch  ohne  ganz 
sichere  Beweise,  die  Halloren  auf  Grund  ihres  urdeutsch  erscheinenden 
Volkstums,  ihrer  Sitten  und  Gebräuche,  für  ein  germanisches  oder  minde- 
stens sehr  früh  germanisiertes  Volk  zu  halten.  ** 

Und  wie  stehen  nun  die  Halloren  zu  jener  Studentensitte?  Das  ist  die 
verhängnisvolle  Frage.  Könnte  der  „Salamander",  das  Reiben  des  Minne- 
salzes, nicht  ursprünglich  ein  hallorisch-germanischer  Brauch  gewesen  sein? 
Die  Haller  Hochschüler  genossen  früher  nicht  unbegründet  den  Ruf  grofser 
Urwüchsigkeit;  so  hatten  sie  sich  auch  gleichsam  schütz-  und  trutzverbun- 
den  den   kecken   Halloren    angeschlossen    und    standen    sogar    bis    auf   die 


*  Merkwürdiges  Ziisanimentreften  der  Formen  hal  und  sal !  Wann  der  Ort 
„Halle"  entstanden,  ob  wirklich  das  Calägia  des  Ptolemäus,  ob  sclion  ursprünglich 
den  Germanen  zugehörig,  ist  unbekannt.  Der  deutsrhe  Name  Halla  begegnet  ui'- 
kundlich  zuerst  im  Jahre  806.  Der  fremde,  wahrscheinlich  slavische  Name  Dobro- 
gora  kommt  urkundlich  erst  966  vor  und  scheint  bei  der  Überflutung  des  dortigen 
Germauentums  durch  das  Slaventum  zeitweilig  den  alten  deutschen  Namen  verdrängt 
zu  haben. 

**  Der  Gedanke  slavischer  (wendischer  oder  sorbischer)  Abkunft  ist  ziemlich 
entschieden  über  Bord  geworfen  trotz  des  Namen  Dobrogora.  Die  beiden  Angel, 
um  welche  sich  die  Frage  dreht,  sind  fast  ausschliefslich,  ob  Kelten,  ob  Franko- 
Germanen      Näher  darauf  einzugehen,  müssen  wir  uns  hier  versagen. 


232  Miscellen. 

neueste  Zeit  nach  Hallorensitte  mit  Ihnen  auf  Brüderschaft.  Konnte  so  sei- 
tens der  Hallenser  nicht  ein  Brauch  der  Halloren  entnommen  sein  —  ein 
Brauch,  welcher  als  ein  unbewufstes  Bleibsei  uralter  Zeiten  erscheint,  wenn 
auch  dessen  wahre  Bedeutung  dem  Verständnis  und  Sinne  der  Pfleger  des- 
selben vielleicht  vollständig  entschwunden  und  unbekannt  war?  Bedauer- 
lich ist,  dafs  die  alten  Salzgebräuche  der  Halloren  nicht  so  vollständig  er- 
halten sind,  dafs  man  völlige  Gewifsheit  darüber  zu  erlangen  vermöchte. 
Aber  ich  glaube  bestimmt,  dafs  bei  den  Halloren  der  Ausgangspunkt  wei- 
terer vorurteilbarer  Forschung  gesucht  werden  mufs.  Von  Halle  aus  mag 
dann  der  Brauch  später"-*'  auch  nach  den  anderen  Hochschulen  gekommen 
sein. 

Sei  uns   allen  vergönnt,  noch  recht   häufig  .ein    kräftiges   sal-amandi  zu 
reiben!     Ad  exercitium  salis-amandi  —  Eins  —  Zwei  —  Drei! 

Adalbert  Rudolf. 


Ein  deutscher  Sprachverein. 

Prof.  Hermann  Riegel,  Direktor  des  Museums  in  Braunschweig,  hat 
seiner  im  vorigen  Jahre  erschienenen  kleinen  Schrift:  „Ein  Hauptstück  von 
unserer  Muttersprache",  in  welcher  er  mit  aller  Kraft  gegen  das  Fremd- 
wörterunwesen zu  Felde  zog,  ein  neues  Heft  nachfolgen  lassen:  „Der  allge- 
meine deutsche  Sprachverein"  (Heilbronn,  Gebrüder  Henninger),  in  wel- 
chem er  Vorschläge  zur  Bekämpfung  jener  Seuche  macht,  welche  die 
höchste  Beachtung  verdienen  und  hoHentlich  auch  finden  werden. 

Riegel  beginnt  mit  einer  Darstellung  dessen,  was  seit  dem  Erscheinen 
seiner  Schrift  für  die  gute  Sache  geschehen  sei.  Leider  sind  alles  nur  Tha- 
ten  der  Feder,  Bücher,  Abhandlungen  etc.  Von  einer  Reinigung  des  all- 
gemeinen Sprachgebrauchs  ist  noch  immer  wenig  die  Rede;  hier  bleibt  unser 
Generalpostmeister  noch  immer  der  einzige,  der  wirklich  etwas  zu 
Wege  gebracht  hat,  während  man  auf  allen  anderen  Gebieten  nur  zu  schüch- 
ternen Versuchen  kommt  oder  Huch  selbst  diese  für  überflüssig  hält.  Ins- 
besondere leidet  das  Eisenbahnwesen  noch  sehr  unter  den  Fremdwörtern: 
Man  denke  nur  an  die  tbörichten  Ausdrücke:  ^Vaggon,  Lowry,  Coupe. 
Selbst  ein  so  haarsträubender  Unsinn  wie  „Rechts"-  und  „Linksperron"  des 
Potsdamer  Bahnhofes  prangt  zur  Beförderung  der  allgemeinen  Sprachver- 
derbnis noch  immer  an  Ort  und  Stelle. 

Riegel  bringt  wiederum  mancherlei  Neues  herbei,  um  den  traurigen 
Stand  der  Dinge  zu  kennzeichnen.  Am  schaudervollsten  zeigt  sich  die 
Denkfaulheit  und  der  Mangel  an  Sprachbildung  in  Handel  und  Gewerbe. 
Man  giebt  sich  gar  nicht  die  Mühe,  nach  einem  deutschen  Worte  zu  suchen. 
Wissenschaft  und  Handwerk  machen  es  nicht  viel  besser.  Der  Grund  — 
dies  mufs  immer  und  immer  wieder  betont  werden  —  liegt  vor  allem  in  den 
Schulen,  in  der  mangelhaften  Pflege,  welche  hier  oft  der  deutschen 
Sprache  zu  teil  wird.  Das  gilt  sowohl  von  den  höheren,  wie  von  den 
Volksschulen. 

Was  die  letzteren  betrifl't,  so  beschäftigt  sich  Riegel  ausführlich  mit 
einem  der  wichtigsten  Unterrichtsmittel  derselben,  dem  sogenannten  „Klei- 
nen Pütt  kamer".  Er  schreibt  über  das  W'örterverzeichnis  dieses  Buches 
folgendes : 


*  Die  iiltesten  Nachrichten  aus  der  Studeiilcnschaft  haben  bis  dahin  merk- 
würdigerweise erst  bi.s  etwa  1830  zurüciigefiibrt  werden  küiiiien.  Aber  eine  der- 
artige Jugendliclilieit  der  Sitte  ist  ganz  undenkbar  und  wird  Wdhl  nirgend  ernstlieh 
behauptet  werden  können. 


Miscellen.  233 

„Das  Wörtcrverzeii'hnis  unifafst  uiif  25  Dnirkseiten  zu  je  drei  Spalten 
im  ganzen  etwa  3500  Wörter  und  darunter  rund  1500,  in  Buchstaben  ein- 
tausend fünfhundert  fremde,  nicht  deutsche.  Das  heifst  also  Drei- 
siebentel oder  beinahe  die  Hälfte  aller  hier  aufgeführten  Wör- 
ter sind  Fremdwörter,  reine  Fremdwörter,  die  in  ihrer  Form  sofort 
ihre  Zugehörigkeit  zu  einer  fremden  Sprache  erkennen  lassen  und  die  bis 
auf  einige  wenige  vielleicht,  ganz  und  gar  zu  entbehren  sind.  Ich  habe 
Wörter  wie  „Partei,  Katalog,  Nation,  Modell"  und  dergleichen  mehr  gar 
nicht  mitgezählt,  weil  ich  dieselben  als  in  unsere  Sprache  aufgenommen 
erachte,  obwohl  manches  dieser  \\'örter  dermaleinst  auch  durch  einen  Aus- 
druck rein  deutschen  Ursprungs  sich  würde  ersetzen  lassen.  Doch  auf 
solche  Einzelheiten  kommt  es  gar  nicht  an.  Das  Bestreben,  die  deutsche 
Sprache  von  dem  ihr  anhaftenden  Unflat  zu  befreien,-  richtet  sich  gegen 
das  Übermafs  fremder  Eindringlinge  und  ganz  besonders  gegen  die  Masse 
der  französischen  Schmarotzer.  \'on  einzelnen  Wörtern  und  selbst  von 
einer  Handvoll  solcher  Wörter  wird  kein  verständiger  Mensch  viel  Auf- 
hebens machen.  Aber  das  ist  doch  noch  etwas  anderes  als  die  Verwel- 
schung  und  Verquatschung  der  deutsehen  Sprache.  Das  „Wörterverzeich- 
nis" scheint  nun  aber  in  der  That  diese  Verwelschung,  die  echte  und  rich- 
tige Fremdwörterseuche  recht  hegen  und  pflegen  zu  wollen.  Das  Gift  wird 
der  Jugend  nicht  tropfenweise,  nein  gleich  eimerweise  eingeflöfst,  die  Ver- 
quatschung der  Sprache  wird  methodisch  betrieben  und  zu  einer  Aufgabe 
der  Schule  gemacht.  Es  giebt  Spalten  in  diesem  Wörterverzeichnisse,  wo 
nicht  ein  einziges  deutsches  Wort  steht,  wo  unter  den  44  oder  46  Wörtern, 
die  sie  enthalten,  die  gröfsere  Hälfte  der  französischen,  die  kleinere  der 
lateinischen  Sprache  angehört.  Lauter  welsche  Ausdrücke!  Da  möchte  ich 
denn  doch  lieber  gleich  französisch  oder  lateinisch  reden.  25  bis  30  und 
selbst  40  fremde  Wörter  auf  der  Spalte  bilden  die  Regel.  Nur  einige 
wenige  Spalten  mit  zwei,  drei  oder  überhaupt  nur  einer  geringen  Zahl  von 
Fremdwörtern  kommen  vor.  Der  Buchstabe  W  ist  der  glücklichste.  Auf 
drei  und  einer  halben  Spalte  hat  er  nur  ein  einziges  Fremdwort,  dafür  frei- 
lich auch  eines  der  alleralbernsten,  das  urdumme  Wort  „Waggon",  das 
echten,  alten,  deutschen  Ursprungs  ist,  eine  englische  Form  hat  und  fran- 
zösisch ausgesprochen  wird.  Und  so  etwas  wird  der  Jugend  auf  den  Schulen 
unter    dem  Aushängeschilde   deutscher    Rechtschreibung   beigebracht!« 

„In  den  dem  Wörterverzeichnisse  vorangehenden  Regeln  wird  auf  vier 
Seiten  (S.  16  bis  19)  Anweisung  „über  die  Schreibung  der  Fremdwörter" 
gegeben,  und  nachher  werden  anderthalbtausend  dieser  Fremdwörter  aus- 
führlich verzeichnet.  Das  heifst  doch  soviel,  dafs  diese  Fremdwörter  als 
Bestandteil  des  Sprachschatzes  aratliih  angesehen  werden,  den  man  in  den 
Schulen  für  deutsch  ausgiebt  und  dessen  Rechtschreibung  man  regeln 
wollte.  Denn  dafs  diese  Sprache  noch  die  deutsche  genannt  werden 
könnte,  darf  doch  nur  der  behaupten,  der  gar  keinen  lebendigen  Begriff' 
vom  Wesen  und  Geist  der  deutschen  Sprache  hat,  der  kein  Gefühl  für  na- 
tionalen Anstand  besitzt  und  der  nicht  weifs,  wie  stark  und  nachhaltig  das 
fremde  Wort  die  Gesinnung  beeinflufst.  Da  stehen  sie  in  geschlossenen 
Reihen;  diese  Franzosen!  Auf  dem  Schlachtfelde  haben  wir  sie  überwun- 
den, nicht  aber  auf  dem  Felde  unserer  Sprache.  Da  herrscht  noch  ganz 
die  schmählichste  Unterjochung,  die  albernste  Afferei.  „Affaire,  aff'rös, 
Assemblee,  Balance,  charmant,  Parasol,  Revanche,  soupieren,  Jalousie,  bril- 
lant, Etage,  changieren,  Cousin,  genieren,  Queue,  Recherche,  tranchieren, 
rikoschettieren,  Raffinement,  Eloge,  Decharge,  Entree,  Chaine,  Chance, 
Nuance"  und  so  fort,  schier  ins  Unendliche.  Die  Belehrung  über  diese 
Wörter  und  deren  Schreibung  gehört  doch  in  die  französische  Sprachstunde, 
aber  im  Leben  nicht  in  den  Unterricht  über  die  deutsche  Rechtschreibung." 

Vergifst  nun  auch  der  Verfasser,  dafs  es  sich  bei  einem  solchen  Wörter- 
verzeichnisse   gerade   um    die    „schwierigen"  Wörter  handelte,    Fremdwörter 


234  Miscellen. 

silso  vorwiegend  berücksichtigt  werden  mufsten,  so  kann  man  doch  seinem 
Zorne  im  allgemeinen  nicht  unrecht  geben,  und  muls  es  bedauern,  dafs 
der  Name  des  Ministers  an  dieser  Arbeit  hängen  geblieben  ist. 

Um  nun  der  Bewegung  zu  gunsten  unserer  edlen  Muttersprache  einen 
Halt  zu  geben,  schlägt  Riegel  die  Gründung  eines  „allgemeinen  deut- 
schen Sprachvereins"  vor,  dessen  Zweck  sein  soll: 

1.  die  Erhaltung  und  Wiederherstellung  des  echten  Geistes  und  wahren 
Wesens  der  deutschen  Sprache  zu  pflegen,  —  und  dabei 

2.  ganz  vorzugsweise  die  Reinigung   derselben   von  fremden  Bestandtei- 
len zu  fördern;  —  sowie 

3.  die  Errichtung   einer  Akademie    der    deutschen  Sprache   von  Reichs- 
wegen zu  erstreben. 

Wenn  sich  mit-  den  ersten  beiden  Punkten  jeder  befreunden  wird,  so 
ruft  der  dritte  (du  Bois-Reyniond  hat  bekanntlich  dasselbe  gefordert)  sicher- 
lich bei  manchem  Bedenken  hervor.  Wir  pflichten  demselben  indessen  bei, 
vorausgesetzt,  dafs  die  Aufgaben  der  Akademie  in  richtiger  Weise  begrenzt 
werden.  Im  weiteren  hat  Riegel  die  Satzungen  des  Sprachvereins  bereits 
bis  ins  einzelne  entworfen,  und  zwar,  wie  anerkannt  werden  mufs,  mit  vie- 
lem Geschick.  Um  von  vornherein  eine  gröfsere  Einigkeit  zu  erzielen,  will 
er  sogar  alle  streitigen  Fragen  (denn  über  das  Fremdwörterunwesen  besteht 
ja  im  Grunde  keine  Meinungsverschiedenheit)  von  der  Erörterung  aus- 
schliefsen,  so  Reclitschreibung  und  Schrift.  Dagegen  sieht  er  ein,  dafs  der 
Verein  sich  wenigstens  mit  jener  gegen  unsere  Sprache  gerichteten  Zer- 
störungswut beschäftigen  mufs,  welche  am  liebsten  Deklination  und  Konju- 
gation beseitigte  und  die  Syntax  nach  Kräften  mit  Füfsen  tritt.  Hier 
könnte  der  Verein  in  der  That  segensreich  wirken;  vor  allem  aber,  indem 
er  auf  eine  bessere  Belehrung  der  Jugend  in  allem  Deutschen,  Sprache, 
Geschichte  und  Heimatskunde  dränge,  denn  das  hängt  alles  innig  mitein- 
ander zusanmien. 

Wir  wünschen  von  Herzen,  dafs  der  „allgemeine  deutsche  Sprachverein" 
recht  bald  ins  Leben  tritt,  und  danken  Herrn  Riegel  für  seinen  Vorschlag 
und  für  sein  mutiges  Dreinschlagen.  Dafs  der  Verein  bald  viele  Mitglieder 
zählen  wird,  bezweifeln  wir  nicht.  Dann  aber  wird  er  auch  mit  Nachdruck 
einschreiten  können.  Es  handelt  sich  nicht  um  eine  Sprachreinigung  mit 
„Sand  und  Lauge",  sondern  nur  um  eine  Beseitigung  des  Geschmacklosen 
und  Verächtlichen. 


Proben  einer  neuen  französischen   Übersetzung  deutscher 

Dichtungen. 

Von  A.  Pariselle. 

Tai  lief  er,  d'apres  Uhland. 

Le  duc  normand  Guillaume  a  ses  pairs  dit  un  jour: 
Qui  chante  donc  ainsi  dans  ma  salle  et  ma  cour 
Jusque  tard  dans  la  nuit,  le  matin  des  l'aurore, 
Et  me  ravit  le  coeur  par  sa  chanson  sonore? 

„C'est  Taillefer  qui  chante  ainsi  durant  le  jour 
Quand  il  tourne  du  juiits  la  roue  en  votre  cour; 
Qu'il  attisc  le  feu  dans  l'ätre  de  la  salle, 
Qu'il  se  Icve  ou  se  couche,  on  entend  sa  voix  male." 

Le  duc  ensuite  dit:  „C'est  un  bon  serviteur, 
Ce  brave  Taillefer,  fidele  et  plein  d'ardeur, 


J 


Misccllen.  235 

II  fait  toiiroer  ];i  roue,  il  altise  la  llamme 
Et  de  sa  claire  voix  il  elcve  nion  äme." 

Que  je  servirais  niieux  mon  duc,  dit  Taillefer, 
Libre  et  sur  un  coursier  comme  un  vassal  et  pair, 
Comme  je  clianterais  tout  en  faisant  sans  treve 
Avec  mes  chants  sonner  et  bouclier  et  glaive. 

Et  bientot  Taillefer  sur  un  grand  destrier 
Put  faire  resonner  et  glaive  et  bouclier, 
Et  du  haut  de  la  tour,  le  voyant  qni  s'avance, 
La  scBur  du  duc  l'admire  en  sa  noble  prestance. 

Elle  voit  Taillefer  de  la  tour  s'ap^rocliaiit, 
Semblable  h  la  tempete,  a,  la  brise  est  son  chant. 
Admirable  chanson,  dit-elle,  ravissante, 
Cuinine  la  tour,  mon  coeur  tremble  h  sa  voix  puissaiite. 

Le  duc  Guillaume  allait  voguant  sur  l'Ocean, 
Menant  conlre  Albion  un  formidable  ban. 
II  descend  du  vaisseau,  tombe  en  sautant  h,  terre, 
„Ah!"  dit-il,  „maintenant  je  t'embrasse,  Angleterre." 

Au  monient  oü  l'arniee  allait  livrer  Tassaut, 
Taillefer  vers  le  duc  s'avancjant  aussitot: 
„En  attisant  la  flamme  avec  soin,  vigilance, 
J'ai  chante,  j'ai  porte  l'epee  avec  la  lance. 

Avez-vous  pu  louer  le  service  et  le  chant, 
D'abord  de  votre  serf,  puis  du  chevalier  franc, 
Permettez  en  ce  jour  que  pour  ma  recompense 
Je  porte  a  l'ennemi  le  premier  coup  de  lance." 

Et  Taillefer  marchait  en  avant  le  premier, 
Du  glaive  et  de  la  lance  arme  sur  son  coursier. 
Devant  Hastings  sa  voix  vibre  en  la  plaine  immense, 
Des  heros,  de  Roland  il  chante  la  romance. 

Comme  un  bruit  de  tempete  est  le  chant  de  Roland, 
II  exalte  les  coeurs;  l'etendard  flotte  au  vent, 
De  tous  l'ardeur  guerriere  embrase  et  remplit  Tänie: 
La  voix  de  Taillefer  attise  bien  la  flamme. 

II  s'elance  en  avant  pour  frapper  le  premier. 
Du  coup  tombe  un  Anglais,  orgueilleux  Chevalier ; 
Pour  un  deuxicme  exploit  il  prend  son  cimeterre: 
Un  second  chevalier  a  mordu  la  poussiere. 

Les  Normands,  qui  l'ont  vu,  courent  aux  ennemis, 
Frappant  leurs  boucliers  et  jetant  de  grands  cris. 
Quel  choc!  quel  sifflement  de  fleches  sur  leur  tete! 
Enfin  Harold  succombe  et  l'armee  est  defaite. 

On  plante  l'etendard  dans  les  sillons  sanglants 
Et  la  tente  au  mil'eu  des  morts  et  des  mourants. 
Guillaume  au  banquet  tient  une  coupe  doree 
Et  du  bandeau  royal  sa  tete  est  decoree. 


236  Rliscellcn. 

Mon  bravt"  Taillefer,  viens  et  fais-moi  raison. 
Triste  OLi  gai,  qiie  de  fois  j'entenrlis  ta  chanson! 
Mais  l'e^ho  de  Hastings,  ta  romance  guerricrc 
Me  charmeront  encore  a  nion  henre  derniere. 


Lc    chäteau    de    ßoncourt,    d'apres  Adalbert  de  Chaniisso. 

Je  reve  encor  des  jours  de  mon  enf'ance, 
Et  nies  cheveux  sont  blanchis  par  les  Ht\s. 
Tu  me  poursuis,  6  douce  souvenance 
Que  je  croyais  eteinte  des  loiigtemps. 

Dans  un  enclos  oiybreux  et  solitaire 
S'elcve  et  brille  un  chäteau  dans  les  airs. 
Je  vous  connais,  portail  et  pont  de  pierre, 
Tour  et  creneaux,  tous  k  mon  co-ur  si  chers. 

De  l'ecusson  les  lions  en  silence 
Fixen t  sur  moi  leurs  yeux  avec  amour. 
Je  les  salue  en  vieil  anii  d'enfance 
Puis  ä,  grands  pas  me  bäte  vers  la  coiir. 

N'oila  le  sphinx,  le  figuier  qui  s'dleve 
Tout  verdoyant  k  cote  du  jet  d'eau, 
Et  la  t'enetre,  abri  du  premier  reve 
Qu'enfant  je  tis  en  mon  heureux  berceau. 

Et  francbissant  le  seuil  de  la  cbapelle, 
De  mon  aieul  je  cherche  le  tombeau. 
C'est  la  qu'il  est !  au  pilier  etincelle 
L'ancienne  armure  et  l'orgueil  du  chäteau. 

L'emotion  a  voile  ma  paupiere, 
L'inscription  se  derobe  ä  mes  yeux, 
Quoique  du  ciel  une  vive  lumiere, 
Par  les  vitraux,  vienne  inonder  ccs  lieux. 

A  tout  jamais,  6  chäteau  de  mes  peres, 
Tu  vis  empreint  profonderaent  en  moi ; 
Tu  disparus  jusqu'aux  dernieres  pierres, 
Le  soc  tranchant  passe  aujourd'hui  sur  toi. 

Sois  fecond,  sol  tant  cheri !  länie  emue 
Je  te  benis  du  profond  de  mon  coeur; 
Et  toi  qui  tiens  sur  son  sein  la  charrue, 
Je  te  benis  deux  fois,  6  laboureur! 

Püur  moi  je  vais,  rappelant  mon  courage, 
Aux  düux  accords  (J'un  luth  harmouieux, 
Ell  mon  exil,  aller  de  plage  en  plage 
Porter  mes  cliants  au  loin  sous  d 'autres  cieux ! 


L  ' o  r m e a u  de  H i r  s a u ,  d'apres  Uhland. 

Dans  los  ruines  de  Hirsaii,  II  s'enfonce  profbndcment 

Et  des  murs  dominant  le  faite,  8ous  le  sol  du  vieux  monastcre, 

S'dleve  un  verdoyant   ormeau,  Dans  Tazur  d'un  ciyl  rayonnant 

Aux  vents  il  balance  sa  tetc.  Öe  courbe  en  conpole  legere. 


Miscellen. 


237 


Prive  d*air,  sans  un  doiix  rayon 
Au  fond  de  l'enceinte  de  pieire, 
Du  sein  de  sa  morne  prison 
11  s'elan9a  vers  la  luniiere. 

Quatre  murs  pour  le  proteger 
S'elevent  coutre  las  orages, 
Cependant  que  svelte  et  leger 
Monte  son  tronc  vers  Ics  nuages. 

Dans  le  vallon  silencleux, 
Au  fond  de  la  verte  prairie, 
C'est  k  lormeau  raajestueux 
Que  sattachait  ma  reverie. 

Lorsque  j'errais  seul  en  revant 
Dans  la  morne  et  soiubre  masure, 


De  son  feuillage  sous  le  vent 
Toujours  j'entendais  le  murmure. 

Combien  de  fois,  de  doux  rayons 
Je  Tai  vu  se  teindre  ä  l'aurore  ! 
Et  l'ombre  emplissait  les  vallons 
Qu'au  soleil  il  brillait  ent.'ore. 

A  Wittenberg  jadis  per(;a 

La  voüte  d'un  vieux  monastere 

Et  dans  Tespace  s'elan^a 

D'un  grand  chene  la  tete  altiere. 

Tu  plonges,  6  rayon  divin, 
Dans  les  profondeurs  <Je  la  terre  ! 
Tu  pänetres,  esprit  humain, 
Dans  la  hauteur  et  la  lumiere! 


Das  Begründen  einer  Centralstelle  für  Dissertationen  und  Programme 
dürfte  von  allen  denen  mit  Freuiien  begrüfst  werden,  welche  es  schon  oft 
und  vielfach  vermifst  haben,  dafs  jene  kleinen  Geletrenheitsschriften,  wie  es 
die  Doktordissertationen,  Schulprogramnie  und  ähnliche  sind,  bisher  meistens 
sehr  schwer  beschafft  werden  konnten.  Man  wird  es  daher  der  Buchhaml- 
hing  von  Gustav  Fock  in  Leipzig  Dank  wissen,  dafs  sie  eine  solche  Central- 
stelle geschaffen  hat  und  auf  diese  \Neise  dafür  sorgt,  dafs  manch  kleines 
iSchriftchen,  welches  sonst  weiteren  Kreisen  unzugänglich  geblieben  wäre, 
zur  Verbreitung  gelangt. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  ein  solches  gemeinnütziges  Institut 
nur  durch  Entgegenkommen  der  betr.  Autoren  sich  als  wirksam  erweisen 
kann,  insofern  sie  bereitwilligst  eine  Anzahl  ihrer  Abhandlung  diesem  In- 
stitut entweder  gegen  Vergütung  oder  in  Umtausch  überlassen.  Es  liegt 
uns  vorläufig  ein  Verzeichnis  von  Dissertationen  und  Programmen  aus  dem 
Gebiete  der  neueren  Philologie,  Germanistik  nebst  Orientalia  vor,  circa  1500 
Abhandlungen  enthaltend,  welches  uns  bereits  einen  genügenden  Überblick 
über  die  reichhaltige  Litteratur  aus  diesem  Gebiete  verschafft  und  uns  die 
Überzeugung  aufdrängt,  dafs  ein  solcher  .Sammelpunkt  höchst  dankens- 
wert ist. 


Bibliographischer  Anzeiger. 


Ai: 


eemeines. 


J.  Bierbaura,  Die  Reform  des  fremdsprachlichen  Unterrichts.  (Kassel, 
Kay.)  1  Mk.  60  Pf. 

A.  Rambeau,  Der  französische  und  englische  Unterricht  in  der  tleiitschen 
Schule,  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Gymnasiums.  (Hamburg, 
Nolte.)  1  Mk, 

Grammatik. 

n.    Schuchardt,    Über    die    Lautgesetze.      Gegen    die    Junggrammatiker. 

(Berlin,  Oppenheim.)  1   Mk. 

W.  Waltemath,  Die  fränkischen  Elemente   in  der  französischen  Sprache. 

(Paderborn,  Scböningh.)  1   Mk.  20  Pf. 

A.   Aubert,   Des  emplois  syntaxiques  du  genre  neutre  en  fran^ais.     (Mar- 
seille, Cayer.) 
A.  Aubert,    De    usu    partieipiorum    prsesentis    in    sermone    gallico    thesim 

facultati  litterarum  A(iuarum  Sextiarum  proponebat.     (Marseille,  Barlatier- 

Feissat.) 
A.  Mahn,    (jrammatik    und    Wörterbuch    der    aItproven9alischen    Sprache. 

I.  Lautlehre  und  Wortbildungslehre.     (Köthen,  Schettler.)  6  Mk. 

.1.    Byrne,    General    principles    of   the    structure    of   language.      (London, 

Trübner.)  36  sh. 

Lexikographie. 

Matthias  Lexer,  Mittelhochdeutsches  Taschenwörterbuch.     III.  umgearb. 

Auflage.     (Leipzig,  Ilirzel.)  5  Mk. 

Ch.  C.  Fleuriot,  Itecueil  de  proverbes  francjais,  d.  i.  Auswahl  französischer 

Sprichwörter  mit  deutscher  Übersetzung.  (Breslau,  Schletter.)  1  Mk. 
A.  Toi  hausen,   Technical  dictionary   in   the   english,   german    and   french 

languages.     II  Part.     (Leipzig,  Tauchnitz.)  3   Mk. 

A.  Murray,    A   new    English  Dictionary    on    historical   princi|)les.     Part  II 

(And  —  Balten).     (Oxford,   Clarendon  Press.)  12  sh.  6  d. 

Lit  teratur. 

K.  Müllenhoff,  Altdeutsche  Sprachproben.  4.  Aufl.,  besorgt  von  Max 
Rödiger.     (Berlin,  Weidmann.)  ;5  Mk.  GO  Pf. 

K.  Bartsch,  Beiträge  zur  Quellenkunde  der  altdeutschen  Litteratur.  (Strafs- 
burg, Trübner.)  8  Mk. 


Bibliographischer  Anzeiger.  239 

W.  Wilmanns,  Beiträge  zur  Geschichte  der  älteren  deutschen  Litterntur. 

I.  Der  sogenannte  Heinrich  von  Melk.  (Bonn,  Weber.)  1  Mk.  .")0  Pf. 
H.  Kamp,  Der  Nibelungen  Not  in  metrischer  Übersetzung,  nebst  Erzählung 

der  älteren  Nibelungensage.  (Berlin,  Meyer  &  Müller.)  2  Mk.  25  Pf. 
E.  Walter,  Die  Sprache  der  revidierten  Lutherbibel.  (Bernburg.  Schmelzer.) 

1  Mk.  20  Pf. 
C.  Harff,  Anseis  de  Mes.     Chanson  de  geste  aus  dem   13.  Jahrh.   (Progr. 

des  Reaigvmn.  in  Erfurt.) 
E.  Ko schwitz,   Kommentar  zu  den  ältesten   franz.  Sprachdenkmälern.     I. 

(Heilbronn,  Henninger.)  5  Mk.  80  Pf. 

Faust  von  Goethe.     ^Iit  Einleitung  und  fortlaufender  Erklärung   hrsgb.  von 

K.  J.  Schröer.  I.Teil.  2.  Auf  1.  (Heilbronn,  Henninger.)  3  Mk.  75  Pf. 
J.   Röfsler,    Erläuterungen    zu    Goethes    Faust.      Teil   I    u.    II.      (Berlin, 

Mecklenburg.)  1    Mk. 

H.   Düntzer,     Abhandlungen    zu    Goethes    Leben    und    Wirken.      Teil    2. 

(Leipzig,  Wartig.)  10  Mk. 

J.  Braun,  Schiller  und  Goethe   im  Urteile  ihrer  Zeitgenossen.     2.  Abteil.: 

Goethe.     IIL  Bd.     (Berlin,  Luckhardt.)  7  Mk.  50  Pf. 

Wilhelm   Teil    by    Schiller.     Translated   into   English    by   Edward   Stan- 

hope  Pearson.     (Dresden,  Pierson.)  1   Mk. 

Joinville,   Histoire   de  saint  Louis.     Te.xte   original   ramene   ä  l'orthographe 

des  chartes,  precede  de  n(  tions  sur  la  langue  et  la  grammaire  de  Joinville, 

et  suivi  d'un  glossaire  par  Natalis  de  Wailly.  (Paris,  Hachette.)  2  fr. 
A.  Tobler,  Ein  Lied  Bernarts  von  Ventadour.    Aus  den  Sitzungsberichten 

der  Pr.  Akad.   der   Wissenschaften. 
Nourisson,  Pascal  physicien  et  philosophe.  (Paris,  Fischbacher.)  3  fr.  50  c. 
A.  Bettelheim,   Beaumarchais.     Eine  Biographie.     (Frankfurt  a.  M.,  Litt. 

Anstalt  [Rütten  &  Löning].)  10  Mk. 

A.  Copin,  Histoire  des  comediens  de  la  troupe  Moliere.    (Paris.  Frinzine.) 

7  fr.  50  c. 
R.  Mahrenholtz,   Voltaires  Leben  und  Werke.    IL   \'oltaire  im  Auslände. 

(Oppeln,  Franck.)  5  Mk. 

C.    Siegert,    Die   Sprache   Lafontaines,    mit   besonderer   Berücksichtigung 

der  Archaismen.     (Leipzig,  Dissert.) 
C.    V.    Reinhards töttner,    Plautus.      Spätere   Bearbeitungen   der   plauti- 

nischen  Lustspiele.     (Leipzig,  Friedrich.)  1  Mk. 

W.   C.  Robinson,    Introduction   to  our  early  english  literature.     (London, 

•Simpkin,  Marshall.)  5  sh. 

H.  Sweet,    Anglo-Saxon  Reading  Primers.     2  vols.      (London,  Longman.) 
Leonhardt,  Über  Beaumont  und  Fletcher's  Knight  of  the  Burning  Pestle. 

(Progr.  des  Realgymn.  zu  Annaberg.) 
r.  Hofmann- Wellenhof,  Shakespeares  Perikles  und  Georg Lillos  Marina. 

(Progr.  der  Ober-Rcalschule  zu  Graz.) 
A.  Tennyson,  Enoch  Arden.    Aus  dem  Englischen  übersetzt  von  R.  Wald- 
müller.    (Hamburg,  (jrüning.)  1   Mk.  60  Pf. 
Shakespeares  sämtliche  Werke,  übersetzt  von  Schlegel  und  Tieck,  in  englisch- 
deutscher Parallel-Ausgabe.     Bevorwortet   und   eingeleitet   von    K.  Sachs. 

(Leipzig,  Schäfer.)  a  Heft  60  Pf. 

Dante  Alighieris  Paradies.     3.  Abteil,    der   göttl.  Komödie,    übertragen   von 

Francke.     (Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel  )  5  Mk. 

J.  Ulrich,  Altitalienisches  Lesebuch.    13.  Jahrhundert.    (Halle,  Niemever.) 

2  Mk.  50  Pf. 
E.  Dorer,  Beiträge  zur  Calderon-Litteratur.    2  Hefte.    (Dresden,  v.  Zahn  tfe 

Jäntsch.) 
E.  Günthner,  Calderons  Dramen  aus  der  spanischen  Geschichte,  mit  einer 
Einleitung   über   das    Leben   und    die  Werke    des   Dichters.     (Progr.    des 
Gymn    zu  Rottwoil.) 


240  Bibliographischer  Anzeiger. 

Cervantes,    Novelas    ejemplares.      Mit    erklärenden    Anmerkungen    von   Ad. 

Krefsner.     I.     (Leipzig,  Renger.) 
A.  Loiseau,  Histoire  de  la  litterature  portugaise  depuis  ses  origines  jusqu'h 

nos  jours.     (Paris,  Thorin.)  4  fr. 

Hilfs  buch  er. 

F.  Keil  mann,  Der  Aufsatz  in  der  vierklassigen  Volksschule,  Unterrichts- 
stoff'und  Anleitung  zur  Behandlung  desselben.  (Mainz.  Frey.)  2  Mk.  40  Pf. 

E.  Müller,  Hilfsbuch  zur  franz.  Grammatik.  (Hamburg,  Meifsner.)   1  Mk. 

W.  Bertram,  Questionnaire  grammatical.  Les  regles  renfermees  dans  la 
gram,  de  Plcetz,  redigees  par  demandes  et  par  reponses.  (Bremen,  Hein- 
sius.)  _  1  Mk.  GO  Pf. 

H.  Sweet,  Elementarbuch  des  gesprochenen  Englisch.  Grammatik,  Texte 
und  Glossar.     (Leipzig,   Weigel.)  2  Mk.  40  Pf. 

Shakespeares  Julius  Ciesar.  Mit  Anmerkungen  von  E.  Pritsche.  (Ham- 
burg, Meifsner.)  _  _  1   Mk.  20  Pf. 

Biblioteca  italiana.  Für  den  Unterricht  im  Italienischen  mit  Anmerkungen 
in  deutscher,  französischer  und  englischer  Sprache  von  A.  Scartazzini. 
4  Bändchen.    Inhalt:  Adelchi.    Tragedia  di  A.  Manzoni.    (Davos,  Richter.) 

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Giovanni,  Italienische  Phraseologie.     (Davos,  Richter.)  1  Mk. 

A.  de  Fagolari,  Italienisches  Konversations-  und  Taschen- Wörterbuch.  Durch 
zahlreiche  Noten  und  Zusätze,  sowie  einen  kurzen  Abrifs  der  ital.  Gram- 
matik erweitert  und  herausgegeben  von  H.  Mondschein.  (Leipzig, 
Fock.)  2  Mk.  50  Pf. 


Deutsche 

Kultur  und  Litteratur  des  18.  Jahrhunderts 

im  Lichte  der  zeitgenössischen  italienischen  Kritik. 
(Teil  II.) 


Welche  Umstände,  aufser  des  grofsen  Friedrichs  überwäl- 
tigendem Einflüsse,  zu  der  Weckung  und  Erstarkung  deutschen 
Geisteslebens  in  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  sonst  vornehm- 
lich beigetragen,  welche  Impulse  dasselbe  erhalten,  so  daf^  es 
alle  ausl'ändiechen  Stützen  und  Krücken,  mit  denen  es  bisher 
eich  beholfen,  wegwerfend  jener  biblischen  Gestalt  gleichen 
konnte,  an  welche  das  Wort  erging:  „Nimm  dein  Bett  und 
wandele!"  —  darüber  läfst  uns,  ebenso  wie  über  die  wesent- 
lichsten Momente  seiner  Neugestaltuno;  die  litterarische  Kritik 
Italiens  fast  völlisr  im  Stich  oder  ist,  wenn  sie  Andeutungen 
giebt,  voreingenommen  und  einseitig.  Aber  dieses  ihr  Schwei- 
gen darf  ebenso  wenig  Mie  ihre  Unsicherheit  oder  Unkunde 
uns  auffallen.  War  ja  die  deutsche  Poesie  seit  dem  Beginne 
der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  in  voller,  rüstiger  Arbeit 
beo-riffen  an  dem  Werke  eigener  Befreiung  und  Aufrichtung, 
der  Loslösung  von  den  von  altersher  überlieferten  Schranken 
fremder  Nachahmung,  der  ernsten  Gewöhnung  an  die  Wieder- 
gäbe  von  Erfahrungen  selbsteigenen  Geistes-  und  Gefühlslebens, 
das  von  demjenigen  der  Nationen,  denen  sie  bisher  gefolgt,  so 
unendlich  verschieden  war,  der  selbständigen  Erftissung  des 
Altertums  mit  seinen  reichen  Schätzen,  des  Wachsens  und  Er- 
starkens  in  seinem  sittlich-nationalen  Bewufstsein,  endlich  des 
Ablegens    fremder,    erborgter    Formen,    um    für    diese,    wenn 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXY.  16 


242  Deutsche  Kultur  und  Litteratur  des  IS.  Jahrhunderts 

auch  im  Anfange  unbeholfen  und  mühsam,  doch  mit  wachsen- 
dem Erfolge  eigenartige  sich  einzutauschen!  Kann  es  verwun- 
dern, wenn  über  diese  im  deutschen  Volke  sich  vollziehende 
Wandelung  selbst  nicht  nur,  sondern  auch  über  deren  tiefere 
Ursachen  das  Ausland  mit  seinem  Urteile  nicht  sogleich  fertig 
zu  werden  vermochte? 

So  ist  denn  unter  anderen  Cornianl  geneigt,  die  auch  in 
seinen  Augen  bewundernswerte  „maturitä  e  perfezione",  welche 
die  deutsche  Poesie,  noch  vor  kurzem  so  „informe  e  bambina", 
seit  1750  sich  angeeignet,  als  ein  Verdienst  jenes  „philosophi- 
schen Geistes"  zu  bezeichnen,  der  sein  Jahrhundert  überhaupt 
charakterisiere  und  mit  seinem  Lichte  auch  in  diejenigen  Ge- 
biete dringe,  die  lediglich  dem  Ergötzen  dienstbar  seien.  Die 
deutsche  Poesie,  versichert  er,  sei  eben  nicht  blofs  eine  Poesie 
von  Worten;  ihre  besten  Gebiete  vielmehr  seien  reich  an  grofsen 
Ideen,  philosophischen  Wahrheiten,  aber  des  rein  wissenschaft- 
lichen Schleiers  entkleidet  und  durch  die  Anmut  des  Ausdrucks 
verschönt.  Reich  an  srofsartisfen,  kräftigen  und  doch  dabei 
anmutigen  Gebilden  der  Phantasie,  mit  denen  das  tote  Material 
belebt  werde,  sei  der  deutsche  Stil  energisch  und  elegant  zu- 
gleich, gebe  selbst  geringwertigen,  alltäglichen  Dingen  ein  eigen- 
fremdartiges edles  Gesicht  und  verschönere,  idealisiere  die  Ge- 
genstände, ohne  doch  die  Grenzen  der  Natürlichkeit  und  Wahr- 
scheinlichkeit zu  überschreiten. 

Ob  unter  die  hauptsächlichsten  Verbreiter  dieses  „philoso- 
phischen Geistee"  nach  Cornianis  Ansicht  auch  Chr.  Wolff  zu 
begreifen,  dessen  Philosophie  ja  einen  so  eminent  kosmopoliti- 
schen Charakter  an  der  Stirn  trug,  möchte  man  aus  mancherlei 
Gründen  billig  bezweifeln,  und  doch  ist  es  eine  Thatsache,  die 
von  WolfF  selbst  schon  1737  „mit  Dank  gegen  die  besondere 
Vorsorge  Gottes  und  die  censores"  bestätigt  worden,  dafs  seine 
Schriften  orerade  in  Italien  grofsen  Anklana;  gefunden  hatten. 
Denina  versichert  nicht  blofs,  dals  seit  dem  Erscheinen  des 
WolfFschen  „Naturrechts"  und  seiner  „Moralphilosophie"  die 
Weltanschauung  des  deutschen  Denkers  an  fast  allen  Universi- 
täten Europas  die  herrschende  gewesen,  sondern  auch  dafs  seit 
Albertus  Magnus,  Nicolans  von  Cusa  und  Luther  kein  Deut- 
scher je  in  Italien  solchen  Ruhm  besessen  habe,  von  ihnen  aber 


im  Lichte  der  zeitgenössischen  itahenischen  Kritik.  243 

keiner  so  heftig  angeo-rifFen  und  verteidigt  worden  sei  wie 
Leibnitz  und  Wolff.  Über  die  Momente,  welche  zu  dieser 
hohen  Bedeutung  beigetragen,  spricht  sich  Denina  um  so  we- 
niger aus,  als  ihm  Wolf  mit  der  durch  ihn  vermeintlich  herbei- 
geführten Wandelung  der  Theologie  in  Metaphysik  ebenso  wenig 
wie  Leibnitz  mit  seiner  prästabilierten  Harmonie  sympathisch 
sein  konnte.  Das  indes  giebt  er,  obwohl  ihm  die  Sprache 
Wolffs  hart  und  sein  Stil  mangelhaft  erscheint,  bereitwilligst 
zu,  dafs  derselbe  durch  seine  deutsch  geschriebenen  Abhand- 
lungen die  Entwickelung  seiner  Muttersprache  gefördert,  sie 
mit  „termes  expressifs"  zu  bereichern,  ihr  eine  gewisse  Präci- 
sion  und  Energie  zu  verleihen  gewufst  habe:  ein  Verdienst, 
an  welchem  freilich  nicht  weniger  die  Bildungsfahigkeit  der 
deutschen  Sprache  für  wissenschaftliche  und  technische  Be- 
zeichnungen, als  Wolffs  Geschick  in  ihrer  Verwendung  seinen 
Anteil  beanspruche.  In  jedem  Falle  sei,  dank  vielleicht  seiner 
schlesischen  Herkunft  —  denn  der  Dialekt  dieser  Provinz  sei 
dem  obersächsischen  völlig  gleich  (!)  —  und  seiner  Erziehung 
durch  Chr.  Gryphius,  sein  deutscher  Stil  seinem  Latein  vorzu- 
ziehen, das  etwa  dem  der  Scholastiker  des  14.  und  15.  Jahr- 
hunderts gleiche. 

So  abhold  aber  Denina  der  Wolffschen  Philosophie  ist  und 
so  sehr  man  aus  seiner  Mitteilung,  dafs  er  infolge  der  Machi- 
nationen Maupertuis'  und  Voltaires  bei  Friedrich  H.  in  Un- 
gnade gefallen  und  überhaupt  ,.passe  de  mode"  sei,  die  Genug- 
thuung  des  Theologen  herausliest,  so  wenig  billigt  er  die  ein- 
stigen auf  Erwerbung  einer  Lehrkanzel  gerichteten  egoistischen 
Ränke  eines  Lange  und  des  zu  ihm  haltenden  bigott-theologi- 
schen Konsortiums  oder  die  gehässige  Parteinahme  Friedrich 
Wilhelms  L,  des  „roi  vandale",  einem  Manne  gegenüber,  der, 
wie  er  bereitwilligst  einräumt,  weder  als  „antichretien"  gelten 
konnte,  noch  in  seinem  Privatcharakter  sich  irgend  welche 
Blöfse  gegeben  hatte.  Nur  dafs  er  es  sich  nicht  versagen  kann, 
den  Protestantiemus  mit  seinen,  wie  er  meint,  pharisäischen 
Lamentationen  über  das  Verhalten  der  katholischen  Kirche 
gegen  Galilei,  Sarpi,  Giannone  und  andere  gerade  auf  AVolffs 
und  vor  ihm  eines  Pufendorf  oder  Thomasius  Schicksale  zu 
verweisen.  —    In    dem  Jahrgange    1775    der    „Nuova  Raccolta" 

16* 


244  Deutsche  Kultur  und  Littcratur  des  18.  Jahrhunderts 

erkennt,  um  daniit  zu  echliefsen,  ein  Anonymus  in  einem  Auf- 
satze „Dello  studio  politico"  das  Bestreben  Wolffs  an,  den 
Nachweis  zu  führen,  dafs  die  Staatsinstitutionen,  so  wie  sie 
seien,  mit  den  Gesetzen  des  natürlichen  Rechtes  im  Wider- 
spruche ständen,  rügt  aber,  dafs  er  dann,  anstatt  in  einfacher, 
klarer  Methodik  die  Grundsätze  des  Idealstaates  nach  den  na- 
türlichen Gesetzen  zu  entwickeln  —  ein  Verfahren,  wie  es  nach 
ihm  Vattel  eingeschlagen  ■ —  sich  „sulle  orme  del  precettore 
Leibnizio"  mit  dem  Bemühen,  wissenschaftlich  zu  werden,  in 
Axiomen,  Syllogismen,  Schollen  und  Korollarien  ergangen;  dafs 
er  über  dem  Drange  nach  Neuem,  Rühmenswertem  seine  na- 
türliche Neigung,  anderen  zu  helfen,  vergessen  und  so  doch 
nur  für  wenige  geschrieben,  von  wenigen  nur  habe  verstanden 
sein  wollen.  Aber  dieser  Vorwurf  ist  mehr  als  ein  Bedauern 
denn  als  Geringschätzung  aufzufassen,  auch  selbst  in  dieser 
Kritik  also  ein  Beweis  der  hohen  Achtung  zu  erkennen,  deren 
sich  Wolft'  und  seine  Philosophie  jener  Zeit  in  Italien  erfreuten. 
Während  so  auf  der  einen  Seite  der  „philosophische  Geist" 
des  Jahrhunderts  als  mächtigster  Hebel  der  erwachten  deut- 
schen Poesie  betrachtet  wird,  meinen  andere,  wie  G.  Napione, 
den  Beginn  ihrer  Blüte  von  der  Zeit  an  datieren  zu  sollen,  da 
die  lateinische  Sprache  aufgehört  habe  das  Idiom  der  Gelehr- 
ten zu  sein.  „Welch  ungleich  vorteilhafteren  Begriff",  ruft 
letztgenannter  aus,  „haben  wir  jetzt  von  dem  guten  Geschmacke 
der  Deutschen,  als  unsere  Vorfahren  hatten?  Deutschland 
rühmte  sich  hochgelehrter  Männer  schon  seit  dem  16.  Jahrhun- 
derte, nicht  blofs  in  den  ernsten  Wissenschaften,  in  Astronomie, 
Physik,  Mathematik,  sondern  auch  in  der  Kritik,  Philologie, 
schönen  Litteratur ;  aber  bei  alledem  hatten  seine  litterarischen 
Erzeugnisse  doch  nicht  den  strahlenden  Glanz,  diese  natürliche 
Frische,  den  zarten  Duft  sich  erworben,  der  sie  jetzt  uns  so 
wertvoll  macht!  Diese  lateinischen  AVerke  waren  verbor- 
gene Schätze  und  übten  auf  Bildung  und  Geschmack  der 
ganzen  Nation  so  wenig  Einflufs  aus,  dafs  trotz  der  grofsen 
Zahl  berühmter  Landsleute,  die  so  lanofe  Jahre  hindurch  un- 
ermüdlich  in  dieser  Sprache  litterarisch  thätig  gewesen,  noch  jetzt 
die  grofsen  Männer  Deutschlands  seine  Litteratur  als  eine  erst 
eben  im  Entstehen  begrifFene  betrachten." 


im  Lichte  der  zeitgenössischen  italienischen  Kritik.  245 

Liebenswürdig  neidlos  konstatiert  und  erörtert  die  künst- 
lerische Suprematie  Deutschlands  für  seine  Zeit  der  Graf  Torre 
di  Rezzonico.  In  seinem  „Elogio  di  Scutellari"  versichert 
er,  die  Werke  Hasses,  „detto  volgarmente  il  Sassone",  der 
Glucksche  Orpheus,  die  Stamitzschen  und  ßeck(?)schen  Sinfo- 
nien bewiesen,  dafs  Deutschland  in  musikalischer,  und  die  Hal- 
ler, Gefsner,  Klopstock,  Rabener,  dafs  es  auch  in  litterarischer 
Beziehung  Italien  durchaus  nicht  nachstehe.  Es  scheine  eben, 
als  ob  die  Musen  in  ihrem  Streben,  allmählich  ganz  Europa 
zu  veredeln  (d'ingentilire),  in  diesem  Jahrhunderte  gerade 
Deutschland  zu  ihrem  Wohnsitze  und  dem  Mittelpunkte  ihres 
Eroberungsgebietes  zu  machen  gedächten.  Die  einfache,  rauhe, 
an  Wechseln  reiche  Natur  dieses  Landes  verleihe  allerdings  der 
Seele  weniger  künstliche,  dafür  aber  rührendere  Affekte,  der 
Phantasie  grofsartigere  Bilder,  dem  Ausdrucke  Kraft  und  Em- 
pfindung. Der  Tod  Abels,  die  Alpen,  der  Messias  bestätigten 
diese  \A'^ahrnehuiung  für  das  Gebiet  der  Dichtkunst,  zahlreiche 
Gemälde  deutscher  Meister,  die  Wärme  ihrer  Farben,  die  na- 
türliche, unstudierte  Haltung  ihrer  Gestalten,  die  Eigenartigkeit 
und  der  Phantasienreichtum  ihrer  Kompositionen  allem  An- 
scheine nach  auch  für  das  der  Malerei. 

Was  Denina  anlangt,  so  rühmt  auch  er  wohl  die  Blüte 
unserer  Universitäten,  besonders  Wittenbergs,  Leipzigs  und 
Jenas,  erkennt  die  Bestrebungen  Augusts  II.  und  III.  und  ihres 
allmächtigen  Ministers  an,  mit  dem  Zusätze  freilich,  dafs  sich 
die  „begli  ingegiii"  jener  Zeit  wesentlich  auf  das  lyrische  und 
didaktische  Genre  beschränkt  hätten;  mit  Recht  sieht  er  in  den 
Buchhändlermessen  Leipzigs,  dieser  „ohne  maritime  Lage,  ohne 
Flufs  oder  Kanal,  trotz  schlechter  Strafsen  blühenden  Proviu- 
zialstadt  einer  Macht  kaum  zweiten  Ranges",  ein  für  die  da- 
malige litterarische  Welt  höchst  bedeutsames  Einheitscentrum, 
das  noch  lange  der  Hauptsitz  der  deutseben  Litteratur  bleiben 
werde;  wohl  fixiert  er  den  Eintritt  der  neuen  Ära  mit  dem  Er- 
scheinen des  Messias ;  wohl  berichtet  er,  dafs  erst  dann,  als  in 
Deutschland  an  das  Vorbild  der  Italiener  und  Franzosen  sich 
dasjenige  Englands  angereiht,  das  „deutsche  Phlegma"  sich  zu 
gröfserer  Thatkraft  angeregt  gefühlt  habe,  und  reproduziert  ein- 
verständnisvoll    das  Gutachten    eines    Grafen    Salmour,    wonach 


246  Deutsche  Kultur  und  Litteratur  des   18.  Jahrliunderts 

die  südlichen  Länder  Deutschlands  damals  geistig  hochgestan- 
den, als  das  Licht  der  Gelehrsamkeit   aus  Italien  geströmt    sei, 
jetzt  aber,  da  England  im  Vordergrunde  des  wissenschaftlichen 
wie    des    Handelsinteresses    stehe,    Norddeutschland    ihnen    den 
Vorrang    bestreite ;    mit  Freuden    erkennt    er    in    der  Litteratur 
Deutschlands  eine  „ardentissima  fermentazione"  und    konstatiert 
in  Übereinstimmung  mit  Andres  ihre  hohe  Blüte.     Anstatt  aber, 
wie  es  den  Thatsachen  entsprechend  gewesen  wäre,  in  der  Ab- 
kehr von  französischer  Schablone,  der  Anlehnung   an  englische 
Muster,  und,    was  das  Wichtigste,    in    dem  Erwachen    des  na- 
tionalen Bewufstseins    die  eigentlich    erlösenden  Momente 
des    beginnenden    Aufschwunges    zu    erblicken,    macht    er    den 
Wechsel  des  Geschmackes  der  zeitgenössischen  Generation  zum 
Vorwurfe,    die  im  Laufe    von    nicht    ganz  30  Jahren    drei    ver- 
schiedene Schreibweisen  mit  Entzücken    aufgenommen,    bewun- 
dert, nachgeahmt,  verachtet,    im  Stiche  gelassen  habe  und  trotz 
allen  Strebens  und  augenblicklicher  Blüte  doch  nicht  Avisse,  was 
sie  denn    eigentlich    wolle.  —    Ergänzend    möge    hier   noch   die 
an  anderer    Stelle    ausgesprochene    feste   Überzeugung   Deninas 
Platz  finden,  dafs  trotz  allem  die  deutsche  Litteratur  sich  kaum 
jemals  den  Ruf    der  englischen    erwerben  werde ;    sei   doch    die 
dichterische    Kraft    Englands    nicht    Resultat    des    Klimas    oder 
Bodens,  sondern  seiner  freien  Regierung,  seines  die  Anschauun- 
gen erweiternden,  ideenschöpferiechen  Handelsverkehrs.  „Kann", 
ruft  er  aus,  „ein  Unterthan  eines  Erzbischofs    von  Trier,  eines 
Bischofs  von  Brixen  oder  Fulda,  eines  frommen  Kurfürsten  von 
Bayern  oder  einer  bigotten  Kaiserin- Königin,  kann    der  Bürger 
einer  dem  Namen  nach  freien,  aber  rings  von  mächtigen  Nach- 
barn umgebenen  Stadt  so  denken,    sprechen  und  schreiben,  wie 
ein  Mitglied   des  englischen  Parlaments  oder  auch    nur  wie  ein 
einfacher    Bürger,    welcher    das    Wahlrecht    besitzt?-'    —   Eine 
ähnliche    Prognose    stellt    Andres    unseren    litterarischen  Lei- 
stungen,   welche  seiner  Ansicht    nach    stets  jene  Feinheit,  jene 
Vollendung  vermissen  lassen  würden,  die  zur  Einreihung  unter 
die  „opere  classiche  e  magistrali"   gerechten  Anspruch  verleihe. 
Ja  Bett  in  eil  i  bedauert  schmerzlich,    dafs    aus    purem  „amore 
di  novitä."  und  von  der  Sucht  befangen,  dem  Auslande  zu  hul- 
digen,   seine   „guten  Landsleute"    gewissen    deutschen  Dichtern 


im  Lichte  der  zeitgenössischen  italienischen  Kritik.  247 

allzusehr  und  unverdient  zu  huldigen  pflegten.  Mit  dem  Aus- 
rufe „Povera  Italia,  in  quai  mani  cadi  tu  troppo  sovente"  er- 
öffnet er  an  anderer  Stelle  eine  Reihe  ähnlicher  „patriotischer 
Beklemmungen". 

I)afs  an  dieser  Tedeskomanie  —  sit  venia  verbo  —  Klop- 
stock  einen  hervorragenden  Anteil  habe,  ist,  auch  ohne  dafs  es 
uns  eigens  versichert  wird,  so  einleuchtend,  dafs  im  V^erhält- 
nis  zu  den  Lobsprüchen,  welche,  wie  wir  bemerken  konnten, 
so  manchem  Johanneswürmchen  unseres  Parnasses  vom  Aus- 
lande gespendet  worden,  Bezeichnungen  wie  „Homer  Deutsch- 
lands" oder  „Milton  vergleichbar"  oder  „Patriarch  des  nörd- 
lichen Helikon"  um  so  weniger  auffällio;  erscheinen  können,  als 
dieselben  in  der  That  nur  schwache  Symptome  der  fast  un- 
geteilten hohen  Verehrung  sind,  welche  Klopstock  in  Deutsch- 
land genofs  und  an  welche  nach  Deninas  (vom  26.  Oktober 
1782)  und  Cornianis  Zeugnissen  weder  die  Ariosts  noch  Tassos 
in  Italien  heranreichte. 

Klopstocks  Erstlingswerk,  mit  welchem  er  zielbewufst,  wie 
seine  Schulpfortaer  Abschiedsrede  darthut,  seiner  Nation  dich- 
terisches Ehr-  und  Selbstgefühl  wiederzugeben  suchte,  ist  zu- 
gleich dasjenige,  welches  im  Auslande  vornehmlich  —  in  Deutsch- 
land schätzte  man  ihn  Denina  zufolge  höher  als  Voltaire  — 
seinen  Ruf  dauernd  begründete.  Über  das  Versmafs  freilich, 
welchem  durch  den  Messias  an  Stelle  des  pedantischen  Alexan- 
drinischen  Menuettrhythmus  das  Bürgerrecht  verliehen  werden 
sollte,  waren,  wohl  nicht  unbeeinflufst  von  dem  landläufigen 
schroffen  Vorurteile  des  Auslandes  von  der  Härte  unserer 
Sprache,  überhaupt  damals  die  Meinungen  geteilt.  Während 
der  Herausgeber  der  Frugonischen  Opere,  Graf  Rezzonico,  in 
seinem  Rag-  sulla  volg.  poes.  die  Hexameter  Klopstocks  einfach 
bellissimi  nennt,  ein  Lob,  das  allerdings  von  einem  Verehrer 
Frugonis  und  seiner  versi  sciolti  nicht  gerade  viel  besagen  will; 
während  Denina,  dessen  rhythmisches  Zartgefühl  doch  weit  em- 
pfindlicher war,  offen  gesteht,  dafs  die  dem  Messias  eigene 
Ver.sifikation  den  Deutschen  die  Energie  und  den  Reichtum 
ihrer  Sprache  erst  zum  Bewufstsein  gebracht  habe,  dafs  sie 
eine  Harmonie  besitze,  deren  Möglichkeit  man  nicht  einmal 
geahnt  habe,  nennt  Corniani  in  seinem  oben    erwähnten  Saggio 


2  IS  Deutsclie   Kultur  und  Litteratur  dos   18.  Jalubundorts 

zwar  die  Verse  des  Messias  ebenso  „singolari"  —  in  lobendem 
Sinne  —  wie  ihren  Inhalt  und  sieht  darin,  dafs  Klopstock  wie 
Mihon  und  vor  ihnen  Trissino  das  „Joch"  des  hergebrachten 
Keimes  abgeschüttelt,  eine  dankenswerte  That,  aus  der  zwar 
„una  fatica  assai  piü  penosa",  dafür  aber  „bellezze  molto  mag- 
giori"  resultierten:  aber  schon  damals  ist  er,  was  das  Verhält- 
nis der  Klopstockschen  Hexameter  zu  den  antiken  anlangt,  vor- 
sichtig genug,  um  von  eigenem  Urteile  abzusehen  und  zu  ver- 
eichern,  dafs  wenigstens  die  Landsleute  des  Dichters  in  seinen 
Versen  die  gleiche  Harmonie  zu  bemerken  glaubten  wie  in  den 
besten  griechischen  und  römischen,  ja  dafs  Deutschland  „con 
trasporto"  diese  „glückliche  Neuerung"  adoptiert  habe.  In  sei- 
ner später  geschriebenen  Litteraturgeschichte  aber  geht  er  noch 
freier  mit  der  Sprache  heraus,  indem  er  versichert,  die  ganze 
Harmonie  des  deutschen  Hexameters  beschränke  sich  auf  die 
aus  einem  scheinbaren  (apparente)  Daktylus  und  einem  Spon- 
deus  bestehende  Schlufskadenz.  Dafs  er  zur  Begründung  des- 
sen  sich  auf  eine  Aufserung  gerade  Deninas  beruft,  wonach 
diejenigen  sich  einer  „furchtbaren  Täuschung"  hingäben,  welche 
in  den  Gedichten  Bodmers  oder  Klopstocks  das  Metrum  Ho- 
mers oder  Vergils  wiederzufinden  glaubten,  läfst  uns  an  der 
Aufrichtigkeit  des  oben  citierten  Deuinaschen  Lobes  einiger- 
mafsen  irre  werden;  doch  giebt  der  in  Pr.  lit.  s.  v.  gezogene 
Vergleich  des  Stiles  und  Versmafses  im  Messias  mit  dem  Rhein- 
weine, der  auch  erst  zu  schmecken  anfange,  wenn  man  sich  an 
ihn  gewöhnt  habe,  seine  wahre  Meinung  um  so  klarer  zu  er- 
kennen, als  er  hinzufügt,  dafs  es  einem  an  französische,  spani- 
sche, italienische  Weine  gewöhnten  Gaumen  freilich  sehr  schwer 
werde,  am  Rheinweine  Genufs  zu  finden. 

Mit  dem  Gedichte  selbst,  seinem  Inhalte  und  seiner  Ten- 
denz beschäftigt  sich  am  eingehendsten,  und,  so  sehr  auch  aus 
der  Haltung  seiner  Kritik  das  „mediocribus  esse  poetis  non  licet" 
herausklingt,  mit  wohlwollender  Teilnahme  Andres.  Wenn  er 
gleich  betont,  dafs  weder  Milton,  noch  Voltaire,  noch  Klopstock 
in  ihren  Leistungen  an  die  Epiker  des  IG.  Jahrhunderts,  au 
Camoens,  Ariosto,  Tasso  heranreichen,  gelten  ihm  doch  an  an- 
derer Stelle  die  Reinheit  und  Eleganz  der  Sprache  sowie  die 
lebhafte    und    energische  Diktion   des   Klopstockschen   Epos   als 


im  Lichte  ilor  zeitgcnössischm  italienischen  Kritik.  240 

unbestreitbare  Vorzüge,  nur  dadurch  beeinträchtigt,  dafs  es  dem 
Dichter  nirgends  gelungen  s-ei,  dem  Leser  mit  glänzenden  Bil- 
dern zu  gefallen  oder  sein  Herz  durch  pathetische  Züge  zu 
rühren.  Die  Originalität  der  Gleichnisse,  führt  er  aus,  an  sich 
ein  Vorzug,  werde  durch  ihre  Absonderlichkeit  und  Verschro- 
benheit ein  Mangel.  Welche  Vorstellungr  grebe  unter  anderem 
Gabriels  Reise  auf  einer  Strafse,  die  ganz  aus  Sonnen  gebildet 
sei?  Oder  die  Fröhlichkeit  der  Engel,  vermöge  deren  ein  Sab- 
bath  heiliger  werde  als  andere  ihresgleichen,  oder  andere  ähn- 
liche Erfindungen  der  Klopstockschen  Phantasie?  Die  That 
des  vom  Teufel  besessenen  Samma,  der  seinen  Sohn  lienoni 
gegen  eine  Klippe  schleudere,  sei,  abgesehen  davon,  dafs  sie 
abgeschmackt,  für  die  Seele  des  Lesers,  statt  sie  zu  rühren, 
tief  beleidigend  und  verletzend.  Der  Tod  des  Judas  habe  doch 
gewifs  eine  vortreffliche  Gelegenheit  geboten,  Scenen  zu  schaf- 
fen, die  von  „anmutigem  Schaudern"  belebt  seien.  Was  aber 
habe  Kloj)stock  gethan?  Er  verliere  sich  darin,  den  Ituriel, 
Judas'  Berater,  den  Teufel  Abbadonna  suchen  und  letzteren 
die  feierlichen  Formeln  der  Todesengel  sprechen,  dann  aber  die 
Seele  des  Judas,  von  den  aus  dem  Leichname  ausgeströmten 
Lebensgeistern  umgeben,  wegfliegen  und  in  die  „frostigsten  Ab- 
geschmacktheiten" ausbrechen  zu  lassen.  Nur  im  Fluge  be- 
rühre er  den  verbrecherischen  Tod  dieses  Verworfenen,  male 
aber  nichts  von  den  höllischen  Leidenschaften,  welche  seiu 
Herz  bestürmten,  nichts  von  den  wilden  Qualen  seines  Ge- 
wissens, nichts  von  alledem,  was  dieses  düstere  und  schauer- 
liche Bild  hätte  anregend,  packend  machen  können.  So  sei  denn 
die  Idee,  Klopstock  in  dem  Sinne  als  Nachahmer  Miltons  zu 
betrachten,  wie  Virgil  als  den  Homers  —  ein  Verhältnis,  das 
übrigens  nach  Deninas  Mitteilung  von  Klopstock  selbst  bestrit- 
ten wurde  — ,  durchaus  unstatthaft;  denn  so  wenig  man  Milton 
eine  feurige  Phantasie,  das  Erbe  Homers,  absprechen  könne, 
so  wenig  zeige  sich  in  seinem  Nachahmer  Klopstock  jene 
Nüchternheit  und  Klarheit  der  Aufll^assung,  jene  Schärfe  des 
Ausdrucks,  welche  aus  Virgil  das  Wunder  der  Jahrhunderte 
machten.  Mit  Milton  zwar  habe  er  das  Feuer  der  Phantasie 
und  des  Enthusiasmus  gemeinsam,  aber  auch  das  Ungeschick 
sowohl  in  der  Wahl  des  Stoffes    als    in  der  Decenz    seiner  Be- 


*250  Deutsche  Kultur  und  Litteratur  des  18.  Jahrhunderts 

handlung.  So  könne  es  denn  —  damit  schliefst  Andres  seine 
Beurteilung  —  nicht  ausbleiben,  dafs  dem  nicht  ganz  glaubens- 
festen Leser  die  Geheimnisse  des  Christentums  wohl  gar  in 
dem  trüben  Lichte  von  Fabeln  erschienen,  und  darum  sei  es 
wohl  das  Beste  —  hier  zeigt  sich  wieder  einmal  der  geistliche 
Charakter  genannten  Kritikers  — ,  diese  Mysterien  den  Theo- 
logen zu  überlassen,  als  aus  ihnen  so  zu  sagen  eine  christliche 
Mythologie  bilden  zu  wollen.  Von  dem,  was  Hettner  mit  vollem 
Rechte  an  Klopstocks  Gestalten  aussetzte,  dafs  man  an  ihnen 
jenen  Dante-Miltonschen  tief  plastischen  Gestaltungstrieb  ver- 
misse, „der  die  Furcht  nicht  kenne,  die  Reinheit  und  Heilig- 
keit der  religiösen  Empfindung  durch  irdische  Vermenschlichung 
zu  gefährden",  davon  ist  Corniani  ganz  verschiedener  Meinung. 
Gerade  Dantes  Phantasie  scheint  ihm  mit  ihrer  Verteilung  der 
Geister  in  die  drei  Welten  allzusehr  die  natürlichen  Grenzen  zu 
überschreiten  und  in  die  unermefslichen  Räume  der  Unendlich- 
keit sich  zu  versteigen,  während  es  Klopstocks  ebenso  wie 
Miltons  unbestrittenes  Verdienst  sei,  den  Schauplatz  wenigstens 
der  ersten  Handlungen  auf  diese  Erde  verlegt  und  damit  die 
Persönlichkeiten  der  Dichtung  uns  menschlich  näher  gerückt 
zu  haben.  —  Dafs  die  Wunder  der  Schöpfung  —  er  führt  dies 
an  einer  anderen  Stelle  (unmittelbar  nach  Erscheinen  des  letz- 
ten Gesanges)  aus  —  die  Phänomene  der  Natur,  die  unent- 
wirrbaren Regungen  der  menschlichen  Leidenschaft  im  jNIessias 
SO  glücklich  dargestellt,  dafs  das  Ganze  von  lebhaften  Bildern 
durchwoben  sei,  welche  die  Phantasie  des  Lesers  mit  sich  fort- 
reifsen ;  dafs  die  erhabenste  Metaphysik  die  Phantasie  des 
Dichters  wie  seiner  Leser  in  die  dunkeln  Geheimnisse  des  gött- 
lichen Weltenplanes  einführe  und  ihr  die  Kraft  verleihe,  die 
Tiefen  der  Unendlichkeit  zu  messen:  diese  Vorzüge  scheinen 
ihm  die  Vortrefilichkeit  des  „meraviglioso  j)oema"  noch  nicht 
erschöpfend  genug  darzulegen ;  er  citiert  vielmehr  noch  einige 
Stellen  aus  der  Vorrede,  welche  Giacomo  Zigno,  der  enthusiasti- 
sche Verehrer  unseres  Dichters,  seiner  italienischen  Übersetzung 
der  ersten  zehn  Gesänge  des  Messias  beigab,  und  in  welcher 
dem  Gedanken  Ausdruck  gegeben  Avird,  dafs  gerade  Klopstock, 
„der  eigentliche  Schöpfer  der  klassischen  Epik",  iWit  grofsem 
Geschick   gleichzeitig    die  Herrlichkeit    und  Barmherzigkeit    des 


im  Lichte  der  zeit<>;enössischen  italienischen  Kritik.  251 

Weltenschöpfers  dem  menschlichen  Verständnisse  zu  nähern 
und  doch  seine  unendliche,  unfafsliche  Vollkommenheit  zu  schil- 
dern gewufst,  dafs  er  die  christliche  lieligion  in  ihrer  ganzen 
Höhe  und  Gewaltigkeit  darzustellen  und  doch  in  die  tiefsten 
Geheimnisse  der  Göttlichkeit  und  Ewigkeit  einzudringen  und 
sie  zu  verklären  verstanden  habe. 

Wie  zu  erwarten,  giebt  Bettinelli  seiner  Abneigung  gegen 
die  zeitgenössische  deutsche  Litteratur  auch  in  seinem  Urteile 
über  Klopstocks  Epos  unverhohlenen  Ausdruck.  „Die  endlos 
langen  Gespräche,  der  Mangel  an  Handlung,  die  ermüdende 
Einförmigkeit,  die  sich  breit  machende  Metaphysik  und  Theo- 
logie, die  Gestalten  der  Engel  und  Dämonen,  die  Behandlung 
des  Geheimnisses  der  Gnade  und  der  Prädestination":  alle  diese 
Dinge  erscheinen  ihm  als  ebensoviele  Bestätigungen  der  von 
ihm  bei  jeder  Gelegenheit  proklamierten  tiefernsten  angeblichen 
Thatsache,  dafs  es  der  deutschen  Dichtung  an  einem  der  wich- 
tigsten Requisiten  des  Dichtens  überhaupt,  an  dem  guten  Ge- 
schmacke  fehle.  —  Welchen  Ruf  indes  das  Werk  in  Italien 
besessen,  möge  daraus  ersehen  werden,  dafs  nicht  nur  Denina 
mit  seiner  freieren  philosophischen  Anschauung  vom  Christen- 
tume  ihm  vor  der  seinerzeit  viel  gelesenen  „Redenzione"  Tri- 
veris  mit  der  in  ihr  strikt  eingehaltenen  theologischen  Obser- 
vanz den  Vorzug  gab,  sondern  dafs  auch  den  um  ihrer  Ten- 
denz willen  Aufsehen  erregenden  zwölf  Visioni  „del  gran  Va- 
rano"  der  Litterarhistoriker  und  Dichter  Monti  noch  1807,  um 
ihre  Vortreff'lichkeit  kurz  zu  bezeichnen,  keine  bessere  Empfeh- 
lung zu  geben  wufste  als  ihre  Gleichstellung  mit  den  Visionen 
Hesekiels  und  mit  Klopstocks  Messias.  Andererseits  bietet 
gerade  Montis  Kritik  über  letztgenanntes  Epos  in  "  den  ver- 
schiedenen Jahren  und  Phasen  seines  wechselvollen  Lebens  ein 
Bild  von  der  augenfälligen  Wandelung  des  Urteils,  welche  der 
Messias  in  den  ersten  fünfzig  Jahren  nach  der  Veröffentlichung 
seiner  ersten  Gesänge  überhaupt  zu  erleben  hatte.  In  einem 
Briefe  an  Aur.  Bertöla  vom  5.  November  1779  bedauert  er  leb- 
haft, da  er  gezwungen'  sei,  „a  perdere  i  pensieri  in  cose  che 
nulla  hanno  a  fare  colla  poesia",  seinen  Plan  einer  Messias- 
übersetzung aufgeben  zu  müssen.  In  einem  im  gleichen  Jahre 
erschienenen    „Discorso    ad    E.    Quir.    Visconti"    versichert    er, 


252  Dtutsclie  Kultur  uii'l  Litteratur  des  18.  J;ibiliuiKk'rts 

dies  Epos  vermöge  ihn  „con  violenza"  iu  das  dem  deutschen 
Dichter  eigene  „sentimento",  ja  seine  Phantasie  in  Ekstase  zu 
versetzen;  er  nennt  dort  Klopstock  einen  „Bruder  MiUons,  gleich 
diesem  vom  Geiste  eines  David  beseelt" ;  seine  Phantasie  im 
Ausmalen  des  Schrecklichen  sei  wohl  noch  mächtiger  als  die 
des  Engländers,  wogegen  letzterer  in  feinen,  zarten  Zügen  mehr 
als  jener  zu  leisten  gevvufst  habe.  So  erwecke  beispielsweise 
die  Versammlung  der  Teufel  im  zweiten  Gesänge  solche  Furcht, 
dafs  Beelzebub  selbst,  wäre  er  Dichter,  die  Rede  Satans  nicht 
besser  hätte  abfassen  können.  44  Jahre  später  hingegen,  1823, 
entschlüpft  Monti  bei  Beurteilung  der  Pyrkerschen  Tunisiade 
der  von  nichts  weniger  als  von  Bewunderung  zeugende  Ausruf, 
Milton  wie  Klopstock  hätten  ihr  Möglichstes  gethan,  Engel  wie 
Teufel  im  Reiche  der  Poesie  in  Thätigkeit  zu  setzen,  aber  die 
AVeit  habe  bereits  gerichtet,  mit  wie  geringem  Erfolge:  diese 
Wesen  stünden  im  Vergleiche  zu  der  menschlichen  Natur  ent- 
weder zu  hoch  oder  zu  tief;  es  fehle  ihnen  die  notwendige  In- 
dividuation,  so  dafs  die  Phantasie  ihr  Bild  nicht  festhalten 
könne. 

Das  Lessingsche  Epigramm  auf  Klopstock,  das  ja  in  erster 
Linie  dem  Messias  galt,  ist  auch  Denina  bekannt;  er  erklärt 
sich  indes  diese  vorwiegend  platonische  Liebe  seiner  Zeitgenos- 
sen aus  dem  Widerspruche,  in  welchem  das  Gedicht  zu  dem 
unchrißtlich  gesvoi  denen  Geschmacke  derselben  stehe.  Zweifel- 
los sei  es,  dafs  man  einst,  und  zsvar  zur  Zeit  des  Erwachens 
deutscher  Poesie,  dank  Luthers  Bibelwerke,  dem  damals  einzig 
mustergültigen  Meisterwerke  deutscher  Schriftsprache,  gerade 
an  heiligen  Stoffen  und  biblischem  Stile,  an  der  Sprechweise 
der  Propheten  und  Patriarchen  Geschmack  gefunden  habe,  und 
in  diesem  Sinne  sei  Luther  als  der  deutsche  Petrarca  zu  be- 
trachten. Denn  wie  einst  die  Dialoge,  Novellen  und  sonstigen 
Dichtungen  der  italienischen  Cinquecentisten  einzig  darum  von 
Liebe  durchglüht  seien,  weil  ihre  Vorbilder  Petrarca  und 
Boccaccio,  die  ihnen  ihre  Sprache  geschaffen,  ihnen  eben  nichts 
anderes  als  derartiges  geboten,  so  hätten  auch  die  Deutschen, 
denen  kein  besseres  Buch  in  ihrer  Sprache  als  die  Lutherische 
Bibel  zu  Gebote  gestanden,  sich  lediglich  „suUo  stile  dei  cantici 
e  sopra  le  manicre    di  parlare  de'    patriarchi  e  de'    profeti*'  ge- 


im  Lii'Iite  der  zeitgenösslscln'n  italienischen  Kritik.  253 

bildet.  Mit  der  zunehmenden  Entchristlichung  aber  habe  die 
Abnahme  des  Geschnaackes  an  biblischem  Stoff  und  Stil  glei- 
chen  Schritt  gehalten.  Dafs  jedoch  trotzdem  das  Werk  in 
Deutschland  hohes  Ansehen  geniefse,  entnimmt  Corniani  aus 
der  ungewöhnlich  grofsen  Zahl  von  Interpreten  und  Kom- 
mentatoren desselben,  unter  welchen  ihm  der  von  Zigno  als 
„Addison  Klopstocks"  bezeichnete  Göttinger  Prof.  Meyer  einer 
besonderen  Erwähnung  würdig  zu  sein  scheint. 

Die  Lyrik  Klopstocks,  jenes  Gebiet,  auf  dem  er  das  zwei- 
fellose Verdienst  hat,  wahrhaft  schöpferisch  gewirkt  zu  haben, 
wurde  von  Italien  aus  nicht  ungünstig  beurteilt;  selbst  Retti- 
nelli  mufs  (SuU'  eloq.  Pref.)  bekennen,  dafs  von  allen  modernen 
Dichtern  diejenigen  der  germanischen  Völker  —  er  nennt  na- 
mentlich die  Engländer  und  die  Deutschen  —  unter  ihnen  Klop- 
stock,  in  erhabenen  Bildern  und  Gedanken  die  Nachahmung  an- 
tiker Gröfse  zu  relativ  höchster  Vollendung  gebracht  haben. 
Bertola  erwähnt  den  „Züricher  See-',  eine  Ode,  welche  dieser 
See  mit  den  Reizen  seiner  Umgebung  -wohl  verdient  habe ; 
Denina  bewundert  die  edle,  erhabene  Sprache  der  Klopstock- 
schen  Lyrik,  der  man  freilich  eine  gewisse  Schwerverständlich- 
keit nicht  mit  Unrecht  zum  Vorwurfe  mache,  und  nur  Cl.  Van- 
netti  sieht  in  ihnen  —  er  hat  wohl  vorzüglich  die  religiösen 
Oden  mit  ihrer  „facultas  lacrimatoria",  ihrem  Gefühls-  und 
Thränenchristentum  im  Auge  —  nichts  als  langausgedehnte 
Ekstasen,  Visionen,  Träume,  Geistesparoxysmen  in  wechseln- 
dem Stile,  bald  stofs-  und  sprungweise,  bald  in  bombastischen 
und  einer  Stentorlunge  angemessenen  Perioden,  mit  obligatem 
Wechsel  von  O!  Ah!  Ach  Gott!  kurz  dasjenige,  was  Hille- 
brand  einmal  mit  dem  „beständigen  Zittern  in  pathologischer 
Unruhe"  treffend  bezeichnet,  Klopstock  selbst  aber  als  „Thaten 
der  Seele"  charakterisierte.  „Was  würde,  Sig.  Abate  mio  gen- 
tilissimo",  schreibt  mit  Bezug  darauf  der  spottsüchtige  Cava- 
liere  seinem  gleichgestimmten  Freunde  Bettinelli,  „aus  jenem 
Meisterwerke,  dem  vierten  Buche  der  Aneide  geworden  sein, 
wenn  um  unserer  Sünde  willen  der  Herrgott  es  zugelassen 
hätte,  dafs  dieses  Sujet  von  einem  deutschen  Dichter  verarbeitet 
würde?  Würden  nicht  diese  so  angemessenen,  ruhigen  Ge- 
spräche    von    ihm    in    ein    Meer    von    Betrachtungen,    Selbst- 


254  Deutsche  Kultur  und  Litteratur  des  18.  rTahrliunderts 

gesprächen,  Antithesen  aufgelöst,  diese  lebhaften,  aber  innerlich 
wahren  leidenschaftlichen  Empfindungen  zu  philosophischen  und 
romantischen  Delirien  geworden  sein?" 

Es  kann  nicht  wunder  nehmen,  wenn  bei  solcher  Strenge 
der  Beurteilung  Klopstocks  dramatische  Dichterthätigkeit,  wie 
in  Deutschland,  wo  nach  Deninas  Berichte  selbst  des  Dichters 
„Adam"  sich  auf  der  Bühne  nicht  hatte  halten  können,  so  auch 
bei  der  italienischen  Kritik  sich  nur  gemischter  Wertschätzung 
erfreute.  Wirklich  aufrichtige,  fast  enthusiastische  Bewunde- 
rung findet  das  Drama  nur  bei  seinem  Übersetzer  Gasp.  Gozzi. 
Ihn  fesselt  vor  anderen  Vorzügen  desselben  besonders  die  Ein- 
fachheit seines  Stils  und  die  Wahrheit  und  Reinheit  seiner 
Sprache.  Wie  es,  bemerkt  Gozzi  in  dem  Proemio  zu  der 
Übersetzung  dem  Leser,  kein  leichtes  Beginnen  und  gewifs 
keine  gei'inge  Probe  poetischen  Geistes  sei,  das  Charakterbild 
eines  Naturmenschen  wie  Adams  so  zu  schaflTen  und  zu  erhal- 
ten, dafs  man  von  einer  mühsamen  oder  erkünstelten  Redewen- 
dung keine  Spur  bei  ihm  finde,  er  vielmehr  selbst  dem  Hervor- 
brechen der  Leidenschaft  stets  edle,  erhabene  Worte  zu  geben 
vermöge:  so  sei  es  ihm  freilich  von  Anfang  an  klar  gewesen, 
dafs  gerade  die  Wiedergabe  solch  grandioser  Einfachheit  dem 
Übersetzer  eine  Verpflichtung  auferlege,  zu  deren  Übernahme 
ihn  persönlich  eben  nur  das  bei  der  Lektüre  des  Dramas  em- 
pfundene hohe  Wohlgefallen  habe  bestimmen  können.  In  sei- 
nem der  Übersetzung  hinzugefügten  Ragionamento  berichtet 
Gozzi,  bei  Vorlesung  des  Dramas  seien  häufig  genug  heifse 
Thränen  von  solchen  Zuhörern  vergossen  worden,  deren  Augen 
sonst  stets  trocken,  denen  bei  ähnlicher  Gelegenheit  eine  töd- 
liche Langeweile  vom  Gesichte  abzulesen  sei;  es  sei  letztere, 
bemerkt  er,  die  unausbleibliche  Folge  davon,  dafs  die  italieni- 
schen Tragiker,  der  natürlichen  Einfachheit  vergessend,  „bei 
jeder  Gelegenheit  die  grofse  Glocke  ertönen,  bei  jedem  Verse 
alle  Kraft,  die  sie  in  den  Lungen  hätten,  ausströmen  liefsen". 
Im  weiteren  Verlaufe  seiner  Besprechung  lenkt  er  auf  einige 
seines  Erachtens  ganz  besonders  hervorrao-ende  Schönheiten  des 
Dramas,  auf  den  Schauer  Adams  vor  dem  Tode,  auf  das 
Totengräberamt,  das  er  für  seine  eigenen  Gebeine  verrichte, 
auf  seine  Sehnsucht,    vor   dem  Tode    noch  einmal    das   irdische 


im  Lichte  (?er  zeitgenössisclien  ifalienisclien  Kritik.  255 

Paradies  zu  schauen,  auf  die  Ankunft  Kains,  das  Auffinden 
des  Abelschen  Altars  und  anderes  die  Aufmerksamkeit  der  Leser 
und  unterzieht  endlich  die  Tragödie  rücksichtlich  ihrer  Sprache 
einem  Vero-Jeiche  mit  den  tragischen  Dichtungen  Koms  und 
Griechenlands.  Die  würdige  Haltung  Adams  angesichts  des 
ihm  vom  Todesengel  verkündeten  Dahinscheidens  legt  ihm  hier- 
bei einen  Vergleich  dieser  Situation  mit  der  ähnlichen  Hekubas 
in  den  gleichnamigen  Tragödien  Senekas  und  des  Euripides 
nahe,  der  allerdings  zu  Ungunsten  wenigstens  des  römischen 
Dichters  ausfallen  mufste.  —  Anders  die  übrigen  italienischen 
Kritiker.  Bettinelli  bezeichnet  den  Adam  kurzweg  als  „insipido". 
Andres  berichtet  mit  offenkundigem  Spotte,  Klopstock  habe 
aufser  dem  Namen,  den  er  sich  durch  das  „Anstimmen  der 
epischen  Trompete"  erworben,  seinen  Kuhm  durch  Anlegung 
des  tragischen  Kothurns  vermehren,  habe  nicht  nur  der  Homer, 
sondern  auch  der  Sophokles  Deutschlands  sein  wollen.  In  vor- 
sichtigen, aber  nicht  eben  absprechenden  Wendungen  bewegt 
sich  bezüglich  des  „Adam"  Denina.  Bei  Besprechung  Dantes, 
der  angeblich  die  Anregung  zu  seiner  Divina  Commedia  von 
den  „Novellieri  francesi"  des  13.  Jahrhunderts  erhalten  habe, 
bemerkt  er,  diese  Novellendichtungen  und  die  göttliche  Komödie 
ständen  in  demselben  Verhältnisse  zueinander  wie  etwa  die 
läppischen  Bühnendarstellungen  der  vergangenen  Jahrhunderte 
zur  Eacineschen  „Athalie"  oder  zu  „Adam"  von  Klopstock. 
Wenn  Denina  dann  mitteilt,  er  habe  von  einem  der  geachtet- 
sten  Autoren  Deutschlands  —  den  Namen  erfährt  man  nicht  — 
gehört,  dieses  Drama  sei  die  beste  aller  Klopstockschen  Dich- 
tungen, und  dessen  neun  Jahre  nach  seinem  Erscheinen  durch 
Gleim  erfolgte  Versifikation  aufrichtig  bedauert,  so  sind  der- 
gleichen Äufserungen  doch  immerhin  nicht  bestimmt  genug,  um 
über  dieses  Kritikers  eigenes  Urteil  von  Klopstocks  dramati- 
schen Verdiensten  ins  klare  zu  kommen. 

Über  Klopstocks  Bardiete,  mit  denen  ja  ohnehin  der  Dich- 
ter erst  spät  in  die  Öffentlichkeit  trat,  ist  als  solche  uns  kein 
Urteil  zu  Gesicht  gekommen.  Corniani  erwähnt  wohl  sein 
„Poema,  intitolato  Bardiet  o  sia  la  battaglia  di  Arrainio",  knüpft 
aber  daran  keinerlei  beurteilende  Bemerkung.  Dafs  Klopstocks 
immerhin    nicht  erfolglose    Bemühungen,    dem    deutschen    Volke 


256  Doutsche  Kultur  und  Litteratur  des  18.  Jahrhunderts 

wieder  Mut  und  Selbstvertrauen  zu  geben,  in  ihm  den  Glauben 
an  den  Adel  deutscher  Gesinnung  und  Sitte  wieder  zu  wecken, 
seiner  Poesie  „die  Seele  einzuhauchen",  im  Auslande  seinerzeit 
nicht  anerkannt  wurden,  ist  w^ohl  kaum  zu  verwundern  ;  auch 
uns  Deutschen  ist  ja  erst  lange  nach  Klopstocks  Tode  die  bei 
allen  Schwächen  hohe  Verdienstlichkeit  seines  patriotischen  Wir- 
kens ins  Bewufstsein  getreten! 

Wie  in  Deutschland,  so  hat  auch  in  Italien  die  kleine  Zahl 
von  Anhängern,  welche  man  wenigstens  mit  Rücksicht  auf 
Klopstocks  Lyrik  zu  einer  Schule  seines  Namens  vereinigen 
könnte,  wenig  Anerkennung  gefunden.  Hatten  doch,  wie  das 
so  oft  geschieht,  auch  Klopstocks  Bewunderer  gerade  die  auf- 
fälligen Seiten  und  Neigungen  seines  dichterischen  Schaffens 
zu  kopieren  und  —  freilich  ohne  ihres  Vorbildes  innere  Berech- 
tigung hierzu  —  fortzubilden  sich  bemüht,  Neigungen,  welche 
dem  italienischen  Naturell  überaus  wenig  sympathisch  sein 
konnten!     So  wird  denn  von  allen  Klopstockschen  Nachahmern 

—  wir  haben  hier  besonders  jenen  „vertrockneten  Zweig  unse- 
rer Litteratur",  die  Bardendichtung,  im  Auge  —  eigentlich  nur 
Denis,  und  auch  dieser  nur  von  Andres  und  Denina  als  her- 
vorragender Dichter  genannt;  von  ersterera  wegen  einer  ge- 
wissen Gefälligkeit  und  Anmut  der  Darstellung,  welche  man  in 
der  deutschen  Sprache  vordem  lange  vergebens  gesucht;  von 
letzterem  einmal  um  seiner  Übersetzung  des  Ossian  willen,  die 
ihm  einen  Vergleich  des  „Druiden  an  der  Donau"  mit  dem 
seinerzeit  gefeierten  italienischen  Ossianübersetzer  Cesarotti  nahe 
legt,  dann  aber,  um  mit  seiner  und  mehrerer  anderer  österreichi- 
scher Dichter,  wie  Blumauers,  Mastaliers,  Sonnenfels'  Namens- 
nennung das  nach  seiner  Ansicht  unbegründete  Vorurteil  von  einer 
Inferiorität  der  geistigen  Atmosphäre  Wiens  Berlin  gegenüber 
zu  entkräften,  für  die,  wenn  sie  wirklich  vorhanden,  in  jedem 
Falle  die  Ursachen  ganz  wo  anders    zu  suchen  seien,   als  etwa 

—  das  Cölibat  ausgenommen  —  in  religiösen  Verhältnissen 
oder  einem  sittlich-intellektuellen  Defekte. 

Man  hat  es  mit  Recht  als  einen  Vorzug  der  Wielandschen 
Muse  stets  betrachtet,  dafs  dieselbe  mit  dem  ihr  eigenen,  im 
Gegensatze  zu  Klopstock,  dem  Patrioten,  weltbürgerlichen  Sinuc 
inid  Wesen,  mit  der  Gefälligkeit,  ja  Zwanglosigkeit  ihrer  Dar- 


im  Lichte  der  zeitgenössischen  italienischen  Kritik.  257 

Stellung  —  fino  e  gentile  nennt  sie'Bertöla  — ,  mit  der  aus  ihr 
atmenden,    heiter    sinnlichen,    realistischen   Lebensauffassung  — 
„leggiadramente  giuocare    colle  Grazie"    nennt    es   Andres,  ,.vo- 
luttuosa    morbidezza"  Zanella  — ,  mit    ihrem    dem  Naturell    des 
Südländers    so    willkommenen    graziösen    Humor,    ihrer   schalk- 
haften Skepsis  ganz   besonders   o-eeisznet  gewesen  sei.  die  roma- 
nische  Welt  an  Deutschlands  erwachter  litterarischer  Schaffens- 
kraft dasjenige  Interesse  gewinnen  zu  lassen,  welches  die  starre 
Form    und    der    spröde    Stoff   der    Klopstockschen    Dichtungen 
allerdings    einzuflöfsen    nicht    vermocht    hatten ;    und    wenn    wir 
den    modernen    italienischen    Litteratoren    glauben    wollen,    hat 
gerade    der    Umstand,    dafs    Wieland    in    der    Eigenart    seines 
Denkens  und  Empfindens  so  wenig    deutsch  war,    dem  übrigen 
Europa  die  Bekanntschaft   mit    unserer  Sprache   und  Litteratur 
in  erster  Linie  vermittelt.     Um    so  mehr  niufs   es  mit  Verwun- 
derunor    erfüllen,    dafs    die    italienische    Kritik    in     so    gerinofem 
Mafse    von    Wielands    Leistungen,     selbst     den    besten,    Notiz 
nimmt.    —    Eine    kurze,     mehr    skizzierende    als    erschöpfende 
Kritik  der  im  Banne    der  Seraphik    entstandenen   Wielandschen 
Jugendschriften     giebt    in    der    Nuova    Raccolta    Corniani.     Er 
macht  unter   ihnen    das  didaktische  Gedicht    „die  Natur"    nam- 
haft,   in    welchem    sich     Wieland    als    einen    „enucleatore"   des 
Lukrez    beweise,    dann    „Moralische    Briefe",    jene    Kopie    der 
Ip,    „Epitres  diverses"  des  Landdrosten  von  Bar,  und  „Anti-Ovid", 
gedenkt    des    gastlichen    Aufenthalts,     den    der    Dichter    durch 
Bodmer  in  Zürich  gefunden,  und    der  von  dort  aus  publizierten 
Schriften:    „Briefe    von    Verstorbenen",    in    denen    Wieland    die 
„Friendships   in  death"    der  gefeierten    Rowe  nachahmte,    nennt 
das  Fragment  gebliebene  Gedicht  „Cyrus",    in  welchem    er  das 
Ideal  eines  Helden   und  Regenten    zu  zeichnen    unternahm,    das 
Trauerspiel  „Johanna  Gray"  —  als  einen    „meschino  tentativo" 
charakterisiert  es  ein  moderner  Litterarhistoriker  mit  Recht   — , 
sowie   endlich    „Poetische  Schriften";   letztgenanntes    Werk    be- 
trachtet   er   als    eine  Nachahmung    der   Thomsonschen    „Jahres- 
zeiten", nicht  blofs  was  die  in   ihnen  dargestellten  „interessant! 
avventure  patetiche,    consecrate    all'   amore,    alla   sensibilitä,    all' 
amicizia"    anlange,    sondern    auch    in    der    Kunst    der  Beschrei- 
bung, in  der  Kraft,  Schönheit  und  Mannigfaltigkeit  der  Farben- 
Archiv  f.  n.  sprachen.  LXXV.  17 


258  Deutsche  Kultur  und  Litttratur  des   18-  Jahrhunderts 

abtönung.  Das  letzte  der  von  ihm  besprochenen  Werkelten  sind 
die  „Gedanken  über  eine  alte  Inschrift";  er  bezeichnet  es  als 
eine  moralische  Schrift,  in  welcher  der  Dichter  die  menschlichen 
Charaktere,  ihre  Denk-  und  Handlungs weise  und  die  Rücksich- 
ten  bespreche,  aus  denen  man  zu  dem  Entschlüsse  gelangen 
könne,  sich  der  Sorge  und  des  Argers  über  fremden  Leumund 
zu  entschlagen.  —  Von  dem  Beifall,  den  Wieland,  und  zwar 
angeblich  in  weit  stärkerem  Mafse  als  Klopstock,  bei  Lebzeiten 
gefunden,  bekommen  wir  eine  Andeutung  vom  Herausgeber  der 
Frugonischen  AVerkc,  der  ihn  als  Vertreter  der  Erotik  bewun- 
dert; dann  aber  berichtet  hierüber  auch  Denina  mit  dem  Hin- 
zufügen, dafs  der  Dichter  sein  frivoles,  mutwilliges  Zeitalter 
mit  seinem  Verlangen  nach  anderen  dichterischen  Objekten, 
anderer  Schreibweise,  anderer  Versbildung,  als  sie  Klopstock 
und  Bodmer  geboten,  klar  erkannt  und  es  daher  für  richtiger 
gehalten  habe,  den  Spuren  des  leichten,  gefälligen  Messer  Lo- 
dovico  (Ariost)  als  des  würdigen,  ernsten  Tasse  zu  folgen.  — 
Denina  selbst  findet,  so  oft  er  auch  Wielands  Erwähnung  thut, 
und  bei  aller  Anerkennung^  mit  alls^emeinen  Redewendungen 
lobender  Tendenz,  W^ieland  doch  nur  als  Dichter  des  Oberen 
nennenswert,  weshalb  er  ihn  einmal  schlechthin  als  einen  „poeta 
epico  semicomico"  bezeichnet,  der,  wie  von  ihm  in  derselben 
Schrift  betont  wird,  in  diesem  seinem  Werke  mit  Erfolg  die 
„Feerie"  wieder  zu  Ehren  gebracht  habe,  wenngleich,  wie  er 
wunderlicherweise  meint,  nicht  zu  leugnen  sei,  dafs  dieselbe 
einem  „edlen  und  wahrliaft  heroischen"  Gegenstande  nicht  an- 
gemessen erscheine;  wie  denn  überhaupt  die  Wahl  eines  Sujets 
in  dieser  glaubens-  und  phantasielosen  Zeit  äufserst  schwer  sei, 
in  welcher  Engel,  Heilige,  Zauberer  und  Teufel  all  den  Kredit, 
den  sie  zur  Zeit  Tassos  und  Miltons  besessen,  hätten  preis- 
geben müssen!  Gäbe  es  doch  thatsächlich  kaum  Helden  oder 
Ereignisse  mehr,  welche  einen  grofsen  Teil  der  Christenheit  in 
dem  Maf?e  zu  interessieren  vermöchten,  wie  die  Eroberung  des 
heiligen  Landes  zur  Zeit  Pius  V.,  der  Sündenfall  in  dem 
„siecle  theologique"  Cromwells,  die  Bürgerkriege  Frankreichs 
beinahe  noch  jetzt  einen  grofsen  Teil  Europas!  Dafs  im  Gegen- 
sätze zu  der  zeitfjenössischen  öffentlichen  Meinung  Wieland, 
wie  man    höre,    nichts    mit  Ariost    gemein    haben,    sondern    mit 


im  Lichte  der  zeitgenössischen  italienischen  Ki'itik.  259 

seinem  Oberon,  übrigens  einem  ,.joli  poeme"  eine  originale  Lei- 
stung geboten  haben  wolle,  kann  üenina  nicht  zugeben;  viel- 
mehr nimmt  er  ihn  etwaigen  Angriffen  gegenüber,  welche  auf 
diesen  „celebratissirao  e  certamente  maraviglioso  autore"  wegen 
seiner  den  Italienern  Ariosto,  Pulci,  Fortiguerra  geleisteten  Ge- 
folgschaft etwa  gemacht  werden  köimten,  mit  dem  Nachweise 
in  Schutz,  dafs  auch  die  Voltairesche  „Pucelle"  durchaus  nicht 
original,  sondern  ganz  und  gar  in  der  Manier  der  Italiener  ge- 
dichtet worden,  überdies  die  Originalität  nicht  als  das  einzige 
Kriterion  der  Vollendung  zu  betrachten  sei.  Ja,  so  unum- 
stöfslich  ist  diese  seine  übrigens  vollkommen  begründete  Mei- 
nung von  Wielands  Nachahmung  italienischer  Autoren,  dafs  er 
fast  triumphierend  dieselbe  als  einen  Beweis  mehr  für  den  ge- 
ringen Einflufs  anführt,  den  Voltaire  auf  die  Entwickelung  des 
deutschen  Geschmackes  geübt  habe.  ;,Die  Pucelle",  ruft  er 
aus,  „ist  nur  allzu  eifrig  in  Deutschland  gelesen  worden,  und 
doch,  wo  ist  ein  deutsches  Gedicht,  das  in  diesem  Geschmacke 
gedichtet  worden  und  auch  nur  einigermafsen  Beifall  gefunden 
hätte?  Ohne  Zweifel  hat  der  Verfasser  des  Oberon  Voltaire 
gelesen;  kann  man  aber  sagen,  dafs  er  ihn  gerade  als  Vorbild 
genommen  und  nicht  vielmehr  Ariost,  Tassoni  und  Fortiguerra?" 
—  Aber  so  hoch  auch  Denina  den  Oberon  stellt,  so  wenig  ver- 
mag er,  wie  aus  einer  anderen  Stelle  erhellt,  seinem  Agathon, 
dessen  auch  Andres,  ohne  eine  Kritik  beizufügen,  gedenkt,  rech- 
ten Geschmak  abzugewinnen.  Er  vermifet  in  ihm,  diesem  Ab- 
güsse von  griechisch  verkleideter  Shaftesbury- Voltairescher 
Tagesphilosophie,  jene  „force  d'imagination",  jene  Phantasie, 
welche  den  Romanen  anderer  Nationen  eigen,  und  glaubt  den 
Grund  für  diesen  Mangel,  welcher  die  deutsche  Romandichtung 
überhaupt  charakterisiere,  vorzugsweise  in  der  Kleinheit  des 
Gesichtskreises,  in  dem  geringen  Suceurs  grofser,  sei  es  j^oli- 
tischer,  sei  es  moralischer  Gesichtspunkte  suchen  zu  müssen, 
der  ebenso  wie  in  den  Universitätsstädten  auch  in  den  Resi- 
denzen Deutschlands,  Wien  etwa  ausgenommen,  einem  derarti- 
gen Dichter  zur  Verfügung  stehe.  Auch  der  Umfang  der 
deutschen  Romane,  im  eigentlichen  Sinne  gesprochen,  genügt 
Denina  nicht.  Wohl  müsse,  führt  er  aus,  die  deutsche  Nation 
sich  Glück    wünschen,    nicht  solche  Romane    wie    beispielsweise 

17* 


260  Deutsche  Kultur  und  Litteratur  dos  18.  Jahrhunderts 

die  von  Crebillon  fils  aufweisen  zu  können ;  aber  wie  es  un- 
bestritten sei,  dals  ein  Roman  stets  mit  dem  Charakter  der 
Nation,  in  deren  Bereich  seine  Helden  lebten  und  wirkten,  und 
zwar  so  wie  der  Erzähler  ihn  kennen  gelernt,  in  engstem  Zu- 
sammenhange stehe;  wie  beispielsweise  die  moderne  venetiani- 
sche  Romandichtuns:  fast  lediglich  von  den  „filles  de  theätre" 
zu  handeln  pflege:  so  atmeten  die  wenigen  Erzählungen  dieses 
Genres,  welche  Deutschland  aufzuweisen  habe,  fast  durchweg 
den  Duft  jener  engbegrenzten  Sphäre,  in  der  ihre  Verfasser  zur 
Zeit  ihrer  dichterisch  schaffenden  Thätigkeit  sich  bewegt  hätten. 
So  interessant  Romane  wie  Werthers  Leiden,  Wilhelmine, 
Sophie  dem  Leser  seien,  sie  seien  doch  nur  klein  im  Verhält- 
nisse zu  denen  anderer  Nationen,  und  London  und  Paris  för- 
derten in  sechs  Wochen  deren  so  viel  ans  Tageslicht  wie 
Deutschland  in  sechs  Jahren.  Vielleicht  werde  —  damit  schliefst 
Denina  diese  interessante  Auseinandersetzung  — ,  wie  einst  für 
England,  das  ja  ebenfalls  vor  dem  Eintritte  in  seinen  welt- 
erobernden und  -beherrschenden  Beruf  ein  Theater  wohl,  aber 
keinen  Roman  besessen,  eo  auch  für  Deutschland,  wenn  es  erst 
die  Gelegenheit  zu  reisen  und  sich  auszubreiten  besitze,  eine 
Zeit  heranbrechen,  in  welcher  es  an  Romanen  so  reich  sein 
werde  wie  an  Erzeugnissen  strenger  Gelehrsamkeit.  Wir  den- 
ken,  die  Litteraturgeschichte  hat  diesem  Voraussehen  des  wacke- 
ren Abate  nur  allzusehr  recht  gegeben! 

Den  Vorwurf  geringerer  Originalität,  beschränkten  Ge- 
sichtskreisej=,  aufserdem  aber  der  Mattheit  des  Gefühls  wie  des 
Ausdrucks,  dazu  einer  schleppenden  Entwickelung,  innerer  Un- 
wahrscheinlichkeit  der  Handlung  und  bedenklicher  Annäherung 
an  Plattheiten,  ja  Gemeinheiten,  macht  Denina  auch  dem  schon 
oben  genannten  Her  messchen  Roman  „Sophie",  den  er  aber 
mit  Recht  nicht,  wie  wir  dies  gern  thun,  als  eine  Frucht  Wie- 
landschen  Einflusses,  sondern  der  Nachahmung  Richardsons 
und  seiner  Familienromane  betrachtet.  Überhaupt  ist  von  einer 
Wielandschen  Schule  oder  Gruppe  in  dem  bei  uns  noch  hier 
und  da  gebräuchlichen  Sinne  weder  bei  Denina  noch  sonst  wo 
die  Rede,  und  das  Staelsche  Wort,  dafs  Wieland  der  erste 
und  der  letzte  deutsche  Dichter  der  französischen  Schule  des 
18.  Jahrhunderts  geblieben  sei,  hatte  wohl  schon,    ehe    es    aus- 


iiu  Lichte  der  zeitgenössischen  italienischen  Kritik.  2G1 

gesprochen,  bei  der  italienischen  Kritik  seine  Geltung  besessen. 
Denn  auch  der  andere  Nachahmer  Wielands,  H.  v.  Thünimel, 
den  übrigens  Denina  bei  Gelegenheit  der  Vermählung  des  Erz- 
herzogs Ferdinand  in  Mailand  persönlich  kennen  lernte,  findet 
mit  seiner  „Wilhelmine",  einem  „joli  petit  roman",  wie  Denina 
sich  ausdrückt,  diesem  „wahren  Meisterstücke  einer  komischen 
Epopöe,  die  mit  -ihrem  schalkhaften,  satirischen  Genius  sogar 
die  Blicke  des  Auslandes  auf  sich  gezogen",  wie  sie  ein  deut- 
scher Litterator  des  18.  eJahrhunderts  besang,  nur  als  Einzel- 
erscheinung, nicht  aber  im  Schatten  Wielands  Beachtung.  — 
Von  Blumauer  in  Wien  behauptet  Denina  in  Dresden  ge- 
hört zu  haben,  wobei  ihm,  dem  Bekämpfer  des  Cölibats  von 
alters  her,  besonders  der  Umstand  Interesse  einflöfst,  dafs  die- 
ser, gleich  Clem.  Bondi  Exjesuit,  die  Absicht  habe,  sich  zu 
verehelichen.  Auch  seine  dichterische  Thätigkeit  ist  Denina  zu 
Ohren  gekommen  ;  sie  führt  ihn  zu  einem  Vergleiche  mit  Lalli 
(geb.  1572,  Vertreter  der  poesia  Bernesca  und  Verfasser  einer 
Aneistravestie)  und  Scarron  und  läfst  ihm  die  spöttische  Be- 
merkung entschlüpfen,  so  seien  denn  die  Jesuiten  (er  schrieb 
dies  einige  Jahre  nach  Aufhebung  ihres  Ordens)  drauf  und 
dran,  nicht  nur  ihre  „zaccherose- sottane  ed  i  cappelloni",  son- 
dern auch  endlich  ihre  mandarinenhafte  Gravität  abzulegen. 

In  welch  tiefem  Gegensatze  die  vornehmlich  auf  die  Sinne 
wirkende  dichterische  Art  Wielands  und  seiner  wenigen  Nach- 
ahmer  zu  der  fast  ausschliefsHch  der  Empfindung  hingegebenen 
Klopstockschen  Gemeinde  sich  befand,  hat  Denina,  wie  oben 
angedeutet,  mit  einer  für  den  Ausländer  anerkennenswerten 
Klarheit  erfafst;  auch  die  schwärmerische  Begeisterung,  welche 
der  Göttino;er  Bund  für  den  nordischen  Sänger  in  ebenso 
naiver  wie  ostensibler  Form  an  den  Tag  legte,  ist  ihm  nicht 
unbekannt  geblieben ;  nur  dafs  ihm  der  Irrtum  begegnet  — 
ohne  ein  solches  kleines  Malheur  geht  es  bei  solchen  Angaben 
selten  für  ihn  ab  — ,  das\Präsidium  dieses  „poetischen  Kon- 
gresses" dem  Grafen  Dalberg  (soll  heifsen  Stolberg)  zu  über- 
tragen, den  Sitz  des  Kapitels  aber  „in  Wernigerode  im  Halber- 
städtischen" zu  suchen.  Leider  ist  Denina  —  denn  er  allein 
kommt  hier  in  Betracht  —  weder  die  Stelluno;  der  einzelnen 
Glieder   des  Bundes   zu   der    von   letzterem    geltend   gemachten 


■2{'r2  Deutsche  Kultur  und  Litteratur  des  18.  Jahiliundeits 

dichterischen  Idee  zum  Bewufstsein,  noch  sind  die  Wandelungen 
in  dem  persönlichen  Verhältnisse  der  Spitzen  des  Bundes  zu- 
einander, noch  endlich  die  Eigenart  ihres  poetischen  Schaffens 
zu  seiner  Kenntnis  gekommen,  überhaupt  aber  aus  diesem 
Kreise  ihm  nur  Bürger  und  Vofs  und,  wenn  man  den  einzig 
treugebliebenen  Freund  des  erstereu  hinzuziehen  darf,  dank 
seiner  „Lieder  zweier  Liebenden"  als  auteur  sentimental 
Göckingk  bekannt.  \^on  Bürgers  Privatleben  berichtet  De- 
nina  1791,  er  mache,  obwohl  er  in  Göttingen  nur  „des  le^ons 
particulieres"  erteile,  dort  ebenso  „Figur"  wie  die  berühmtesten 
Professoren  dieser  angesehenen  Universität ;  auch  bespricht  er 
sein  Verhältnis  zu  Elise  von  der  ßecke,  Stiefschwester  der 
Herzogin  von  Kurland,  aus  deren  Teilnahme  für  ihn  wie  für 
die  Ramlersche  und  Klopstocksche  Muse  er  als  Feind  aller 
„educazlone  conventuale"  die  weitgehendsten  Schlufsfolgerungen 
auf  die  Bildung  und  das  Bildungsbedürfnis  der  deutschen 
Frauen  überhaupt  zu  ziehen  Anlafs  nimmt.  —  Wie  sthr  die 
Vorliebe  für  englische  Dichtung  in  Deutschland  heimisch  ge- 
worden, in  dem  Mafse,  dafs  „i  maggiori  lumi"  der  deutschen 
Gelehrtenrepublik  es  für  ihre  Pflicht  gehalten,  sich  dem  Publi- 
kum mit  irgend  einer  Übersetzung  aus  Pope,  Thomson,  Shake- 
speare, Sherlock,  Sharpe  und  sogar  aus  dem  „Fanatiker  For- 
ster" zu  präsentieren,  wie  dieses  Studium  auch  auf  Bürgers 
volkstümliches  Dichten  eingewirkt,  wie  er  infolgedessen  als  ein 
wenn  auch  viel  angefeindeter  Pionier  der  Volksdichtung  für 
Deutschland  anzusehen  sei,  darüber  berichtet  Denina;  und  dafs 
nach  dem  Tode  dieses  „tutto  Tedesco"  seine  dichterischen  Pro- 
dukte auch  in  Italien  Eingang  gefunden  haben  und  unter  an- 
deren Giov.  Berchet  mit  seiner  Übersetzung  der  „Lenore"  und 
des  „wilden  Jägers",  die  in  dem  „Conciliatore"  von  1818  er- 
schien, den  Zorn  Montis  erregte,  ist  eine  mehrfach  beglaubigte 
und  80  bedeutsame  Thatsache,  dafs  sich  gerade  an  diesen  Ver- 
sionen in  Italien  der  Streit  zwischen  Klassizismus  und  Ro- 
mantik entzündet  hat.  Dafs  aber  schon  während  seines  Lebens 
in  Bürgers  Dichtungen  jener  „milde,  sich  immer  gleich  blei- 
bende, männliche  Geist"  vermiföt  wurde,  der,  nach  Schillers 
Worten,  „auch  in  der  vertrautesten  Gemeinschaft  mit  dem  V'olke 
nie   seine   himmlische   Abkunft   verleugnet":    das   erkennen    wir 


im  Lichte  der  zeitgenössischen  italienischen  Kritik.  263 

aus  der  Deninaschen  Vergleichung  seines  poetischen  Genres 
mit  dem  eines  Berni  oder  Scarron;  ein  Urteil,  das  sich  freilich 
weniger  auf  seine  bänkelsängernden  Balladen  als  auf  die  falsche 
Annahme,  er  habe  nicht  eine  Übersetzung,  sondern  eine 
Travestie  der  Ilias  geschrieben,  zu  stützen  scheint. 

Ob  Vofs  und  seine  „admirable  traduction  d'Homere",  eine 
Übertragung,  die  man  der  Popeechen  gleichstellte,  in  der  That 
ohne  Klopstocks  Messias  das  nicht  geworden  wären,  was  sie 
wurden,  wie  es  Denina  als  seine  und  seiner  deutschen  Zeit- 
genossen Überzeugung  ausspricht,  mag  mit  Recht  auch  heute 
noch  als  kontrovers  gelten :  sicher  ist,  dafs  Vofs  dem  Auslande 
durch  sie,  und  zwar  nur  durch  sie  so  bekannt  geworden,  dafs 
Gius.  Maffei  neuerdings  auch  die  Verdienste  der  Montischen 
Homerversion  im  wesentlichen  auf  Vofs'  Vorgang  zurückzufüh- 
ren geneigt  gewesen  ist.  „Tutto  Greco"  nennt  denselben  ein 
anderer  moderner  Litterator,  Zanella,  und  meint,  diese  Vertraut- 
Iieit  mit  dem  Wesen  und  Schaffen  der  Alten  in  seinen  Idyllen, 
die  an  Theokrit  und  Bion  erinnerten,  in  gleichem  Grade  erken- 
nen zu  können,  wie  in  seiner  Homer  und  Vir^il  abfrelernten 
geschickten  Handhabung  des  epischen  Verses. 

So  rühmenswert  nach  unseren  bisherigen  Beobacht untren 
im  allgemeinen  die  Diskretion  war,  mit  welcher  seitens  der 
italienischen  Kritik  die  religiöse  oder  kirchliche  Ei!j;enart  der 
Vertreter  unseres  Parnasses  als  bestimmendes  Moment  der  Be- 
urteilung behandelt  wurde,  so  wenig  ist  es  zu  bezweifeln,  dafs 
religiöse,  oder  besser  gesagt  kirchliche  Voreingenommenheit  bei 
dem  Urteile  einiger  italienischer  Zeitgenossen  über  Lessing, 
den  „parcus  deorum  cultor  et  infrequens",  selbst  auf  Gebieten, 
wo  die  Religion  imr  unmittelbar  oder  orar  nicht  in  Betracht 
kommt,  vielfach  die  Feder  geführt  oder  doch  mindestens  die 
Kritik  bestimmt  hat.  Denn  wenn  selbst  ein  INJann  eo  milden 
Sinnes,  wie  Abbe  Denina,  der  das  Splnozasche  „actiones  hu- 
manas  neque  ridere  neque  lugere  neque  detestari,  sed  Intelle- 
gere" zur  Richtschnur  seines  Urteilens  gemacht  zu  haben 
scheint,  ein  Mann,  dem  eigene  bittere  Lebenserfahrung  über 
pfäffischen  Zelotismus  die  Augen  geöffnet,  bei  Besprechung  der 
Relmarusschen  Frao-mente  und  der  aus  ihrer  Herausgabe  resul- 
tierenden  Kontroversen   mit  Göze    die  Bemerkuns    nicht    unter- 


26'4  Deutsche  Kultur  und  Litteratur  des  18.  Jahibunderts 

drückt,  man  könne  nicht  leugnen,  dafs  Lessing  in  seinen  letz- 
ten Jahren  zur  Erschütterung  der  Grundfesten  der  Kirche  viel 
beigetragen  —  ein  Vorwurf,  der  sich  an  einer  anderen  Stelle 
desselben  Werkes  mit  dem  Hinweise  auf  Lessings  Laiencharak- 
ter wiederholt ;  Menn  er  über  den  Nathan,  dieses  „dramma  sui 
generis",  wie  es  de  Gubernatis  nennt,  auch  nicht  ein  Wort 
der  Kritik,  weder  tadelnder  noch  lobender,  zu  finden  weifs,  es 
aber  der  Erwähnung  für  wert  hält,  dafs  Lessing  mit  Juden  und 
Jüdinnen  viel  verkehre,  wenn  ferner  ßettinelli  noch  im  Jahre 
1775,  als  Lessing  längst  seine  Minna  und  Emilia  geschrieben, 
das  Tendenzdrama  desselben,  „Die  Juden",  aus  der  Vergessen- 
heit, der  es  damals  schon  anheimgefallen,  hervorzieht,  um  aus 
der  „insipidezza"  dieses  und  des  „Schatz",  des  trotz  antiken 
Vorbildes  notorisch  unbedeutendsten  unter  Lessings  dramatischen 
Erstlingswerken,  die  Unfähigkeit  Deutschlands  überhaupt  zu 
dramatischer  Bedeutung  nachzuweisen :  dann  mufs  allerdings 
die  Vermutung  nahe  liegen,  als  habe  denn  doch  wohl  die 
Strenjje  religiöser  Auffassung  dem  Urteile  über  den  Dichter 
Lessing  mehr  denn  billig  die  Feder  geführt!  —  Aber  Denina 
wird  doch  nicht,  wie  Bettinelli,  geradezu  ungerecht,  und  der 
Eindruck,  den  er  von  ihm  bei  wiederholten  persönlichen  Be- 
gegnungen in  Turin  1775  (bei  Gelegenheit  seiner  mit  Prinz 
Leopold  unternommenen  Heise)  erhalten,  ist  immerhin  ein  so 
nachhaltig  bedeutender  gewesen,  dafs  er  noch  zehn  Jahre  nach 
Lessings  Tode  sich  gewisser  Einzelheiten  ihrer  Gespräche 
genau  zu  erinnern  vermag.  Mit  Bewunderung  erfüllen  ihn  un- 
seres Dichters  umfassende  Kenntnisse,  selbst  in  der  italienischen 
Litteratur;  mit  Befremden  hat  er  —  denn  den  durch  Lessings 
Kreuz-  und  Querzüge  sich  schlingenden  roten  Faden  des  Er- 
kenntnisdranges konnte  der  Ausländer  nicht  wahrnehmen!  — 
des  Dichters  Neigung  bemerkt,  a  changer  de  place  et  d'occu- 
pation :  habe  Lessing  doch,  wie  er  ihm  selbst  versichert,  noch 
nicht  ein  einziges  Mal  drei  Jahre  lang  in  derselben  Stel- 
lung ausgehalten  und  eben  damals  wieder  den  Gedanken  ge- 
hegt, Braunschweig  zu  verlassen  und  Theaterdirektor  in  Mann- 
heim zu  werden!  Aus  voller  Überzeugung  aber  bezeichnet  er 
ihn  als  den  bahnbrechenden  Schöpfer  der  deutschen  Sprache  — 
er  hat  hier  vorzugsweise  die  Prosa  im  Auge  —  und  Litteratur. 


im  Lichte  der  zeitgenössischen  italienischen  Kritik.  '265 

In  erster  Linie  gebührt  dieser  Ruhm  der  von  Lessing  zu 
dem  Range  einer  Wissenschaft  erhobenen  ästhetischen  Kritik, 
die,  wie  G.  Capponi  sich  ausdrückt,  mit  der  ihr  eigenen  „ele- 
vatezza"  im  stände  war,  „sein  ganzes  Jahrhundert  mit  letterati 
zu  befruchten".  In  diesem  Sinne  macht  Corniani  den  kritischen 
Wegweiser  seiner  Nation  als  den  Herausgeber  der  Dichtungen 
von  i\I.  Opitz,  Denina  der  Werke  Logaus  namhaft,  über  dessen 
Schreibart  er  „Reflexionen"  angestellt  habe;  letzterer  hebt  auch 
die  Bedeutung  der  Litteraturbriefe  gebührend  hervor,  bespricht 
den  tiefen  Eindruck,  den  sein  Laokoon,  diese  erste  Urkunde 
der  neuen  Ästhetik,  auf  die  zeitgenössische  wissenschaftliche 
Welt  gemacht,  einen  so  tiefen,  dafs  man  Lessing  von  da  ab 
als  „le  plus  profond  litterateur  de  l'Allemagne"  und  als  den 
betrachtet  habe,  „qui  avait  le  plus  de  goüt".  Er  versichert 
dann,  sein  in  der  „Dramaturgie"  geführter  erfolgreicher  Kampf 
gegen  den  Regelzwang  französischer  Dramatik  und  gegen  fran- 
zösischen  Übermut  überhaupt,  besonders  den  Voltaires,  im 
Verein  mit  den  drei  Letztlingen  seiner  dramatischen  Muse  sei 
es  gewesen,  der  ihm  den  Namen  des  „grofsen  Lessing"  für 
alle  Zeiten  gegeben.  Was  insbesondere  „Laokoon"  anlangt,  so 
war  allerdings,  wenn  auch  ein  so  hervorragender  Kunstkenner 
wie  Ennio  Quir.  Visconti  in  seinen  Schriften  wiederholt  sich 
auf  ihn  als  Autorität  stützte,  das  Ansehen  Winckelmanns  in 
seinem  Adoptivvaterlande  zu  gewaltig,  auch  wohl  die  Eifersucht, 
welche  der  seherische  Enthusiasmus  des  letzteren  der  spiegel- 
klaren Schärfe  des  Lessingschen  Verstandes  gegenüber  empfand, 
zu  grofs,  als  dafs  eine  gerechte,  unbefangene  Würdigung  des 
Meisterwerkes  daselbst  sogleich  hätte  P'ufs  fassen  können. 

Werfen  wir,  ehe  wir  fortfahren,  einen  wenn  auch  nur 
streifenden  Blick  auf  W  inck  elmann  und  die  Stellung,  welche 
derselbe  in  dem  zeitgenössischen  Italien  einnahm. 

Mit  Stolz  erfüllt  es  uns,  dem  Namen  und  noch  jetzt  den 
Manen  Winckelmanns  allenthalben  in  Italien  eine  Verehrung, 
ja  Bewunderung  gezollt  zu  sehen,  welche  über  das  Mafs  her- 
kömmlicher internationaler  Achtung  weit  hinausgeht.  Mag  es 
immerhin  sein,  dafs,  wie  uns  Zanella  versichert,  Winckelmann 
infolge  seines  langen  Aufenthaltes  in  Rom,  seiner  vertrauten 
Freundschaft  mit  den  Kardinälen  Albani,  Archinto  und  anderen 


26G  Deuttche  Kultur  und  Litteratur  des  18.  Jitlubundcrts 

liochangesehenen  Gelehrten  und  Künstlern  des  Südens,  auch  — 
wie  wir  hinzufügen  können  —  auf  Grund  einer  echt  romani- 
schen Denk-  und  Anschauungsweise  „in  qualche  modo"  als 
Italiener  angesehen  werden  kann  ;  mag  man  inuiierhin,  wie  sein 
Biograph  Justi  es  thut,  VVinckelmanns  ßömcrreise  lediglich  als 
die  Korrektur  eines  Versehens  betrachten,  welches  das  Schick- 
sal bei  seiner  Geburt  begangen  hatte;  hat  auch  Hettner  vollauf 
recht,  wenn  er  an  Winckelmann  es  rühmt,  dafs  derselbe  inso- 
fern den  groften  Italienern  des  16.  Jahrhunderts  so  ähnlich 
gewesen  sei,  als  er,  wie  diese,  das  Altertum  nicht  blofs  stu- 
diert, sondern  gelebt  habe;  mag  endlich  Winckelmann  selbst 
es  wiederholt  in  seinen  Briefen  ausgesprochen  haben,  dafs  Rom 
sein  Vaterland  geworden:  in  jedem  Falle  war  er  ein  Deut- 
scher, und  so  wenig  wir  je  daran  gedacht  haben  oder  denken 
können,  etwa  Metastasio,  trotzdem  er  in  dem  deutschen  \A'ien 
weit  langer  gelebt  als  Winckelmann  in  der  ewigen  Stadt,  für 
Deutschland  zu  reklamieren,  so  wenig  w'ird  Winckelmann  auf- 
hören als  ein  Deutscher  angesehen  zu  werden,  auf  welchen  wir 
gerade  Italien  gegenüber  wohl  Anspruch  haben,  recht  stolz  zu 
sein.  —  Wir  Epigonen  kennen  neben  Winckelmanns  aufser- 
ordentlichen  Vorzügen  auch  die  ihm  wie  jedem  Autodidakten 
anhaftenden  Schwächen,  vor  allen  die  seiner  Auffassung  der 
griechischen  Kunstentwickelung  als  einer  von  fremdem  Einflüsse 
unberührt  gebliebenen,  in  sich  abgeschlossenen ;  nicht  unbekannt 
ist  uns  seine  Einseitigkeit,  in  deren  Banne  befangen  er  den 
Dichter  so  tief  unter  den  Plastiker  stellte:  die  Geschichte  der 
bildenden  Kunst  selbst  hat  ja  Lessings  Laokoon  Recht  gegeben ; 
und  wenn  auch  das  bei  ihm  nicht  ganz  zutrifft,  was  einst 
d'Alembert  von  Descartes  sagte:  „apres  avoir  eu  des  sectateurs 
Sans  nombre  il  est  presque  reduit  a  des  apologistes",  so  hat  die 
Nachwelt  sich  von  seinen  Ideen  vielleicht  mehr  als  gut  ist  zu 
emancipieren  gewufst.  Die  Mitwelt  \Mnckelmanns  aber  sah  mit 
bewunderndem  Auf  blick  in  ihm  fast  lediglich  jenen,  wie  sich 
Andres  ausdrückt,  „piü  sodo,  piü  profondo,  piü  compito  anti- 
quario,  che  poträ  forse  chiamarsi  per  distinzione  d'onore  l'anti- 
quario",  einen  Mann,  in  welchem  Geist,  Geschmack  und  Wissen 
sich  auf  das  glücklichste  vereinten,  um  aus  ihm  den  vollendet- 
sten Interpreten   und  Richter  der  gesamten  bildenden  Kunst  des 


im  Liclite  der  zeitgenössischen  italienischen  Kritik.  267 

Altertums  zu  machen.  Wenn  Bianconi  den  Einfluf:?,  welchen 
ßaf.  Mengs  „sotto  gli  auspizj"  Archintos  auf  Winckelmann  aus- 
geübt habe,  ein  wenig  übertreibt,  so  dafs  er  unter  anderem  be- 
hauptet, dieser  sei  es  gewesen,  der  den  Doctor  umbraticus  — 
um  mit  Ruhnken  zu  reden  —  von  jener  „scorza  pedantesca" 
zu  befreien  geuufst,  die  demselben  von  der  „Nöthnitzer  Einsam- 
keit" her  eigen  gewesen ;  so  mag  dies  der  Begeisterung  des 
Lobredners  für  seinen  so  hoch  verehrten,  zu  früh  dahingeschie- 
denen Freund  zu  gute  gehalten  werden  :  giebt  er  ja  doch  gleich 
darauf  zu,  dafs  die  „penetrazione",  welche  Mengs  in  der  Auffas- 
sung griechischer  Skulpturen  eigen  gewesen,  sich  mit  dem  stren- 
gen Schönheitssinne  und  dem  tiefen  Wissen  Winckelmanns  auf 
das  glücklichste  zu  gemeinsamem  Schaffen  ergänzte,  und,  wenn 
wirklich  einmal  ihre  Auflassungen  sich  widersprochen,  sie  zu 
Kardinal  Albani  „come  al  Paride  della  bellezza"  rekurriert  hätten. 
Als  die  bedeutendste  der  Winckelraannschen  Schriften  gel- 
ten Andres  die  „Monumenti  inediti"  —  als  sein  „Exegi  monumen- 
tum"  bezeichnet  es  Justi  —  ein  Werk,  von  dem  man  sagen  müsse, 
dafs,  trotzdem  das  Feuer  seiner  Phantasie  und  die  Lebendigkeit 
seines  Geistes  ihn  in  demselben  zu  bisweilen  nicht  ganz  begrün- 
deten Behauptungen  fortgerissen,  er  doch  mit  ihm  allein  schon 
eine  neue  Wissenschaft  der  Plastik  geschaffen  habe;  dann  sein 
„Saggio  sull'  architettura  degli  antichi",  vor  allem  aber  seine  Ge- 
schichte der  Kunst  des  Altertums,  „das  edelste  und  interessante- 
ste Werk  der  antiquarischen  Wissenschaft".  Als  dasselbe  1779 
von  dem  Cistercienserkloster  zu  Mailand  in  italienischer  Über- 
setzung ediert  wurde,  glaubten  die  Herausgeber  des  dem  Kardinal 
Albani  gewidmeten  Druckes  sich  dem  landsmännischen  Leser- 
kreise nicht  besser  empfehlen  zu  können  als  mit  der  Bemerkung, 
dafs  es  Italien  nicht  gezieme,  ein  Werk,  welches  der  unsterbliche 
Winckelmann  in  Italien  gedacht,  geschrieben  und  auf  die  dort 
befindlichen  Schätze  des  Altertums  gegründet  habe,  der  fremden 
Sprache  zu  überlassen,  und  eine  Notiz  des  Pisaner  „Giornale  dei 
Letterati"  von  1 780  erklärt,  indem  sie  die  Herausgabe  dieser  Über- 
setzung ankündigt,  man  werde  kaum  irren,  wenn  man  Winckel- 
mann mit  diesem  Werke  dieselbe  Stelluno;  im  Gebiete  der  Kunst 
anweise,  wie  Montesquieu  für  das  Studium  der  Gesetze,  Descartea 
für  das  der  Philosophie.  Nicht  nur  der  sonst  so  mifsgünstige  ßet- 


268  Deutscbo  Kultur  und  Litteratur  des  18.  Jahrhunderts  etc. 

tinelll  nennt  Winckelniann  den  „dottissimo  raaestro"  auf  dem  Ge- 
biete der  Kunst,  sondern  auch  Lombardi  gedenkt  seiner  wiederholt 
in  den  Ausdrücken  lebhaftester  Achtung.  Bei  Erwähnung  einer 
litterarischen  Kontroverse,  welche  der  in  seinen  kunstkritischen 
Aufstellungen  zuweilen  etwas  kühne  „antiquariuolo"  Dom.  Agost. 
ßracci  anläftlich  seines  Sammelwerkes  „Memorie  degli  antichi 
Incisori"'  mit  dem  deutschen  Archäologen  hatte,  und  in  welcher 
der  Italiener  mit  langverhaltenem  Grimme  sich  nicht  entblödete, 
den  Gegner  als  „testa  ridicola  e  non  troppo  esperto  antiquario" 
zu  brandmarken,  tritt  er  seinem  Landsmanne  mit  Entrüstung  über 
diese  „espreseione  insultante  ed  alla  veritä  assolutamente  contraria" 
entgegen  und  erklärt  Winckelmanns  Autorität  auf  diesem  Ge- 
biete für  unantastbar.  —  Interessant  ist,  was  uns  Cam.  Ugoni, 
der  allerdings  mit  seiner  schriftstellerischen  Wirksamkeit  dem  18. 
Jahrhunderte  nicht  mehr  angehört,  über  das  innere  Verhältnis 
Winckelmanns  zu  seinem  Nachfolger  als  Oberaufseher  der  römi- 
sehen  Altertümer,  E.  Quir.  Visconti  —  den  Varro  Italiens  nannte 
ihn  Cassi  —  berichtet :  Während  der  deutsche  Schuhmachersohn, 
führt  er  aus,  des  Geistes  der  Klassiker  voll,  mit  deren  methodi- 
scher Lektüre  er  sein  Wissen  bereichert,  den  systematischen  Geist, 
der  den  Deutschen  eigen  sei,  nach  Rom  gebracht  und  vermöge 
dessen  es  verstanden  habe,  auch  die  Prüfung  und  Erkenntnis 
klassischer  Denkmäler  zu  einem  methodischen  Systeme  zu  gestal- 
ten, in  diesem  „lato  nazionale"  also  Visconti  unbestreitbar  über- 
legen sei,  habe  dieser,  dem  die  schwere  Berufs-  und  Gedanken- 
arbeit seines  Vorgängers  erspart  geblieben,  sich  in  der  glück- 
lichen Lage  befunden,  an  das,  was  jener  geschaffen,  das  Messer 
der  Kritik  zu  setzen,  hier  und  da  den  „tuono  poetico  ed  ispirato" 
des  deutschen  Antiquars  zu  zwar  ebenfalls  eleganter,  aber  doch 
einfacher  und  mafsvoller  Darstellung  zu  dämpfen  und  ohne  jeg- 
liche Herabsetzung  seines  Vorgängers  mit  der  Schärfe  seines 
L^rteils  jenen  bald  übertriebenen,  bald  künstlichen,  bald  gar  visio- 
nären Enthusiasmus  zu  mäfsigen,  vermöge  dessen  Winckelmann 
oft  mehr  in  dem  Marmor  habe  liegen  sehen,  als  in  Wirklichkeit 
in  ihm  sei. 

Dresden.  Dr.  Th.  Thiemann. 

(Schlufs  folgt.) 


Die  Hamlet-Periode  in  Shakspeves  Leben. 


Yon 

Hermann  Isaac. 


III.     Die    Abfassung  des    „Hamlet."  2. 

(Schlafs.) 

Wenn  wir  die  geäammelten  Parallelstellen  zu  Haml.,  unter 
denen  sich  eine  stattliche  Zahl  frappanter  Übereinstimmungen 
finden,  als  Beweismaterial  für  eine  zweifache  Redaktion  des 
Dramas  verwerten  wollen,  so  könnte  jemand  vielleicht  versucht 
sein,  als  leitendes  Princip  für  die  Beweisführung  den  uneinge- 
schränkten Satz  aufzustellen:  Die  Parallelismen  für  Gedanken, 
die  bereits  der  Q.  1  augehören,  müssen  sich  nur  in  früheren, 
die  Parallelismen  zu  Q.  2  ausschliefslich  in  späteren  Dichtun- 
gen finden ;  dann  ist  die  Wahrscheinlichkeit  einer  doppelten 
Redaktion  erwiesen.  Finden  sich  dagegen  Parallelstellen  zu 
Q.  1  auch  in  Dramen  des  17.  und  umgekehrt  Parallelstellen 
zu  Q.  2  auch  in  Dichtungen  des  16.  Jahrhunderts,  dann  ist 
der  gewollte  Beweis  nicht  erbracht.  — 

Das  wäre  indessen  ein  sehr  oberflächliches  Raisonnement : 
so  einfach  lieo^t  die  Sache  nicht,  wie  leicht  einzusehen,  wenn 
wir  die  folgenden  Erwägungen  uns  georenwärtig  halten: 

1)  Es  ist  kein  Grund  vorhanden,  weshalb  Shakspere,  wenn 
er  —  was  durch  meine  300  Beispiele  doch  wohl  hinlänglich 
bewiesen  ist  —  keine  Scheu  vor  Wiederholungen  hatte,  nicht 
einen  Gedanken  aus  der  frühesten  Dichtung  in  der  allerspäte- 
sten  nochmals  verwertet  haben  sollte.  Es  finden  sich  bei- 
spielsweise einzelne  recht  hübsche  Parallelen  zwischen  Oth.  und 
2\L,     Cor.    und    1  FI.    VI.,     Wint.    und    Lu.,    Temp.    und    3Iids, 


270  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

^^  efclialb  sollten  aljo  die  späteren  Diciitungen  nicht  auch  Paral- 
lelismen zu  Q.   1,  die  früheren   zu  Q.  2  enthalten? 

2)  Wäre  Q.  1  ein  authentischer  Druck  nach  einem  Manu- 
skripte des  Dichters,  was  Q.  2  fast  unzweifelhaft  ist,  so  könn- 
ten die  Verbesserungen  und  Erweiterungen  von  Q.  2  genau 
festgestellt  werden.  Da  aber  Q.  1  nur  eine  schmähliche  Ver- 
stümmelung dessen  ist,  was  ein  geschmack-  und  gedankenloser 
Nachschreiber  von  der  Bühne  vernahm,  so  können  wir  ebenso 
wenig  den  Umfang  wie  den  Wert  des  der  Q.  1  zu  Grunde 
liegenden  Schauspiel-Textes  erkennen.  Wir  wissen,  dafs  zahl- 
reiche und  bedeutende  Auslassungen  stattgefunden  haben  müs- 
sen,  um  ein  Shaksperesches  Produkt  bis  zu  diesem  Grade  der 
Unkenntlichkeit  zu  entstellen.  Wenn  also  eine  Stelle  sich  in 
Q.  2  allein  befindet,  so  ist  —  ganz  absolut,  ohne  Rücksicht 
auf  die  speciellen  begleitenden  Umstände  gesprochen  —  damit 
nicht  gesagt,  dafs  sie  nicht  doch  sich  schon  in  dem  der  Q.  1 
zu  Grunde  liegenden  Texte  befunden  haben  möge.  Da  diese 
Annahme  unabweisbar  ist,  so  ist  damit  die  scheinbar  auffal- 
lende Erscheinung  erklärt,  dafs  eine  i^elativ  nicht  unbedeutende 
Zahl  von  Parallelstellen  für  ausschliefslich  der  Q.  2  angehörige 
Gedanken    und  Einkleidungen    sich   in    früheren   Dramen  findet. 

3)  Es  giebt  eine  Reihe  von  Fällen,  wo  sich  für  Stellen, 
die  in  beiden  Qs.  vorkommen,  Parallelen  sowohl  in  Stücken 
des  16.  als  auch  in  Stücken  des  17.  Jahrhunderts  finden.* 
Unter  der  Voraussetzung  einer  doppelten  Redaktion  —  aber 
auch  nur  dann  —  ist  der  Grund  dieser  Erscheinung  leicht  ge- 
fimden :  da  die  Haraletischen  Gedanken  den  Dichter  zu  zwei 
verschiedenen  Perioden  seines  Lebens  lebhaft  beschäftigten,  so 
sind  sie  auch  in  die  zeitlich  getrennten  Produkte  dieser  beiden 
Perioden  übergegangen.  Ebenso  gut  hätten  aber  auch  die  An- 
klänge in  der  ersten  Periode  fehlen  und  sich  erst  in  den  späte- 
ren Bahn  brechen  können ;  und  so  finden  sich  in  der  That  eine 
Anzahl  von  Parallelismen  für  Gedanken,  die  in  beiden  Qs.  ent-  • 
halten  sind,  allein  in  späteren  Dichtungen  r^  sie  wurden  erst 
wiederholt,  als  der  Dichter  sich  zum  zweitenmale  mit  ihnen 
beschäftigte. 


'  174.   180.  220.   232.  2.37.  240.  251. 

-  165.   168.   195.  200.  204.  221.   233.  241.  2G6.  28u.  287. 


Die  namlet-Pcriode  in   Shaksperes  Leben.  271 

Indessen  sind  diese  Erscheinungen  nicht  geeignet,  die  Re- 
sultate meiner  Untersuchuno:  in  Fra^e  zu  stellen.  Formalien 
oder  Gedanken,  die  sich  von  einem  sehr  frühen  in  ein  sehr 
spätes  Produkt  übertragen,  sind  naturgemäfs  äufserst  spora- 
disch. —  Wenn  manche  von  den  Stellen,  die  uns  nur  in  Q.  2 
überliefert  sind,  sich  schon  in  der  ersten  Redaktion  befunden 
haben  mögen,  so  ist  doch  die  unvergleichliche  Mehrzahl  derselben 
sicher  als  neue  Zuthat  zu  betrachten.  Selbst  wenn  wir  die 
Bemerkung  auf  dem  Titel  der  Q.  2  „enlarged  to  almost  as 
much  againe  as  it  was"  nur  als  eine  von  dem  Buchhändler 
beabsichtigte  Empfehlung  dieser  Ausgabe  im  Gegensatz  zu 
Q.  1  auffassen  wollten  —  was  keineswegs  notwendig  ist  — ,  so 
ist  doch  der  quantitative  Abstand  zwischen  Q.  1  und  Q.  2  zu 
grofs  (2146 :  3708  Zeilen);  ^\^  des  Dramas  konnte  der  gewis- 
senloseste Abschreiber  nicht  auslassen ;  mag  er  immerhin  ^  g 
von  dem,  was  er  auf  der  Bühne  hörte,  nicht  zu  Papier  ge- 
bracht haben,  so  würde  dennoch  Q.  2  um  die  Hälfte  länger  sein 
als  die  supponierte  erste  Redaktion.  —  Und  wenn  auch  einige 
Gedanken  der  ersten  Redaktion  durch  die  zweite  in  spätere  Dra- 
men übergegangen  sind;  das  Hauptinteresse  des  Dichters  mufste 
sich  im  Beginn  des  neuen  Jahrhunderts  doch  auf  die  Verfeine- 
rungen und  Erweiterungen  konzentrieren,  die  den  Zweck  seiner 
letzten  Überarbeitung  bildeten ;  diese  Zusätze  müssen  die  An- 
klänge in  den  späteren  Dramen  vorzugsweise  zum  Gegenstande 
haben. 

Das  Princip,  welches  der  von  mir  angewandten  Methode 
zu  Grunde  liegt,  mufs,  wenn  sie  nicht  eine  ganz  verkehrte  sein 
soll,  sich  auch  hier  wie  überall  bewähren:  das  Princip,  dafs 
die  Hauptmasse  der  Parallelstellen  zu  einem  poetischen  Erzeug- 
nis sich  in  den  annähernd  gleichzeitigen  Schöpfungen  finden, 
dafs  sie  je  nach  der  zeitliehen  Entfernung  der  früheren  oder 
späteren  Dichtungen  seltener  werden.  Dieses  Princip  auf  den 
vorliegenden  Fall  angewandt,  müssen  die  Parallelstellen  zu  Q.  1, 
falls  derselben  eine  frühere  Redaktion  zu  Grunde  liegt,  sich 
vorzugsweise  in  Dramen  des  16.,  die  Parallelen  zu  Stellen, 
welche  der  Q.  2  allein  angehören,  sich  vorzugsweise  in  Dramen 
des  17.  Jahrhunderts  finden.  Dafs  dies  thatsächlich  der  Fall 
ist,  dafür  diene  als  demonstratio  ad  oculos  die  folgende  Tabelle 


272  Die  Hnmlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

(S.  274  u.  275),  in  der  !^ämtliche  Parallelstellen  nach  Akten  und 
Scenen  einerseits  und  nach  den  beiden  Ausgaben  andererseits 
geordnet  und  jede  einzelne  ihrer  Bedeutsamkeit  nach  gekenn- 
zeichnet ist.  ^ 

Sehen  wir  uns  die  Tabelle  näher  an,  so  zeigt  sich  uns, 
dafs  die  meisten  Parallelen  zu  Stellen,  welche  sich  in  beiden 
Qs.  befinden,  in  Stücken  des  16.  Jahrhunderts  zu  finden  sind 
(Kol.  IV).  Neun  von  den  hier  angeführten  Parallelismen  gehen 
durch  Q.  2  in  die  späteren  Dramen  über;  sie  sind  kursiv  ge- 
druckt und  erst  in  der  folgenden  Kolumne  mitirerechnet.  Aber 
sie  können  nicht  die  volle  Geltung;  als  Übereinstimmungen  der 
Q.  1  mit  späteren  Dramen  haben  wie  die  in  Kolumne  V  an- 
geführten Stellen.  Deshalb  stehen  den  50  Parallelstellen  der 
früheren  Dichtungen  zu  Q.  1  genau  genommen  nur  11  (und 
nicht  20)  Parallelstellen  in  späteren  Dichtungen  gegenüber:  ein 
sprechendes  Verhältnis. 

Von  den  28  Parallelstellen,  welche  Q.  2  in  früheren  Dra- 
men hat  (Kol.  VI),  gehören  neun  Dichtungen  an,  welche  gegen 
Ende  des  Jahrhunderts  entstanden  sind:  Ca3s.,  H.  V.,  Tw..  Wiv. 
und  den  spätesten  Sonetten.  Diese  Stellen  können  natürlich 
nicht  als  Gewicht  gegen  die  Annahme  einer  zweiten  Redaktion 
im  Beginne  des  17.  Jahrhunderts  in  die  Wagschale  fallen,  da 
die  betreffenden  Dichtungen  der  zweiten  Redaktion  so  nahe 
stehen:  ebenso  wohl  wie  ein  Gedanke  von  Q.  1  in  Cjbs.  oder 
H.  V.  überging,  konnten  sich  Anklänge  von  diesen  Dramen 
nach  Q.  2  fortpflanzen.  Wenn  wir  ferner  bedenken,  dafs  eine 
Anzahl  der  in  dieser  Kolumne  verzeichneten  Stellen  sicher 
schon  in  der  ersten  Redaktion  gestanden  haben  und  von  dem 
flüchtigen  Nachschreiber  derselben  ausgelassen  sind,  so  stellt 
sich  das  Verhältnis  der  Parallelstellen,  welche  Q.  2  im  16.  und 
im  17.  Jahrhundert  hat,  sehr  zu  gunsten  des  von  mir  beabsich- 
tigten Beweises:  Stellen,  die  nur  der  Q.  2  angehören,  finden 
auffallend  zahlreiche  Wiederholungen  in  Dramen  des  17.  »fahr- 
hunderts  (Kol.  VII). 

Betrachten  wir  die  bedeutsamsten  (fett  gedruckten)  Parallel- 

'  Die  unbedeutenden  Ausdrucks-Parallelen  sind  in  Klammern  einge- 
schlossen, die  auffallenden  und  längeren  Wiederholungen  durch  fetten  Druck 
hervorgehoben. 


Die  Hamlet-Periode  in  SLaksperes  Leben.  273 

stellen  für  sieb,  so  sind  sie  für  Q.  1  nur  in  früheren,  für  Q.  2  nur 
in  späteren  Dramen  vertreten,  mit  einer  Ausnahme:  233  Meas. 

Die  achte  Kolumne  ist  trotz  der  geringen  Anzahl  von 
Parallelismen,  welche  ich  für  ausschliefslich  der  Q.  1  angehö- 
rige  Stellen  habe  auftreiben  können,  nicht  zu  übersehen :  es 
wäre  höchst  bedenklich  gewesen  für  den  Erfolg  meines  Beweis- 
Verfahrens,  wenn  Teile,  die  also  nach  meiner  Annahme  nur  in 
der  ersten  Kedaktion  vorhanden  waren  und  in  der  zweiten  vom 
Dichter  aufgegeben  wurden,  dennoch  Nachklänge  in  späteren 
Dichtungen  gehabt  hätten:  diese  Parallelstellen  aber  gehören 
alle  früheren  und  zum  Teil  sogar  recht  frühen  Dramen  an. 

Sehen  wir  uns  die  vorliegende  Tabelle  scenenweise  an,  so 
mufs  die  siebente  Kolumne  von  höchstem  Interesse  sein:  ist  meine 
Annahme  richtig,  so  müssen  diejenigen  Scenen,  welche  in  Q.  1 
und  Q.  2  am  meisten  in  ihren  Fassungen  abweichen,  d.  h.  in 
der  zweiten  Redaktion  die  gröfste  Erweiterung,  die  eingehend- 
ste Bearbeitung  erhalten  haben,  die  meisten  Parallelismen  mit 
späteren  Dramen  aufweisen.  Vergleichen  wir  nun  die  vierte 
mit  der  siebenten  Kolumne,  so  fallen  in  der  letzteren  die  Sce- 
nen II  2,  III  3,  III  4,  IV  7  auf  als  verhältnismäfsig  stark 
mit  Parallelismen  bedacht:  es  sind  in  der  That  diejenigen  Sce- 
nen, welche  die  grÖfste  Umgestaltung  erfahren  haben,  wie  schon 
ein  Blick  auf  die  Zeilenzahl,  noch  mehr  aber  eine  Vergleichung 
des  Inhaltes  lehrt.  —  Die  Scene  I  5  weist  nur  geringe  Ver- 
schiedenheit in  den  beiden  Qs.  auf;  dementsprechend  sind  die 
Parallelstellen  fast  nur  in  früheren  Dramen  zu  finden. 

Wir  können  aber  noch  mehr  ins  Einzelne  gehen,  um  nach- 
zuweisen, dafa  die  Erweiterungen  der  Q.  2  ihre  Anklänge  in 
späteren  Dramen  haben.  In  I  1  enthält  die  Q.  2  einen  länge- 
ren auf  Cassar  bezüglichen  Zusatz,  der  eine  merkwürdige  Wie- 
derholung aus  Cces.  und  einen  Anklang  an  H.  V.  enthält;  gleich- 
zeitig  sind  aus  dieser  revidierten  Scene  zwei  Gedanken  in  Cor. 
und  Mach,  übergegangen.  —  Die  Hof-Scene  I  2  hat  in  ihrem 
ersten  Teile  einschliefslich  des  ersten  Monologes  Hamlets  we- 
sentliche  Veränderungen  erfahren;  für  diesen  Teil  giebt  es  acht 
Parallelstellen  in  Cymh.,  Mach.,  Leai^,  Oth.,  Cor.,  Ant,  daneben 
vier  in  R.  IL,  As,  Ado  (169 — 17^<).  In  dem  darauf  folgenden 
und  die  Scene  beschliefsenden  Gespräche  zwischen  Hamlet  und 

Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXV.  18 


274 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 


Die  Parallelstellen  zu  Hamlet  nach  Akten  und  Scenen  geordnet. 

Alit, 
Sfone. 

Zeilenzahl. 

In  Q.  1  und  Q.  2 

Voninien  vor  Parallelstelleii  zu 
Dichtungen  des 

Nur  in  Q.  2 

Uoniinen  vor  Parallelstellen  zu 
Dichtungen  des 

Nur  in  Q. 

kommen  vor  V 
rallelstellen  z 
Dichtungen  d« 

Q.  1 

Q.  2 

16.  Jahrh. 

17. Jahrh. 

16.  Jahrh. 

17.  Jahrh. 

16.  Jahrh 

1  1. 

140. 

186. 

(164.)  Cics.l  H.IV. 

165.  Cor. 
168.  Macb. 

(166.)  H.  V. 
167.  Caes. 

I  2. 

187. 

274. 

172.  E.  U. 

174.  R.  II.  Lear. 

178.  Ado. 

179.  Ca;s. 

176.  As. 

169.  Cor. 

170.  Macb. 
(171.)  Lear. 
173.  Oth.  Ant. 
175.  Cymb. 
(177.)  Lear. 

1  .5. 

70. 

140. 

180.  Sonn.  c.  1592. 
Gentl.  Meas. 
185.  Sonn.  (c.  1596) 
187.  H.  V. 
(188.)  Ado.  LL. 

191.  Compl. 

John. 
(192.)  2  IL  IV. 

(182.)  Cymb. 
(183.)  Cymb.  Ant. 
184.  Meas.  Cymb.' 
(186.)  Tira. 
189.  Temp. 

(181.)  2  H.  1\ 
190.  Ln.  Merc 

-.4. 

59. 

101. 

196.  LL. 

195.  Lear. 

193.  1  H.  IV. 

194  Cymb. 

I  5. 

170. 

205. 

197.  Sonn.  (c.  1596). 

198.  Troil. 
(199.)  Sonn. 

(c.  1598.) 

201.  Sonn.  (c.  1596). 

202.  1  H.  IV. 
Merch. 

(203.)  Troil. 

200.  Cymb. 
204.  Wint. 

III. 

66. 

127. 

205.  John. 

206.  As. 

II  2. 

V    ■ 

344. 

504. 

212.  Troil. 

220.  Ca;s.  Cor. 

222.  2  H.  IV. 

223.  Troil. 

208  a.  Mids.  Merch. 

221.  Cymb. 

(209.)  As.  Tw. 
Wiv.  H.  V. 
210.  Gentl. 
215.  Merch. 
219.  Ado.  LL. 

(208.)  Lear. 
211.  Cor. 

213.  Meas.  Lear. 

214.  Macb.  Lear. 
(217.)  Cymb. 
218.  Cor. 

224.  Troil.  Macb. 

225.  Troil. 

226.  Macb. 
(227.)  Macb. 
(228.)  Cor. 
(229.)  Meas. 

(207.)  Per.  Ro 
216.  Mids.  Merc 
Shrew. 

Im  1. 

135.     :    192. 

232.  Sonn.  (c.  1597). 
Merch.  Meas.  Tim. 
234.  Merch.  Caes. 

236.  ÄS. 

237.  As.  Cor. 

240.  2  U.  IV.  Meas. 
Cyinü. 

233.  Meas. 

239.1  H.IV.  Sonn, 
c.    1596.    CiBS. 
Tim. 

(230.)  Macb. 

231.  Oth. 
235.  Oth. 
238.  Lear. 

1 

'  I. 

II. 

II..  1 

IV. 

V. 

VI. 

VII. 

vin. 

Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  27.5 

Die  Parallelstellen  zu  Hamlet  nach  Akten  und  Scenen  geordnet. 


A.I(t, 
cene. 

Zeilenzahl. 

In  Q.  1  und  Q.  2 

komnien  vor  Parallelstellen  zu 
Dichtungen  des 

Nur  in  Q.  2 

kommen  vor  Parallelstellen  zu 
Dichtungen  des 

Nur  in  Q.  1 

kommen  vor  Pa 
rallel  stellen  zu 
Dichtungen  de.' 

Q.  1 

Q,  2 

16.  Jahrh. 

17.  Jahrh. 

16.  Jahrh. 

17.  Jahrh. 

16.  Jabrh. 

I  2. 

237.          .354. 

1 

242.  1  H.  IV.             '  241.  Troil. 

246.  2  H  IV.             1 

247.  Ado. 

247  a.  Sonn.  11.5. 
249.  As. 
25l'.  Ado.  Cymb. 
252.  John. 

(248.)  Ado.         '  243.  Oth.  Tim. 
244.  Oth. 
(245.)  Troil.  Macb. 
.   250.  Macb. 

11  3. 

31.         101. 

253.  Troil.  Lear. 

254.  Cor. 

255.  Meas. 

II  4. 

113.         230. 

261.  fl.  V. 

(256.)  H.  VnL 
257.  Oth. 
(258.)  Tim. 

259.  Cymb. 

260.  Cymb.  Oth. 
262.  Macb. 

IV  1. 

21.            46. 

j  263.  Lear. 

IV  2. 

-             25. 

265.  Merch. 

264.    2  H.  IV. 
Sonn.  71.' 

IV  3. 

43. 

61. 

(266.)  Cor. 

267.  LL. 

IV  4. 

6. 

127. 

68. 

1       , 

IV  .3. 

210. 

268.  Macb. 

269.  Airs. 

270.  B.  II. 

IV  6. 

36. 

26. 

270.  Cymb. 

IV  7. 

55. 

205. 

*  Die  Scene  erscheint  in  Q.  1 
daf8   manches,   was  Q.  2  allein  h 
ersten  Redaktion  enthalten  gewep 

1 

275.  zahlreiche 
Stellen.* 

276.  Ado. 

so  verstümmelt, 
at,   schon  in  der 
en  sein  mufs. 

1 

(271.)  Cymb. 

(272.)  Lear. 
(273.)  Oth. 
274.  Ant. 

277.  H.  V.  Macb. 
H.  VIII. 

V  1. 

176. 

265. 

279.  Merch. 

280.  Lear. 

278.  Shrew. 
281.  Ca!s. 

(282.)  Oth.  H.  VIII. 
(283.)  Ant. 
(284.)  Wint. 

V2. 

130. 
2146. 

388. 

290.  Cffis. 

293.  Merch.  Ca;s. 

296.  As. 

297.  As. 

(287.)  Troil. 

289.  Merch. 

(s.  279.) 
292.  Sonn.  74. 
275.  AIl's. 

(285.)  Ant. 
(286.)  Cymb. 
(288.)  Temp. 
291.  Lear. 
(294.)  Troil.  Lear. 

3708. 

(6.)  36.  8. 
50. 

(2)8+8.1+1 
(9+11)  20. 

(7.)20(+275?)l. 
28. 

(28.)  1+38.  5. 
72. 

"■U; 

I. 

II. 

1    III. 

IV. 

V. 

VI. 

VII. 

18* 

vin. 

276  Die  Hanilet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

seinen  Freunden,  das  in  beiden  Qs.  nahezu  gleichlautet,  ist  ein 
Anklang  an  Cces.  —  I  3  ist  besonders  im  ersten  Teile  (Laertes' 
Abschied)  erweitert:  hierfür  finden  sich  sechs  Anklänge  an  Meas., 
Cymh.,  Ant.,  daneben  vier  an  frühere  Dichtungen  (180 — 185). 
—  II  1  ist  trotz  des  Unterschiedes  der  Zeilenzahl  in  Q.  2 
schwerlich  umgearbeitet  worden;  der  Nachschreiber  hat  sich 
nur  in  dem  Gespräch  zwischen  Corambis  und  Montano  (Polo- 
nius,  Reynaldo)  mehrere  sinnentstellende  längere  Auslassungen 
zu  schulden  kommen  lassen :  die  zwei  Parallellsmen  finden  sich 
in  früheren  Stücken.  —  III  1:  Von  dem  Gespräch  zwischen 
König,  Polonius,  Rosenkranz  etc.  finden  sich,  dem  veränderten 
Arrangement  entsprechend,  nur  Bruchstücke  in  Q.  1 ;  die  Pa- 
rallelstellen zu  diesem  Auftritte  der  Q.  2  finden  sich  in  Mach, 
und  Oth.  (230.  231).  Ein  Vergleich  des  Monologes  (To  be  etc.) 
in  Q.  1  und  2  zeigt  nicht  unbedeutende  Abweichungen;  daher 
finden  sich  gewichtige  Übereinstimmungen  damit  in  Meas.,  Tim., 
Oth.  —  III  2:  In  dem  Gespräch  zwischen  Hamlet  und  Horatio 
finden  gerade  diejenigen  Stellen,  welche  in  Q.  1  nicht  stehen, 
Parallelen  in  Tim.,  Oth.,  Mach.;  im  übrigen  sind  die  Änderun- 
gen nicht  schwerwiegend.  —  Diesen  merkwürdigen  und  bewei- 
senden  Thatsachen  gegenüber  fällt  das  Gespräch  zwischen 
Hamlet  und  Ophelia,  das  in  beiden  Qs.  dasselbe  ist  und  den- 
noch Anklänge  an  Meas..,  Cymh  ,  Lear,  Cor.,  Tim.  aufweist,  und 
die  Scene  V  1,  welche  in  Q.  1  wohl  kürzer,  aber  nicht  wesent- 
lich abweichend  von  Q.  2  ist  und  ebenfalls  mehrere  Parallelen 
in  späteren  Dichtungen  hat,  nicht  ins  Gewicht. 

Von  ganz  besonderem  Werte  sind  die  folgenden  zum  Teil 
schon  an  Ort  und  Stelle  hervorgehobenen  Einzelheiten: 

1)  Stellen,  die  nur  in  Q.  1  vorkommen,  die  also  —  wenn 
eine  einmalige  Redaktion  angenommen  wird  —  von  dem  Ver- 
unstalter  der  Q.  2  hinzugefügt  sein  müfsten,  tragen  doch  die 
nachweisbaren  Kennzeichen  shakspereschen  Ursprunges  (S.  181. 
190.  2(5;K  270  und  die  Wendungen  am  Schlüsse  von  IV  6). 

2)  Es  finden  sich  Stellen,  die  in  Q.  1  und  Q.  2  durchaus 
verschiedene  F'assungen  haben;  und  für  die  Fassung  von  Q.  1 
bieten  nur  die  früheren,  für  die  von  Q.  2  nur  die  späteren  Dra- 
men Parallelismen  (207,  208;  216,  217,  218;  241  a,  243,  244,  245). 

3)  Recht  beweisend  für   eine  zweifache  Redaktion   ist  255. 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  277 

Wenn  wir  uns  jetzt  ein  Bild  gemacht  haben  von  dem 
Verhältnis  der  Hamlet-Parallelismen  in  den  beiden  Qs.,  so 
wird  es  zur  weiteren  Klärung  unserer  Anschauung  notwendig 
sein,  diese  Parallelismen  nach  den  Dramen  geordnet  zusammen- 
zustellen. Und  zwar  wollen  wir  sie,  um  die  Weite  der  Hamlet- 
Beziehungen  scharf  überblicken,  die  verschiedenen  Grade  ihrer 
Intensität  genau  unterscheiden  zu  können,  in  fünf  Abteilungen 
sondern:  in  1)  Jugend-Dichtungen  bis  c.  1594,  2)  Dichtungen 
der  zweiten  Hälfte  der  Neunziger  c.  1594—1598,  3)  Dramen  um 
den  Schlufs  des  Jahrhunderts  c.  1599.  1600,  4)  Dramen  aus  dem 
Beginn  des  17.  Jahrhunderts  c.  IGOO— 1604,  5)  letzte  Dichtun- 
gen. Aus  dieser  Tabelle  (S.  278)  erkennen  wir  mit  grofser 
Deutlichkeit  das  in  der  Einleitung  gezeichnete  Bild  von  der 
merkwürdigen  Verteilung  der  Hamlet-Parallelismen:  die  frühe- 
sten  und  die  spätesten  Dichtungen  (besonders  //.  FZ77.,  Wint.^ 
Temp^  stehen  in  nur  schwacher  Verbindung  mit  dem  Gedanken- 
gehalt des  Dramas;  die  Hauptmasse  der  Beziehungen  finden 
sich  einerseits  in  den  Dramen  der  zweiten  Hälfte  der  Neunzi- 
ger, andererseits,  und  zwar  in  noch  gröfserer  numerischer  Stärke, 
in  den  Dramen  aus  dem  Beginn  des  17.  Jahrhunderts.  Da- 
zwischen finden  sich  drei  Stücke  H.  V.,  und  besonders  Tw. 
und  Wiv.,  die  nur  wenige  Parallelismen  mit  Haml.  aufzuweisen 
haben,  i  Es  scheint  demnach,  als  ob  das  Hamlet-Problem  am 
Schlüsse  des  Jahrhunderts  im  Geiste  des  Dichters  geruht  habe, 
während  es  ihn  in  vorausgehenden  und  nachfolgenden  Jahren 
lebhaft  beschäftigt  hat. 

Läge  nur  eine  Redaktion  des  Hamlet  vor,  die  wir  in  Q.  2 
besäfsen  und  von  der  Q.  1  nur  eine  Verunstaltung  wäre,  so 
würde  diese  Erscheinung  ganz  abnorm  sein;  denn  jedes  Drama 
hat  die  Hauptmasse  seiner  Parallelismen  nur  in  einer  Periode 
d.  h.  in  der,  in  welcher  es  verfafst  ist.  Eine  Ausnahme  von 
dieser  Regel  machen  nur  die  Dramen,  welche  mehrere  Bearbei- 


1  Der  Leser  wird  in  dieser  und  der  folgenden  Tabelle  bemerken,  dafs 
das  numerische  Verhältnis  der  Parallelismen  den  Angaben  der  Einleitung 
nicht  entspricht.  Der  Grund  davon  ist,  dafs  ich  es  vor  dem  Schlüsse  der 
Arbeit  geraten  fand,  eine  Anzahl  von  Dramen  nochmals  zu  lesen,  und  den 
Erfolg  davon  hatte,  mein  Material  nicht  unerheblich  und  zwar  durchaus  zu 
gunsten  meiner  Beweisführung  vermehrt  zu  sehen. 


278  Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben. 

Die  Parällelstellen  zu  Hamlet  nach  den  Dramen  geordnet. 


Dichtungen. 


Q.  1. 


Q.  1  u.  2. 


Q. 


Summe. 

( 

1 

2 

2 

0 

2 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

2 

2 

2 

2 

3 

3 

3 

3 

(1) 

(iesanit-  j 
umnie.   ] 


Per.  . 
Mids. 
Gentl. 
Sonn. 
Comp). 
Lu.  . 
AU's ' 
Shrew 
John  . 
R.  II. 


(1) 


(1) 


16     1     li 


Troil.  (Liebes 
geschichte) 
Rom 
LL.2 
Ado 
As 

1  H. 
Sonn.  ^    . 
Merch.   . 

2  H.   IV. 
Cses.<      . 


IV. 


(1) 


(1) 


(1) 

(1) 
(1) 

(1) 
(1) 


(1) 


4  1  2 
l      1 

4 
7 
1 


(1) 

(1) 


0)1  1 


(1) 

2 

1 

4 

! 

0) 

1 

(1) 

3 

4 

(2) 

5 

7 

, 

(1) 

5 

2 

8 

(1) 

3 

1 

5 

(1) 

7 
11 

1 

9 
11 

(2) 

2 

2 

6 

(1) 

7 

1 

9 

(11) 

45 

!| 


3S    O 
CJ    O 

O   CO 


H.  V. 
Tw.    , 


(2) 

(1) 


3 

5 
1 

1 

1 

1 

(3) 

4 

Meas.  .  . 
Cymb.5  .  . 
Macb.  .  . 
Lear  .  .  . 
Otb.  .  .  . 
Troil.  (Lager 
geschichte) 
Cor.  f"  .  '. 
Tim.        .     . 


(2) 
(4) 
(3) 
(5) 
(2) 

(2) 
(1) 

(2) 


(2)!   6 

(4) 

(3) 

(5) 

(2) 


2 

7   i  2 
10 


(3)^  4 
(2)1  7 
(2)     2 


(23)  50     6    7 


Ant.    . 
H.   \  III. 
Wint. 
Temp. 


(3)j  2 

(2)!  1 
(1) 

O)  1 


(3)  2 

(2)  1 

(1)  1 

(1)  1 


(7)     5 


1  AU's  ist  unter  den  .lugenddraraeu  verwertet,  da  eben  nur  eine  blofse  MörH  chkei  t  einer  zweiten  spater 
Bearbeitung  vorliegt.  —  2  Von  den  Dramen  Rom.,  LIj.  ist  es  unzweifelhaft,  von  Ricli.  111.  (s.  folg.  Tab.)  wahrscliei 
lieb,  dafs  siu  spater  lib'Tarbeitet  worden  sind  (s.  Einl.  Bd.  LXXIII,  ii;!i);  ilire  l'arallelisiiieii  mit  spateren  ])raini 
HJnu  also  durch  die  um  die  glitte  der  Neunziger  erfolgte  J?earl)nituu'_r  ciitstaiKlcn.  —  3  j)ie  Sonette  cisclieiuen 
dieser  und  der  folg.  Tab.  in  drei  ihrer  Abfassungszeit  i'ntsiirecln'iiilrii  .-Vhtt'iliingL'U ;  jngemllirlie,  iiiittlero  ui 
späte  Sonette.  —  4  Cais.  gehört  zwar  (M)cnfaUs  m.  K.  an  di-u  Sclihifa  (h-s  .lalirh,:  es  ist  aber  <lu-i  It-tzto  ilerjeiiipi 
ijramen  des  ic.  .Jahrb.,  auf  welche  liamletisclie  lOintlüsse  sich  noch  geli'-rul  mailii  n.  —  5  ü'"'''  <^Vmb.  s.  Iliul.  S.  r 
—  C  Cor.  habe  ich  nach  meinen  Untersuchungen,  in  die  ich  hier  nicht  eingehen  kann,  triftige  Gründe  in  die  Zt 
von  Oth.  u.  Lear  zu  verlegen,  wie  ich  überhaupt  mjtKlze  der  überzeuyung  bin,  dal's  die  dit'literisebe  l'roduktn 
Shaksperes  sich  keineswegs  bis  zum  Jahre  lijio  oder  gar  ifiia  ausgedehnt  liat.  Ob  es  aber  möglieli  ist,  wie  Kl 
will,   I60i  als  Schlufsjahr  zu  er\veisen,  ist  mir  sehr  zweifelhaft. 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  279 

tungen  erfahren  haben:  Ro.,  LL,,  (R.  IJL?)  und  TroiL,  zu 
denen  also  auch  Haml.  gehören  mufs.  Am  klarsten  ero-Iebt 
eich  diese  Folgerung  aus  einer  Zusammenstellung  der  Paral- 
lelismen derjenigen  Dramen,  deren  Abfassungszeit  ich  in  dieser 
Arbeit  festzustellen  versucht  habe:  IroiL,  As,  Ado^  Cces., 
Cymh. 

Ein  Blick  auf  die  nachstehende  Tabelle  lehrt,  dafs  das 
Verhältnis  der  Parallelismen  dem  von  mir  aufgestellten  Prin- 
cipe vollkommen  entspricht.  Die  Liebesgeschichte  von 
TroiL  steht  den  Dramen  der  ersten  und  der  zweiten  Periode 
der  Zahl  ihrer  Parallelstellen  nach  gleich  nahe  (44 :  40),  d.  h. 
ihre  Abfassungszeit  fällt  in  die  Mitte  zwischen  beide  Perioden; 
die  relativ  zahlreichen  Anklänge  an  spätere  Dramen  (8  und  7) 
erklären  sich  durch  die  im  17.  Jahrhundert  vorgenommene 
Überarbeitung  und  Erweiterung.  —  Bei  As  und  Ado  ändert 
sich  das  Verhältnis  zwischen  den  Dramen  der  ersten  und  zwei- 
ten Periode ;  die  Anklänge  an  die  erste  Periode  sind  noch  zahl- 
reich genug,  aber  die  an  die  zweite  sind  doppelt  so  stark 
(20  :  44 ;  16  :  30);  die  Parallelstellen  in  den  Dramen  der  dritten 
Periode  sind  in  ihrer  Gesamtheit  nicht  so  zahlreich  als  die 
der  ersten.  —  C«s.,  welcher  an  das  Ende  des  Jahrhunderts 
gehört,  steht  mit  der  ersten  Periode  kaum  mehr  in  Beziehung; 
dagegen  werden  die  Anklänge  besonders  an  die  ersten  Dramen 
des  17.  Jahrhunderts  ziemlich  zahlreich.  —  Cymh.  hat  mit  den 
Jugend-Dichtungen  keine  Parallelismen,  sie  beginnen  erst  in 
den  Dramen  der  zweiten  Periode;  die  Hauptmasse  derselben 
findet  sich  in  den  Dramen  aus  dem  Beginne  des  17.  Jahrhun- 
derts, zu  denen  es  selbst  gehört;  und  die  Anklänge  an  die 
spätesten  Dramen  sind  zahlreicher  als  in  den  früheren  Stücken. 

Nichts  kann  indessen  beweisender  sein  als  ein  Vero'leich 
der  Lager-  und  der  Liebesgeschichte  von  Troil.  in  dieser  Ta- 
belle; wobei  jedoch  zu  berücksichtigen  ist,  dafs  die  Lager- 
geschichte viel  kürzer  ist  als  die  Liebesgeschichte  und  sich 
ihrem  Umfang  nach  zu  dieser  verhält  wie  2:3.  44  Parallel- 
stellen zu  der  Liebesgeschichte  in  den  Jugend-Dichtungen  ent- 
sprechen 2  zu  der  Lagergeschichte;  40  in  den  späteren  Dra- 
men des  16.  Jahrhunderts  9;  die  Hauptmasse  der  Parallelis- 
men   hat   die   Lagergeschichte    in  den    Dramen    des    17.   Jahr- 


280 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  lieben. 


Troil. 

Troil. 

(Lielies- 

As. 

Ado. 

Cffis. 

Cymb 

(Lager- 

geschiclite.) 

gescliiohte.) 

Tit. 

2 

' 

' 

Per. 

(1) 

1  H  VI. 

1 

1 

Err. 

(1) 

(1) 

(1) 

Ven. 

(2) 

2 

1 

Mids. 

(1) 

2 

1 

(1) 

1 

1 

Gentl. 

(2) 

o 

(1)     1   , 

(1) 

2 

Compl. 

2 

1  1 

, 

Lu. 

3 

i 

(1) 

JSonn. 

(3) 

8     2 

(1);    9    ;    1 

4 

1 

2  H.  VI. 

(1) 

2 

1     : 

1 

1 

3H.VI. 

(1) 

1 

1 

1 

1 

All's 

(1)     2           1 

(2) 

Shrew 

(1) 

1 

(1) 

i 

John 

1 

2 

R.  11. 

i     i  1 

1 

Summe: 

44! 

1  20  1 

116 

.'   3 

!  2  ■    ■ 

R.  IIL' 

2 

(1) 

1 

! 

Rom. ' 

12) 

9      2 

(1)      1 

(2)     5 

2 

1 

LL.i 

(1) 

(4)     2 

(3) 

1 

Troil. 

(1)     3 

1 

Liebesgescli. 

As 

0) 

3 

(1)     4 

1 

1 

1 

Ado 

(1)  i   4 

1 

(1)        1 

1  H.IV. 

2 

(1) 

(1)      1 

1      1 

1 

Merch. 

1   ' 

2  j  1 

(2)      1 

2 

Sonn.  - 

(l) 

2 

(1) 

4  1 

!  3 

1 

1 

2  H.  IV. 

1 

1    j 

!  1 

(2) 

3 

1 

Haml.  1.3 

(1) 

2      1 

8  !  2 

(1)     3 

(1) 

5 

3 

- 

Caes. 

1    1 

1  i 

!  1 

1 

2 

H.V. 

(1) 

4 

2 

1 

1   1    ,  1 

1                    i  ■ 

Tw. 

(1) 

1 

(2)1   2 

1    1 

(1) 

1 

1                1 

Wiv. 

3 

1  2 

(1)1 

(1) 

'        1 

Summe; 

|40i 

' 44 1        1          30 

i22| 

12 

1   9   i 

Meas. 

!  1 

!  1  1 

(2)1   2 

1 

Cymb. 

1 

1 

1 

(1) 1  2   , 

Sonn. 

(1)      1 

1 

1 

I 

1 

Haml.  II. 

(1) 

1 

(1)      2 

2 

1 

(4)  ,  4 

2    (3) 

4 

Macb. 

(1) 

1 

1 

1 

(1)     1 

2 

Lear 

0) 

b 

(2)     2 

1 

2  i 

Oth. 

(1)   1 

(3)     1 

i 

2   1 

Troil. 

1 

(1)      1 

2 

(1)!  2 

1 

Lagergesch. 

■            ' 

1 

Cor. 

1 

2 

2 

(2)  ,  4 

(2)     3  11 

Tim. 

1 

1 

1 

(1)      2 

1 

Summe: 

8 

'   6  1 

8 

16 

36 

25 

Ant. 

(2)    2  ; 

1 

1 

(1)      1 

H.  VIII. 

1 

i   1 

(1) 

(0 

Wint. 

(1)'  1 

1 

,    1    , 

(3) 

(1)      1 

Temp. 

i     i 

!        1 

1   1   1 

(2)! 

1 

Summe : 

i   7    1 

1   1 

1 

1   1 

1  3 

1 

1  8 

1 

1  3 

1 

Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  281 

hunderts,  aus  denen  auf  die  Liebesgeschichte  im  ganzen  15 
entfallen.  Wenn  wir  nun  bedenken,  dafs  diese  15  Wieder- 
holungen jedenfalls  durch  die  Neubearbeitung  des  Troil.  und 
nicht  durch  die  jugendliche  Liebesgeschichte  veranlafst  worden 
sind,  und  meistenteils  sich  auf  spätere  Einlagen  beziehen,  so 
wird  das  Verhältnis  der  Parallelismen  ein  noch  sprechenderes. 
Es  kann  kein  Zweifel  sein,  dafs  hier  zwei  verschiedene  Redak- 
tionen vorliegen.  Würden  wir  die  beiden  Teile  von  Troil.  als 
eine  einheitliche  gleichzeitige  Schöpfung  betrachten,  so  wür- 
den wir  ein  Drama  erhalten,  das  in  drei  verschiedenen  Perio- 
den gleich  starke  Anklänge  hat  (46—49—43),  eine  Abnormität, 
welche  das  Princip,  auf  dem  meine  Untersuchung  des  Alters 
der  Sonette  wie  die  gegenwärtige  beruht  und  dessen  Richtig- 
keit ich  schon  jetzt  an  24  Dramen  zifFernmäfsig  nach- 
weisen könnte,  als  falsch  aufhöbe.  Die  Parallelismen  keines 
Dramas  —  mit  einer  Ausnahme  —  bieten  eine  gleiche  Er- 
scheinung, eine  ähnliche  —  den  ähnlichen  Verhältnissen  ent- 
sprechend —  nur  die  von  LL.  und  Rom..,  deren  wiederholte 
Redaktion  kaum  jemand  bezweifelt;  die  gleiche  einzig  und 
allein  Hamlet. 

Nachdem  ich  mich  mehrere  Jahre  mit  diesen  Untersuchun- 
gen beschäftigt  habe,  kann  ich  zum  Schlufs  —  ohne  Rücksicht 
auf  den  eventuellen  Beifall  oder  Widerspruch,  welchen  meine 
Methode  finden  wird  —  nur  meine  feste  Überzeugung  aus- 
sprechen, dafs  in  den  zahlreichen  Wiederholungen  Shak- 
speres  ein  neues  Moment  für  die  litterarhistorische 
Forschung  in  Bezug  auf  Shaksperes  Dichtungen  ge- 
funden ist.  Man  hat  in  den  bisherigen  Altersbestimmungen 
auf  einzelne  solcher  Parallelismen  mitunter  ein  unberechtigtes, 
ungebührliches  Gewicht  gelegt;  man  möge  jetzt  die  ganze 
Masse  derselben  in  Betracht  ziehen  zur  Bildung  objektiverer 
Schlüsse.  —  Es  giebt  einen  Standpunkt,  von  dem  aus  der- 
artige Forschungen,  wie  auch  die  Untersuchungen  über  Vers 
und  Reim,  als  eine  Art  von  pedantischem  Sport  erscheinen, 
dem  die  Existenz  eines  Shakspereschen  Stückes  alles,  seine 
Entstehung  nichts  bedeutet.  Vertreter  dieses  Standpunktes  sind 
nicht  Philologen,  und  noch  weniger  Litterarhistoriker :  die 
Schöpfungen    des  Dichters    sind    in  tieferem  Sinne  sein  Lebe 


282  Die  Hamlet-Periode  in  Shakspercs  Leben. 

und  von  Shaksperes  Leben  —  es  ist  ein  Unglück  und  viel- 
leicht doch  ein  Glück  —  kennen  wir  wenig  mehr  als  seine 
Schöpfungen, 

Es  bleibt  nun  noch  übrig,  die  Ansichten  anderer  Shakspere- 
Forscher  über  die  Entstehung  Hamlets  zusammenzustellen  und 
anderweitig  geltend  gemachte  Kriterien  zu  prüfen. 

Die  Ansichten  über  die  Abfivssung  Hamlets  gehen  so  weit 
auseinander,  dafs  einige  nur  eine  einmalige  (im  17.  Jahrhundert), 
andere  eine  doppelte,  noch  andere  sogar  eine  dreifache  Redak- 
tion annehmen.  Die  letztere  Ansicht  ist  hervorgerufen  durch 
das  Faktum,  dafs  nach  Andeutungen  von  Nash  (1587 — 89?), 
Henslowe  (1594),  Lodge  (1596)  (s.  die  Ausgaben  von  Delius 
oder  Elze)  ein  Drama  „Hamlet"  zweifellos  schon  so  früh  exi- 
stierte, als  dessen  Verfasser,  der  nirgends  genannt  wird,  einige 
Kyd,  andere  Shakespere  annehmen  : 

Malone  —  —  1600 


Chalmers 

— 

1598 

— 

Drake 

— 

1597 

1600 

Skottovve 

— 

— 

1600 

Knight  1 

c.  1588 

— 

1600—1602 

Gervinus 

— 

— 

1602 

Delius 

— 

— 

1602 

Elze  2 

vor  1589 

1597/8 

1600—1602 

Tschischwitz  3 

— 

1597 

— 

Fleay  * 

[1589] 

1601 

1603 

Stokes 

— 

1599 

1600 

Dowden 

— 

— 

1602 

1  Knight  hat  aus  inneren  Gründen  den  ungeheuren  Abstand  der  Q.  1 
von  Q.  2,  als  poetische  Leistungen  betrachtet,  nachgewiesen,  und  sieht  daher 
in  dem  der  Q.  l  zu  Grunde  liegenden  Bühnentexte  eine  Jugendarbeit  Shak- 
speres. Die  Einwendungen,  welche  Delius  gegen  dieses  Verfahren  erhebt, 
sind  durchaus  stichhaltig:  die  N'erstümmelung  der  Q.  1  ist  so  bedouten'J, 
dafs  wir  daraus  über  das  zu  Grunde  liegende  Original  nicht  urteilen  können. 

-  Elze  nimmt  an,  dafs  der  alte  Hanil.  nicht  von  Kyd,  sondern  eine 
Jugendarbeit  Shaksperes  sei,  eine  Blut-  und  Rache-Tragödie,  die  auf  glei- 
cher Stufe  mit  Tit.  gestanden  habe. 

3  Tschischwitz  supponiert  neben  der  authentischen  und  vollständigen 
Q.  2  (gedichtet  1597)  eine  kürzere  Bühnenbearbeitung  aus  der  Hand  des 
Dichters,  von  der  Q.   1   herrührt. 

''  Fleay  erklart  mit  grofser  Bestimmtheit  den  alten  Hamlet  für  ein  ge- 
meinsames Produkt  von  Shakspcre  und  Marlowe,  aus  dem  noch  Spuren  in 
der  ersten  Quarto  („dem  Coramt)is-Han\let'')  zu  erkennen  sind.  —  Schade  nur, 
dafs  die  WissenscLaft  von  seiner  Sehergabe  keinen  Gebrauch  machen  kann. 


i 


Die  Hamlet-Periode  in  Shaksperes  Leben.  283 

Im  übrigen  sind  noch  folgende  Ansichten  zu  erwähnen:  Col- 
lier, Tycho  Mommsen  und  neuerdings  Tanger  nehmen 
an,  dafs  der  Q.  1  nicht  eine  frühere  Redaktion  des  Dichters  zu 
Grunde  liegt,  sondern  dafs  dieselbe  eine  freilich  entsetzliche 
Verstümmelung  der  authentischen  Ausfjabe  von  1604  ist.  — 
Staun  ton  meint  mit  Knight,  dafs  das  Original  zu  Q.  1  eine 
Jugendarbeit  des  Dichters  ist.  —  Die  Herausgeber  der  Claren- 
don Press,  Clark  und  Wright,  glauben,  dafs  Shakspere  ein  äl- 
teres Drama  „Hamlet",.  1602  bearbeitete,  aber  nur  unvollständig 
(etwa  wie  Tim.?),  so  dafs  wir  in  Q.  1,  die  von  dieser  Bearbei- 
tung ausging,  noch  Teile  des  alten  Stückes  haben;  und  dafs 
wir  in  Q.  2  zum  erstenmale  Shaksperes  „Hamlet"  haben. 

1)  Die  Frage,  ob  der  alte  „Hamlet"  von  Shakspere  oder 
einem  anderen  verfafst  sei,  werden  wir  als  unentscheidbar  fal- 
len lassen  müssen.  Q.  1  hat  allerdings  eine  verhältnismäfsig 
grofse  Menge  von  Anklängen  an  die  Jugend-Dichtungen;  die 
Möglichkeit,  dafs  wir  in  den  betreffenden  Stellen  Fragmente 
einer  noch  älteren  Bearbeitung  haben,  ist  deshalb  nicht  aus- 
geschlossen. Aber  um  in  dieser  Frage  über  blofse  Vermutun- 
gen hinauszukommen,  müfsten  wir  eben  ein  Exemplar  jenes 
alten  Haml.  besitzen. 

2)  Im  Jahre  1602  (26.  Juli)  findet  sich  folgender  Eintrag 
in  die  Buchhändler-Register:  James  Roberts.  A  booke,  The 
Revenge  of  Hamlett  prince  of  Denmarke,  as  yt  was  latelie 
acted  by  the  Lord  Chamberlayn  his  servantes.  —  Der  von 
Shaksperes  Truppe  gespielte  Haml.  scheint  dem  Zusätze  nach 
zu  schliefsen  ein  neues  Stück  gewesen  zu  sein,  d.  h.  also  die- 
jenige Redaktion,    die    zwei  Jahre    später  wirklich    von   „J.  R." 

Igedruckt  wurde.     1602  ist  also  das    späteste  Jahr,   in    welchem 
[dieser    Haml.   —    ob    alleinige    oder    zweite    Redaktion    —    ent- 
ätanden  sein  könnte. 

3)  Die  handschriftliche  Bemerkung  Gabriel  Harveys 
"in  einem   Exemplar    von    Speghts    Chaucer-Ausgabe,    nach    der 

der  „Hamlet"  zur  Zeit  der  Niederschrift  ein  bekanntes  Stück 
war,  scheint  nicht  dasjenige  Gewicht  zu  haben,  welches  ihr 
mehrere  Shakspere-Forscher  beilegen.  Nach  Steevens  und  Drake 
wurde  diese  Bemerkung  1598  niedergeschrieben,  nach  Malone 
1600,  nach  Fleay  zu  irgend  einer  Zeit  vor  1620.  —  Wir  haben 


284  Die  Hamlet-PerioJc  in  Shaksperes  Leben. 

also  für  die  Abfassungszeit  der  ersten  Redaktion  aufser  den 
Parallelstellen  weder  ein  äufseres  noch  ein  inneres  Indicium; 
denn 

4)  die  verschiedenen  Tests  können  natürlich  nur  die  Aus- 
gabe von  1604  zum  Gegenstande  nehmen.  Hinsichtlich  der 
Double  Ellding'  Test  kommt  Haml.  nach  Cces.,  Tiv.,  As,  Ado 
und  vor  Troll,  Meas.,  Otk,  Lear;  nach  der  Light  Ending  Test 
nach  Merch.,  Tio.  und  vor  Cws.,  Meas.  —  Weak  Endings  giebt 
es  in  Haml.  nicht.  —  Die  Alexaildrilier-Test  stellt  Haml. 
zwischen  T'io.,  H.  V.,  Cymb.  einerseits  und  Meas.  andererseits, 
die  Reim-Test  zwischen  Merck.,  Meas.  einerseits  und  Cymh., 
Ca?s.,  Tic  andererseits.  Danach  folgt  Haml.  merkwürdigerweise 
immer  direkt  oder  bald  nach  7w.  und  trifft  mit  Meas.  und 
Cymh.  wiederholt  zusammen. 

Nach  der  Gesamtheit  dieser  Proben  könnte  man 
Q.  2  ins  Jalir  1601  setzen;  auf  dasselbe  Jahr  weisen  2. 
und  die  Parallelstellen.  —  Für  die  Vollendung  der 
ersten  Redaktion  ist  nach  den  Parallelstellen  als  spä- 
tester Termin  1598  zu  betrachten;  die  Arbeit  mag  sich 
über  die  Jahre  1596  und  1597  hingezogen  haben. 


über  die  Verdoppelung  der  Konsonanten 

im  Altnormunniechen. 

(Schlufs.) 


1. 

Nicht  mouilliertes  1. 

Präpositionenzusainmensetzungen. 

1)  ad  4-  /. 

A  alascet  75.  116.  alasserent  100.  aloet  16.  aluez  109.  aliiiet 
appendix.    rakmier  124. 

R  alient  990.  1641.  alosez  898.  aluee  2941.  alumer  2958. 
ralier  1319.  ralient  3525.    ralumer  124. 

LC  aluees  392.    alue  2285.    alumer  664.  alumees  2533. 

OP  alege  (Vulg.  allevarentur)  72,18.  alier  149,8.  cuntralient 
34,22.  alaitiez  130,4.  alaitant  C.  Moys.  ad  f.  J.  38.  alnat  22,1. 
alne  103,23. 

CC  alenes  392.  aliied  2285.  aluignant  (fehlt  in  LC)  379.  388. 
alumer  664.  alumees  2533. 

CP  aliance  82,5.  88,3.  aliied  i  67,13.  aliee  59,8.  aleitanz8,2. 
alaiterent  77,36.    aliut  7,5.  aluad  77,55.  106,36. 

B  alelterent  103,21.  alaitat  120,12. 
'  Q  alaitanz  88, 10.  alassez  49,  9.  alasserunt  178,  3.  aleverent  279,  6. 

aliance  14,13.  69,9.  alierent  48,9.  136,6.  alievent  9,12.  alogierent 
14,3,  42,12.  alosez  212,14.  aluad  317,15,  alouent  354,17.  alu- 
mames  115,17.  alumad  206,2. 

In  allen  Beispielen  findet  sich  also  nur  einfaches  1. 


^  Im  Text  steht  alued,  im  Glossar  richtig  aliied ;    auch   in   Ztschr.  für 
rom.  Phil.  III,  S.  572  wird  auf  diesen  Fehler  aufmerksam  gemacht. 


286  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Alt  normannischen. 

2)  en  (in)  -f  l. 

Diese  Verbindung  findet  sich  nur  einmal  zu  eil  kontrahiert,  in 
elluminede  OP  138,11.  Dieser  einen  Form  stehen  folgende  mit  enl 
gegenüber: 

R  enluminet  ^  535. 

LC  enlacet  1790.    enluminout  429.    enluminet  445. 

0  P  enlumine  12,  4.  enlumines  17,  31 .  enluminement  43,5.  77, 15. 
eniiet  19,9. 

CC  enlaciez  1790.    enluminout  429.  enluminet  445. 

CP  enlumine  12,3.  enlumines  17,28.2 

B  enlancets  87,17.  enlaced  87,20, 

Q  enlumineras  208,11.  enluminerent  253,12. 

3)  sub  {subtus  =  siiz,  sus)  -|-  L 

Aus  subtuslevare  entstand  sulleverad  CP  106,41.  Daneben 
bietet  OP-  susleva  77,76.  suzleved  C.  A.,  M.  S.,  10  und  CP  selbst 
suslievet  36,17.  suslieve  27,10.  suzlevas  88,44.  suzlevet  CA., 
M.  S.,  10. 

Die  Form  sulleverad  ist  aus  sudleverad  und  dieses  aus  suzleverad 
entstanden;  CP  hat  auch  die  Formen  sudplanter  139,5  und  sudpuied 
144,15. 

Über  1  und  11  im  Lateinischen  sagt  Corssen  (I,  S.  81  u.  82): 
„Daher  war  1  und  11  in  der  That  so  wenig  voneinander  unterschieden, 
dafs  zwischen  beiden  Schreibweisen  ein  haltloses  Schwanken  statt- 
findet," z.  B.  Amulius,  Amuliius  u.  s.  w.  „Man  vergleiche  hierzu  die 
. . .  schwankende  Schreibweise  mille  . . ,  mile  . . .  milliaria  . . .  millia  . . . 
milia."  Ebenso  findet  sich  vilicus  neben  villa,  entstanden  aus  vinula, 
ilico^  für  in  loco ;  ebenso  solemnis  neben  soUemnis,  solennis. -^  »Da- 
gegen findet  sich  umgekehrt  11  geschrieben,  wo  man  nur  ein  1  er- 
warten   sollte,    so:    querella    . . ."  quasrella  ...   relligio   ...    relli- 

quise  .  .."6 


1  Erwähnt  werde  hier  quell  =  qu'en  le  1316;  es  =  en -f- les  1634.3016. 

2  eloin  118,150  =  en  loin. 

3  Druck-  oder  Schreibfehler  für  enlacet. 
''  Vgl.   Anni.   1   u.  2. 

•''  Auch  in  C  P  findet  sich,    wie   wir   hernach   sehen   werden,    soUemnittS 
80,3  neben  solennited  104,45. 
c  Vgl.  S.   133,  Anm.   1. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannisclien.  287 

Lat.   11. 
1)  Zeitwörter  auf  eler  (ellare,  ülare). 

A  apelent  5.  apele  34,  maiseler  86.  ^ 

R  apelet  14.  1692.  cancelant  2227.  cancelet  3608.  escantelet 
1292.  neielez  684.  -novelet  2118.  renuvelent  3300.  revelerunt  2921. 
seieler  2613.    ventelet  48. 

LC  apelent  251.  apelet  323.  apellent  320.  apellet  729.  apelle 
715.  apellum  697.  3131.    renuvelees  262.  renoveler  2370. 

OP  apelerums  19,8.  apele  49,16,  rapeler  101,25.  flaele  72,5. 
flaelez  72,14.    renovele  50,11. 

CC  apelent  251.  apelet  320.  323.  renuvelees  262.  rennveler  2370. 

L  apelent  42.  811.  apele  48.    estencele  300.    tachelee  574. 

CP  apelerai2  115,4,  137,3.  apellerai  114,2.  114,4.  fiaele  72,5. 
flaelez  72,14.  renouvelee  102,5  (OP:  renovee).  renovele  50,11. 
chancelerad  37,16.    chancelerent  108,25.    venteleruns  43,5. 

B  apeled  93,19.  apele  130,1.  apelum  79,21,  79,26.  apellum 
84,8.  94,31.  drapellez  129,5.  drapelez  129,17.  rapellat  83,5.  re- 
nuvele  110,24.    seieler  126,5, 

Q  apeleras  58,8,  apelerai  205,7,  apele  356,18.  rapelad  348,16. 
cbancelad  67,17.  chancelout  85,1.  flaelerent  15,8.  renuvelum  38,4. 
renuveler  301,28.  reveler  87,10,  100,12.  ruelee  100,14.  turtellet 
311,  12.    ventelerad  293,  8.  venteleras  366,  1. 

In  allen  diesen  Formen  wie  auch  in  den  folgenden  wiegt  das  ein- 
fache 1  bei  weitem  vor. 

2)  Substantiva  und  Adjektiva  auf  ele  (ellus,  ella,  illus,  illa,  ellurn). 

A  nacele  17.  noveles  96.  pulcele  14.  94  (auch  pulcela  9.  12). 
turtrele  30. 

R  buele  2247.  capele  52.  726.  chapele  2917.  cervele  1356. 
2248.  damisele  3708.  escheles  1034.  3026.  furceles  1294.  2249. 
nuveles  55.    noveles  336.    pulcele  821. 

LC  nuvele  194.  1107.    pulcele  1352.  1353,    escuele  2651. 


1  Nach  den  meisten  Erklärern  von  maxilla.  In  den  Gott.  gel.  Anz.  I, 
\.  896  leitet  A.  Tobler  es  von  maisei  (macillum)  Schlachthaus  und  Gemetzel 
\\i.     Vgl.  maixeles  S.  288  (in  OP). 

-  Es  werden  vorzugsweise  solche  Formen  citiert,  in  denen  man  U  er- 
warten könnte;  andere  Formen,  wie  CP  apelant  4,1.  apelai  16,(5  u.  s.  w. 
werden  nur,  wenn  sich  jene  nicht  bieten,  genannt.  (\'gl.  die  Verdoppelung 
les  t  in  den  Verben  auf  eter:  S.  130,  c.) 


288  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen. 

OP  anccle  85,15.  gravele  77,31.  138,17.  juvenceles  G7,27. 
maixeles  31,12.1  maisuncele  101,7.  matneles  21,9.  purnele  16,9. 
C.  Moys.  ad  f.  J.   14.    salterele  77,  51.  104,32. 

CC  scnele  2651.    nuvele  194.  1107.    pulcele  1352.  1353. 

L  arundele  396.    femele  681.    gravele  170.  530.   prunele  809. 

CP  ancele  85,  16.  122,  2.  cordele  77,  55.  gemele  67,  14.  gravele 
77,28.  138,20.  maissele  3,8.  maiseles  31,  10.  niameles  21,  9.  pulceles 
67,26.  purnele  16,8.  C.  M.  (Deut.)  14.  salterele  77,46.  104,34. 

B  buele  85,16.  85,18.  femele  95,6.  99,3.  graveles  108,13. 
mamele  81,15.  81,17.  nuvele  87,26.  115,7.  pucele  81,12.  81,15. 

Q  ancele  3,15.  4,11.  dameisele  163,14.  165,1.  eschieles  14,6. 
61,7.  gunele  164,13.  164,16.  nuvele  14,  A.  2,2.  24,17.  nuvelement 
405,5.  pulcele  162,11.  163,12.  stencele  168,10.  estencele  297,13. 
rueles  255,2.  ruele  255,13.  vaisselle  148,6.  vaissele  148,1.  185,3. 

3)  Alle  übrigen  Formen  mit  lat.  oder  hebr.  IL 
a)  Geblieben  ist  ll:^ 
u)  In  den  gelehrten  Wörtern : 
A  excellist  appendix. 

LC  AUeluia  3325.  3330.  Alla  3333.  allegorie  577.  1471. 
OP  illusiüns  37,7.   illusiün    78,4   (in  CP   steht   vergoigne   und 
escharn).  pallor  67,14. 

'   Von  maxilla;  vgl.  S.  287,  Anm.   1. 

^  In  diesen  Wörtern  diente  die  Schreibung  11  (1)  zur  Bezeichnung  des 
gedehnten  1-Lautes. 

Zunächst  möge  hier  wiederholt  werden,  was  Isidor  Flodström  in  dem 
Aufsatz  „Zur  Lehre  von  den  Konsonanten"  in  Bezzenbergers  Beiträgen 
VIII,  1  (1883)  sagt:  „dafs  zwei  Konsonanten  von  derselben  Art,  die  un- 
mittelbar aufeinander  folgen,  unmöglich  in  derselben  Silbe  vorkommen  kön- 
nen, dafs  es  aber  möglich  und  gewöhnlich  ist,  dafs  zwei  gleiche  Konsonanten 
zusammentreffen,  von  denen  der  eine  eine  Silbe  schliefet  und  der  andere 
t;ine  beginnt,  wobei  ...  in  der  Stellung  der  Mundteile  beim  Übergang  von 
dem  einen  Konsonanten  zu  dem  anderen  keine  Veränderung  vor  sich  geht" 
(S.  23).  Wenn  nun  Lesaint,  Traite  de  la  prononciation  fran9aise,  sagt,  dafs 
noch  heute  zwei  1  gesprochen  werden,  z.  ß.  in  allegorie,  alleluia,  Illusion 
—  es  sind  dies  Wörter,  die  auch  in  unserer  Arbeit  vorkommen  — ,  ferner 
(um  auch  dies  gleich  hier  schon  zu  erwähnen)  zwei  r  in  error,  im  Futur 
von  mourir  und  dechoir,  ferner  zwei  m  in  Amnion,  zwei  n  in  annal  u.  s.  w., 
so  folgt  hieraus  —  in  Übereinstimmung  mit  Victor,  Elemente  der  Phonetik 
S.  ]31:  „rr  =:  rr  =  r  mit  Schwächung  und  Wiederverstärkung",  und 
S.  177:  „Doppeltes,  d.  h.  langes  n  wird  statt  des  sonst  fiir  nn  geltenden 
einfachen  n  gesprochen  in  inne  .  .  .  Cinna"  u.  s.  w.  — ,  dafs  durch  die  Ver- 
«loppelung  die  Länge  der  betr.  Konsonanten  bezeichnet  werden  sollte.  Denn 
die  eigentliche  lat.  Gemination  ist,  wie  wir  bereits  oben  gesehen  haben,  im 
Französischen  nicht  fortgeführt  worden. 


k 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannisthen.  289 

CC  Alla  3325.  3333.  allegorie  577.  1471. 

B  allegorie  85,19.  88,  U. 

ß)  In  fast  allen  Eigennamen : 

R  Apollin  8.  417.  Apolin  2580.  32G8.  Balaguct  63.  Balaguez 
894.  Galice  1637.  3073. 

B  Sabelliun  91,26. 

Q  AUopheles  71,20.  Berzellai  194,13.  195,5.  Bcizelai  185,1. 
Gallin  102,10.  Mello  270,14.  Mosollamot  398,2.  Odollan  85,8. 
212,12.  Sellum  392,22. 

}')  Häufig  in  milliers: 

R  milliers  109.  1685.  miliers  i  1417.  1439. 

OP  milliers  3,6.  67,18. 

CP  milliers  67,18.  miliers  3,6.  83,10.  milier  90,7. 

Q  milliers  186,4.  216,15. 

Daneben  findet  sich  einfaches  1  in: 

A  miles  103. 

R  milie  13.  410.  miliers  3415. 

CP  railium  49,10. 

Q  milie  14,8.  15,14. 

b)  Einfaches  1 
steht  in  fast  allen  anderen  Formen  für  lateinisches  11. 

A  acoler  86.  bele  17.  97  (auch  bela  96.  97).  belament  10.  can- 
celers  76.  celui  14.  cele  37.  ele  30.  87  (auch  ela  29.  94).  eschevelede 
85.  icele  Gl.  76.  iloec  17.  40.  iloc  18.  23.  nule  36.  48.  palie  (pallium) 
28.2  tolut  22.  tolir  71. 

R  arcbaleste  2265.  avalat  730.  avalet  1037.  balient  ^  976.  bele 
61.  445.  belement  862.  3159.  cadelet  936.  2927.  capelers  3435.  celoi 
411.  1803.  cele  649.  958.  chevaler  25.  99.  chevalerie  594.  960.  che 
velefire  1327.  defulent  2591.  ele  635.  959.  esteiles  3659.  folage  313 
folie  496.  569.  icele  979.  2495.  iloec  332.  436.  malez  (raallati)  3855 
nule  1657.  2002.  pale  1979.  paliesllO.  palie  272.  pelee3323.  seles91 
sele  1295.  toluz  236.  tolit  1649.  valees  710.  valee  1449.  vile  3661.  3678 

LC  avaler  3268.  bele  2614.  cele  473.  721.  chapelain  10.  ele  19 

1  Eigentlich  fehlerhaft  millere. 

-  palea  wird  mouilliert:  paille  e.  c;  palie  (von  pallium)  findet  sich 
noch  in  R  und  Q. 

3  „L'assonance  exigerait  baleient.  ßas-latin  balhcare?  de  ballare." 
Gautier  (Rol.). 

Aicliiv  f.  n.  Spiaclien.    LXXV.  19 


290  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnorniannisclien. 

eles  261.  e.steile  220.  302.  esteille  2586.  fule  491.  1726.  folie  12G. 
2641.  foleiant  3344.  icele  319.  iceles  1236.  iloc  217.  593.  nule  129. 
1201.  vilanie  125.  vilains  132.  vilain  164. 

OP  amoliees  54,24.  bele  146,1.  celiers  143,15.  celui  36,35. 
eles  42,3.  77,3.  esteiles  8,4.  135,9.  esteilles  146,4.  148,3.  folie 
37,5.  68,7.  folierent  57,3.  folient  94,9.  icele  94,9.  iluecl3,9.  22,1. 
moülez  (meduUata)  65,14.  nule  22,1.  saülez  16,  16.  saület  16,17. 
21,28.  toleiz  9,27.  tolanz  45,9.  valede  59,6.  valedes  64,14.  valees 
103,11. 

CC  avaler  3268.  bele  2614.  cele  405.  721.  Chevaliers  451.  Che- 
valier 546.  chevaline  1418.  ele  19.  eles  261.  csteile220.  302.  steille  ^ 
508.  estencelemenc  (fehlt  in  L  C)  403.  fole  491.  1726.  folie  126. 
2641.  folant  3344.  icele  319.  1223  (iceles  1236).  iloc  217.  iloec  593. 
nule  129.  1201  (nulla  3138).  vilainie  125.  vilain  132.  164. 

L  afolez  403.  bele  66.  169.  cele  151.  171.  celui  359.  713.  ele  51. 
183.  icele  229.  355.  iloc  338.  572.  nule  167.  278.  tollent  231.  tollez  560. 

CP  beles  15,6.  bele  80,2.  cele  77,46.  Chevaliers  C.  M.  22.  de- 
fulerad2  107,13.  defulerums  43,5.  ele  38,  5.  108,24.3  esteiles  146,  4. 
148,3.  esteilles  8,4.  135,9.  folie  37,5.  68,7.  foleerent  57,3.  106,4. 
icele  33,14.  iluec  121,4.  138,9.  mascheleres  57,6.  moles  54,23. 
moülez  65,  13.  nule  22,1.  F.  C.  25.  saüllableteth  15,  11.  saüle  16,14. 
21,27.  tolis  31,6.  tolid  77,27.  valees  103,10.  valee  107,7. 

B  balier  108,19.  baliement  108,20.  bele  74,3.  87,26.  belement 
101,27.  110,7.  cele  83,7.  101,12.  celui  96,24.  ele  82, 15.  91,  5. 
foles  89,16.  89,19.  folie  76,27.  91,28.  icele  79,13.  89,17.  iloc 
92,17.  99,5.  ilores  108,23.  muele  112,21.  muole  113,14.  nule  76, 11. 
127,21.  pulainees  92,24.  pulains93,4.  saülees  93, 2.  steile  96,11. 
96,12.  tolit  83,9.  tolait  103,2.  vilainie  93,26. 

Gehört  auch  decolez  (=:  „basket")  92,25  hierhin? 

Q  aiselers  250, 17.  aisseles  255, 15  (auch  aissels  255,  8  u.  255,12). 
avalad  206,3.  avalerad  311,14.  bele  59,13.  beles  66,11.  cele  3,A. 
1,1.  4,  A.  2,11.  celi  135,8.  158,11.  celui  64,15.  181,5.  cdiers 
369,10.    cheles  34,3.   362,7.'*    chieles   409,10.   410,11.    chevalerie 

'  Eigentlich  de  steille,  vielleicht  also  esteille. 

-  Dieses  Wort  fehlt  in  OP;  an  dieser  Stelle  steht:  a  neient  demerra. 

■^  elles  77,45  ist  Öclireibfehler  für  il  les,  wie  Hs.  ß  hat. 

'  Nach  Ztsclir.  f.  rom.  Phil.  1,  S.  428  von  „quid  velles".  Diese  von 
H.  Suchicr  vorgeschlagene  Erklärung  bestreitet  G.  Paris  in  Roraania  \  1, 
fcj.  629,  ohne  freilich  eine  bessere  vorzuschlagen. 


Die   N'irdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen.  291 

39,11.  52,12.  die  valiers  42,11.  86,11.  chevelure  171,9.  decolasscnt 
o80,  Rand,  defuler  162,5.  301,2.  ele  3,7.  4,A.  2,10.  entredalierent 
236,10.  esteiles  420,3.  426,9.  folie  99,18.  290,  A.  1,7.  foloment 
43,13.216,18.  iceli  49,2.  109,10.  iloc  22,1.  22,2.  iloques24,l. 
iluec  348,8.  mole  162,6.  nule  13,4.  13,6  (nuli  114,4).  palie  84,9. 
sele  16,12.  194,1.  tolage  219,9.  toleit  38,12.  toli  65,18.  valee  22,  3. 
vile  21,16.  viles  18,7.  22,14.  villes  303,14.  vileins  27,12.  vilainie 
113,3.  vileites  398,18. 

Germ  an.   11 

ist  fast  stets  1  geworden: 

R  Alemans  3038.  3701.  Alemaigne  3038.1  3977.  isnelement  2 
2085.  2109.  WiUalme  3938. 

LC  isnelepas  678. 

OP  felnnie  5,4.  6,8.  feluns  1,1.  felunessenient  17,24.  34,22. 
ignelement  6,10.  36,2.  ignelment  68,21.  78,8. 

C  C  isnelepas  678. 

L  feluns  232. 

CP  felenesses  58,4.  73,20.  felencssement  82,13.  felunessement 
17,21.  74,4.  isnelement  30,2.  77,33.  inelernent  36,2.  ignelement 
68,20.  78,8.  escrillants  72,18. 

B  felunesse  109,11. 

Q  felenessement  71,9,  132,7.  fenelessement  174,9.  298,10. 
felenie  65,2.  felun  65,12.  117,1.  ignele  30,6.  35,13. 

Lat.   1   wird   ausnahmsweise   11   oder   bleibt  in: 
R   Carir  562.  566.    Carl'  597.  833.   meistens    Carles   560.  655. 
Marsille*  1889.  sonst  stets  Marsilie,  z.  B.  7.  10.  seignurill  151. 


1  „G.  Paris  liest  mit  ^'n.  und  Hofmann  de  la  Marche."  Jahrbuch  für 
rom.  und  engl.  Litt.  (N.F.)  III,  S.   72. 

-  „Lüdouuig  ther  snello.  thes  unisduames  föllo",  beginnt  Olfrid  seine 
Evangelienharmonie.  Dafs  i  schon  im  Lateinischen  euphonischer  Vorschlag 
war,  bezeugt  Schucbardt  II,  338  ff.  Beza  sagt  S.  81:  „Vtteres  scribebant 
et  integre  sonabant"  s  in  „isnel  (velox)",  das  schon  in  OP  igr.el  lautet; 
vgl.  «.   326. 

3  Vulpata:  in  lubrico ;  OP  übersetzt:  pur  les  tricheries. 

*  Wohl  Schreibfehler  für  Marsilie,  also  ohne  mouilliertes  1;  es  gehiirt 
zu  derselben  Klasse  von  Wörtern,  wie  z.  B.  R  Gilie  (^Egidius)  2096.  Sezilie 
200.  bibilie  955.  LC  und  CC  vigilie  2220.  OP  cuucilie  39,14.  volatilie 
49,12.     CP  olie  5i,23  e.  c. 

19* 


292  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen. 

OP  milliu  21,15.  21,23.  pelioan  (CP  hat  pellican)  101,7.  solen- 
nite  73,5.  solennnited  ^  80,3. 

L  AUectoire^  127.  voill  550  ist  Schreibfehler  für  voilt  (146). 

CP  milliu  21,15.  35,1.  miliu  135,11.  135,15.  mileu  137,7. 
illiers  37,7.  pellican  ^  101,6.  sollemnite  *  80, 3.  .^olennited  104,45. 
solennitez  88,  32. 

B  cocodrilles  ^  85,7.  115,15. 

Q  Alias!  122,13.  Hallas !  366, 6.  Hellas!  halas!  352, 10.  Ha 
las!  Ha  las!  367,12.  laquelle  6  124,3.  milleu  255,17.  Messullam 
423,4.  Messalleineth  422,3. 

Norm.    11 
entstand  aus  1)  gracilis  in; 

R  grailles  700.  1004.  graisles  1454.  2443.  gresle  1319.  grasles 
2110. 

LC  grelles  1336. 

CC  grelles  1336. 

B  greille  75,6.  gredle  75,20. 

2)  lat.  rl  in  : 

B  pullent  96,3.  120,27.  pulente  125,8. 

3)  lat.  sl  in : 
R  mellee  450. 
LC  malles  2014. 

OP  illes  71,10.  96,1.  mellowe  101,10.  melle  105,33. 
CC  males  2014. 
L  isle  69.  325.  ille  292. 

CP  illes  71,10.  isles  96,1.  mellez  74,8.  mellai  101,9. 
B   ille   108,4.    illes  115,15.    idle   85,12.  127,25.    isle  127,24, 
malle  119,8.  malles  119,13.  male  95,6.  99,7. 


'  Nach  Meisters  Kollation  (S.  120)  ist  solennited  zu  lesen. 

-  Bei  Plinius  (nach  Beckmann  S.   17)  mit  einfachem  1. 

"  In  Homania  VI,  S.  204  sucht  d'Ovidio  die  VerdoppeUmg  des  1  im 
italienischen  pellicano  durch  den  Nebenaccent  auf  der  Haupt  silbe  vor  dem 
Ilauptaccent  zu  erklären  (wie  in  seppellire,  coccodrillo  c.  c). 

^  Diifs  es  schon  im  Lateinischen  neben  solemnis  ein  sollemnis  gab, 
haben  wir  bereits  oben  erwähnt. 

'>  Das  Wort  kommt  nur  hier  vor;  es  reimt  zu  idies  und  illes. 

«  Wohl  Schreibfehler  für  laquele;  z.  B.  quele  Q  2.50,  Hand:  laquele 
OP  118,49.  Lat.  -älis  wurde  stets  ele,  z.  ß.  OP  uniele  2], 21;  CP  nutur- 
nele  89,4;  B  tele  77,11;  Q  morteles  350,18  e.  c. 


Die  \'en]oppeIaiig  der  Konsonanten  im  Altnormannischen.  293 

Q  ille  246,8.  medlee  373,14.  mellez  48,1.  vallez  (vassallum) 
397,16.  vadles  65,14.  vadlet  82,3. 

4)  lat.  tl  \n: 

R  croUee  442.  espalle  647.  espalles  1344. 
OP  crollerat  7,13.  crollant  28,7.  crollement  105,29. 
CP  colee  105,29.  escroUee  76,18.  98,1.  espalles  90,4.  espalde 
(so  schreibt  OP  stets)  20,12.  80,6. 

Q  crodlez  205,16.  crodled  413,17.  croler  293,6. 

5)  lat.  dl  in : 

R  mollet  3159.   mollez  3900.   Rollant  175.  392.  Roll'  104.  194. 

6)  Im  in: 

OP  barnillent  (viriliter)  26,20.  barnilment  30,31.1 
Aus  allen  diesen  Formen  ergicbt  sich,  dafs  das  Normannische  das 
einfache  1  dem  doppelten  vorzieht;  jedes  fremdsprachliche  11  ist  fast  stets 
zu  1  geworden.  Um  so  mehr  ist  der  Schlufs  berechtigt,  dafs  das  nor- 
mannische 11  dort,  wo  es  sich  regelmäfsig  findet,  die  Länge  des  Kon- 
sonanten bezeichnen  sollte. 

Mouilliertes  1. 

Durch  Hinzutritt  eines  i  (animalia  =  almailles),  eines  j  (bajulia 
=:  baillie),  eines  unbetonten  e  (palea  =  paille),  eines  c-Lautes  (buti- 
cularius  :=  buteilliers)  oder  eines  t  (vetuhis  =  vieiP)  erhielt  das  1 
im  Laufe  der  Zeit  durch  die  Änderungen,  die  die  genannten  Buchstaben 
erfuhren,  den  mouillierten  Laut.  Auf  verschiedene  Weise  haben  die 
Schreiber  unserer  Texte  denselben  durch  die  Schrift  wiederzugeben 
versucht ;    einige   der  wichtigsten  Formen  mögen  hier  erwähnt  werden. 

Denselben  Laut  sollte  bezeichnen  OP  brulled  82,13  und  CP 
bruilled  82,  14.  OP  cavaillers  C.Moys.22  und  0  P  cavalers  C.Moys.  22. 
OP  groselier  57,9   und    CP   groseiller  57,9.     OP   travailai  6,6  unä 


1  Vgl.  S.  138,  Anm.  2. 

^  „La  Serie  phonetique  est  vetulus,  vetlus,  veclus";  Gautier  (Kol.).  In 
Anknüpfung  an  dieses  veclus  möge  hier  folgen,  was  Joret,  DuC...,  S.  317 
über  das  cl  medial  sapt:  „II  faut  lüstinguer  eiitre  cl  latin  et  cl  de  forma- 
tion  romane,  c'est-ä-diie  provenant  de  Tapocope  d'une  voyelle  intermediaire 
a  c  et  a  1.  Dans  le  premicr  cas  cl  se  change  ...  en  eh...;  cl  medial  de 
formation  romane  se  rencontre  dans  les  «Icrives  en  aculus,  eculus,  iculus 
et  uculus,  si  commun  dans  le  latin  de  la  decadence  ..."  Dieses  cl  wurde 
mit  wenigen  Ausnahmen  mouilliert  (S.  319). 

„Die  Abzweigung  ]j  =  cl  ist  früher  als  das  9.  Jahrh.  nachzuweisen: 
...  botilla  ...  bütiliario."     Schuchardt  II,  S.  488,  Anm. 


291  Die  Vcidoppelung  der  Konsonanten  im  Altnonuanni.vclKMi. 

travaillent  41,14,  sowie  CP  travallied  105,31.  L  batallie  140  und 
bataille  576.  B  reculli  86,2  und  recuillir  123,24.  B  traveiler  79,25 
und  travaille  85, 1  u.  s.  w. 

Beza  erklärt  das  monillierte  1  dahin,  es  laute  wie  italienisches  gli, 
spanisches  11  in  llamad  =  liamado.  Und  in  Ztschr.  f.  rem.  Phil.  IV, 
S.  413  sagt  H.  Suchier  über  das  mouillierte  1  folgendes:  „Die  alten 
normannischen  Texte  weisen  zwei  Wortklassen  auf,  die  mit  einer 
Strenge  geschieden  sind,  wie  solche  in  sprachlichen  Dingen  nicht  immer 
aufzutreten  pflegt.  Zur  ersten  Klasse  gehören  z.  B.  bataille  (bataile), 
entrailes  ...  fueille,  fille  ...  vergnine  vigne  ....  Zur  zweiten  gehören 
z.  B.  olie  uelie  ...  ulie  ...  milie  ...  concilie  ...  volatilie  ...  pecunie  ... 
testimonie.  Die  erste  Klasse  hat  1  mouille  oder  n  mouille  vor  dem 
auslautenden  e.  Die  zweite  Klasse  hat  1  oder  n  in  derselben  Laut- 
kombination, in  welcher  r  in  miserie,  adversarie,  v  in  dihivie  ...  fluvic 
...,  d  in  estudie  ...  envidie  ...,  rd,  rb,  nd  in  misericordie  ...  superbie 
...  iracundie  auftreten.  Das  heifst:  in  den  Worten  der  zweiten  Klasse 
geht  dem  auslautenden  e  ein  halbkonsonantisches  i  und  diesem  ein  kon- 
sonantisches 1  oder  n  vorher,  ohne  Mouillierung." 

Eine  besondere  Besprechung  erfordern  eine  Reihe  von  Formen, 
die  teils  auf  11,  teils  auf  Iz  endigen.  Ad.  Horning  sagt  darüber:  i  „La 
valeur  de  z  reste  donc  constante,  que  1  soit  precedee  d'uu  i  ou  non, 
que  1  elle-meme  tombe  ou  se  maintienne.  Ce  fait,  que  z  a  dans  ces 
mots  aussi  une  valeur  phonetique  bien  precise,  suffit  ä  refuter  les  theo- 
ries  qui  veulent  faire  du  z  un  signe  de  pure  Convention  indiquant  selon 
les  uns  que  1  est  mouillee  (G.  Paris,  Alexis  101,  Mall,  Comput  91), 
selon  d'autres  qu'elle  ne  Test  pas.  Cette  derniere  opinion  a  ete  accre- 
ditee  par  la  note  publice  par  M.  Schuchardt  Romania  III,  285.  Selon 
ce  savant  le  z  indique  que  dans  genoilz  p.  ex.  l'l  n'etait  pas  mouillee" 
...  und  wenn  man,  so  heifst  es  weiter,  travalz,  genolz,  conselz  etc. 
ohne  i  und  mit  z  findet,  „cela  tient  a  ce  que  z  a  la  valeur  phonetique 
ts  (ds)  et  n'est  pas  autre  chose  ...  Une  tout  autre  question  est  cellc 
de  savoir  si  les  mots  ecrits  par  z  au  sujet  singulier  et  au  regime  pluriel 
ont  ete  mouilles  ou  non,  Personne  ne  le  souliendra  aujourd'hui  pour 
des  formes  telles  que  travalz,  conselz,  oelz.  Mais  que  faut-il  penser 
d'oilz,    genuilz,    de  cunseilz   qui   sont   tres   frequents   dans  l'Alexis,    Ic 


'  „Du  z  dans  les  mots  mouilles  en  langue  d'oil"  in  den  Rom.  Studien 
IV  (Heft  16),  S.  627. 


i 


Die  \'tTdoppcluiig  der  Konsonanten  im  Altnornjannischen.  295 

Roland,  le  Psaut.  d'Oxf.,  bref  dans  un  grand  nombre  d'anciens  textos." 
Horning  kommt  zu  dem  Resultat,  dafs  i  nicht  beweise,  ob  1  mouilliert 
gewesen  sei  oder  nicht. 

Eine  andere  Anfserung  über  denselben  Gegenstand  findet  sich  in 
Zeitschr.  für  roman.  Philologie  II,  S.  539  fF.  Dort  heifst  es:^  „Das 
Schwinden  der  Mouillierung  vor  s  wird  ...  durch  Vertauschung  des  s 
mit  z  bezeichnet.  Thomsen  aber  (Memoires  de  la  Soc.  de  L.  III, 
S.  119,  Anni.)  scheint  die  Mouillierung  von  n  und  1  vor  z  gegen 
Schuchardt  aufrecht  halten  zu  wollen  ^  und  sucht  die  physiologische 
Möglichkeit  einer  solchen  Lautverbindung  durch  eine  veränderte  Aus- 
sprache des  z  zu  gewinnen."  Ulbrich  kommt  dann  selbst,  wie  auch 
Chabanoau  in  der  Revue  des  langues  romanes  V,  S.  330  —  339,  zu 
dem  Schlufs,  dafs  das  z  hörbar  gewesen  sei  ohne  Mouillierung  des  I. 

Die  in  unseren  Texten  vorkommenden  Formen  mit  mouilliertem  1 
.sind  :  ' 

A  aillurs  39.  baillie  42.  108.  bailide  107.  baillir  74.  bailissent 
105.  conseilers  52.  cuileita  app.  desconseilet  64.  conseilet  G8.  doilet 
101.  filie  8.  93.  fille*  9.  meillurs  22.  merveile  88.  89.  moilent  54. 
muiler  4.  6.  nioyler  8.  vailant  2.  vailante  4.  voillent^  1 16.  vollent  120. 

R  acoeillent  3967.  amiraill  2615.  2767.  amiralz  967.  2602.  ami- 
rail  2760.  apareilliez  643.  apareillez  1144.  2535.  aquillit  689.  Ar- 
goilles  3529.  Argoillie  3474.  Arguille  3527,  asaill  987.  asaillet  1659. 
asaillit  2564.  av'rill  3503.  baillastes  3446.  baillit  453.  3497.  baillie  94. 
bataillee  18.  589.  bataillie  2602.  bataill  1887.  bruill  714.  buillit2248. 

1  „über  die  vokalisierten  Konsonanten  des  Altfratizösiscben"  von 
0.  Ulbrich. 

-  Thomsen  sagt:  „Dans  la  Romania  III,  285,  M.  Schuchardt  a  cherche 
a  montrer  que  l'ecriture  Iz  et  nz  prouve  que  1  et  n  ne  sont  plus  mouillees. 
C'tst  un  fait  dont  je  ne  conviens  pas  du  tout.  A  peu  d'exceptions  prcs, 
...  z  ne  se  trouve  qu'apres  1  et  n  primitivement  mouillees  . .  .  Fideilz 
meme  peut  avoir  eu  1  mouiilee,  comp.  prov.  feilh,  Bartsch,  Chrest.  p.  35,  3. ..  " 

3  Erwähnt  werde  schon  hier,  dafs  li  u.  a.  folgende  Formen  aufweist: 
amiraill  (n.  s.)  2015,  amiralz  (n.  s.)  967,  genoill  (a.  s.)  2664,  sowie  orgoill 
(a.  s.)  313,  ferner  gentill  (n.  s.)  1853  und  gentilz  (n.  s.)  176,  soleill  (n.  s.) 
980  und  soleilz  (n.  s.)  1002,  sowie  soleill  (a.  s.)  2317  und  soleilz  (a.  s.) 
2450,  veilz  (n.  s.)  2409  und  viel  (n.  s)  2615,  sowie  veillz  (n.  s.)  796  und 
velz  (n.  s.)  30.^)0.  OP  hat  62,9  gupilz  (CP  62,11);  dasselbe  Wort  heifst 
B   106,12  gupille  (auch  gupilz  105,22)  u.  s.  w. 

^  Nach  G.  Paris  8.  102,  Anm.  eine  schlechte  Lesart,  denn  „la  fusion 
de  l'i  avec  l'l  n'etait  pas  complete  ä  l'epoque  de  notre  poeme." 

•'  Cette  forme  „doit  d'autant  moins  etre  maintenue  qu'on  lit  ailleurs 
voilent"  (G.  Paris). 

G  In  Romania  VI,  S.  201  nennt  d'Ovidio  *batvalia  als  Etymon  und 
fügt  hinzu:  „anche  per  influsso  di  battere."     Schuchardt  II,  S.  470  heifst  es: 


•J'JG  Die   \'eidoppelung  der  Konsonanten  im  Altnonnannischen. 

coillit  3771.  cunseiller  2212.  cunscillet  2668.  cunseilez  20.  cunseill 
62,2.  ciintrevaillet  1984.  curaille  1271,  desinaillees  3387.  desmailel 
1270.  2051.  esveillet  724.  esveillat  736.  exill  1862.  2935.  faillir801. 
1866.  fillastre  743.  fille  2744.  gaillard  2895.  gaillarz  3086.  gaillarde- 
nient  2959.  gentill  1853.  gentil-c  176.  2045.  genoill  2664.  gemiilz 
2192.  gresilz  1425.  Grossaille  1649.  raaile  (macula)  1329.  maik  (mal- 
leos)  3663.  meillor  51.  231.  merveille  550.  2466.  merveillus  815.  2474. 
nierveilus  370.  1397.  merveiller  537.  (je  me)  merveill  3179.  niuiller^ 
42.  muiller  361.  oreille  732.  oreilles  1656.  orguill  228.  orgoill  313. 
orgoil  1941.  3315.  orguilz  1549.  orgnillus  28.  orgoillos  474.  Piiillanie 
2328.  puillain  2923.  Puille  371.  recuillir  2965.  requeillit  3210.  Ros- 
sillon  797.  Russillun  1896.  saillent  2469.  soleiU  980.  2317.  soleil 
1808.  soleilz  1002.  2450.  taillet  1339.  travaillent  380.  traveillet  540. 
vaillanz  789.  vaillant  1168.  vaille  376.  vaillet  1666.  vieill  2048.  veill 
112.  2189.  veillz  796.  veilz  2409.  2807.  vclz  3050.  viel  2615. 
Veillantif  1153.  2032.  ventaille  1293.  3449.  vermeille  386.  verineilles 
950.  vermeill  968.  1299.  vermeilz  999.  2872.  voeill  330.  521.  voell 
2180.  voeil  492.  voillet  1419.  voeillet  1873.  2043.  voeille  3834. 
voeilet  2168. 

LC  apaieilliee  22.  baillie  465.  778.  bataille  84.  cunseillier  170. 
dcspuillat  1690.  esboillisant  1331.  esmerveillet  1825  (CC:  se  merveilt). 
failli  168.  faillir  3504.  grisil  1396.  gresil  1413.  orguillast  561..  re- 
eüilletl52.  saillantes  1262.  saillir  2967.  travaillai  109.  122.  tressaillum 
2347.  2373.  vaillant  212.  459.  voillet  141.  1452. 

OP  agenuillums  94,6.  almailles  67,11.  almaille  103,27.  apareilat 
7,13.9,8.  apareillanz  64,  7.  apareillenient  64,  10.  batalle  17,  37.  17,  43. 
batailles  45,9.  67,34.  brülle  25,25.  brulled  82,13.  cavailler.>  C.  Moys. 
22  (CP:  Chevaliers),  oavalers  C.  Moys.  22.  coailliez  1 18,  70.  corbt-ille 
80,6.  CLiillent  125,6.  cunseilerent  30,17.  defailli  38, 14.  defaillit  54, 11, 
despoilles  C.  Moys.  9.  enorguilist  9,23,  enorguillissent  C.  M.  ad  f.  J. 
40.  entailledures  77,64.  enlailleüres  96,7.  entaileüres  105,33.  en- 
trailes  50,11.  enveilirent  31,3.  enveilli  36,26.  esbuillissed  C.  Hab. 
25.  esparpeilet  21,14.  esparpeilled  147,5.  espuilles  67,13.  118,162. 
estuibeillun  C.  Hab.  21.  csveillez  77,71,  csveille  79,3.  exillet  36,9. 
fameilercnt  33, 10.  fameillerui  49,  13.  fameillanz  106,  5.  f'ameillus  106,9. 

„battualia  quge  vulgo  battalia  vocantur.  Cassiod.  S.  2300  P."  —  A.  Boucherie 
hat  also  unrecht,  wenn  er  in  den  Memoires  I,  S.  90,  Anni.  sagt:  „battuerc 
est  (autif," 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen.  297 

fillc0,14.  mies  44,10.  fuille  1,4.  fuilles  36,2.  gresille  17,14.  17,15.  grisille 
77,52.  gioselier  57,9.  grundillowent  40,  8.  giipilz  62,9.  merguillerent 
73,8.  merguillede  105,36.  merveillus  4,4.  64,5.  mervcilus  8,1.  8,9. 
nierveilles  39,  7.  70,  19.  merveiles  9, 1.  25,  30.  merveilerent47,  5.  narilles 
113, 14(CP:nes).  oeiHes48, 14.  64,14.  oeiles  8,  7.  oreilles  9,41.  39,9. 
oreiles  5,1.  16,2.  orgnillu.s  17,30.  88,11.  quaille  i  104,38.  remasilles 
16,16.  20,12.  repostaille  138,14.  C.  Hab.  22.  repostailes  9,30.  rc- 
postaile  9,31.  sunieillai  3,5.  sumeilla  118,28.  tille  73,7.  travaillent 
41,14.  travaillerat  48,8.  travailent  22,6.  26,4.  veilles  76,4.  veillai 
101,8.  veilece  70, 11.  veillece  70,  20.  91, 10.  voilles  102,2.  voillez 
C.  A.  7.  Voiles  36,1.  36,8.  volle/:  61,10.  94,7. 

CC  apareilliee  22.  baillie  465.  778.  bataille  84.  ciinseillier  170. 
despuillat  1690.  esbuillissant  1331.  failli  168.  failiir  3504.  gresil 
1396.  1413.  orguillast  561.  recoillet  152.  saillantes  1262.  s  illir  2967. 
travaillai  109.  122.  tres.saillum  2347.  2373.  vaillant  212.  459.  voillet 
141.  1452. 

L  aparelliees  60.  batallie  140,  bataille  576.  batailles  591.  boillant 
333.  boillir  638.  buillir  606.  desboillir  333.  despoiller  852.  estur- 
builun2  590.  faille  (s.)  451.  536.  faillie  (s.)  139.  failiir  248.  944. 
gresik  640.  meillors  153.  meillor  350.  meillur  515.  878.  merveilose 
460.  merveilkise  803.  moille  265.  nioile  55.  travaille  452.  682.  tra- 
valle  158.  vaillant  151.  168.  valliant  160.  vaille  681.  viellie  (adj.) 
704.  paillie  429.  paille  535.  saillir  605.  talliees  59.  entallie  108.  en- 
lallier  388.  taillee  688.  entailliee  362. 

CP  aCLiillit  26,12.  agiiillun  T.  D.  16.  ailles  31,9.  almailles 
67,11.  103,11.  aparaillied  5,2.  7,12.  aparellie  131,17.  apareiler 
r.  Z.  9.  apareilas  C.  S.  3.  bataille  17,34.  23,8.  bruillement  47,7. 
bruilled  82,14.  brullerad  96,3.  bruUant  103,4.  buillid  104,30  (es- 
biiillisset  C.  Abb.  24).  contruvailles  76,12.  corbeille  80,6.  cnilleit 
34,16.  defaillirent  63,6.  68,4.  desparpeillas^  17,41.  43,11.  despar- 
peilat   C.   S.   M.    6.    despueilles   67,13.    118,162.     despoiiles   C.   M. 


'  Littre:  „bas-latin  qiiaquila;  de  ralleraanrl :  flamand.du  moyen  äge, 
cjuakele  ..."  Schuchardt  II,  S.  488  nennt  quaylas,  das  den  Übergang  zu 
quaille  deutlich  erkennen  läl'st,  als  im  8.  Jahrh.  vorkommend. 

■■^  In  dem  V^erse:  „De  fuildre  ne  d'esturbuilun"  ist  esturbuilun  wohl 
Schreibfehler  für  esturbeillun,    wie  O  V,   C  P  und  Q   dieses  Wort   schreiben. 

3  Dieses  in  CP  mehrfach  wiederkehrende  Wort  hat  ÜP  nur  einmal 
als  desparpelat  C.  Movs.  6;  sonst  hat  t)  P  z.  B.  deperdis  17,44.  departeient 
43,12  e.  c. 


298  Di«  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnorniannifchcn. 

(Ex.  15)  9,  despoilie  75,5.  devinaille  (OP:  propositiün)  48,4.  cnor- 
guillissanz  45,3.  enorgullisent  48,  6.  entailleüres  73,  6.  77,  58.  entailli'ee 
96,  7.  entrailles  50,11.  54,  4.  entrailes  (Hs.  B  :  11)  48,11.  P.  Z.l  1.  enveilli 
36,25.  esbuillii^set  C.  Abb.  24.  esparpeillerat  28,6.  esparpeillat  ^  52,  5. 
esturbeillun  54,8.  82,15.  esveillant  72,20.  esveillai  3,5.  fameillerent  33,10. 
fameillerai  49,12.  feineilanz  C.  S.  M.  8.  fedeilement  Fides  Cath.  42 
(fedeilment  29).  2  fiUe  9,  14.  filles96,8.  foillel,4.  foillees  117,  28. 
fueillant  91,13  (OP:  pacient).  gresille  17,  12.  148,8.  groseiller  57,9. 
grundillement  5,1.  grnndillent  34,  21.  grundilloent  40,  7.  gupilz62, 11. 
niarguillied  36,18.  margtiillierent  73,7.  merveilles  9,1;  25,7.  mer- 
veillns  4,3.  105,45.  merveillie  47,5.  meillure^  62,4.  meillur  118,  72. 
oeilles  77,52.  77,70.  oueiles  151,1.  ueiles  151,5.  ueilles  8,8.  oreille 
9,38.  16,1.  orguillus  75,5.  135,19.  orgeillus  18,13.  25,4.  orguilus 
C.  S.  M.  6  (orguil  30,19.  30,24).  paroillent  (0  P:  parolgenf)  33,13. 
paveillun  (0  P :  tabernacle  14,1)  77,60.  quaille  104,40.  remesille 
16,14.  75,10.  remasille  C.  E.  R.  2.  repostailles  9,28.  16,12.  saillirent 
113,3.  saillistes  113,5.  suillei-at  54,22.  suraeillerat  120,4.  sumellai 
3,5(sumraeill31,4).  toilIes(OP:  tolgent  39, 19.  tolges  50,12)  50, 12. 
118,43.  travaillai  61,6.  travaillante  67,10.  travaillie  65,12.  106,39. 
travallied  105,31.  traveillanz  26, 14.  travelllat  *  55, 1.  turbeilluns  148,8. 
vaillant  (OP:  fort)  45,1.  87,4.  veillerai  16,15.  veille  (vigilia)  34,  24. 
veilles  62,7.  veilz  104,22.  veillece  70,9.  veillesce  70,  18.  91,10.  ver- 
seillerai  56,9.  verseillouent  67,26.  verseilliez  65,2.  67,33.  vuilles 
4,4.  36,1.  voilles  9,33.  31,  10.  voeilles  102,2.  voilliez  104,15.  voillez 
104,15. 

B  aillurs  130, 19.  baillie  76,  29.  81,23.  bataille  125,27.  bruillerat 

100.21.  bruille  110,17.  cillerat  110,2.  111,5.  ciiillie  101,24.    cuillir 

113.22.  cuveiller  120,15.  despuillat  81,5.  enveillist  110,15.  enveillir 
113,22.  esveillerat  82,20.  esveiUe  85, 14.  exiller  100,  8.  faoilles  87,  7. 
faille85,l.  fiillel29, 14.  129,15.  fuille  101,22.  fuillue  (foliata)  101,22. 
fuilluz  101,23.  gupille  106,12.  gupilz  105,22.  106,3.  merguillet 
107,21.     merguillerat    107,28.      merveille    85,14.    103,20.     muiller 


1  esparpeill  G7,l  ist  Schreibfehler  für  esparpeillet,  wie  IIs.  B  liest. 

^  OP  hat  S.  Ath.  er.  27  u.  40  fedeillement.  Das  Wort  lautet  sonst 
feelment. 

^  OP  kennt  nur  niieldre  (62,4.  83,10),  was  auch  in  CP  vorkoiumt 
(83,10:   Hs.  A). 

^  travaillz  45,1  ist  Schreibfehler  für  travailz;  sonst  kommt  das  Subst. 
in  CP  nicht  vor. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen.  299 

(*niolliare)  122,18.  mulier  100,8.  muliers  117,24.  oillot  116,12. 
oreille  95,25.  96,  2.  orailes  102,7.  paiUete  90,  28.  paille  91,  2.  re- 
cuillir  123,24.  reciilli  86,2.  seillerunt  103,16.  travaille  85,  1.  traveiler 
79,25.  traveillerunt  85,2.  traveillement  82,8.  uille  (ustulat)  110,17. 
vaillanz  83,21.  veillat  80,9.  veillad  80,12.  vellesce  114,6.  vcillesce 
114,16.  vermeille  78,6, 

Q  acuillid  74,11.  107,11.  agenuillez  264,14.  agennillat  346, 10. 
aguillon  44,18.  aillurs  18,16.  almaille  50,1.  54,6.  apareillast  43,12. 
apareilled  62, 5.  aparailliez  194,  14.  argilluse  257,1.  asaillid  61,1. 
153,6.  baillie  3,12.  24,5.  balle  251,  6.  baeilad  359, 15.  baillad  96, 12. 
bailled  156,9.  bataille  15,12.  36,  A.  1,2.  bataillerus  60,9.  buillo 
198, 16.  buteilliers  272,  2.  cuillit  82,4.  311,  2.  cunseiller  174,  3.  214,  7. 
defaillent  10,8.  defaille  132,13.  descunseillez  223,  2.  despuillez  76,11. 
despuillerent  119,8.  duille  86,14.  entailles  247,19.  enlaille  247,20. 
envieilliz  38,9.  esmerveillerent  58,10.  esmerveiller  76,  A.  1,2.  espar- 
peilled  116,3.  336,16,  esturbeillun  321, 7.  321,9.  esveillast  104, 4. 
esveillad  235,  11,  faillance  29,  13.  faillent  85,5.  faillid  116,12.  272,3. 
fameillus  6, 11.  fille  4,  5,  27, 15.  fuillees  2,  A.  2,  2  u.  3.  fuillie  396,  13. 
fuiUe  254,15.  fiiilli  2,A.  1,6.  lentilles  185,4.  meillnr  88,8.  107,18. 
inerveilles  41,10.  merveille  76,  A.  1,8.  merveillus  15,1.  inerveilluso 
15,5.  nuiillers  1,3.  muiller  2,8.  orguillid  280,16.  orgueillus  301,2. 
orilles  12,8.  205,14.  oueilles  88,10.  oeillej  185,6.  uwailles  65,1. 
uweilles  336,18.  paille  4,  A.  2,2.  218,17.  paveillun  103,5.  104,13. 
recuillirent  23,14.  remasilles  421,3.  435,15.  repo.>tailles  92,4.  re- 
postaille  206,6.  saillir  32,12.  saillid  81,  10.  taillurs  137,15.  245,2. 
taillage  393,17.  taillez  255,3.  266,19.  taillie  245,8.  taillies  267, 7. 
travailli.ssez  350,  10.  travaillerent  34, 16.  traveillez  19,12.  traveillad 
59,19.  vaillanz  28,14.  71,2.  vaille  84,16.  vielz  15,  A.  1,1.  19,2. 
veillard  288,19.  vieillarz  288,8.  viellesce  11,4.  vieille.vce  276,3. 
vitaille  2,A.  1,5.  89,13.  voilled  78,9,  vuille86,13.  vuillent  262,18. 
volille  240,2. 

r. 

Präpositionen    -|-    r. 
1)  ad  -|-  r. 
Diese  Verbindung  hat  fast  ausnahmlos   —    rr   findet  sich   nur  in 
ariiere  in  C  P,  Hs.  A  —  einfaches  r  ergeben: 

A  arivet  17.  ariver  39.  areste  525.  arosee  780. 


300  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnonuannlschen. 

R  araisiinet  3536.  arere  1251.  arereguarde  754.  arestant  1783. 
arester  2450.  aresteüe  1332. 

LC  ariere  692.  1434. 

OP  aracherat  24,16.  arachie  128,5.  ariere  9,3.  34,5.  ariiserai 
6,6.  arouseras  50,8. 

CC  ariei-e  692.  1434. 

CP  arichiti  48,16.  ariere  9,  3.  39,18.  arrierc  (Hs.  B :  r)  33,14. 
69,2.  aruserai  6,6.  ariised  103,13.  arusemenz  41,1.  aracherat  24,  1  6. 
arachie  128,5. 

B  arere  93,3.  areste  125,28,  ariver  108,5. 

Q  areinnad  31,3.  areisnad  32,6.  areisuna  3,4,  arestud  22,1 
aresteras  82,4.  ariere  11,14.  20,4.   arere  20,Rand.   ariverunt  243,9. 

2)  C2im  (c'o?i)  -}-  r. 

A  corocier  11.  corucet  ^  53. 

R  curreies  3738.  curueiez  469.  curu^us^  1835.  ciiriicus  2164, 

LC  corrumpnz  159. 

OP  corrumput  13,2.  corrumpues  37,5.  corruptiiin  15,  10,  29,11. 
curiiist  2,12.  curuce  7,12,  curucez  94,9, 

C  C  corrumput  159, 

CP  corrumput  13,2.  52,1.  corrupiiün  15,10.  29,10,  curruzt 
2,12,  currucer  84,5.  curecierent  105,15. 

B  corruptiün  87,29.  125,9,  curucez  86,22. 

Q  corruptiiin  21,12.  corrumpuz  262,15.  curius '*  29,11.  32,14, 
cuni9ad  37,3.  curueiez  40,6.  curruz  (s.)  196,  Rand,  curuz  263,13. 
362,7. 

Mit  Ausnahme  der  beiden  aus  dem  Lateinischen  herübergenomme- 
nen Wörter  corrumput  und  corruptiün  (die  also  auch  in  dem  hernach 
i'olgenden  Abschnitt:  „Lat.  rr"  hätten  erwähnt  werden  können)  findet 
sich  teils  r,  teils  rr.     Die  Präposition  hat  sich  erhalten  in : 

A   conreierent  100. 

R  cunreez  161.  cunreer  343.  cunreid  2493. 


'  OP  hat  riebe  serat.  In  ariehit  Vertauscbung  von  ad  und  en  (in); 
en  Kleibt  vor  r,  z.  B.  tnreiee  B  76,9;  enrenger  11  2181   e    c. 

-  Nach  Burguy  von  cholera,  biie ;  colerous ;  nach  Littre  von  corruptus ; 
Gautier  (Rol.)  saj^it  „<i'un  verbe  tel  que  corruptiare  fait  sur  conuptum??" 

'  In  der  Mandsebrift  sind  u  und  c  halb  verwiscbt. 

^  „Ein  unorganisches  Fremdwort,  das  dem  gelehrten  \'erfa«ser  von 
<iLR  geläufig  war."     Förster  in  Ztscbr.  f.  rom    Fhil.  II,  iS.  17o. 


Die  N'enioppelung  <1er  Konsonanten  im  Altnormannisclien.  oOl 

B  cunrei  108,  5. 

Q  ciinrei  21,8.  30,5.  cunreast  356,8. 

3)  des  ~\-  r 
findet  sich  nur  in  den  ei  ^  Q  212,  Rand.  Dieses  rv  lautete  wohl,  Avie 
Beza  (S.  37)  die  Aussprache  für  das  doppelte  r  angiebt:  „quum  gemi- 
natur  r,  fortiter  est  efFerenda,  una  qiiidein  priorem  syllabam  finiente, 
altera  vero  sequentem  inchoante,  ut  ...  beurrc,  errer,  ferrer,  fburrer, 
quarre,  verre  ...",  d.  h.,  nach  Vietor,  „mit  Schwächung  und  Wieder- 
verstärkung". ^  Diese  Aussprache  des  rr  ist  in  allen  Fällen  angewandt 
worden,  in  denen  ausschliefslich  oder  doch  vorzugsweise  Doppelkonso- 
nanz geschrieben  wurde. 

Lat.   rr. 

Wie  die  folgenden  Beispiele  zeigen,  ist  das  lat.  rr  meistens  ge- 
blieben (cf.  unten,  Anm.  4). 

A  acorent  102.  104.  curre  (inf.)  16.  39.  curante  85.  errant  16. 
23.  terre  16.  terres  23.  terrestre  12.  41. 

R  Amborres  3297.  carier  33.  131.  carre  33.  care  131.  186.  curro 
1197.  1281.  eure  3541.  curant  955.  curanz  1142.  encurent  2580. 
Engletere  2332.  enterrez  2960.  enterrerent  3732.  errer  167.  erret  497. 
ferree^  1370.  lariz  1085.  1125.  mirre  2958.  resurrexis  2385.  sucurez 
1794.  2786.  sucurre  2617.  sucurance  1405.  sucurs  2562.  tere  3.  35. 
terremoete  1427. 

LC  chariere  1433.  concurrent  (s.)  *  196.  2905.  concurrenz  2894. 
2898.  curant  2908.  erret  607.  612.  error  2088.  resurrectiün  206. 
2121.  surrectiün  279.  terre  542.  603. 

OP  Amorriens  134,11.  135,19.  curre  18,6.  curi  58,4.  cureies 
49,19.    curres    (s.)  19,8.  67,18.    decuranz    57,7.    decnrurent   77,23. 

1  Die  ganze  Stelle  lautet:  „firent  le  derrei  en  Tost  as  Philisthiens." 
Nach  Diez  von  raidjan,  wie  cunrei.  Littiesagt:  „des  ...  prefixe.  et  arroi"; 
letzteres  sei  „ar  pour  a<!,  ä,  et  du  mat  germanique  rät,  conseil,  secours, 
Provision."     (Q  425,7:  deramez  enthält  de.) 

-  Vol.  S.  288,  Anm.  2. 

^  Nach  S.  XI  statt  des  im  Texte  stehenden  feree. 

^  „En  Franceis  est  itant,  c'est  ensemble  curant"  sagt  der  Dichter  selbst 
('2907  und  2908),  indem  er  das  französisi  he  Wort  mit  einfachtm  r  schreibt. 
Überhaupt  erscheint  dieses  Zeitwort  —  mit  Ausnahme  des  Inf.  und  Fut.  — , 
sowie  auch  die  von  demselben  abgeleiteten  Hauptwörter  encurement,  decure- 
ment,  entrecuremenz  und  sucurance,  stets  in  allen  Handschriften  mit  ein- 
fachem r.  Nur  zwei  Formen  in  C  P  (acurrent  und  decurrurent)  sind  aus- 
genommen. Es  mufs  also  für  alle  diese  Formen  angenommen  werden, 
dafs  sie  auch  mit  einfachem  r  gesprochen  wurden. 


302  Die  \'errlo|ipeiung  der  Konsonanten  im  AltnoiMnanniscIien. 

encure/s  Gl, 3.  encurenient  90,6.  ferrine  2,9.  fenins  lOG,  IC.  Gomorre 
C.  M.  ad  f.  J.  47.  niirra  44,  10.  resiirrectiiin  138,1.  seredures  i  147,2. 
terre  1,5.  2,2.  terrien  48,2.  turuiJz  106,16. 

CC  chariere  1433.  concurrent  (s.)  196.  2905.  concurrenz  2894. 
2898.  curant  2908.  erret  607.  612.  eirur  340.  resurrectiun  206.  2121. 
surrectiün  279.  terre  402.  542. 

L  mirre  114.  purret  378.  terres  12.  150.  tere  523. 

CP  acurrent  61,10.  Amorriens  134,11.  barres  (Vulg.:  seras) 
147,2.  currunt  48,13.  curre  18,5.  curez  33,5.  cureient  37, 12.  curent 
58,4.    curust  104,38.    curres  19,7.  67,18.    decoreit  37,10.    decurent 

57.7.  decururent  104,41.  decurrurent  (Hs.  B:  r)  77,20.  decureient 
76,17.  decurable  67,  2.  decurement  54,  24.  entrecuremenz  18,6.  errurs^ 
18,12.  38,10.  eiramesl05,  6.  ferrine  2,  9.  feirins  106,16.  Gomorre  C.  M. 
(Deut.)  47.  horribletez  144,  6.  mirre  44,  8.  resurrecciün  138,2.  S.  A.  7. 
terre  2,2.  7,5.  tere  71,  19.  terae  C.  A.  7.  torreiit  35,8.  turuilz  106,  16. 

B  charere  93,3.  eure  104,4.  curant  93,4.  enferre  106,5.  Engle- 
terre74,  5.  errer79,24.  84,27.  serra  3  103,  28.  104,14.  serre  104,25. 
deseree  128,4.  terre  76,8.  76,23.  tere  118,6.  126,7.  terrestre  99, 19. 
126,27. 

Q  acureit  387,6.  Amoniens  201,5.  239,7.  Arroer  385,1.  barilz 
177,14.    curres  (s.)  27,14.  42,11.    curre  44,7.  353,9,    curut  11,8. 

44.8.  ferrement  246,6.  246,7.  ferrez  162,5.  horrible  15,6.  horribles 
145,12.  serred  267,8.  serreement  127,8.  246,5.  serres  (=  serrae, 
Sägen)  162,5.  serrures  90,2.  238,20.  terre  7,9.  13,11. 

German.  rr  (r). 

Hierhin  gehören:*  bierre,  esquire,  guerre,  marrir  und  Ableitungen; 
besonders  zu  nennen  ist  dann  noch  guer(r)edun(er). 

A  marrement  28. 

R  guere  235.  595.  guerre  242.  906.  guerreier  1514.  guerrer 
206G.  guerreit  597. 

LC  guerre  763.  1954.  guerreie  783. 

OP  guerre  143,1  (C  P  hat  bataille). 

CC  guerres  763.  guerre  1954.  guerrie  783. 

'  Vulg.:  seras.  „Früh  im  Mlat.  mit  einer  wenig  üblichen  Verdoppe- 
lung des  r  serra."     Diez. 

-  Dieses  Wort  und  das  folgende  fehlen  in  O  P  giinzlich,  wo  dafiir 
fchmle  (fesimes)  lof),!;.  forfaiz   18,12.  iniquitez  38, 12.  impiefez  64,3  stehen. 

■^'  „Est  beste  de  mer'\  sagt  der  Dichter. 

*  Vgl.  S.  303,  Anra.  1. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannisclien.  803 

B  guere  235.  595.  guerre  242.  906.  guerreier  1514.  guerrer  2066. 
guerreit  579.  mariz  76,23.  marri  106,27.  116,13. 

Q  bierre  132,20.   esquire  *  245,8.   guerre  71,7.  107,8.  guerreier 

395.18.  guprriad  36,5.  marri.:  81,13.  132,19.   marid  190,3.  mariras 

164.19.  marrement  77,11.  369,17.  marement  320,20.  321,15. 

Das  Wort  guer(r)edun  (widarlön,  Aviderdonum)  findet  sich  an  fol- 
genden Stellen: 

A  guereduner  56. 

R  gueredun  3409. 

OP  guerredun  27,6.  guerredunanz  7,4.  giieredurrat  17,27.  re- 
giieredunent  37,  21. 

CP  gueredunat  (Hs.  B  :  guerredtirrat)  17,  20.  guaredurrat  (Hs.  B: 
guerredurrat)  30,24.  gueredunat  (Hs.  B  geht  nur  bis  Ps.  95)  102,  10. 
reguerredurrai  C.  M.  (Deut.)  62,   reguerredunerat  C.  M.  (Deut.)  66. 

B  gueredun    120,4. 

Q  guerredun  124,16. 

L  a  t.   r. 

Dasselbe  wurde  nicht  selten  zu  rr.  Ein  sichei-er  Girrund  für  die  Ver- 
doppelung ist  nicht  zu  erkennen,  da  auch  einfaches  r  ebenso  häufig  ist. 

A  dire  25.  123.  dirre  122. 

R  Arrabiz  1513.  3011.  Arabiz  3518.  Arabe  3555.  dire  325. 
582.  cuntredire  195.  Sarraguce  („Ccesar-Augusta")  6.  8.  Saraguce 
2818.  sarraguzeis  996.  saraguzeis  995.  Sarrazins  147.  367.  Sarazin 
269.   sarazineis  994. 

LC  dire  221.  229. 

OP  defirre  38,15.  gierres  2  72,13.  serement  104,8.  seremenz  ^ 
C.  Hab.  14. 


'  Vom  „ahd.  skerran  kratzen"  (Diez);  ebenso  decirer,  das  bereits  auf 
S.    143  aufgeführt  und  daher  hier  übergangen  ist. 

-  In  Ztschr.  f.  roiu.  Phil.  I,  S.  431  sagt  H.  Sucbier:  „üiez  stellt  gier(es) 
mit  ergo  zusammen  und  halt  ore  für  identisch  mit  dem  lat.  Ablat.  hora  .  .  . 
Ich  schlage,  solange  sich  nichts  Besseres  findet,  folgende  Erklärungen  vor. 
Das  archaische  Latein  kann  neben  dem  ho  von  hodie  auch  ein  Femininum 
ha  besessen  haben,  das  später  durch  die  Zusammensetzung  hac  (aus  ha -|~  <'ß) 
verdrängt  wurde.  Dieses  ha  glaube  ich  in  jenen  Worten  zu  finden,  gier(es) 
ist  lat.  de  ha  re.  Das  Wort  lautet  im  Oxf.  Ps.  72,13  gierres,  im  Cambr. 
gierres  und  glerre  (S.  282).  Der  Laut  dzh  entstand  ans  de,  di  ... -f- Vokal .. ." 

Gegen  diese  Ableitung,  die  noch  einmal  in  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  Ill, 
S.  149,  Anm.  2  wiederholt  wird,  wendet  sich  Cornu  in  Komania  X,  S.  339, 
ohne  eine  bessere  vorzuschlagen;  es  ist  igitur;  nach  ihm  ist  igitur  geworden : 
„*igetur,  *i(g)edro,  *iedre,  *ierre  etc....'' 

^  Joret,    Du  C...    S.    322   sagt   über   dieses    ^^'ort:    „En    fran9ais   ..., 


301  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannisclien. 

CC  dire  221.  229.  dine  89. 

CP  gieres  30,23.  G3,  7.  gierres  77,31  (Hs.  B:  dune).  105,39 
(Hs.  A  und  B).  gierre  T.  D.  19.  serenient  104,  9.  serenienz  C.  Abb.  13. 

B  Ariianon  (Arius)  91,26.  dire  127,23. 

Q  averrat  (wurde  wahr;  jedoch  averad  =  habebit  415,  7)  357, 1  2. 
dire  131,2.  199,14.  glorrifierai  9,19.  glorifier  324,12.  Sarraias 
(=  Saraias)  149,2.  serement  77,9.  109,14.  serrement  96,5.  194, 
A.  1,1.1 

Lat.    atr  =   arr.2 

R  arreraent  1933.  marrenes  3982.  parrastre  1027.  parastre  277. 
parastres  308. 

L  C  larruns  1 1 68. 

OP  larrun  49,19. 

CC  larruns  1168. 

L  larruns  846.  larrun  850.  lierres  475. 

CP  larrun  16,4.  49,18. 

B  larenesse  109,  11. 

Q  larruns  115,1.  134,3.  laruns  131,11.  laruncels  361,9. 

Lat.   i  t r   =  irr 
findet  sich  nur  in  eschalcirrouent  Q  140,2. 

Lat.    utr  =   urr. 
A  nurrit  Einleitung,  nurrir  7.  purirat  96. 
R  nurrit  1860.  2380. 

OP  bure3  C.  M.  ad  f.  J.  20.  nurrit  22,2.  nurriras  30,4.  purri- 
rent  37,5.  purreture  C.  Hab.  25. 

Mvant  la  tonique  et  apies,  quand  par  suite  de  la  chute  d'une  voyclle  atone 
iiitermediaire  l'r  est  suivi  d'une  consonne,  le  g  s'affkiblit  en  y  (i);  c'est 
ainsi  que  sacramentum  a  donne  successivement  dans  cette  langue  sagrament, 
sairement  ou  sairment  et  enfin  serment."  Dem  salrement  nahe  steht  das 
obige  serrement.  In  der  Bibliotheque,  16e  f.,  S.  .'^3  heifst  es:  „Dans  les 
sernients  on  trouvo  encore  le  niot  sagrament,  qui  devait  devenir  .  .  .  saire- 
ment." 

'  Auch  sacrement  findet  sieh,  z.   B.  33,13. 

""  In  Romania  Vif,  S.  367  sagt  Cornu:  Tr  so  maintient  au  commen- 
cement  et  dans  le  corps  des  mots  apres  une  consonne.  Criendre  et  criemur 
tle  tremere  et  tremorem  sont  les  seules  exeeptions  h  cette  regle.  Entre 
ileux  voyelles  tr  devient  d'abord  dr,  puis  rr  et  enfin  l'requemment  r.  II  y 
a  eu  ...  assimilation  et  non  chute  ou  syncope  de  la  dentale,  corame  l'adinet 
Diez  ...  et  comme  semble  le  penser  G.  Paris,  qui  parle  de  suppression 
du  d  . .  ." 

■'-  „buturi  (Butter;  301   n.  Chr."     Schuchardt  II,  S.  260. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannisehen.  30ü 

L  nurice  765.  norice  773. 

CP  burre  54,23.  bure  C.  M.  (Deut.)  20.  nurrid  22,2.  mirriras 
30,3.  purri  30,11.  purrirent  37,5.  purieture  C.  A.  24. 

B  nureture  108,28.  109,5.  nuriz  109,5.  nnri  120,12.  niiiri 
109,18. 

Q  bure  185,6.  esourre  (excutere)  117,2.  nurrir  278,2.  nurrie 
158,4.  nnrrice  135,18.  nurice  385,10.  purrisseient  19,3. 

Nach  a,  i  und  u  hat  sich  also  der  durch  Assimilation  des  t  an  r 
entstandene  Doppelkonsonant  meistens  erhalten.  Anders  verhält  es 
sich  mit  rr  (r)  aus  tr  nach  e. 

Lat.   atr,    etr,   itr  nrz   err   (er). 

A  emperere  4.  frere  ^  24.  57.  medre  26.76.  niezre2  89.  pere  Ein- 
leitung. 121.  pedre  4,  7.  pedra  21. 

R  arere  1251.  rereguarde  574.  584.  arereguarde  754.  rereguarder 
2774.  darere  3317.  derere  574.  1832.  emperere  1.  214.  frere  490. 
880.  meres  1402.  pere  306.  peres  1308.  perre  2373.  Porre  (Petrns) 
373.  921.  Piere  3094.  perrun  (petra)  12.  perruns  2268.  perres  1452. 
perre  2300.  piere  982.  pierres  1661.  proveires  2956. 

LC  ariere  692.  1434.  derains  2446.  derain  3144.  dariere  1323. 
deriere  1417.  freres  1270.  frere  1275.  merchere  732.  mere  731.  736. 
pechiere  526.  pere  515.  1276.  pieres  2745.  pruveires  3.  37. 

OP  aiderre  70,9.  ajuerreS  18,16.  26,15.  ajucre  9,9.  9,38. 
ariere  9,3.  34,5.  cultivere  104,21.  118,19.  curabatere  C.  Moys.  4. 
defenderre  17,3.  17,33.  defendere  17,21.  70,8.  delivrerre  17,51.  de- 
livrere  17,1.  70,7.  derainetez*  67, 14.  dederainetez  72,17.  77,72. 
deraines  138,4.  eirrent  11,9.  frere  48,7.  49,21.  gablere  108,10.  ju- 
gerre  7,12.  74,6.  jugierre  49,7.  mere  21,9.  26,16.  peccherre  9,17. 
9,24.    perre   21,4.  26,16.    pere   44,12.    peres    44,18.    pierre    18,11. 


1  Zwar  findet  sich  frere  in  unseren  Texten  nie  mit  rr;  trotzdem  haben 
wir  es  citiert,  weil  perre  dies  wünschenswert  erscheinen  liefs ;  merre  findet 
sich  nur  in  CP;  sonst  heifst  es  stets  mere  (niedre,  niezre  in  A).  Cornu 
sagt  in  der  Romania  \'II,  Ö.  368:  „Rire  et  rirai  ne  presentent  ä  ma  con- 
naissance  jamais  le  redoublement  de  l'r.  11  en  est  de  merae  de  frere  ..." 
Übrigens  findet  sich  rirrunt  in  CP  51,. 5. 

-  Das  z  bezeichnete  hier  wie  auch  sonst  häufig  einen  im  Verschwinden 
begriffenen,  kaum  hörbaren  Laut.  Dafs  das  z  schon  im  Lateinischen  in 
den  ältesten  Zeiten  einen  weichen  s-Laut  hatte,  erwähnt  Schuchardt  I,  S.  74. 

^  Nach  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  1,  S.  571  und  III,  S.  463  besser  aiuerre  etc. 

''  So  ist  nach  Meisters  Kollation  (S.  120)  zu  lesen  statt  derralnetez. 

Archiv  f.  n.  Sinaclien.   LXXY.  •^0 


306  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnorniannischen. 

26,10.  porterre  83,7.  proveire  131,9.  raachaterre  18,16.  rachatere 
77,39.  receverre  3,3.  17,3.  remembrerre  8,5.  15,4.  remembrere  6,5. 
62,7.  salverre  24,5.  26,  15.  salvere  61,2.  61,  6.  tiineire  103,8.  tonelre 
76,17.  venquere  C.  Hab.  22. 

CC  ariere  692.  1434.  dederains  2446.  dederain  3144.  deriero 
1323.  1417.  freres  1270.  frere  1275.  merchere  732.  raere  731.  736. 
pechiere  526.  pere  515.  1276.  pieres  2745.  pruveires  3.  37. 

L  emperere  17.  (en)  eir  623.  (en)  erre  892.  pierres  25.  38.  piere 
49.  73.  perrier  347.  877.  veirre  710. 

CP  abiterres  2,4.  abiterre  21,3.  abitore  9,11  (auch  abiteour 
32,8).    aidierre   71,12.    aiderre   53,4.  93,17.    aidiere9,35.    aidieres 

143.2.  ajuerres  21,11.  ajuverre  29, 12.  58,18.  ariere  9,3.  39,18. 
arriere  (Hs.  B  hat  stets  ariere)  33,14.  69,2.  cultiverre  140,7.  ciim- 
batere  21,9.  C.  M.  (Ex.  15)  4.  defenderre  58,11.  70,6.  defendere 
67,  5.  defenderes  45,  7.  dereinetet  36,  38.  dereinete  45,  9.  dereine  47, 14. 
60,2.    derrein    138,10.     derreines  138,16.    eirres    139,5.    escerchiere 

108.12.  esleverre  58,9.  jugierres  9,4.  74,7.  jugiere  49,6.  T.  D.  18. 
merre  21,9.  21,10,  mere  26,12.  33,15  (Hs.  B).  perre  21,4.  paerre 
38,  14.  peres  26,12.  108,15.  pierre  17,2.  26,6.  piere  C.  M.  19.  pere 
C.  M.  5.  porterre  59,7.  preveires  98,7.  131,16.  pruverre  7,9.  prou- 
veirre  131,9.  purseierre  15,5.  raachatierre  18,14.  raachaterre  77,35. 
reeeverre  17,2.  61,6.  remembrerre  73,18.  110,5.  remembrere  73,22. 
135,24.  salverre  16,7.  17,2.  salvere  143,2.  salveres  C.  Y.  P.  2. 
seierres  98,1.  tuneire  80,7.  103,7.  toneiric  76,18.  vengierres  8,3. 
venquerre  C.  A.  31.1 

B  arere  93,3.  derere  75,6.  122,21.  gableres  91,16.  mere  96,24. 

109.3.  pere   78,19.    78,22.    peres   (=  pieres)    79,15.    pere    95,17. 

100.13.  piere  86,14.  veneres  87,19.  94,13. 

Q  ariere  11,  14.  20,  4.  derain  35,  9.  deraines210,  8.  deriere  138,  20. 
152,15.  frere  45,10.  126,19.  mere  1,A.  1,5.  81,5.  perrette  182,16. 
pierre  14,3.  17,8.  piere  245,12.  pruveire  1,4.  9,3.  salveres  205,3. 
tuneire  40, 14. 

Es  erscheint  also  in  diesem  Falle  in  den  älteren  Handschriften 
die  Schreibung  mit  rr,  in  den  jüngeren  diejenige  mit  r  als  die  ge- 
bräuchlichere. 


1  Nach  Ztscbr.  f.  rom.  Phil.   1,  S.  572    statt   des    im  Texte    stehenden 
venquerere  (H.  Suchier). 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen.  307 

Lat.   d  r. 

A  consirrer  32.  49.  consiree  ^  80.  desirrer  80.  desirret  42.  desiret 
105,   desirrables  Einleitung,  desirruse  92. 

R  desiret  1643.  ocire  42,  Rand,  quarrel  2265.  rire  323.  1368. 
Tieiris2  3083.  Tierri  3534, 

LC  Quaresnie  3302.  3381. 

OP  desirret  44,1  (zweimal),  desirables  18,11. 

CC  Qiiaresme  3302.  3381. 

L  quarree  836. 

CP  desirer  9,23.  desirant  16,12.  desirad  (=  desideravit)  62,2. 
desirrad  (^  desideravit)  131,13.  desirree  131,14.  desirable  18,10. 
quarruges  143,14. 

B  quarre  75,5.  75,19. 

Q  charrei  27,11.  clorre  400,  11.  desired  2,  10.  ocire  9,4.  10,  A. 
1,1.  quarriere  245,8.  423,10.  quarrez  250,6.  esquarie  266,19.  as- 
qiiarie  3  245,8.  squarrie  250,9. 

„L'assimilation  du  d  ä  l'r"  —  sagt  G.  Paris,  AI.  S.  97  —  „avait 
eu  lieu  dejä  sans  doute  en  latin  vulgaire";  als  Beweis  hierfür  könne 
das  arripere  des  „latin  litteraire"  gelten. 

In  unseren  Handschriften  ist  rr  und  r  für  lat.  dr  gleich  hcäufig. 

Ger  man.   d  r. 
Diese  Verbindung  hat  rr  ergeben  in : 
R  furrer  444. 
Q  fuerre  123,4.  furre  240,3. 

Lat.   rr   (aus  rer)   in   qusErere. 
A  querre  23.  27. 

R  cunquere  2920.  querre  2180.  2870.  quere  1700.  3296.  re- 
querre  1782. 

LC  cunquerre  1532.   1612.  requerre  604.   1780. 
CC  ebenso;  aufserdem  enquerre  346. 


'  Im  Text  steht  fehlerhaft  consireres. 

^  Auch  das  Niederdeutsche  assimiliert  noch  heute  d  und  r  zu  rr  (r) 
in  dem  Worte  Därrek  (Därk)  =  Diederik  =  Dietrich.  Ähnlich  lautete 
schon  im  10.  Jahrh.  der  Name  des  Entdeckers  von  Amerika:  Dierk. 

3  Von  Steinen  heifst  es  (245,8)  que  „fussent  taillie  a  esquire  e  as- 
quarie",  und  250,9  steht:  „cuverte  d'or  tut  a  riule  e  a  squarrie";  es  ist  also 
asquarie  entweder  =  esquarie  oder  =  a  squarrie. 

20* 


808  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormanniscben. 

C  P  esquerre  110,2. 

B  conquere  76,8.  78,8.  enquere  119,5.  querre  77,13.  quere 
113,19.  130,19.  requere  118,3. 

Q  cunquerre  62,  8.  62,  9.  enquerre78,  14.  199, 14.  esquerre  119,6. 
querre  14,  A.  2,4.  29,5. 

Besonders  zu  erwähnen  ist  murrir  A  88  und  B  102,5;  mit  ein- 
fachem r  findet  es  sich  R  536;  LC  und  CC  1452.  1576;  B  112,14. 
112,16;  Q  81,8. 

rr  im  Fut.    (u.   Cond.). 

Dafs  diejenigen  Zeitwörter,  die  schon  im  Inf.  ein  doppeltes  r  auf- 
weisen, auch  im  Fut.  dieses  rr  meistens  beibehalten,  ist  um  so  natür- 
licher, als  das  Normannische  die  Verdoppelung  des  r  im  Fut.  über- 
haupt liebt,  mit  der  in  diesem  Falle,  wie  Bezas  schon  erwähnte  Regel 
für  die  Aussprache  des  rr  bestätigt,  eine  gesonderte  Aussprache  jedes 
einzelnen  r  verbunden  war.  ^ 

Mit  rr  im  Inf.  fanden  sich:  clorre,  curre,  dirre  —  während  ocire 
nur  einfaches  r  zeigte  — ,  murrir  und  querre. 

clorre  findet  sich  —  und  zwar  mit  einfachem  r  —  im  Fut.  nur 
B  128,8:  clorat. 

curre  findet  sich  im  Fut. : 

R  succurrat  1061.  3443.  succuras  3996. 

LC  curra  3544.  securrat  1815. 

OP  decurrat  1,4.  decurrunt  147,7. 

CC  currat  3544.  sucurat  1815. 

CP  currai  17,29.  currunt  48,13.  decurrat  1,4.  decurrunt  17,46. 
93,4. 

Q  currai  364,9. 

dir{r')e  findet  sich  im  Fut.: 

A  dirrat  74. 

LC  dirrai  94.  2093.  dirrum  307.  dirrunt  107.  dirum  1989. 

OP  dirrai  17,53.  26,11.   dira  90,2.  105,46.   maldirunt  108,27. 

CC  dirrai  94.  3137.  dirrunt  107.  dirrum  307.  1989.  dirat  2505. 
dirum  2093. 

L  dirai  47. 

CP  dirrai  41,9.  49,12.  dirrad  105,48.  dirrunt  34, 11.  maldirrunt 
108,29. 

'  ^'gl.  s.  301. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnoruiannisclien.  309 

B  dirai  87,  5.  dirum  94,  3. 

Q  dirrad  29,13.  dirrunt  32,13. 

ocire  hat  im  Fut.  rr  nur  in  OP  und  CP: 

OP  ocirras  138,18. 

CO  ocirrat  33,21.  ocirrunt  93,6.  ocirras  138,21. 

Dagegen  findet  sich : 

R  ocirai  867.  ocirum  884. 

B  ocirait  99, 14. 

Q  ocireient  13,13.  ocirad  58,5. 

mur(ryir  findet  sich  im  Fut. : 

R  murrat  615.  murrez  437.  murat  3043. 

L  C  murreient  296. 

OP  morrai  117,17.  murrat  40,5.  murrez  81,7. 

CG  murreient  296. 

CP  murrat  40,5.  48,12.  murrunt  36,9.  36,22. 

B  murrunt  92,20.  103,15.  murunt  103,14.  murat  122,  14. 

Q  murrunt  10, 10.  10, 11. 

qiierre  findet  sich  im  Fut. : 

A  querreuns  105. 

R  cunquerrai  988.  cunquerrat  401.  querreient  404. 

LC  querras  3414.  3540. 

OP  aquerrunt  68,40.  esquerrai  118,33.  querras  36,10.  querrat 
9,25.  requerrai  26,7.  requerrat  9,36. 

CC  querras  3414.  3540. 

L  requerra  373. 

CP  enquerrat  43,21.  querrai  121,9.  querras  9,36.  querrunt 
82,16.  requerrai  26,5.  requerrat  9,24. 

Q  esquerrai  92,6.  querrad  88,18.  querrums  60,3.  requerrai 
40,11.  requerrad  261,16. 

Im  Anschhifs  an  diese  Formen  mögen  alle  diejenigen  Zeitwörter 
folgen,  welche  vor  der  Infinitiv-Endung  ein  r  haben,  welches  sie  im 
F'ut.  mit  dem  r  des  Infin.  zusammenrücken,  wie:  demuslerrad,  aoverrai 
u.  s.  w. 

Die  hierhin  gehörigen  Formen  sind  : 

A  soferaii  46. 


'  „Sicherlichlsind  sofrirai,  entrerai  Neubildungen,    welche   sich  an  den 
Infinitiv  anlehnten  und  die  ursprünglichen  Bildungen  soferrai,  enterrai  u.  s.  w. 


310  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormanniiichen. 

R  durerat  312.  dureit  1707.  ferrai  i  1055.  1065.  jurrez  605. 
liverrai  658.  plinrunt  1749.  repairerat  573. 

LC  aparreit  (C  C :  aparereit)  2568.  demosterai  223.  demusterum 
311.  demusterriins  2235.  demusterrat  3188.  3502.  durreit  315.  dorra 
2202.  3225.  enterrat  3182.  enterrimt  3001.  enterat  3022.  entera  3190. 
labiirereit  1541. 

ÜP  abeverras  35,9.  aorerai  5,  8.  aorerunt  21,  30.  71,15.  aoverrai 
48,4.  77,2.  coverrad  139,10.  deliverras  17,47.  17,52.  demurerat 
24,14.  29,6.  demusterrai  90,  16.  deniimberrai  138,17  (CP:  numbrerai, 
V,  20).  descuverrat  28,8.  desseverras  67,10.  desseverruras  79,19. 
devurerat  20,9.  devorerums  34,28.  eniverrai  C.  M.  ad  f.  J.  63.  en- 
terrai  5,8.  entenat  23,7.  enumberra  90,4.  espererai  26,6.  54,27. 
esperrai  55,3.  esperrat  63,  11.  ferrai  C.  M.  ad  f.  J.  59.  mesurerai 
59,6.  107,7.  niurmurerunt  58, 17.  musterrai  49,24.  odererunt  113, 14. 
ofFerrai  65,14.  ofFerrunt  67,32.  orerai  5,3.  orerad  31,7.  remeraberrai 
70,18.  rememberrunt  21,29.  repairerunt  103,30.  sufferuut  58,7. 
58,16. 

CC  aparereit  2568.  deniusterai  223.  demusterum  311.  demuster- 
runs  2325.  demusterrat  3188.  3502.  durreit  315.  durad  2202.  durat 
2450.  3225.  enterat  2924.  3022.  enterrat  3182.  enterrunt  3001.  labu- 
reit  1541. 

L  eniverra  389.  liverra  451.  oscurera  240. 

CP  abeverras  35,9.  aüerai  5,7,  aürrunt  (Hs.  B  hat  aorerunt) 
85,9.  aoverrai  48,4.  77,2.  aparrai  (O  P :  aparistrai)  41,2  (Hs.  B:  r) 
76,18  (A  und  B).  couverrad  139,10.  cuvenunt  138,12.  deliverrai 
90,14.  90,15.  deliverrad  33,  7.  deliverai  49, 15.  demurrat  29,6.  48,20. 
demurerad  90,1.  demusterrai  90,16.  deniusterai  49,23.  deseverrad 
100,4.  deseverrunt  103,22.  devurrat  20,9.  devorerat  C.  M.  (Deut.)  34. 
devoreruntC.  M.  (Deut.)  36.  durrat  71,17.  eniverrai  CM.  (Deut.)  63. 
enterrai  5,7.  25,4.  enumberrad  90,4.  espererai  56,1.  espereras  90,4. 
esperrunt  39,4.  esperrat  63,  10.  estorras  (=  instaurabis)  103,  30.  ferrai 


verdrängt   haben."     Reinipred.    S.  XXX.     Die   in   unseren   Texten    vorkom- 
menden Formen  beweisen  die  Richtigkeit  dieser  Anschauung. 

'  „Je  ocirrai,  et  je  vivre  ferai;  je  ferrai,  e  je  sanerai"  heilst  es  in  Q, 
C.  M.  ad  f.  J.  ü9.  In  dieser  Stelle  stehen  die  Fat.  von  ferir  und  faire 
nebeneinander;  faire  hat  im  Fut.  stets  einfaches  r,  und  das  zwischen  f  und  r 
stehende  e  war,  wie  aus  frum  18,14  und  frez  21,4  in  Q  hervorgeht,  stumm 
oder  doch  beinahe  stumm.  Einige  Beispiele  des  Fut.  von  faire  sind:  II  ferai 
787.  3494;  LC  und  CC  ferat  '67.  ferai  2034;  B  ferai  81,9.  ferat  82,22; 
Q  ferai  363,18.  frum  18,14.  frez  21,4.  refrez  20,13. 


Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altncrniannischen.  311 

88,24.  ferrad  109,7.  jurerad  109,5.  liverrat  40,2.  mesurrai  59,6. 
107,7.  niurmnrerunt  58,15.  numbrerni  138,20,  odererunt  113,  13. 
offenunt  75,11.  oßerunt  (Hs.  B:  rr)  G7,  30.  71,10.  orerai  5,3.  orerad 
31,7.  perseverrai '  108,106.  rememberrai  -  86,3.  repairera  34,14.  re- 
pairerunt  103,29.  urrunt  (=  orabunt)  71,15.  uverrad  137,8. 

B  apparat  124,14.  cuvererat  96,16.  demusferait  94,16.  enterat 
79,11.  82,19.  parrat  75,16.  parat  128,9.   repairarat  112,22. 

Q  aparrum  46,8.  aürrad  364,4.  aiirrunt  263,9.  cuverez  353,15. 
deliveras  32,10.  deliverad  24,8.  delivrerad  51,17.  demurrad  182,1. 
demusterrad  336,  9.  deseniveras  4, 1.  deseverai  279, 14.  devurrad292, 17. 
devurreront  306,8.  durrad  144,19.  374,3.  encuntreras  80,1.  328,16. 
encurteras  33,5.  engendreras  260,9.  enterras  33,5.  136,15.  entreras 
292,  20.  338,  1.  enteras  113,  14.  enteruns  372,  16.  escurras  (ex-curare) 
336,1.  ferrai  103,14.  ferrad  293,6.  guarrez  20,6.  guarrad66,4. 
liverai  89,  10.  liverad  67, 12.  memberad  100,  20.  musterai  31,  5.  33, 14. 
musterrai  55,11.  musterreit  77,7.  ofFereient  389,11.  plurras  100,18. 
sufferas  60,5.  sufFerai  280,3.  unurrai  327,18.  unurreit  287,8.  uverai 
159,12. 

Norm,  rr» 

entstand  ferner  aus  n  -^  r  und  d  -\-  r  durch  Assimilation   von    n   und 
d  an  r  infolge  des  Ausfalls  von  e. 

1)  n  -\-  r. 
A  durai  45. 

R  durrez  30.  durrai  75.  3398.  durai  3399.  durat  472.  merrez 
3204. 

OP  amerrunt  71,10.  demerras  30,4.  demerrums  43,7.  dunrat 
1,3.  13,11.  durrai  2,8.  durras  20,6.  forsmerras  30,5.  forsmerrat 
36,6.  guerredurrat  17,23.  30,30.  merras  C.  Moys.  20.  remerras  72,20. 

L  durra  660. 

CP  demenrat  71,8.  demenrad  106,30.  demerrad  24,8.  107,10. 
durrai  2,8.  durrat  1,3.  durat  (Hs.  B:  rr)  13,10.  forsmerras  30,4. 
forsmerrat  36,6.  forsmerad  100,28.  guaredurrat  30,24.  guerredurrat 
(Hs.  B;  Hs.  A:  gueredunat)  17,20.  merrums  19,5.  merras  C.  M.  20. 
ramerrad  13,10.  reamerrat  52,6.  ramerras  72,20. 


1  So  ist  statt   perseverai  —  Michelet   schreibt  perseve(re)rai   —    nach 
Ztschr.  f.  rom.  Phil.  I,  S.  572  zu  lesen  (H.  Suchier). 

-  Sonst  hat  CP  z.  B.  recorderai  70,16.  recorderunt  21,29  e.  c. 


ol2  Die  \'erdoi)pelung  der  Konsonanten  im  Altnormiuinischen. 

B  dural  89,27.  130,11.  dmeit  75,24.  durait  130,7. 

Q  amerrat  124,5.  amerrunt  71,10.  amerrerai*  131,7.  durreic 
3,15.  durreit  3,  A.  1,  2.  merrai  116,  2.  remerrad  176,3.  renierrai 
181,  6. 

Aufser  in  Q,  wo  überall  rr  steht,  findet  sich  also  neben  der  Doppel- 
könsonanz  bisweilen  auch  einfaches  r ;  in  einigen  Formen  hat  sich  das 
ursprüngliche  n  erhalten. 

2)  d  -^  r. 

R  serai^  86.  serez  151.  434. 

LC  serrat  517.  serrunt  621.  serad  2506. 

OP  serreiz  126,3.  serrunt  131,13.  serez  4,3.  serunt  1,4.  pur- 
serrat  68,41. 

CC  serrat  517.  serrunt  621.  serad  2306  (L  C :  eit).  2506. 

L  sera  372.  sereit  391. 

CP  serrai  25,5.  serrat  9,7.  serat  7,16.  9,9  (Hs.  B:  rr).  pur- 
serrad  68,39,  purseerunt  68,38. 

B  serat  76,23.  81,24.  seraient  77,6.  serunt  118, 18.  serrunt 
118,4  („will  seat  themselves"). 

Q  serra  12,7.  serrez  28,3.  serunt  282,18. 

Geht  der  Infinitiv-Endung  ein  a,  ai,  e,  o  oder  u  voran,  so  wird 
das  folgende  r  in  einer  Anzahl  von  Zeitwörtern  meistens  verdoppelt, ' 
nämlich  in ; 

air,  ca'ir,  esjoi'r,  laier,  oir,  plaire,  poir  (*  pnir),  taire,  traire  und  veir. 

Die  hierhin  gehörigen  Formen  sind  : 

A  lairai*  42.  trairunt  41. 


^  Schreib-  oder  Druckfehler  für  amernii. 

^  In  einer  Besprechung  von  Cornns  Glanures  phonologiques  (in  Ro- 
niania  27)  heifst  es  in  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  III,  S.  151:  „Von  Wichtigkeit 
ist  die  Hcrleitung  von  ser(r)ai  aus  scdere  habeo  (nicht  essere  habeo,  woraus 
estrai  wird  ...)."  H.  Suchier.  Erwähnt  werde,  dafs  Hs.  A  von  CP  dort, 
wo  die  V  ulg.  eine  Form  von  sedere  hat,  stets  rr  aufweist  (9,7.  2ö,5. 
113,12  e.  c),  während  das  lat.  ero  in  ilir  nur  einfaches  r  hat  (Hs.  B:  rr; 
jedoch  auch  einmal  r:  serunt  55,9).  Die  Handschriften  R,  L  und  B  haben 
stets  einfaches  r;  daneben  findet  sich  aber  in  B  rr  in  der  einen  Form 
serrunt  (sedebunt)  118,4. 

3  Andere  als  die  hier  genannten  Verben  finden  sich  (mit  einfachem  r) 
auf  S.   .S15. 

^  Zu  lairai  (A  42)  sagt  G.  Paris  S.  125:  „de  laier,  verbe  different  de 
laisscr."  Joret  dahingegen  sagt  in  den  Memoire«  HI,  S.  24fi  (über  den 
heutigen  Dialekt  in  der  Normandie):  „Je  nie  bornerai  ii  signaler  le  futur 
]'r4  ile  lesi6,"  und  in  einer  Anmerkung:  „lere  de  l^s(e)r^  (?)." 


Die  V^erdoppelung  der  Konsonanten  im  AUnormannischen.  313 

R  decarrat  2902.  lerrai  785.  lerreie  457.  lerrat  574.  lairat266G. 
onat  55.  orrez  336.  purrat  34.  porriim  973.  purum  1007.  purrez  133. 
verrat  83.  verrez  49.  reverrunt  1402.  1421.  revereiz  3802. 

LC  lerrai  97.  578.  1608  (C  C :  lerai).  errat  147.  635.  purras 
3504.  3549.  purrat  1469.  sustrarra  3484.  verrat  1466,  verra  2666. 
verrez  2072.  verreient  2251. 

0  P  carrat  9,  33.  36,  25.  carrunt  1  7,  42.  90,  7.  complairunt  48,  1  3. 
decarrunt  36,2.  esjorrai  9,2.  30,8.  esjoirunt  ^  5,13.  onas  5,3.  orrat 
4,4.  exorrai  90,15.  exorras  37,16.  porra77,22.  77,24.  purrunt  17,42. 
tairat  49,3.  verrai  5,4.  8,4. 

CC  larrai  97.  578.  lerai  1608.  3472.  orrat  147.  635.  purras 
3504.  3549.  purrat  1469.  sustrairat  3484.  verrad  1466.  verreient 
2251.  verat  2666.  verez  2072. 

L  chiarra  687.  porra  214.  577.  purra  337.  verra  870. 

CP  atrerrat  9,30.  charrat  36,24.  charrunt  17,39.  cbaerunt  (Hs. 
B:  charrunt)  9,3.  complairunt  48,13.  cuntrerrad  106,42.  detreirat 
(Hs.  A  und  B)  ob,  7.  detraifrat  (Hs.  B)  40,6.  esjoirai  9,2.  30,7. 
estrairad  51,4.  forstrerrat  36,40.  lerrunt  16,14.  onas  5,2.  16,6. 
37,15.  oiras  (Hs.  B:  orras)  80,8.  purrat^  77,19.  purrunt  17,39. 
teirrat  (Hs.  B:  terrat)  49,3.  tarrai  41,4.  teirat  (Hs.  B:  terrat)  61,1. 
lairad  (Hs.  B:  terrad)  75,8.  verrai  8,4.  16,15.  verras  34,18.  verrat 
10,8.  verrums  35,9. 

B  arad  84,29.  arrad  107,23.  arrat  107,30.  cliarat  97,  30.  carrat 
101,11.  encharat  102,3.  lairad  107,24.  107,30.  lerai  95,8.  larei 
81,21.  larai  117,8.  orez  75,3.  orunt  82,24.  purrat  82,31.  97,11. 
trarat  102,2.   verad  84,  11.  84,29.  verat  96,14. 

Q  attrarreient  275,  14.  charrad  169,5.  charrunt  209,9.  larrai 
78,17.  larrums  182,13.  orras  27,5.  orrad  12,8.  plarrad  46,  6.  93,16. 
purrad  8,17.  9,1.  retrarraie  415,12.  sustrarreient  275,13.  trarrai 
79,17.  81,17.  traruin   182,16.  verrunt  10,5.   10,9. 

Auch  in  einer  ßeihe  von  Verben,  in  denen  der  Infinitiv-Endung 
ein  i  vorangeht,  wird  das  folgende  r  nicht  selten  verdoppelt ;  es  sind 
die    Wörter: 

creire,  deduire  (findet  sich  nur  einmal),   despire,   destruire,    eslire, 


1  So  ist  nach  Meisters  Kollation  (S.   118)  zu  lesen  statt  esjorrunt. 
-  puvrrai   138,7    ist   Schreibfehler   für   purrai    (Ztschr.    f.    roni.  Phil.  I, 
S.  57  2;  11.  Suchiei). 


314  Die  Verdoppelung  der  Konsonanten  im  Altnormannischen. 

gire,  luire  (findet  sich  nur  einmal)  und  rire  (findet  sich  zweimal,  einmal 
mit  r).  Wahrscheinlich  hatte  auch  Doppel-r,  wenn  i  bestehen  blieb, 
denselben  Laut  wie  das  einfache  r,  denn,  wie  wir  sogleich  noch  sehen 
werden,  stehen  jenen  Formen  mit  rr  (r)  andere  Zeitwörter  genau  der- 
selben Kategorie  mit  stets  einfachem  r  gegenüber.  Wo  jedoch  e  an  die 
Stelle  von  i  trat  (crerrat  e.  c),  hatte  rr  die  scharfe,  gesonderte  Aus- 
sprache jedes  einzelnen  Konsonanten. 

Zunächst  raöfjen  die  oben  genannten  Verba  folgen: 

R  crerez  196.  220.  ierreiez  1721.  recrerrai  3908.  3848.1 

OP  acrerrat   36,22.    despirras  50,18.    despirai  117,7.    despiras 

54,1.  despirums  43,7.  destruiras  27,7.  destruirat  51,5.  rirunt  51,6. 
CP  crerrad  F.  C.  42.  despirrai  117,7.  despirras  50,18.  despirrad 

91,11.   destruiras  (Hs.  B:  rr)  5,5.  142,15.   destruirat  51,4.   eslirrad 

24,11.  eslirras  64,4.  girrai  138,9.  luirrad  (OP:  sera  elluminede  v.  11) 

138,13.  rirrunt  51,5. 

B  crerunt  76,3.  girat  82,29.  105,24. 

Q  deduirra  10,13.   despirra  9,19.   destruirrunt  139,3.    destruirai 

209,8.  292,13.    eslirrai  181,1.    eslirrad  293,4.    girras  163,1.    girrat 

379,12. 

Besonders  genannt  werde  irai  (irrai),  weil  hier  die  Schreibung 
mit  einfachem  r  bedeutend  vorwiegt: 

R  irai  246.  irez  250. 

OP  irai  22,4.  irunt  80,11.  83,7. 

CP  irai  22,4.  60,4  (Hs.  B:  irrai  25,3.  25,11). 

B  irunt  103,7.  106,9.  irrunt  84,28.  85,2. 

Q  irad  28,10.  ireit  138,7.  irrunt  21,  9.  irrad  23,10.  103,8.  irad 
28,10.  ireit  138,7. 

Einige  Formen  von  Zeitwörtern,  die  auch,  wie  die  eben  genannten 
Verben,  ein  i  vor  der  Infinitiv-Endung  haben,  und  doch  im  Fut.  das 
einfache  r  behalten,  sind : 

A  purirat  96. 

R  conduirai  892. 

OP  gehirai  7,18.  gehirad  6,5.  regehirai  9,1.  nurriras  30,4. 

CP  nurriras  30,3.  nurrirat  54,24. 

Q  conduirai  95,10.    conduirunt  243,8.    descunfirad  139,5.   des- 

'  Es  steht  hier  im  Text  fehlerhaft  recrrai. 


Die  \'erdoppeluDg  der  Konsonanten  im  Altnormannisclien.  315 

cunfirunt  139,4.  dormirunt  159,  lU.  esparnirad  57,3.  ensevelirad  293,1. 
escundirad -164,  2.  furnireit  290,  A.  1,3.  guarantirai  415,14.  guaian- 
tirad  30,15.  guenchiras  153,1.  guenchireit  175,  17.  guerpirai  251,21, 
guerpirad  41,5.  mariras  164,19.  merirad  208,7.  nunciras  188,9. 
partiras  328, 16.  perirez  41,12.  ravirad  314,12.  repentirad  370,8. 
revertiiad  392,4.  servireient  302,15.  vestirums  327,13. 

Auch  die  vier  Zeitwörter  arester,  atriwer  (einmal),  ester  und  rece- 
voir  (zweimal)  zeigen  bisweilen  rr. 

OP  receverrat  47,3.  48,16.  receverai  49,10.  receveras  50,20. 
receverad  145,8. 

CP  receverai  49,9.  receveras  50,20.  recevrad  145,10.  esterat 
(Hs.  B:  rr)  35,4.  75,7  (estera  Hs.  B  36,10). 

B  receverat  111,14. 

Q  aresterras  32,7.  53,16.  aresterrnm  46,9.  aresteras  82,4.  atri- 
werrai  328,  9.  atriwerai  36,  7.  esterras  150,8.  esterrad  150, 15.  esterrez 
410,9.  esterez  410,4.  receverai  280,10. 

Dafs  in  diesem  Falle  rr  wie  einfaches  r  lautete,  beweisen  die  an- 
geführten zahlreichen  Formen  mit  einfachem  r,  besonders  die  Form 
recevrad  in  CP,  sodann  aber  auch  folgende,  der  Kfirze  wegen  nur 
der  Hs.  Q  entnommenen  Beispiele  entsprechender  Verba  mit  stets  ein- 
fachem r: 

ardereit  290,  A.  1,4.  bevereie  287,11.  cunfermerad  100,17.  de- 
ceveras  337,13.  deveras  33,14.  edifierai  280,13.  enfrenerai  414,18. 
enveierai  30,13.  esbaierunt  268,11.  escerchereient  323,10.  espierunt 
372,19.  estuverad  28,3.  leverai  219,1.  osterai  66,2.  remorderad 
100,18.  remuerai  430,4.  respunderas  359,1.  returnerad  415,12. 
savereiez  288,1.  siwereient  426,2.   soldeirai  242,15.  viverad  81,6. 

Schreibfehler   sind: 

A  prierrent  6. 

B  Frrance  827. 

OP  tricherresses  11,2  und  11,3  wegen  trichorie  14,3.  37,13. 
trioheruse  51,4.  tricherusement  13,5.  35,2. 

CC  pine  (LC:  pire)  133. 

C  P  tricherresse  (Hs.  B  :  r)  51,4  wegen  trecherus  11,  2.  trecheruses 
11,3.  trecherusement  35,2.  tricheries  37,13. 

Q  attarriet  105,3  wegen  attarier  64,9.  attarie  62,  10  (auch  targat 
68,  1.  targiez  192,1). 


3I(j  Die  \'erdoiipelung  tlcr  Konsonanten  im  Altnorniannibchen. 

m. 

Präpositionen    -|-    m. 

1)  cZa  -[-  m. 
A  amanuet  47. 

R  amenet  435.  ameneiz  508.  amunt  1103.  2235. 

LC  amender  6.  130. 

0  P  amenerent  42,  3.  amenedes  44,  16.  amenuisas  8,  6.  amenuisocs 
11,1.  amunuiserai  17,  46.  amoliees  54,  24.  anuü  (obmutui)  38,  3.  38,  11, 

CC  amender  6.  130. 

L  amirable  441. 

CP  amenad77,7l.  104,40.  amenuisiet  (Hs.  B:  amenuisset)  11,1. 
arnenuisad  77,50.  aminuse  106,39.  araui  38,3.  38,11. 

Q  amaledid  291,3.  amaladid  357,16.  amatid  25,13.  amenad 
140,18.  171,1.  amaisnement  283,19.  amendout  9,5.  amendez  33,9. 
amerrerai  (Schreibfehler  für  amerrai)  131,7.  amesured  167,10.  amo- 
nestement  24,5.  amonested  ^  157,13.  amortid  ^  101,14.  amunt  (s.) 
171,6.  189,3.  amunt  (adv.)  33,5.  286,11.  amuntast  161,5. 

E